MFG - Leutselige Wirte-Legende
Leutselige Wirte-Legende


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St. Pöltens gute Seite

Leutselige Wirte-Legende

Text Beate Steiner
Ausgabe 03/2023

Josef Otzelberger hat seine Hirschenstube an einen Nachfolger übergeben: Erinnerungen


Der Lkw-Fahrer in der zugeparkten Fuhrmannsgasse dürfte sich gewundert haben, war aber sicher auch dankbar für die Unterstützung: Da stand doch tatsächlich ein Mann auf der Straße und lotste den Laster lautstark durch die schmale Spur. Nicht einmal, sondern beinahe täglich an vielen sommerlichen Tagen war das spannende Schauspiel zu sehen und zu hören. Dieses Service gibt’s kommenden Sommer nicht mehr. Denn Josef Otzelberger, der Wirt in der Fuhrmannsgasse, der aktionsstark Blechschäden verhindert hat, ist in Pension gegangen. 25 Jahre hat er „Otzi’s Hirschenstube“ betrieben und von der „Tranklerhütte zum gutbürgerlichen Wirtshaus gemacht, mit sechs Angestellten“, wie er stolz erzählt: „Die Trankler hab‘ ich alle rausgeschmissen.“ 
Zum Speisen und Trinken geblieben ist halb St. Pölten. Da saßen Hof-, Gemeinde- und andere -räte beim g’schmackigen Mittagessen in der Stube oder im schönen Gastgarten gemütlich zusammen und übersahen dabei an so manchen Tagen das Ende der Mittagspause. „Alle Schulwarte waren da, viele Mitarbeiter des Magistrats, Angestellte der Firmen rundherum und auch Polizisten wärmten sich an kalten Tagen bei mir auf“, verrät „Otzi“. Der nie jemanden weggeschickt hat, weil kein Tisch frei war. Mit einem guten Schmäh hat der geschäftstüchtige Wirt Gäste zu anderen dazugesetzt oder wartenden Gästen an der Bar die Zeit vertrieben, bis wieder ein Platz frei war, erinnert sich Mario Winkler, Eigentümer der Immobilientreuhandfirma ImmoCentral. Auch daran, dass die Hirschenstube einige Zeit am Vormittag Treffpunkt aller Chefs der heimischen Handwerksbetriebe war: „Jeder Insider hat sich dort eingefunden, um unkompliziert Kontakte zu knüpfen und Aufträge abzuschließen. Wenn der Chef des Handwerksbetriebes telefonisch nicht erreichbar war, wusste man als Hausverwalter mit großer Sicherheit, dass man ihn in der Hirschenstube antrifft. Vom Schlosser über den Maler bis hin zum Tischler...“
Nicht nur bereits vormittags war beim Otzi schon was los. Die Hirschenstube war auch Anlaufstelle nach einer langen Nacht, die in der Früh noch nicht vorbei war. Bei Otzi standen bereits um 6.30 Uhr die Türen offen, aus der Küche kam der zwiebelige Geruch einer frisch angesetzten Suppe, und der Wirt versorgte die Nachtschwärmer mit Gulasch und Bier.
Apropos Gulasch: das war eines der beliebtesten Gerichte in der Hirschenstube. Vor allem das feurige Priestergulasch mit einem steil nach oben ragenden, von halben Erdapferln gestützten Würstl, das es beim Otzi gegenüber vom Alumnatsgarten seit dem Skandal im Priesterseminar gab. Solche Ideen entstehen natürlich am Stammtisch, wie auch das berühmte Schnitzl, das Josef Otzelberger kreiert und nach einem berüchtigten Mostviertler benannt hat, der in St. Pölten vor Gericht stand. Das Schnitzl darf nicht mehr so heißen, weil der Wirt wegen des Namens verklagt wurde: „Das hat mich viel Geld gekostet.“ Die zahlreichen Stammtische haben Geld gebracht, und nicht nur das. Klar, dass da auch gekartelt wurde. Klar, dass der Hausherr manchmal mitgespielt hat. Und weil er ein begnadeter Kartenspieler ist, hat er beim Schnapsen sogar einmal ein Auto gewonnen: „Das ist das, mit dem mein Schäferhund mitfahren darf.“

Vom Konditor-Lehrling zur Wirte-Legende
Der Schäferhund ist momentan eine starke Herausforderung für den 76-Jährigen, der nach mehreren Operationen gerade wieder zu Kräften kommt. Nicht zuletzt deshalb hat Josef Otzelberger sein Wirtshaus einem Nachfolger übergeben. Daniel Zuzak will das Lokal in bewährter Tradition weiterführen.
Begonnen hat die Gastro-Karriere von Josef Otzelberger vor 60 Jahren als Konditorlehrling in der Pirklstuben. Damals fuhr der „Joschi“ mit dem Fahrrad vom Norden der Stadt in die Josefstraße, oft links und rechts schwer bepackt mit Milchkannen, die in der Mirimi in der Schöpferstraße befüllt worden waren. Es folgten Jahre als Mehlspeiskoch in Deutschland, wo er Caterina Valente Apfelstrudel servierte, Jahre in Gastein und wieder St. Pölten. Vor 50 Jahren heuerte Josef Otzelberger als Mehlspeiskoch im ehemaligen Forumkaufhaus an, wurde dort Chefkoch und Regionsleiter: „Wir servierten bis zu 600 Essen am Tag und mussten bei Festen bis zu tausend Leute bewirten.“ 
Dann machte er sich mit einem eigenen Lokal – dem späteren Gwercher und jetzigen Klang.Spiel – in Stattersdorf selbstständig. 
Mit seiner Scheidung ging’s wirtschaftlich begab, aber Josef Otzelberger rappelte sich wieder auf und machte das Lokal in der Fuhrmannsgasse für 25 Jahre zu „Otzi’s Hirschenstube“.
Dort wurde natürlich auch gern gefeiert. Der ehemalige Musikschuldirektor Viktor Mayerhofer hat beim Otzi geheiratet, viele Geburtstagsfeiern hat Otzi‘s Hirschenstube miterlebt, und selbstverständlich auch Weihnachtsfeiern – die allerletzte im Dezember 2022 vom Bürgerservice des Magistrats.
Auch als das Wirtshaus im Lockdown war, ließ Josef Otzelberger seine Stammgäste nicht hängen und servierte Weihnachtliches auswärts. Mario Winkler: „Er hat gesagt ‚Kein Thema. Ich bringe euch Tische und Sessel ins Büro, und wir machen bei euch ein schönes Buffet, das ich liefere.‘ Nach dem Lockdown hat er uns dann in seinen Weinkeller zu einem Umtrunk eingeladen.“
Damit ist’s vermutlich auch jetzt nicht vorbei. Denn den Weinkeller neben der Wirtsstube hat sich Josef Otzelberger privat behalten. Dort hängt er das Schild „Otzi’s Hirschenstube“ auf, neben ein Foto mit seinen ehemaligen Angestellten. Denn: „Es waren schöne Zeiten.“ Im bestens bestückten Keller wird er sich weiterhin mit Freunden treffen und Spaß haben. Weil: „Ich bin immer gern unter Leuten gewesen.“