MFG - Welch ein Theater
Welch ein Theater


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Welch ein Theater

Text Martina Luef
Ausgabe 11/2021

2020 feierte das Theater am Rathausplatz sein 200 jähriges Jubiläum. Einem eigenen Jahresschwerpunkt zum Thema machte im Vorjahr die Coronapandemie einen Strich durch die Rechnung, untergehen möchte man das Jubiläum aber trotzdem nicht lassen, weshalb das Stadtmuseum 2022 eine große Ausstellung aus Anlass des Jubiläums nachreichen wird. Kuratorin Martina Luef über die Ursprünge des Theaters am Rathausplatz.

Die Anfänge des Theaters auf dem Rathausplatz gehen auf das Jahr 1820 zurück. In seiner Geschichte erfuhr das Haus immer wieder tiefe Einschnitte und Brüche – meist aufgrund finanzieller Nöte – die zu zwischenzeitigen Schließungen, Änderungen der Besitzverhältnisse oder zu radikalen Umbauten führten, um danach neuen Aufschwung zu nehmen.
Es wurden sogar Pläne für ein größeres Schauspielhaus um 1900 geschmiedet, die jedoch nie umgesetzt wurden. Karl Heitzler, der 40 Jahre lang dazu beitrug, das Theater am Leben zu halten, beschreibt diesen Traum vom Schauspielhaus in seiner lokalgeschichtlichen Studie „Das Theater in St. Pölten“, die 1910 in „Beiträge für die kulturellen Interessen von St. Pölten und Umgebung“ erschien. Diese Ausführungen stellen neben einer Dissertation des Theaterwissenschaftlers Alois Haider aus dem Jahr 1978 die raren Quellen dar, die uns zur Rekonstruktion der Historie zur Verfügung stehen. Zudem ergänzen Theaterzettel, Theaterhefte, Dokumente, Verträge, Rollenbücher, Bühnenmodelle, Fotografien, Plakate aus dem Stadtarchiv fragmentarisch die Geschichte.
Die Ursprünge: Die Geburtsstunde
Für Heitzler – der zwischen 1917 und 1919 Bürgermeister von St. Pölten war und auch das Stadtmuseum gründete – schien es jedenfalls von Interesse gewesen zu sein, zu ergründen, woher bzw. auch von wem der Impuls zur Gründung eines fixen, ständigen Theaterbaus für die Bevölkerung gekommen war. Er musste allerdings feststellen, dass das zur Verfügung stehende Material sehr dürftig war und zitiert aus „Versuch einer physisch-medizinischen Topographie von der landesfürstlichen Stadt St. Pölten in Nieder­österreich von Franz Strohmayr“ aus dem Jahre 1813: „Durch viele Jahre wurden gewöhnlich Winterszeit in einem kleinen Theater (…) Komödien von herumziehenden Schauspielern, öfters aber auch von einer hiesigen Gesellschaft Theaterfreunde (von letzteren zu einem wohltätigen Zwecke) in verschiedenen Zeitfristen aufgeführt(…)“ und ergänzt „aus mündlichen Mitteilungen, daß es im rückwärtigen Trakte des ehemaligen Trumpf´schen Hauses“ in der Wienerstraße lag.
Heitzler schloss daraus, dass sich in den 10er-Jahren des 19. Jahrhunderts „für all diese Vorstellungen ein theaterfreundliches Publikum gefunden hat.“ St. Pölten hatte 1805 und 1809 unter der französischen Besatzung schwer gelitten. So war das Bedürfnis nach Unterhaltung groß und die Freude am Theaterschauen und -machen für eine breite Bevölkerungsgruppe ein wahres Bedürfnis.
Der Gründer: Bischof Dankesreiter
Die Basis, um das nötige Kapital für ein Theatergebäude aufzubringen, war mit der Gründung der „Gesellschaft des Theaterbaues in St. Pölten“ gelegt worden. Ihr stand der kunstsinnige Bischof Johannes Ritter von Dankesreiter vor, der die erste Aktie im Mai 1820 zeichnete. Bis Februar 1821 kauften finanziell gut gestellte Bewohner der Stadt, Vertreter des Klerus, der Beamtenschaft sowie des Landadels weitere Aktien. In diese kaufkräftige Runde gesellte sich auch eine „durchlauchtigste Fürstin und Prinzessin von Lothringen Sternkreutz Ordens-Dame und Dame de Palais“, die nach der Einlage von zweihundert Gulden eine Aktie ihr Eigen nennen konnte. Einige der 47 Aktionäre überließen ihre Aktien dem Siechenhaus. Der Gewinn sollte diesem zufließen. Dadurch wurde die Sozialeinrichtung selbst Teil der Gründungsgesellschaft und des Theaters. Wie den Theaterzetteln zu entnehmen ist, wurden öfters Theatererlöse für wohltätige Zwecke verwendet, was auch die soziale Ausrichtung des Unterfangens in seiner Pionierzeit dokumentiert.
Auch der damalige Bürgermeis­ter Franz Xaver Schöpfer, mit 34 Jahren Amtszeit längst dienender Bürgermeister der Stadt, dürfte einer der Theaterfreunde gewesen sein oder der Unternehmung zumindest wohlwollend gegenübergestanden sein. So sicherte sich die Stadt neunzehn Aktien und war somit von Beginn an größter Aktieneigner der Gesellschaft. Bereits 27 Jahre nach der Eröffnung stand das Aktionärstheater allerdings vor großen, finanziellen Problemen und musste 1847/48 schließen. Die Gesellschaft löste sich nach Übernahme aller Theateraktien durch die Stadt auf, womit diese ab diesem Zeitpunkt zur alleinigen Eigentümerin wurde und Einfluss auf die Bestellung der Pächter – der Theaterdirektoren – nehmen konnte.
Die Architektur: Kein Stein blieb auf dem anderen …
Die nächste Frage war, wo das Theater situiert sein sollte. Die Aktiengesellschaft konnte dafür das in der nordwestlichen Ecke des Rathausplatzes gelegene, sogenannte militärische Stockhaus erwerben und ließ dort vom St. Pöltner Baumeister Josef Schwerdfeger das neue Theater errichten, das bis heute am selben Standort geblieben ist.
Zur Eröffnung des Theaters schrieb die „Wiener allgemeine Theaterzeitung“ am 20. Jänner 1821:
„St. Pölten. Wer die Lage und die Verhältnisse eines nicht sehr volkreichen Städtchens näher erwägt, wird gewiß durch den Eintritt in unser neu erbautes Ball- und Schauspielhaus freundlich überrascht. Dieses Gebäude verdankt sein Entstehen dem gemeinsamen Zusammenwirken der Einwohner des Ortes, welches nur durch rege Thatigkeit und energische Kraftanwendung zu so schönen Früchten gedeihen konnte. Es ist bis jetzt das Eigenthum der Gesellschaft des Theaterbaues, und wird abwechselnd zu theatralischen Vorstellungen und Bällen benützt“
Der erste, architektonisch eher bescheiden ausgestattete Theaterbau musste in Folge des verheerenden Ringtheaterbrandes am 8. Dezember 1881 aufgrund fehlender Feuersicherheit gesperrt werden. Die Bühne wurde abgerissen und der ausgehöhlte Saal stand in Folge nur mehr für Ballveranstaltungen zur Verfügung. Die Stadt hatte nach 62 Jahren kein Theater mehr!  Erst 1888 bildete sich ein Theaterkomitee aus Bürgern und Gemeindevertretern, unter ihnen Karl Heitzler, die einen Neubau am selben Standort erwirkten.
Diesmal war der Wiener Architekt Eugen Sehnal für die Ausgestaltung des Zuschauerraums und den Entwurf der Fassade verantwortlich. Der kleine Theaterbau erhielt damals u. a. ein breites Portal im Erdgeschoß sowie einen Balkon im ersten Obergeschoß. An der Front wurde eine Marmorplatte mit der in Goldschrift gehaltenen Bezeichnung „Stadttheater“ angebracht. In der Mittelachse fand sich eine Büste Apolls, des Gottes der Musen, zudem wurde als „Bekrönung“ des Baues dessen Lyra angebracht. Diese beiden symbolischen Elemente des Fassadendekors wurden auch auf die 1968/69 um ein Stockwerk erhöhte und überarbeitete Fassade des Theaters übernommen und verbinden damit den heutigen Bau mit seiner reichen Geschichte.
Das Programm: Herein, herein und Vorhang auf!
Am 26. Dezember 1820 wurde das neue Theaterhaus in St. Pölten mit einem rauschenden Ball eröffnet. Schon am darauffolgenden Tag wurde mit einem reichen Programm an Vorstellungen begonnen. Die „Wiener allgemeine Theaterzeitung“  schrieb dazu in ihrer Ausgabe vom 27. Jänner 1821. „Am 26. Dezember fand die Eröffnung mittelst eines sehr besuchten Balles statt, und am 27. Dezember begann der dramatische Kranz mannigfaltiger Vorstellungen sich vor unsern Augen zu entfalten; dufteten auch diese Blumen nicht immer gleich lieblich, ritzte auch mancher Dorn, das an reine, zartere Genüsse verwöhnte Gemüth, so wäre es doch undankbar, nicht die einzelnen erfreulichen Erscheinungen hervorzuheben, und mit Schonung auf jenes aufmerksam zu machen, was Fleiß und guter Wille leicht zu verbessern vermag“, und weiter: „Unter den Stücken, welche vier Mahl die Woche hindurch, seit der Eröffnung gegeben wurden, zeichneten sich besonders die ‚Großmama‘, ‚Adelheit von Burgau‘, ‚Eduard in Schottland‘, die ‚Unvermählte‘, ‚die Verwandtschaften‘, ‚der Hausdoctor‘, und das ‚Tournier zu Kronstein‘, aus. Die Perle der Gesellschaft ist unstreitig Mad. Ferrari, in glücklicher Darstellungsgabe gefühlvoller Declamation und richtigem Costüme; ihre Leistungen als Großmama, Mutter in den Verwandtschaften, und Pförtnerinn in den Kreutzfahrern gehören nicht zu den alltäglichen.“
In dieser frühen Phase konnte man nicht nur Theateraufführungen genießen. Das Theaterhaus diente auch als Veranstaltungsort für Konzerte, Bälle und Tanzveranstaltungen. Sie waren eine wichtige Einnahmequelle, aber oft genug auch Auslöser für Konflikte zwischen den Direktoren und der Stadt.
In gewisser Weise war das Theater programmatisch auch immer ein Seismograph der Gesellschaft und geschichtlichen Entwicklung. So forderten die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen, vor allem im Kontext der beiden Weltkriege, immer wieder Zugeständnisse. Das Theater bot der Bevölkerung in diesen schwierigen Zeiten vor allem Zerstreuung, Freude an den theatralen Ereignissen und Musik an, wie die Theaterzettelsammlung der Saison 1917/18 vermuten lässt. In der Zeit zwischen 30. September 1917 und 30. Mai 1918 wurden insgesamt 247 (!) Vorstellungen gegeben! Dies diente freilich, in noch rigoroserer Weise dann während des Dritten Reiches, zugleich der staatlichen Propaganda.
Der Ausbruch des 2. Weltkrieges bedeutete eine Zensur für die Eigenständigkeit des Theaters. Die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ übernahm den Theaterbetrieb, ein Zweckverband wurde gegründet und die „Gaubühne Niederdonau“, die ihren Sitz in Baden hatte, sollte das Stadttheater von nun an bespielen. Die Bürger versuchten mit allen Mitteln die Eigenständigkeit des Hauses zu erhalten, mussten nach der Intervention des Gauleiters Hugy Jury diese Bestrebungen aber aufgeben.
Der Spielplan unterschied sich in der NS-Zeit weniger in der Auswahl der Stücke, als massiv darin, dass keine Werke jüdischer Dichter oder Komponisten aufgeführt wurden.Nach dem Krieg wurde das Stadttheater bereits 1945 wieder eröffnet. Die ersten Vorstellungen fanden aufgrund des von Bombentreffern stark beschädigten Daches unter freiem Himmel statt. Es wurde in Folge als Mehrspartenhaus geführt, das neben Sprechtheater auch Oper und Operette samt eigenem Ensemble und Orchester am Spielplan führte. Manch großer Mime wie etwa Albin Skoda und Richard Eybner oder Sänger wie Peter Minich verdienten sich hier erste Sporen.
2005 übernahm das Land Niederösterreich die Betriebsführung. Seither wird das Theater unter den künstlerischen Leiterinnen Isabella Suppanz, Bettina Hering und seit 2016 Marie Rötzer als Sprechtheater geführt, dessen Renommee sich sogar in der New York Times niederschlägt. Was über die Jahrhunderte gleich geblieben ist, wie es Marie Rötzer formuliert, ist der Geist der „Theaterhungrigen“, weshalb „es das Theaterhaus im Zentrum der Stadt St. Pölten als Begegnungsort für Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Publikum auch in den nächsten 200 Jahren geben wird.“ Selbst das durch Corona bedingte „digitale Biedermeier“, wie es Stadtmuseumsleiter Thomas Pulle bezeichnet, wird dem Haus und seinem Geist nichts anhaben. Es wird weiter „offen“ sein – sowohl im physischen Sinne als auch im Sinne der Transformation und des Wandels.
Zur Autorin: Martina Luef ist Kulturvermittlerin im Stadtmuseum.

WELCH EIN THEATER – DIE AUSSTELLUNG 2022
Worauf legt man den Fokus, um die für 2020 geplante Ausstellung – abseits des eigentlichen Jubiläumsjahres – im Frühjahr 2022 zu realisieren? Vielleicht ist es aus den derzeitigen sozial- und kulturpolitischen Gegebenheiten heraus angezeigt, sich gerade jetzt der Entwicklung eines Stadttheaters und der Wechselwirkung von Gesellschaft-Politik-Kultur zu widmen.
Die Ausstellung lässt sich auch über die lange bestehende Verbindung des Stadtmuseums mit dem Theater begründen, vor allem über die Person von Karl Heitzler. Er war zweifellos über viele Jahre hinweg ein wesentliches Bindeglied zwischen der Stadtgemeinde und den Kulturschaffenden und im Falle des Stadttheaters zu den fast jährlich wechselnden Theaterdirektoren.
Ziel der Ausstellung werden Einblicke in Quellenmaterial und deren historiografische Auswertung sein. Die mehr oder weniger gut dokumentierten Ereignisse rund um die Entstehung und Erhaltung des Stadttheaters sind als Fragmente politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ansätze und Tendenzen mit einem roten Faden verbunden.
Schreiben Sie uns!
Ähnlich wie das frühere Stadttheater die Bewohner von St. Pölten über ihre Spielwünsche abfragte oder um Mithilfe bat, wenn es beispielsweise an Requisiten und Kostümen fehlte, richtet auch diesmal das Stadtmuseum Fragen an Kenner und Kennerinnen des Stadttheaters von St. Pölten. Das langjährige Publikum ist ein wertvoller Wissensspeicher! Vielleicht wollen Sie über ihre Erlebnisse aus dem Theater berichten oder anhand der unzählig vorhandenen Fotografien ihre Lieblingsdarstellerinnen und -darsteller wiederentdecken? Dann nehmen Sie unter vermittlung@stadtmuseum-stpoelten.at Kontakt mit uns auf – das Stadtmuseum erwartet Sie!

... analoge Beiträge:

Foto Alexi Pelekanos

Wie sehen Sie die momentane Situation einer Kultureinrichtung?
In dieser Situation ist es für uns als Theater sehr schwer, unsere Geschichten, Themen und Stoffe ans Publikum zu bringen. Im Herbst hatten wir einen schönen Saisonstart mit Othello, konnten mit einem Regisseur aus London und einem schwarzen Hauptdarsteller das Stück erzählen. Ein großer Erfolg, wo wir viele weitere Vorstellungen anhängen. Wir bekamen auch viel Lob in einem großen Artikel in der New York Times,  ...