Hilfe für ein selbstbestimmtes Leben
Text
Beate Steiner
Ausgabe
Das Haus der Frau schützt Frauen und Kinder vor gewalttätigen Männern. Die Mitarbeiterinnen unterstützen bei der Aufarbeitung des Erlebten und beim Start in eine gewaltfreie Zukunft.
Die Adresse ist nirgendwo zu finden auf der übersichtlichen und leicht zu lesenden Homepage hdfp.at, aber eine einprägsame Telefonnummer springt ins Auge – Maßnahmen, die Niederösterreichs größtes Frauenhaus in St. Pölten besonders sicher und für von Gewalt betroffene Frauen leicht erreichbar machen. Und das ist auch 40 Jahre nach Gründung noch bitter notwendig. 57 Frauen fanden im vergangenen Jahr im Haus der Frau Zuflucht, mit insgesamt 70 Kindern. „Wir verzeichnen im Jahr rund 10.000 Übernachtungen“, weiß Olinda Albertoni. Auch, dass die Gefährdung von Frauen nach wie vor zunimmt. Albertoni leitet das Frauenhaus seit 2018. „Wir sind gut ausgelastet, aber wir haben im Notfall immer ein Zimmer frei.“ Seit 20 Jahren befindet sich das Haus der Frau am derzeitigen Standort. 18 Zimmer gibt es hier, einen Garten und Räume für gemeinsame Aktivitäten.
Begonnen hat alles 1984 mit einem Zufluchtsort für etwa vier Frauen und ihre Kinder. Damals hatten sich einige mutige Pionierinnen in den Kopf gesetzt, von Gewalt betroffenen Frauen eine Perspektive zu geben. Sie waren überzeugt, dass St. Pölten ein Frauenhaus braucht, haben in Tirol recherchiert, wo gewaltbetroffene Frauen mit ihren Kindern in Reihenhäusern untergebracht waren. Eine der Gründerinnen ist Annemarie Figdor, damals Obfrau der Katholischen Frauenbewegung: „Wir haben uns gedacht, wenn so etwas im katholischen Tirol nötig ist, dann ist es das auch bei uns.“
Die Idee wurde Realität. „Mit großem Engagement konnten die Gründerinnen die Zustimmung der Politik erhalten – unter Nutzung aller persönlichen und professionellen Netzwerke“, erinnert sich Anna Durstberger, langjährige Obfrau des Vereins „Haus der Frau“, der das Frauenhaus betreibt.
Damals, Anfang der 1980er-Jahre, war ein Zufluchtsort für misshandelte Frauen wenig akzeptiert in der Öffentlichkeit. Zur Erinnerung: Bis Ende der 1970er-Jahre konnte der Ehemann seiner Frau verbieten zu arbeiten. Erst 1989 wurde Vergewaltigung innerhalb der Ehe strafbar. „Durch das klare Bekenntnis aller Verantwortlichen zum Haus der Frau verbesserte sich die Situation kontinuierlich“, weiß Anna Durstberger. Allerdings langsam. Noch 2012 behauptete eine Amstettner FP-Stadträtin, dass Frauenhäuser an der Zerstörung von Ehen maßgeblich beteiligt seien und sorgte damit für einen Skandal. Dass Frauenhäuser eine wertvolle Einrichtung für den Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt sind, ist heute in der Gesellschaft angekommen. Auch in der Politik: „Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig hat uns zu einem ausreichenden Budget verholfen. Wir sind zuversichtlich, dass es so weitergeht“, sagt Olinda Albertoni. Denn häusliche Gewalt ist zwar anders geworden, aber nicht weniger.
Die Gefährder sind schnell da
„Es gibt Männer, für die gibt es keine Grenzen“, bestätigt Elke Lotter, Sozialpädagogin im Haus der Frau in St. Pölten: „Wenige Stunden, nachdem eine Frau eingezogen ist, hat ihr Mann geschrieben, dass er weiß, in welchem Zimmer sie sich befindet.“ Tracking-Apps machen’s möglich. Das Frauenhaus ist allerdings rund um die Uhr mit Mitarbeiterinnen (auch ehrenamtlichen) besetzt und mit zahlreichen Einrichtungen vernetzt, die zum Schutz gefährdeter Frauen beitragen, etwa mit dem Gewaltschutzzentrum, und die Polizei ist schnell vor Ort. Sie bietet Frauen auch Schutz bei Verhandlungen und bei Übersiedlungen in ein anderes Bundesland. Denn rund 60 Prozent der Frauenhaus-Bewohnerinnen sind hochgefährdete Frauen aus anderen Regionen.
Gewalttätige Männer sind zu einem Sechsstunden-Gespräch beim Bewährungshilfe-Verein Neustart verpflichtet, ihr problematisches Verhalten soll ihnen vor Augen geführt werden, sie werden zu einem Betretungsverbot verpflichtet. „Ein Anti-Gewalttraining passiert so gut wie nie – eventuell manchmal als Auflage nach einer Verurteilung“, bedauert Olinda Albertoni.
Rund drei bis vier Monate bis maximal ein Jahr können die Frauen in der Schutzeinrichtung bleiben, erhalten Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche, bei allen rechtlichen Schritten, bis sie auf eigenen Beinen stehen können. Auch an die Schule wird meist kommuniziert, wenn Kinder im Frauenhaus wohnen, „denn die Gefährder sind schnell da“, weiß Elke Lotter und berichtet von Onkel und Opa, die Kinder aus der Schule entführt haben.
Apropos Schule: Einerseits kommen Hinweise auf gewaltbereite Väter über Lehrer („Mitschüler und Mitschülerinnen kriegen einiges mit“), andererseits besuchen Schulklassen das Haus der Frau und erfahren so, wie es zu gefährlichen Situationen innerhalb der Familie kommen könnte.
Unterstützung für Kinder
Zwei Sozialpädagoginnen sind im Haus der Frau Ansprechpartnerinnen für Kinder und Jugendliche. Wie für die 14-jährige Marlene (Name geändert). Sie hat mit ihren beiden jüngeren Geschwistern und ihrer Mutter acht Monate lang Schutz vorm gewalttätigen Vater gefunden. „Ich war sehr nervös, als wir hierhergekommen sind“, erzählt sie, „ich hätte nie gedacht, dass ich hier Freundinnen finden werde.“ Langsam hat das sportliche Mädchen Kontakte geknüpft, mit einer neuen Freundin viel unternommen, mit den Sozialarbeiterinnen gebacken und gekocht. „Das hat mir besonders viel Spaß gemacht“, erinnert sich Marlene an kreative Stunden in der Küche, in denen Rezepte ausprobiert, neue Speisen verkostet wurden: „Wir haben auch zu Halloween gemeinsam unser Stockwerk geschmückt, mit selbstgebastelter Dekoration, das war richtig cool.“ Vor Kurzem hat eine selbstbewusste Marlene mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter ein neues Zuhause bezogen, mit ihrer Freundin aus dem Frauenhaus hat sie weiterhin Kontakt. „Ich bin sehr beeindruckt, wie sich Marlene in den Monaten hier entwickelt hat, sie war am Anfang sehr schüchtern“, bekräftigt Pädagogin Elke Lotter.
22 Kinder betreuen die beiden Sozialpädagoginnen derzeit. Sie helfen bei Hausübungen, begleiten die Kinder zum Gericht, gehen zum Kinderschutzzentrum mit und zu Besuchscafés. „Früher haben wir Kinder hingeschliffen zu den Besuchscafés – jetzt nicht mehr“, so Elke Lotter. Denn in den Familien gehe es oft um Macht, nicht um die Kinder. Und die Gerichte würden noch immer eher auf die Rechte der Väter achten als auf die der Kinder, „da gäbe es Nachschulungsbedarf.“
Mit den Jahren hat sich entwickelt, dass Kinder eigene Ansprechpersonen im Frauenhaus brauchen. „Die Arbeit ist viel komplexer geworden, mit bürokratischen Auflagen, rechtlichen Vorgaben. Die Kinder sind dabei auf der Strecke geblieben. Wir sind draufgekommen, dass Kinder mehr Betreuung bräuchten“, weiß die Sozialpädagogin. Denn „auch wenn Kinder nicht wirklich auffällig sind, sollten sie sofort Hilfe bekommen. Therapien für Kinder sind wichtig.“ Viele Mütter glauben, dass Kinder nicht alles mitbekommen, „die Kinder hören aber trotzdem, wenn die Mutter weint.“ Und manche wehren sich, wenn schwankende Mütter zurück in ihr altes Leben gehen wollen – sie bekommen Unterstützung von den Pädagoginnen.
Anton-Kalcher-Preis für Olinda Albertoni und Anna Durstberger
Der Lions-Club verleiht jährlich einen Preis an verdiente Persönlichkeiten „für praktizierte Menschlichkeit, für besondere Verdienste und soziale Leistungen im Interesse des Gemeinwohles“. Heuer zeichnete eine Jury das Haus der Frau St. Pölten mit dem Anton-Kalcher-Preis aus. Lions-Präsident Peter Gorka und Bürgermeister Matthias Stadler überreichten die mit 3.500 Euro dotierte Auszeichnung an Olinda Albertoni und Anna Durstberger.