Isma Forghani – Der Siegelring
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Isma Forghanis Stück „Der Siegelring“ gastierte schon in Klagenfurt, in Graz oder in Baden. Nun wird das Drama in der Inszenierung von Nicole Fendesack am 23. und 24. Oktober endlich auch in ihrer Heimat – Forghani lebt in Pyhra bei St. Pölten – in der ehemaligen Synagoge aufgeführt. Wir trafen die Autorin.
Wenngleich reiner Zufall, so scheint es durchaus passend, dass wir an einem sonnigen Augusttag im Café Schubert just neben der Mariensäule am Herrenplatz, also quasi zu Füßen einer der großen ikonischen Frauenfiguren der Welt(literatur), Platz finden. Denn um drei starke Frauen geht es auch in „Der Siegelring“: die berühmte französische Schauspielerin Sarah Bernhardt; die österreichische Frauenrechtlerin Marianne Hainisch; und die persische Dichterin und erste Apostolin des Bahá‘í Religionsgründers Bab, Tahereh. Letztere ist im Stück sodenn auch so etwas wie die einigende Klammer, ja Synthese in einem auf uns zukommenden Dialog zwischen Bernhardt und Hainisch im Wien des Jahres 1899.
„Alle drei Frauen teilen das Schicksal der Unterdrückung – Hainisch, die sich gegen männliche Geringschätzung und Arroganz behaupten muss, für höhere Bildung der Mädchen oder etwa auch das Frauenwahlrecht eintritt und allen Widerständen zum Trotz Mädchen-Schulen und Frauenvereine gründet. Bernhardt, die größte Schauspielerin ihrer Zeit, glamourös, exzentrisch, selbstbestimmt, die neben Sexismus zudem mit übelstem Antisemitismus konfrontiert wird und in zeitgenössischen Karikaturen Anfeindungen erfährt, die heute unvorstellbar wären. Schließlich Tahereh, die für ihren Kampf um Alphabetisierung, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Religionsfreiheit in Persien hingerichtet wird und kraft ihres unumstößlichen Mutes den westlichen Frauen zum Vorbild wird.“ Wie überhaupt das Schicksal der Bahá‘í nach der Veröffentlichung eines Briefes des k.u.k. Offiziers Alfred von Goumoens in der „Neuen Freien Presse“ 1852, „in dem er die Verfolgung in Persien in all ihrer Brutalität ungeschminkt schildert“ in den bürgerlichen Salons des Fin de siècle zum Thema wird. „Das heroische Verhalten der Verfolgten faszinierte das europäische Bürgertum im 19. Jahrhundert“, so Forghani. Auch sie selbst wurde durch Goumoens Text inspiriert, die drei Frauenschicksale miteinander zu verquicken, zumal sie sich bereits zuvor intensiv mit dem Schicksal von Tahereh, „die mir mein Vater nähergebracht hat“, auseinandergesetzt hatte. Obwohl im Stück Glaube als eine Art unterschwelliges Hintergrundrauschen eine Rolle spielt, möchte die Autorin, selbst bekennende Bahá‘í, den „Siegelring“ keinesfalls aufs Religiöse reduziert wissen. „Wenn, dann geht es eher um Spiritualität, um Glauben in einem universellen Sinne, denn alle drei Frauen werden ja vom gleichen Ideal, dem Willen zur Freiheit, zur Selbstbestimmung, zur Selbstverwirklichung angetrieben – und dafür kämpfen sie. So betrachtet ist mein Stück vor allem eine Hommage an alle Verfolgten auf dieser Welt, egal welchen Geschlechts sie sind und gegen welche Widerstände sie auftreten“, erläutert die Autorin. Religion wird im Stück sodenn auch eher als toxisch männliche, ja pervertierte (Fehl)Interpretation des Glaubens spürbar, die als bewusstes Kalkül männlicher Machtausübung in den Irrweg der Unterdrückung von Frauen mündet – und zwar egal, um welche Konfession es sich handelt. „Die drei Protagonistinnen kommen ja aus völlig unterschiedlichen – auch religiösen – Milieus. Sarah Bernardt ist eine zum Christentum konvertierte Jüdin, Hainisch Christin, und Tahereh gebürtige Muslima, die zur ersten Apostolin des Bab, des Religionsgründers der Bahá‘í wird.“ Sie ist es auch, die – im Persien des 19. Jahrhunderts ein absoluter Tabubruch – als Erste öffentlich den Schleier als bewussten Akt der Emanzipation und als Ausdruck des Protests gegen überholte, frauenfeindliche Doktrinen ablegt, wobei Forghani dieses „Ent-Schleiern“ durchaus auch auf einer höheren, universal-symbolischen Ebene verortet. „Es geht – für jeden Menschen – um das Ablegen, ja Zerreißen von Schleiern: des Schleiers des Unwissens, des Schleiers der Ignoranz, des Schleiers der Angst, des Schleiers der Vorurteile.“ Symbolik strahlt in diesem Kontext auch der Aufführungsort in St. Pölten aus: die ehemalige Synagoge. „Es ist natürlich eine große Ehre für mich, dass der Siegelring gerade hier zur Aufführung kommt. Das ist ein Ort des Gebets, der Versöhnung und leider, wir alle kennen die Geschichte, ein Ort der Zerstörung und der Erinnerung an das Schlimmste: 321 Menschen wurden hier während der Shoah ermordet! Es ist daher wichtig, diesen schönen Ort zu besuchen, gerade wenn wir wissen, dass der Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch ist. Und auch die Islamophobie“, so Forghani, die nachdenklich hinzufügt: „Beide haben dieselbe Ursache: Unwissenheit!“ Vielleicht liegt gerade darin eine ihrer größten Motivationen zum Schreiben: Gegen diese Unwissenheit anzukämpfen, im besten Sinne aufzuklären, Schleier zu lüften. Forghani schreibt dabei sowohl in ihrer Muttersprache Französisch – die Autorin wuchs in Paris auf – als auch auf Deutsch. Neben zahlreichen Artikeln „ich war etwa während der Studienzeit als Hobby Chefredakteurin eines Magazins“ verfasst sie auch Gedichte, Prosa, und auch an einem neuen Stück, so deutet sie an, arbeitet sie gerade wieder. „Es geht um zehn Frauen, die in den 80er-Jahren im Iran hingerichtet wurden.“ Bei näherer Recherche handelt es sich um jene Bahá‘í Frauen, die in der Nacht des 18. Juni 1983 im iranischen Shiraz gehenkt wurden, nachdem sie ihren Glauben nicht widerriefen. Wenn man so möchte, Nachfahrinnen von Tahereh, die ihren Einsatz für Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe mit dem Leben bezahlten. Ihre Leichen wurden im Anschluss heimlich verscharrt, ihre Angehörigen in Unwissenheit über ihr Schicksal gelassen, alles, was an sie erinnerte, getilgt – so wie man es mit dem Andenken an Tahereh versucht. „Es ist sehr merkwürdig, dass Tahereh, eine Frau, die ihresgleichen sucht, nach dem Zweiten Weltkrieg im Iran und im Westen plötzlich in Vergessenheit geraten ist, obwohl es im Iran viele Frauen gibt, die sich von ihr inspirieren ließen. Ihnen ist das Stück gewidmet.“
Und wenngleich „Der Siegelring“ universell ist, so reflektiert man natürlich auf die aktuelle Situation im Iran, wo Frauen vielfach wieder brutal aus dem öffentlichen Leben gedrängt werden, Bekleidungsvorschriften als offensichtliches Mittel der Unterdrückung und Demütigung zum Einsatz kommen, männliche Sittenwächter Angst und Schrecken verbreiten – ganz zu schweigen von einem Terror-Regime, gerade auch in einem geschlechtlichen Sinne, wie jenem der Taliban in Afghanistan, wo Frauen zuletzt sogar das Singen in der Öffentlichkeit verboten wurde. „Als ich das Stück 2018 geschrieben habe, hatten die Mädchen in Afghanistan zwar nicht so viele Rechte, aber sie durften wenigstens zur Schule gehen! Das ist heute leider nicht mehr so... Und im Iran wurden Minderheiten immer verfolgt, wie die Bahá‘í. Heute sind die Gefängnisse voll mit Frauen, egal welcher Religion, die nichts anderes getan haben, als Gleichberechtigung zu wollen. Deshalb freue ich mich, Tahereh in St. Pölten ins Rampenlicht zu stellen, als Symbol für alle iranischen Frauen, die heute leider das gleiche Schicksal teilen. Denn ihre Geschichte ist dieselbe.“ Und sie müssen sich, wie auch die drei Protagonistinnen im Stück, mit einer, oftmals durch die äußeren Umstände aufoktroyierten Grundsatzfrage auseinandersetzen: „Wie weit bist du bereit, für deine Ideale zu gehen?“ Und wie weit sind wir es im Westen, uns für die Unterdrückten dieser Welt einzusetzen?
DER SIEGELRING
23./24. Oktober
Ehem. Synagoge St. Pölten
Regie: Nicole Fendesack
Mit: Else Schwaiger, Nena Eigner, Patrick Kaiblinger, Martina Daxböck (Gesang)