MFG - Wilhelm Frass: Eine österreichische Karriere
Wilhelm Frass: Eine österreichische Karriere


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St. Pöltens gute Seite

Wilhelm Frass: Eine österreichische Karriere

Ausgabe 09/2011

Kein Bildhauer besetzte je den öffentlichen Raum der Landeshauptstadt stärker als Wilhelm Frass, der sich mit allen Regimen und Systemen arrangierte. Eine Spurensuche.

Manchmal hat man wie in einem besonders bösen Alptraum das völlig aberwitzige und ebenso abstruse Gefühl, der Zweite Weltkrieg sei irgendwie noch gar nicht zu Ende. Beispielsweise wenn an einem 8. Mai – und jährlich grüßt das Murmeltier – am Wiener Heldenplatz Burschenschafter lautstark dafür demonstrieren, den 8. Mai 1945, historisches Datum der Kapitulation Hitler-Deutschlands bzw. der deutschen Wehrmacht, nicht als Tag der Befreiung, sondern ganz im Gegenteil als Tag der Niederlage im Bewusstsein der Österreicher zu verankern. Gerne legen die Ewiggestrigen bei dieser Gelegenheit auch einen Kranz vor der Monumentalfigur des „Toten Kriegers“ am Rande des Heldenplatzes nieder, und die meisten von ihnen wissen wohl genau, warum.
Der „Tote Krieger“ wurde 1934 als zentrale Ausstattung des sogenannten „Österreichischen Heldendenkmals“ des Ständestaat-Regimes von dem aus St. Pölten stammenden Bildhauer Wilhelm Frass geschaffen, der seit 1933 der NSDAP angehörte. „Er ist als Symbol des Urgedankens des Soldaten gemacht, der in letzter Pflichterfüllung und im innersten Gehorsam, im Herzen die lodernde Flamme der Treue, der Kameradschaft, der Hingebung und des grenzenlosen Opfers, nun in die Ewigkeit eingegangen ist“, schrieb Frass in einer Gedenkschrift. Bei der Aufstellung der tonnenschweren Figur aus rotem Adneter Marmor im Jahr 1934 gelang es dem illegalen Nazi angeblich, ein persönliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus in Form einer Metallhülse mit darin befindlicher Schriftrolle im Sockel zu versenken. Am 20. Dezember 1938 schrieb er an den Kunsthistoriker Karl Hareiter:„Bei allen möglichen Anlässen standen die damaligen hohen Würdenträger der Systemzeit vor der Figur und hatten keine Ahnung (was für mich einigermaßen belustigend war!), daß unter der Figur eine ‚hochverräterische’ Inschrift liegt. [...] Mit dem Tag – dem 15. März 1938 – an dem der Führer das erstemal den Kranz vor dieser Figur im Heldendenkmal legte, hatte sich mein Wunsch erfüllt.“ Diese Mitteilung wurde selbstverständlich auch in den „Völkischen Beobachter“ gerückt. Natürlich könnte es auch gut sein, dass Frass nach dem Anschluss mit dieser Geschichte vom nationalsozialistischen Kuckucksei nur angab, um sich bei den neuen Machthabern buchstäblich ins rechte Licht zu rücken, dass also im Fundament des „Toten Kriegers“ nichts zu finden wäre außer Beton. Wilhelm Frass wurde 1886 in einer Dienstwohnung des ehemaligen St. Pöltner Gaswerks in der Kerensstraße geboren, dessen Verwalter sein Vater Alois war. Nach der Absolvierung von Volksschule und einiger Gymnasialklassen in seiner Geburtsstadt besuchte er bereits als 15-jähriger die Staatsgewerbeschule in Wien. Ab 1904 war er Gasthörer der Wiener Akademie der bildenden Künste. Ab 1905 studierte er an der Allgemeinen Bildhauerschule der Akademie. In den Ferien hospitierte er beim St. Pöltner Hafnermeister Anton Schilling. 1909 erhielt er einen ersten großen Auftrag, nämlich die Gestaltung eines Grabmales am St. Pöltner Hauptfriedhof, und absolvierte ein Einjährig-Freiwilligen-Jahr. Unterbrochen von Waffenübungen studierte er von 1910 bis 1914 abermals an der Akademie. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss er sein Studium ab, wurde 1919 Mitglied der Secession und erhielt v. a. Aufträge für Kriegerdenkmäler und Grabmale. 1924 wurde er mit dem Preis der Stadt Wien, 1928, 1930, 1933 und 1937 jeweils mit dem Julius-Reich-Künstler-Ehrenpreis ausgezeichnet und 1933 zum Professor ernannt. 1934 avancierte er zum Präsidenten des Künstlerverbandes österreichischer Bildhauer und wurde Mitglied des Kunstbeirates der Stadt Wien. 1936 wurde er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. 1937 bewarb sich Frass mit einer dementsprechenden, dem NS-Geschmack genehmen Arbeit, die – um den Amateurmaler Hitler zu zitieren – „auf die freudigste und innigste Zustimmung der gesunden breiten Masse des Volkes rechnen konnte“, für eine Teilnahme an der ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München und wurde von einer NS-Jury akzeptiert. Nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich erhielt er einen Posten „als Sachbearbeiter für Bildhauerei“ im Wiener Kulturamt. In dieser Schlüsselstellung ließ er in Wien Denkmäler jüdischer Bildhauer beziehungsweise Denkmäler, die jüdische Persönlichkeiten wie etwa den Erfinder Siegfried Marcus ehrten, abtragen und einschmelzen beziehungsweise  vernichten. Für Frass und seine nationalsozialistischen Gesinnungsgenossen war diese Barbarei eine „Entschandelungsaktion des Wiener Stadtbildes“. Seit 1939 war er auch Mitglied des Künstlerhauses. 1940 wurde er zum Professor an der Wiener Frauenkunstschule ernannt. Er bekam Ausstellungsmöglichkeiten in Berlin und Düsseldorf sowie Aufträge sogar aus dem fernen Lothringen. 1942 wurde ihm die Große Goldene Ehrenmedaille der Gesellschaft bildender Künstler Wiens zuerkannt. Mit seinem 1939 gehauenen „Anschlußgedenkstein für Wien“ feierte er das Ende Österreichs. „Im selben Jahr [...] entstand ‚Die Ostmark‘, eine Aktplastik, die dem Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Joseph Bürckel, von der Wiener Arbeiterschaft zum Geschenk gemacht wurde“, berichtete Friedrich Grassegger im Katalog zur Ausstellung „Kunst und Diktatur“. Bevor die monumentale Anschlussplastik „Die Ostmark“ nach Saarbrücken, in die politische Heimat von Gauleiter Bürckel ging, wurde sie in einer weiteren „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München präsentiert. Als NS-Bildhauer und brauner Kulturfunktionär war Frass natürlich nicht schlecht im Geschäft, ein Werkverzeichnis nennt für die sieben Jahre des sogenannten Tausendjährigen Reiches drei Hitler-Büsten sowie eine nach der Visage des SS-lers Skorzeni und je eine Porträt-Medaille nach dem böhmischen Gefreiten und nach Göring sowie diverse „Hoheitszeichen“, sprich repräsentative Hakenkreuze für öffentliche Räume wie etwa den Festsaal des Wiener Rathauses, die Wiener Nordwestbahnhalle und die Eisenwerke Oberdonau in Linz. Nach der Niederlage der Nazis wurde Frass all seiner öffentlichen Funktionen enthoben. „Aus dem grauenhaften Mist der Jahre nach 1945“, so Frass im Jahr 1950, gelang dem Herrn Professor aber bald eine sozusagen vierte, schöne Karriere. „Die Zwangsmaßnahmen nach 1945 gegen den erklärten Nationalsozialisten Frass währten nicht lange. Schließlich war er ja als Bildhauer für die Sozialdemokraten der Ersten Republik [...] noch ebenso bekannt wie als Bildhauer für den autoritären Ständestaat. Sehr bald wurden seine Künste zur Ausschmückung von Bauten von der Gemeinde Wien und vom Staat wieder beansprucht“, zeigte Grassegger auf. 1956 wurde Frass mit dem Goldenen Lorbeer des Künstlerhauses ausgezeichnet, 1961 zum Ehrenmitglied des Künstlerverbandes österreichischer Bildhauer ernannt. 1961 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1963 der Ehrenring der Stadt St. Pölten verliehen. Der Katalog der Einzel-Ausstellung „Der Bildhauer Wilhelm Frass“ des Kulturamtes St. Pölten nannte im Jahr 1963 noch 36 in St. Pölten befindliche Arbeiten Frass‘. Weiters durfte in diesem Katalog der ehemalige Nazischriftsteller Mirko Jelusich in einer Eloge auf Frass von dessen „artgemäßer Kunst“ und „lebendige[r] Bindung an das Ahnenerbe“ schwafeln. „Je schrecklicher die versteinernde und selbst versteinerte Medusenfratze des Heute uns entgegenblickt, je dankbarer sind wir, ihr den immer noch leuchtenden Perseusschild adeliger und adelnder Künstlerschaft entgegen halten zu können“, führte Jelusich weiters aus. „Der Kampf gegen die moderne Kunst war noch nicht aufgegeben, und im Nationalsozialismus verankerte Werte und ihre Vertreter waren noch immer mehr geschätzt als jene, die man verfolgt und ausgegrenzt hatte“, interpretierte Grassegger diesen Satz. Der Wendehals Wilhelm Frass starb 1968. Natürlich erhielt er ein Ehrengrab der Stadt Wien.
 
Kein Bildhauer besetzte je den öffentlichen Raum der Landeshauptstadt stärker als Wilhelm Frass. Der Großteil seines St. Pöltner Werkes besteht aus heroischen Denkmälern, figuralem Grabschmuck und Herrenporträts von Honoratioren, alles in allem höchst angepasste Gebrauchskunst um Krieg, Tod und allerlei Manneskult. Wo seine Figuren namenlos bleiben, herrschen athletische, nackte, überlebensgroße Männerkörper in seltsam gekünstelten Posen vor. Der Rest ist zuweilen auch unverhohlener Kitsch voll unbeholfener Erotik wie etwa ein weiblicher Sandstein-Torso im Stadtpark. St. Pölten ist geradezu übersät von den mediokren Arbeiten des Gebrauchskünstlers Frass. Zwei am zentralen Rathausplatz, eines in der Kremser Gasse, das städtische Kriegerdenkmal auf der Hofstatt, zwei Arbeiten im Stadtpark und zig Grabdenkmäler am Hauptfriedhof, ein Teil der Ausstattung der Rosenkranzkapelle des Domes, zwei Denkmäler für verdiente Bürgermeister am Rande der Innenstadt, von den Außenbezirken ganz zu schweigen. „So ist dieser Künstler in seinem Werke wie kaum ein anderer mit St. Pölten verbunden geblieben. Der Großteil des plastischen Schmuckes, der hier in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde, stammt von seiner Meisterhand“, stellte der St. Pöltner Kulturamtsleiter Karl Gutkas 1963 fest. Bis heute ist an einem Wohnhaus in der St. Pöltner Josefstraße auf dem Frass-Relief „Zeitenlauf“ die Figur eines SS-Mannes in voller Montur und eine höchst mangelhaft entfernte SS-Rune zu sehen. Immerhin wurde die Inschrift „Des Reiches Macht schützt die Grenzen und führet die Brüder heim ins Reich 1939 1940“ nach Kriegsende abgeschlagen. Jeder St. Pöltner hat Arbeiten von Frass im Gedächtnis, das ästhetische Empfinden von Generationen ist an seinem künstlerischen Mittelmaß geschult worden. Von Anton Hanak dagegen gibt es nur eine, von Fritz Wotruba gar keine Arbeit in St. Pölten zu sehen.
Noch mehr als der öffentliche Raum der Landeshauptstadt sind die Depots des Stadtmuseums geradezu überfüllt mit den Arbeiten Wilhelm Frass‘, der Ende 1966 die Bestände seines Wiener Ateliers der Stadt zum Geschenk machte. Der St. Pöltner Gemeinderat dankte es ihm – wohl auf Vorschlag des damaligen Kulturamtsleiters Karl Gutkas – kaum drei Jahre später mit der Benennung einer Wilhelm-Frass-Gasse im Stadtteil Spratzern. Im hintersten Winkel des Depotkellers lagert in drei meterhohen Teilen das Gipsmodell von Frass‘ monumentaler Aktplastik „Die Ostmark“. Hinter einer riesigen, verstaubten, dunkelvioletten Begräbnis-Prunkdecke, die als Vorhang dient und dereinst einmal wohl eine Pompfüneberer-Kutsche zierte, ist auch das Gipsmodell für Frass‘ 1942 geschaffenes Denkmal „Der gute Kamerad“ – die üblichen nackten, muskulösen Männer mit Stahlhelm und Schwert – sowie weitere gipserne Rudimente des Frasssschen Schaffens für die Nazis zu finden. „Mein Horrorkabinett“ nennt Stadtmuseumsleiter Thomas Pulle diesen Kellerraum und meint: „Die Lagerungsbedingungen hier sind eher suboptimal. Andererseits ist dies den Themen der Arbeiten durchaus angemessen.“ Seinen Nachruhm hat sich Frass wohl ein bisschen anders vorgestellt. Teil seines Nachlasses, den er der Stadt St. Pölten zum Geschenk gemacht hat, sind auch acht oder neun dickleibige, penibel und sauber geführte Buchbände eines privaten Werkverzeichnisses. Jedes einzelne Werk ist darin mit Foto und genauer Beschreibung aufgelistet. Darüber hinaus finden sich im Nachlass sämtliche Ausstellungskataloge und Zeitungskritiken, in denen der Künstler jemals erwähnt worden ist. Weiters hat Frass dem Museum ganze Stöße seiner Entwürfe für diverse Helden- und Grabdenkmäler hinterlassen sowie dutzende Gipsköpfe – Modelle von diversen Porträts. Wieviele Quadratmeter der ohnehin knappen Depotfläche Frass mit seinem Nachlass okkupiert, vermag Thomas Pulle nicht anzugeben. In den letzten Jahren hat man jedenfalls nur einen monumentalen Gipsadler als Beispiel für ein nationalsozialistisches Macht- und Herrschaftszeichen ausgestellt. Der Frasssche Adler blickt übrigens noch 1000 mal grimmiger als Sam, der amerikanische (Weißkopf-)Seeadler, aus der Muppet Show. „An sich wäre es ein reichhaltiger, bisher weitgehend unbearbeiteter Künstlernachlass für eine akademische Abschlussarbeit, aber wer will sich schon länger damit beschäftigen? Mit all der Dumpfheit und Voreingenommenheit eines künstlerischen Konzeptes à la Frass? Der war ja sicherlich nicht nur ein Wendehals, sondern hat an den ganzen ideologischen Quatsch der NS-Zeit offenbar wirklich geglaubt“, meint Thomas Pulle.