MFG - Schrödingers Schnellstraße
Schrödingers Schnellstraße


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St. Pöltens gute Seite

Schrödingers Schnellstraße

Text Sascha Harold
Ausgabe 03/2023

Die Geschichte der S 34 ist lang und verschlungen. Die jüngsten Wendungen im Schnellstraßenkrimi stehen gleichsam für den Zustand der österreichischen Politik.

Nobelpreisträger Erwin Schrödinger war ein österreichischer Physiker und gilt als einer der Gründer der Quantenmechanik. 1935 entwarf er mit „Schrödingers Katze“ ein bekanntes Gedankenexperiment (siehe Infobox). 
Vereinfacht geht es dabei um Folgendes: Eine Katze wird für eine Stunde in eine Metallkiste gesperrt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach dieser Stunde noch lebt, liegt bei 50 Prozent. Fest steht das erst, wenn die Kiste geöffnet wird – bis dahin gilt sie als gleichzeitig tot und lebendig. Hätte Schrödinger den Bau der S 34 miterlebt, wären ihm wohl einige Parallelen zwischen seiner erdachten Katze und dem Schnellstraßenprojekt aufgefallen. MFG hat sich auf Spurensuche begeben, um zu ergründen, ob das Straßenprojekt nun lebendig oder bereits tot ist.

Ein kurzer Rückblick
Am Beginn dieser Geschichte steht ein kurzer Rückblick auf die jüngste Episode in der S 34-Saga. 2021 verkündete das Bundesministerium für Klimaschutz (BMK), das Bauprogramm der Asfinag auf Vereinbarkeit mit klimapolitischen Zielen zu prüfen. 
Am 30. November lässt der zuständige niederösterreichische Landesrat Ludwig Schleritzko per Aussendung, die von mehreren Medien zitiert wird, wissen, dass es eine Einigung mit dem Ministerium gebe und eine „Redimensionierung“ der S 34 geplant sei. Man begrüße die Entscheidung, so Schleritzko damals weiter und schließlich: „Ministerin Leonore Gewessler gibt mit ihrer Entscheidung ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit einer Entlas­tungsstraße für die Landeshauptstadt St. Pölten ab.“ Alles wartete auf die offizielle Präsentation der neuen Pläne, die das BMK für den Tag darauf am 1. Dezember ankündigte – bloß, sie kam nicht. „Die      S 34 wird nicht in der geplanten Form umgesetzt – gemeinsam mit dem Land Niederösterreich sollen bessere Alternativen erarbeitet werden, die die Bevölkerung vom Stau entlasten und wertvolle landwirtschaftliche Flächen erhalten“, war damals im Anschluss an die Pressekonferenz zu lesen. 
Was ist zwischen dem 30. November und dem 1. Dezember mit den Plänen einer Redimensionierung der Schnellstraße passiert? Wahrscheinlichste Antwort: Es gab sie nie. 

Politische Eiszeit
Darauf lassen die Aussagen der Beteiligten heute, mehr als ein Jahr später, schließen. Aus dem Ministerium heißt es in einer schriftlichen Anfragebeantwortung: „Der Rechnungshof hatte bereits vor Jahren darauf hingewiesen, dass die S 34 nicht als Autobahn, sondern als niederrangige Straße hätte konzipiert werden müssen. Sie hat ausschließlich regionale Wirkungen. Auch aus diesem Grund ist die Evaluierung des ASFINAG-Bauprogramms zum Schluss gekommen, das Projekt in der bestehenden Form nicht weiter zu verfolgen. Denn die S 34 hat den Klimacheck, so wie sie geplant wurde, nicht bestanden.“ Und weiter: „Wir haben anschließend das Land Niederösterreich mehrfach eingeladen, gemeinsam mit uns an besseren Verkehrskonzepten und Alternativen zu arbeiten.“ 
Das Land habe die Einladungen bisher aber nicht angenommen, heißt es aus dem Ministerium abschließend. Das Büro von Mobilitäts-Landesrat Schleritzko äußert sich zur Causa äußerst knapp: „Zur S 34, Entlastungsstraße für St. Pölten, geht das Bundesland Niederösterreich davon aus, dass diese Verbindung umgesetzt wird, das ist auch im geltenden Bundesstraßengesetz so festgelegt. Alternativen zur S 34 sind uns keine bekannt.“ Trotz erfolgter Einladung sei vom Klimaministerium kein Kontakt mit dem NÖ Straßendienst aufgenommen worden, heißt es weiter. Von den angeblichen Plänen zur Redimensionierung spricht niemand (mehr).

Quo vadis S 34?
Vom Bau bzw. Nicht-Bau der Schnellstraße ist die Stadt St. Pölten besonders betroffen. Auch dort pocht man auf die Umsetzung der   S 34. Im Bundesstraßengesetz sei das Projekt seit 2010 verankert, die Erklärung das Projekt zu stoppen politisch motiviert. Auch Schadenersatzforderungen stellte die Stadt im Mai 2021 in Aussicht. Weiter verfolgt wurden die allerdings bisher nicht. „Wir denken, dass im Sinne der Bevölkerung hier gemeinsam eine Lösung gefunden werden kann und auch muss“, heißt es heute aus dem Rathaus. Diskussionen darüber, wie diese Lösung aussehen könnte, dürften allerdings derzeit nicht geführt werden. „Die entsprechenden Erkenntnisse und Einschätzungen wurden der Ministerin mitgeteilt, leider bis dato ohne spürbares Ergebnis für die St. PöltnerInnen und trotz mehrmaliger Korrespondenz ohne positive Antwort“, so Vizebürgermeister Harald Ludwig  
Ungeachtet der politischen Debatten arbeitet Asfinag-Projektleiter Leopold Lechner weiter am Schnellstraßenprojekt. Das letzte Gerichtsurteil im Zusammenhang mit der S 34 stammt vom 27. Dezember 2022. Darin hat der Verfassungsgerichtshof die Anfechtung des UVP-Bescheids 2019 abgelehnt. 
Anhänglich ist jetzt noch eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof – für die Gegner der S 34 ist das nun das letzte rechtliche Mittel gegen das Projekt. Mit der Spange Wörth wird ein weiteres Element des Straßenprojekts derzeit beim Bundesverwaltungsgericht verhandelt, bis hier eine Erkenntnis vorliegt, wird es wohl bis Jahresende dauern. Alternative Pläne kommentiert Lechner so: „Wir haben Alternativen geprüft, die Notwendigkeit der S 34 ist aber weiterhin gegeben.“ Fest steht, dass ein alternatives Projekt – in welcher Form auch immer – alle Genehmigungsschritte von vorne durchlaufen müsste. Eine Fertigstellung der Schnellstraße, deren Planungen seit den 1970er-Jahren(!) laufen, würde damit in die Ferne rücken. 
Im ASFINAG-Bauprogramm ist die S 34 übrigens nach wie vor enthalten, die Bauraten sind allerdings auf 0 gestellt und müssten im Fall der Umsetzung neu dotiert werden.
Die Kiste, in der die S 34 schlummert, ist weiterhin fest verschlossen. Ob sie am Leben, tot oder „redimensioniert“ ist, bleibt für den Moment ungewiss.

SCHRÖDINGERS KATZE
„Schrödingers Katze“ ist ein Gedankenexperiment des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger. Dabei befinden sich eine Katze, eine kleine Menge radioaktiver Substanz und eine Flasche giftiger Substanz in einer geschlossenen Metallkiste. Die Menge der radioaktiven Substanz ist so gewählt, dass innerhalb einer Stunde mit der gleichen Wahrscheinlichkeit eines der Atome zerfällt oder nichts passiert. Zerfällt das Atom, wird die giftige Substanz freigesetzt und die Katze stirbt, zerfällt es nicht, überlebt die Katze. Ob die Katze tot oder lebendig ist, kann erst festgestellt werden, wenn die Box geöffnet wird. Bis dahin ist sie gemäß Gedankenexperiment gleichzeitig lebendig und tot.