TANGENTE - DIE SACHE MIT DER BREITENWIRKSAMKEIT
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Ganz am Schluss, quasi auf den allerletzten Zacken, hatte es die Tangente dann doch noch geschafft, breitere Aufmerksamkeit zu erregen. Im Zuge des End-Veranstaltungsreigens am Rathausplatz hisste die Performance-Gruppe „God’s Entertainment“ auf einem überdimensionalen Klostampfer die österreichische Fahne – und schaffte es damit zumindest ÖVP („deplatziert und spaltend“) und FPÖ („Sauerei“) hinter dem Ofen hervorzulocken und gar eine Anzeige wegen „Herabwürdigung eines Staatssymbols“ herauszufordern. Das wars dann aber schon mit der Breitenwirksamkeit des Festivals, das meiste lief dahingegen für Otto Normalverbraucher – wenn man die Konzerte am Domplatz oder Stadt-Land-Fluss aussparen möchte – mehr oder weniger unter dem Radar ab. Die Tangente machte ihrem Namen – ungewollt – alle Ehre. Sie berührte nur in einem einzigen Punkt, nämlich jenem der expliziten Kultur-Afficionados, die das Festival in ihrer Bubble zurecht feierten, sie ging aber nie mitten durch die Masse, schon gar nicht mitten ins Herz – und das ist schade! Selbst die wenigen expliziten „öffentlichen“ Publikumsveranstaltungen gestalteten sich durchwachsen. Bereits die Parade für die Skulptur des Heiligen Florian – die als erster öffentlicher Akt eigentlich ein österreichweites, fulminantes Ausrufezeichen hätte setzen müssen (stattdessen verkrümelte man sich späterhin zur offiziellen Eröffnung mit geladenen Gästen in die Bühne im Hof) – lief unkoordiniert und uninspiriert ab. Das einzige, was thematisch davon übrigblieb blieb, waren die misslungenen Proportionen des geschnitzten Heiligen Florian (kleiner Kopf auf Schwarzenegger-Körper), was ihm rasch den wenig schmeichelhaften Namen „Schrumpfgermane" einbrachte. Auch mit der zweiten großen Installation von Mariana Castillo Deball am Domplatz verlief es nicht minder hatschert – großes Rigging, Stofffetzen, die dann aber nicht so wollten, wie von der Künstlerin vorgesehen. Zur Auseinandersetzung, und zwar der künstlerischen, haben sie die wenigsten angeregt (dabei war die Idee des Totengedenkens in Kontext mit den unter dem Platz befindlichen Friedhöfen spannend), stattdessen blieb das schmerzliche Gefühl einer vertanen Chance – was haben wir nicht schon anderswo für spektakuläre, spannende, irritierende öffentliche Installationen erlebt, die zum Diskurs anregten und für Aufsehen sorgten – die Beiträge in St. Pölten fielen dahingegen zumeist vom Gefühl her eher in die Kategorie „Regionalliga Ost“. Sie wurden weder erobert, noch besprochen, zumeist nicht einmal ignoriert, weil von der breiten Masse gar nicht wahrgenommen. Und so hatte es fast etwas Symbolisches, dass zuletzt die Installationen des Kunstparcours „The way of the water“ entlang der Traisen von der großen Flut hinweggeschwemmt wurden, um sich für immer in der Unendlichkeit zu verlieren – wie möglicherweise die Erinnerung an die Tangente selbst.
Nun wäre das alles gar nicht schlimm, trotzdem in jedem Fall ein spannender Beitrag zur Kunst und Kultur, über die man ja bekanntermaßen immer weidlich streiten kann (und soll!) – allein, bei einem Programmbudget von fast 17 Millionen Euro darf ein derartiges Festival nicht zum hermetischen Bubble-Ereignis verkommen. Da stimmen schlicht die Relationen zwischen Input und Output nicht. So bleibt das Gefühl vertaner, vor allem schwer überteuerter Liebesmüh, wenngleich keine gänzlich sinnlose – denn dass Formate wie Stadt-Land-Fluss in Hinkunft eine bessere Dotierung erfahren, der SKW83 oder auch der Löwinnenhof als Orte der lokalen Kultur gefördert bleiben, kann man auf der Habenseite verbuchen. Dass man aber das Festival selbst, nach derart hohem Aufwand und Aufbauarbeit, in gar keiner Weise fortführen mag (auch nicht etwa in einer finanziell und zeitlich eingedampften Version, was durchaus seinen Reiz hätte) spricht ohnedies Bände, wie man wohl auch intern, abseits der notgedrungenen Selbstbeweihräucherung und Jubelmeldungen nach außen hin, Erfolg und Misserfolg einschätzt. Schade. Ein verschossener Elfmeter.