Illegal, legal ganz egal?
Text
Michael Müllner
Ausgabe
In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich? Wir sind süchtig. Legale Drogen machen die Lage nicht besser. Was bleibt übrig, wenn man in St. Pölten die Scheinmoral beiseite lässt?!
»Drogenskandal im Jugendlokal!«
Da denkt man an abhängige Kids, blutige Spritzen und Krimi-Action im Hauptabendprogramm. Die Realität sieht freilich anders aus. Doch einen ehrlichen Umgang mit dem Thema schaffen nur wenige. Wir wollen es versuchen und lassen Fakten und die Erfahrung von ortskundigen Experten in diese Reportage einfließen.
Drogenboom und irreale Angst
Bei den illegalen Drogen sind es die Cannabis-Produkte (Marihuana, Haschisch), die mit Vorliebe geraucht werden. Andere illegale Drogen zählen zu den Randerscheinungen der Suchtproblematik. Die regionalen Daten ergeben in sich ein stimmiges Bild, dennoch sind Schwankungen vorhanden. Durchschnittlich belegen Umfragen, dass bis zu 25% der jungen Erwachsenen einmal Cannabis konsumiert haben. Die Experten gehen davon aus, dass die Cannabis-Zunahme mit der gesellschaftlichen Enttabuisierung des Themas »Hanf« zusammenhängt. Man probiert »es« schon mal – und gibt es später auch schamlos zu. Die Entwicklung in Österreich entspricht dem internationalen Trend.
Eine EU-weite Studie stellt fest, dass der Großteil des »Cannabiskonsums eher gelegentlich stattfindet und nach einiger Zeit wieder zur Gänze eingestellt wird«. Rund 5 Prozent geben an, in den letzten 30 Tagen Cannabis genommen zuhaben. Was die Erkenntnis bestätigt, dass Cannabis als Probier-Droge beliebt ist, jedoch in der Regel nicht zur Konsum-Droge wird. Bei Alkohol und Nikotin ist dies dramatisch anders.
Im Bemühen um ernsthafte Suchtprävention sehen Experten – im Gegensatz zu den meisten Politikern und Journalisten – deshalb die Problematik bei den legalen Substanzen. Rund 90.000 Kinder leben in Familien, wo mindestens ein Elternteil alkoholabhängig ist. Das ist beinahe jedes vierte Kind. Diese Kinder haben nicht nur kranke Eltern, sie werden auch mit fünffacher Wahrscheinlichkeit später selbst zum Alkoholiker.
Big Business gleich ums Eck
Im Jahr 2003 wurde in Österreich Wein im Wert von 473 Mio. Euro hergestellt, hinzu kommt die Wertschöpfung von Dienstleistern, Handel und Gastronomie bzw. Freizeitwirtschaft. Die Weinernte 2004 wird in Österreich 260 Mio. Liter Wein einfahren. Quasi vor unserer Haustüre, im Kremstal wurden knapp 14 Mio. Liter, in der Wachau knapp 9 Mio. Liter gekeltert. Etwas mehr als 240 Mio. Liter Wein werden anschließend auch gleich im Inland konsumiert. Österreichs Alkohol-Liebling bleibt aber das Bier – mit goldbraunen 920 Mio. Litern Konsum pro Jahr.
330.000 Menschen sind Alkoholabhängig. 870.000 Personen missbrauchen Alkohol, sie konsumieren ihn regelmäßig im Übermaß – und gefährden damit ihre Gesundheit. Ganze zwei Drittel des in Österreich produzierten Reinalkohols werden alleine von diesen zwei Gruppen versoffen.
By the way: Von rund 2,3 Mio. Rauchern sind rund 37 Prozent, oder 850.000 Personen, stark abhängig. Ein weiteres Drittel gilt als »leicht abhängig«, was in etwa mit dem Alkoholmissbrauch vergleichbar ist.
Fachleute merken an, dass Alkohol und Tabak produzierende Unternehmen hierzulande nicht mal eine aggressive Lobby fördern. Die staatliche Suchtpolitik nimmt sich ohnehin zurück und findet mit Reglementierungen wie Altersbeschränkungen oder Warnhinweisen das Auslangen. Recht wenig für eine aktive Drogenpolitik, nichts im Sinne einer aktiven Anti-Sucht-Politik, das Konsumverhalten bei den beiden führenden Volksdrogen Tabak und Alkohol bleibt seit Jahren stabil. Neue Produkte wie Alkopops oder Light-Zigaretten sorgen für notwendige Marktimpulse.
Scheinmoral und Schutzzonen
Skandalmeldungen treffen auf mediale Selbstdarstellungsversuche. NEWS startete im letzten Jahr die Aktion »Good News – No Drugs« und rückte mit Panik-Schlagzeilen wie »Joint rauchen im Schulhof« die Bildungsanstalten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Exekutive und Sozialarbeiter schütteln ihre Köpfe.
In Folge hat die Politik mit einer Gesetzesnovelle auch die Errichtung von »Schutzzonen«, etwa um Schulen, ermöglicht. In der Praxis sind diese jedoch laut Exekutivbeamten nicht umsetzbar und zudem sinnlos. Die »Fachstellen für Suchtvorbeugung« dazu: »Die Schutzzonen schüren lediglich irreale Ängste bei Eltern und Lehrer. Ernstgemeinte Suchtprävention beginnt hingegen bei Alkohol und Nikotin, illegale Drogen sind nicht das Hauptproblem«, so die Sozialarbeiter.
Todesbilanz und Abschreckung
163 Menschen starben 2003 in Österreich direkt an den Folgen von illegalen Drogen, meistens durch unbeabsichtigte, falsche Dosierung, oft auch durch Mischkonsum. 100 Menschen starben direkt an den Folgen einer Alkoholvergiftung. Jährlich sterben 8.000 Menschen an den Folgen ihrer Alkoholerkrankung. An den Folgen des Rauchens sterben zwischen 14.000 und 30.000 Menschen jährlich. (Die Schwankung ergibt sich, da umstritten ist, wann Raucher als »abhängig« eingestuft werden.)
In Anbetracht dessen würde man von Präventionseinrichtungen regelrechte Horror-Shows erwarten. Die Realität sieht anders aus: Abschreckung wirkt nicht, macht sogar oft nur neugierig. Man sieht es an den Sprüchen auf Zigarettenpackungen – genauso bei illegalen Drogen. Wer beispielsweise Cannabis übertrieben schlimm darstellt, erntet den umgekehrten Effekt: nach dem ersten »Probekonsum« relativiert die Realität die Wahrnehmung des Konsumenten – und die »Experten« haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Suchtprävention ist also komplex und nur dann erfolgreich, wenn man den Suchtbegriff umfassend anpackt.
Auch die Polizeibeamten weisen bei jeder Gelegenheit auf die Konsequenzen des Konsums der »weichen« Droge Cannabis hin: Probeführerschein weg, Vorladungen beim Amtsarzt, Versicherung und Krankenkasse übernehmen keinerlei Kosten, eine junge Existenz ist so schnell ruiniert.
»Drogen gleich ums Eck«
Illegale Drogen haben längst auch den ländlichen Raum erobert. Der Süden des NÖ Zentralraums kommt mit Drogentoten immer wieder in die Schlagzeilen, Unfälle mit Ersatzdrogen sind der Grund dafür. Oberstleutnant Alfred Schüller leitet die Kriminalabteilung in St. Pölten: »Im Stadtgebiet haben wir keine Drogentoten. Aber auch bei uns sind die Anzeigen im Bereich Drogen gestiegen«. St. Pölten liegt im Trend: »Cannabis ist auch in unserer Region Droge Nummer Eins, andere Drogen sind zum Glück sehr selten«.
Den Krieg gegen die Drogen habe man als Gesellschaft schon längst verloren, aber, so Schüller: »Wir lassen nicht locker und machen das Beste daraus«. Ob es bestimmte Lokalitäten gibt, wo gehandelt oder konsumiert wird? »Der Konsum passiert meist im Privaten, nicht in riesigen Mengen. Wir haben keine Szene, die sich an bestimmten Orten massiv hervortut. Natürlich wird in Discotheken eher konsumiert, das liegt daran, dass dort viele Leute zusammenkommen«. Die Exekutive baut auf Informanten und auf Prävention. Früher war dies leichter, so Schüller. Personalmangel und Gesetzesänderungen erschweren den Polizeibeamten die tägliche Arbeit immens.
Interview mit Sascha Bernardis - leitet Nordrand, die mobile Jugendarbeit. Mit seinem Team betreut er rund 150 junge St. PöltnerInnen.
Rauschkompetenz entwickeln!
mfg: Warum konsumieren immer mehr junge Menschen illegale Drogen?
Bernardis: Unsere Persönlichkeit entwickelt sich in Phasen. Jugendliche machen mit der Pubertät eine starke Entwicklungskrise durch. Experimentieren gehört dazu, sowohl mit Substanzen, als auch mit Verhaltensweisen. Man muss den Umgang mit Drogen erlernen, es geht darum die notwendige »Rauschkompetenz« zu entwickeln. Mit Körper und Psyche umgehen lernen, dazu gehört auch das Konsumieren von so genannten Drogen. Dass der Gesetzgeber »illegale« Drogen schafft, ändert in der Praxis wenig an dieser Tatsache. Binnen kürzester Zeit verlieren rund 85 Prozent wieder das Interesse, stellen den Probier-Konsum ein und entwickeln sich normal weiter.
mfg: Und die anderen?
Bernardis: Kommen mehrere Faktoren zusammen, beispielsweise Arbeitslosigkeit oder private Probleme, so läuft man Gefahr in einer Phase stecken zu bleiben. Die Verhaltensweise wird zur Sucht, rund 10% der Menschen werden auf diese Art krank. Mit der Sucht halten sie ihre psychische Stabilität aufrecht. Das reicht von substanz-gebundener Sucht – mit Alkohol, Nikotin oder illegalen Drogen – zu substanz-ungebundener Sucht durch schädliche Verhaltensweisen, etwa Essstörungen, Spielsucht, Workaholics.
Zahlen & Fakten
109,3 Liter Bier trinkt Herr/Frau Österreicher pro Jahr
29,8 Liter Wein trinkt Herr/Frau Österreicher pro Jahr
1,38 Euro kostet eine Doppler Wein im Schnitt in NÖ in den Jahren 2002/2003
3,50 Euro kostet ein Gramm Cannabiskraut im Straßenverkauf
12,50 Euro kostet ein Gramm Ecstasy im Straßenverkauf
80 Euro kostet ein Gramm Kokain im Straßenverkauf
10.500 Euro kostet eine LKW-Ladung Bier im Straßenverkauf (Verkaufspreis an Konsumenten)