MFG - Im Sitzungssaal...Der SPÖ
Im Sitzungssaal...Der SPÖ


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St. Pöltens gute Seite

Im Sitzungssaal...Der SPÖ

Ausgabe 03/2011

Betritt man die Bezirksparteizentrale der SPÖ, so fühlt man sich fürs erste in die Vergangenheit zurückversetzt und kann sich einer gewissen traditionsdurchtränkten Patina nicht erwehren. Das hat allerdings weniger mit dem barocken Gebäude in der Prandtauerstraße zu tun, als vielmehr mit vermeintlichen Anachronismen, die bis heute aber zum gelebten Erbe der Partei gehören.

Schon im schlauchartigen Hausflur erinnern Schautafeln an historische Wendepunkte Österreichs sowie die Rolle sozialistischer Persönlichkeiten wie etwa jene der St. Pöltner Widerstandskämpferin Maria Emhart, des zweifachen Staatskanzlers Karl Renner, Bruno Kreiskys, der auf einem St. Pöltner Mandat in den Nationalrat einzog u. a.
Tradition, als Schlüsselbegriff gemeinhin eher der ÖVP zugeordnet, wird in der SPÖ St. Pölten hochgeschrieben, ja fast bis zum Exzess ausgereizt. „Sage mir woher du kommst, und ich sage dir wer du bist – und zu wem du gehörst.“ Eine Gretchenfrage, die von fundamentaleren Teilen der Partei (wie bei allen politischen Bewegungen) wie ein Glaubensbekenntnis betrachtet wird und eine einfache, manchmal gar zu einfache Einteilung in Freund und Feind zur Folge hat. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Dabei ist der Glaube, die Religion in der SPÖ eigentlich eine - gerade noch - erduldete, oft misstrauisch beäugte Randerscheinung, was sich auch im alltäglichen Sprachgebrauch manifestiert. Da kann es schon einmal vorkommen – wie einer Magistratsbediensteten aus dem Heiligen Land Tirol bei Dienstantritt passiert – dass sie als Antwort auf ihr fröhliches „Grüß Gott“ vom ehemaligen roten Vizebürgermeister ein belehrendes „Guten Tag heißt das bei uns“ zur Antwort bekam.
Zufall? Die SPÖ weiß um die Wirkung der Sprache – sie ist der Stoff, aus dem Zusammenhalt gesponnen wird. Und darum geht es: Zusammenhalt, Einheit, Solidarität – jedenfalls zunächst einmal innerhalb der „Familie“.  In der SPÖ sind deshalb alle Parteimitglieder „Genossen“, und trifft man einander – wie wir es in der Parteizentrale live miterleben dürfen, als Nationalrat Anton Heinzl die Bühne betritt – schallt nach wie vor der Gruß „Freundschaft“ durch den Äther, der zugleich Parole ist.
Für einen Außenstehenden mag dies alles altbacken, ja überholt wirken, für einen wahren Genossen ist es gelebte Realität. Ebenso wie der vermeintlich überbordende Umgang mit Symbolik. Da wehen noch die Fahnen mit den drei nach unten gerichteten Pfeilen am 1. Mai im Wind, die gerne als kämpferisches „Nieder mit Kapitalismus, Imperialismus und Faschismus“ interpretiert werden. Da werden die Augen manch Altgenossen feucht und man erntet Schulterklopfen, wenn man zumindest die erste Strophe der „Internationale“ auswendig singen kann. Da stehen noch die Genossen mit ernsten Mienen an den Gräbern der Widerstandskämpfer des Februar 1934, und gedenken der Helden der Bewegung.
Auch das Büro von Bezirksparteisekretär Robert Laimer atmet Tradition. Am Tisch stehen – wenn auch nicht frisch – rote Nelken. Und an den Wänden hängen Bilder seiner Idole Karl Marx und Bruno Kreisky. Selbst ein Kalender von Che Guervara darf nicht fehlen, als hänge er hier als Gralshüter einer kämpferisch-revolutionären Parteilinie, die stets zum Selbstverständnis der SPÖ mitzählte und sich in der Parteizentrale etwa in den Slogans der aktuellen Plakatserie niederschlägt:  „Wenn jemand Schulen schließt in NÖ, dann die ÖVP. Lassen Sie sich nicht länger belügen!“ St. Pölten, die wirklich letzte rote Bastion? Wir sprachen mit Robert Laimer über Tradition, Moderne, absolute Verhältnisse, die Zukunft der Stadt und ob es die „Arbeiterpartei“ überhaupt noch gibt.
  
Die SPÖ wirkt in Ihrem Auftritt vielfach anachronistisch. Hat man den Sprung in die Moderne verpasst, oder ist dieses Hochhalten der Tradition Lebensader und Selbstverständnis?

Es stimmt, dass die SPÖ stolz auf ihre Geschichte ist. Zurecht, wie ich meine, weil wir die Demokratie und die Freiheit der Meinungsäußerung nachweislich nie verraten haben. „Nur wenn man weiß, woher man kommt, weiß man auch, wohin man geht!“ Ich z. B. bin demokratischer Sozialist aus der Überzeugung heraus, dass die SPÖ jene Partei ist, die am glaubwürdigsten für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft eintritt. Geschichtsbewusstsein und Zukunftsentwicklung ergänzen sich in der Sozialdemokratie geradezu ideal.

Aber kommt man mit dem Blick zurück wirklich vorwärts, um zeitgemäße Politik zu betreiben? Wofür steht die SPÖ heute?
Es zählt für Sozialdemokraten nicht die Idee der Gewalt – für uns ist Lebensaufgabe die Gewalt der Idee. Daher ist auch die richtige Mischung aus Vision und Pragmatismus so wichtig für eine progressive Politik. Ziel unserer Politik ist eine harmonische, friedliche aber auch leistungsbereite Welt, wobei der politische „Kampf“ um ein mehr an Gerechtigkeit aktueller denn je ist, wenn man nach Nordafrika blickt! Und egal ob in Parlamenten oder auf Straßen – das Ringen um mehr Würde für jeden Einzelnen in der Gesellschaft ist und bleibt oberste Priorität der Sozialdemokratie.

Für wen kämpft man da in Österreich genau? Die klassische Stammklientel der SPÖ, die Arbeiterschaft, mutiert in einer Dienstleistungsgesellschaft ja sukzessive zur Minderheit.
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt zum Beispiel aufgrund des hohen Drucks immer mehr freie Mitarbeiter, immer mehr Einzelunternehmer etc. – die gehören ebenfalls zur Arbeiterklasse! Es gibt also noch lange keine klassenlose Gesellschaft! Umgekehrt gibt es heute aber weniger Klassenbewusstsein, immer weniger Solidarität, was den Kampf für die Menschen nicht leichter macht.

Gibt es deshalb immer weniger Funktionäre? Wie in anderen Institutionen ist in der SPÖ der Mitgliederschwund offensichtlich. Bei Sektionssitzungen ist die Überalterung nicht zu übersehen.
Der Zeitgeist macht natürlich auch vor politischen Parteien nicht Halt. Prinzipiell ist alles schneller geworden – das ist nicht nur ein politisches Phänomen, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Keiner hat mehr Zeit, auch nicht für Politik. Prinzipiell ist die Alterststruktur aber von Sektion zu Sektion äußerst unterschiedlich. In meiner Sektion in Ratzersdorf zähle ich z. B. zu den Ältesten, das hängt einfach von der Struktur des Umfeldes ab – dort sind etwa viele neue Siedlungen entstanden.

Wieviele Parteimitglieder hat die SPÖ St. Pölten eigentlich?
Genaue Mitgliederzahlen gibt keine Partei gerne preis. Ich möchte aber schon darauf hinweisen, dass Niederösterreich – nicht etwa Wien – die meisten SPÖ Parteimitglieder hat!

Offensichtlich geben Parteien auch die Adressen Ihrer Mandatare nicht gern preis. Warum hat ansonsten die SPÖ unter dem Titel „Gegnerbeoachtung“ ihre Mitglieder aufgefordert, Adressmaterial der ÖVP-Funktionäre im Bezirk zu eruieren, was den Vorwurf von Spitzelei nach sich zog.
Das Sammeln von aktuellen Koordinaten des politischen Mitbewerbers ist weder anrüchig noch etwas Ungewöhnliches! Es dient dazu, dass Funktionäre anderer Parteien auch Infos der SPÖ bekommen, falls – und nur falls – darin Bedarf besteht. So hat auch Volkspartei NÖ Sekretär Karner 2010 das Spekulationsdesaster in Sachen Wohnbaufördergelder händeringend den SPÖ Funktionären zu erklären versucht. Der Brief hat in der SPÖ aber für keine Empörung gesorgt. Und eine Frage zur sogenannten „Briefaffäre“ sei schon gestattet: Wie ist die ÖVP zum Brief gelangt? Die von Karner propagierte Version eines SPÖ Funktionärs ist auszuschließen, und seit Bekanntwerden der „Nußdorfer Watergate-Affäre“ ist die ÖVP verdächtig ruhig geworden. Das heißt, das „Beschaffungswesen“ made by ÖVP ist der wahre Skandal in dieser Angelegenheit!

Als Skandal empfanden viele aber auch die Reise von SPÖ Mandataren nach Nordkorea.
Ich war nicht mit auf dieser Reise, aber es ist schon festzuhalten, dass das keine offizielle Reise der SPÖ war, sondern eine private Studienreise, wie sie im Übrigen viele Agenturen anbieten, z.B. auch Raiffeisen-Reisen.

Trotzdem war diese Reise dem Image der SPÖ nicht gerade zuträglich, oder? Warum gerade Nordkorea?
Es ging um das Interesse an der Geschichte dieses Landes, und Nordkorea findet nun einmal statt, das kann man ja nicht negieren. Und man erfährt halt am meisten, wenn man hinfährt und sich vor Ort ein Bild macht. Nordkorea steuert auf eine humanitäre Katastrophe, eine neuerliche Hungersnot zu – die Menschen dort können nichts dafür, und um die geht es! Und darauf muss man auch aufmerksam machen.

Aber viele Bürger wird man auf so einer Reise ja nicht treffen?
Man bewegt sich nie allein, das stimmt. Interessant an der öffentlichen Meinung hierzulande ist aber schon, dass man zwar, wenns ums Wirtschaft geht, kein Problem mit Reisen nach Nordkorea hat – in den Fabriken standen z. B.  deutsche Maschinen, es fuhren schon offizielle österreichische Wirtschaftsdelegationen dorthin – wenn es aber um die Menschen geht, ist das plötzlich ganz schlimm.  Letztlich wird man nur Änderungen herbeiführen können, wenn man sich einem Dialog nicht verschließt. Und die Sozialdemokratie wird immer auf der Seite jener stehen, die für Demokratie und Freiheit eintreten. Dazu ist es aber unabdingbar, dass man miteinander redet.
 
Wobei das Reden ja schon in Österreich nicht immer leicht fällt, selbst koalitionsintern nicht. Wieso tun sich SPÖ und ÖVP so schwer miteinander?

SPÖ und ÖVP sind einfach zwei unterschiedliche Parteien, mit unterschiedlichen Interessen – das steht außer Streit. Ebenso steht aber auch außer Streit, dass es in Österreich zumeist eine große Koalition der beiden Parteien gab und immer wieder Kompromisse gefunden wurden.
Ein grundlegender Unterschied ist, dass wir in unserer Parteigeschichte kein Blut an unseren Händen kleben, keine Diktatur errichtet, keine Arbeiter erschossen haben. Der Ständestaat hingegen war ein christlicher Gottesstaat,  nicht viel anders in seiner Struktur als ein iranischer Gottesstaat unter Ahmidinijad heute. Ich bin jedenfalls stolz auf die SPÖ, auf die Arbeiterpartei, die Widerstandskämpfer, die damals für Demokratie und Freiheit eingetreten sind.

Dafür tritt aber auch die ÖVP ein.
Die ÖVP wurde ja erst 1945 gegründet – nach der Misere konnte man den alten Namen „Christlichsoziale“ nicht mehr beibehalten. Viele Politiker sind auch, das war sicher eine gemeinsame Erfahrung mit der Sozialdemokratie, unter Hitler verfolgt worden.
Eines hat sich in der Zweiten Republik jedenfalls gezeigt: Wenn es ein übergeordnetes, großes Ziel gibt, hat die Zusammenarbeit gut funktioniert. Das war im Falle des Wiederaufbaus der Fall, genauso wie im Fall des EU-Beitrittes! Das politische Tagesgeschäft hingegen ist halt oft ein Schlagabtausch, da geht es um das Werben um die eigenen Argumente – das muss man nicht immer so negativ sehen, wobei, das sei auch gesagt: Keine Partei hat die Wahrheit gepachtet.

Auch die SPÖ nicht?
Natürlich auch die SPÖ nicht!

Auf Lokalebene kommt das aber manchmal so rüber. Die Opposition kritisiert den „absolutistischen“ Führungsstil der SPÖ.
Uns Absolutismus vorzuwerfen ist völlig absurd. Es gibt z. B. so viele Pateiengespräche wie nie zuvor.

Die seien aber keine Gespräche, sondern Monologe, wo die SPÖ erklärt, was sie machen wird. Überhaupt bekomme man kaum substanzielle Informationen.
Also bitte, Matthias Stadler fährt sicher nicht mit dem Holzhammer drüber. Es gäbe ja gar keine Notwendigkeit dieser Gespräche, aber es macht Sinn, auch den politischen Mitbewerber zu hören. Mir wird halt nachher oft berichtet, dass im Zuge der Gespräche von der Opposition gar kein eigener Standpunkt vorgebracht wird. Und eines sei auch gesagt: Information, das ist nicht nur eine Bringschuld, sondern schon auch eine Holschuld in der Politik. Den großen Ohnmächtigkeitsfaktor der Opposition nehme ich ihr jedenfalls nicht ab. Das ist nicht ehrlich, sondern eine bewusste Strategie, Teil des politischen Schlagabtausches.

Schlagabtausch prägt aber den Umgang der Parteien untereinander über Gebühr, wie viele Bürger empfinden, oder ist das von den Medien hochgespielt?
Natürlich tragen die Medien ihres dazu bei. Wir alle wissen, dass die Leute heute nicht mehr lange lesen, dass alles auf die Schlagzeile, den Bildtext reduziert wird. Daher verkürzt auch die Politik, spitzt zu, die Medien ebenso. Wichtig ist bei alledem aber eines: Miteinander reden muss man immer und überall können!

Zuhören aber auch. Man hat oft den Eindruck, dass jede Partei die Vorschläge der anderen reflexartig ablehnt.
Das liegt im Ermessen der Parteien. Es war zum Beispiel geradezu absurd, dass die ÖVP als die sogenannte Wirtschaftspartei, gegen den Ausbau der Fußgängerzone war, weil man da vielleicht drei Parkplätze verliert. Das hat keiner verstanden! Das ist kein konstruktives Vorgehen. Eigentlich hätte eine solche Idee ja von der ÖVP kommen müssen.

Die sagt aber, sie dringt mit ihren Ideen sowieso nicht durch.
Also wenn die Fußgängerzonenerweiterung von der ÖVP gekommen wäre, hätten wir das sicher mitgetragen, wobei, ganz ehrlich: Welche klassische Idee gibt es, die von der Opposition gekommen ist? Mir fällt keine ein.

Die Innenstadtwohnförderung zum Beispiel.
Ja, das war ein kleines Projekt. Aber das setzen wir auch um. Die Wirtschaft ist unser Partner, nicht der Feind. Ich glaube, das ist auch durchgedrungen, dass es keine ideologischen Barrieren in der SPÖ gibt.

Und wie siehts parteiintern aus? Der Verkauf des Fernheizkraftwerkes und der EVN-Deal wurden von vielen eingefleischten Genossen ja als regelrechter Verrat an den Prinzipien empfunden.
Das war früher sicher einmal ein Tabu-Thema. Aber der EVN-Deal war eine pragmatische Lösung. Was, wenn die Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes fortschreitet? Was, wenn das Land, welches das Klinikum übernommen hat, seine Energie dafür in Hinkunft vielleicht einmal woanders bezieht? Daher war es zukunftsweisend, den Deal einzufädeln.

Das wirft aber die generelle Frage auf, was jetzt eine Kommune noch zu leisten hat, und was nicht.
Ende der 90’er, Anfang 2000 haben alle ÖVP-Proponenten gerufen „Mehr Privat, weniger Staat!“ Nach dem globalen Finanzdesaster ist es ruhiger um diese Stimmen geworden. Ich sage ehrlich: Wir brauchen mehr Stadt, mehr Land, mehr Europa – es geht darum, wieder die richtige Balance zwischen Wirtschaft und öffentlichem Interesse zu schaffen. Die Sozialdemokratie hat sich immer um den Ausgleich zwischen Kapital und Mensch bemüht. Das ist ein langer steiniger Weg, wahrscheinlich kommen wir nie an – die Spannung zwischen Arbeit und Wirtschaft wird wohl immer bestehen.

Es scheint aber, dass viele Wähler den Großparteien diesen Ausgleich gar nicht mehr zutrauen und deshalb zu Protestbewegungen wie der FPÖ „überlaufen“.
Das Kernproblem ist, dass die FPÖ gar keine Protestpartei mehr ist! Wenn ich meinen Protest ausdrücken möchte, wähle ich eine Partei, die keine Chance auf Mitbestimmung hat – das ist im Fall der FPÖ aber nicht gegegeben. Ich glaube diese allgemeine Stimmung  geht auf Jörg Haider zurück, der ja bewusst das politische Establishment beschädigen wollte, die Sozialpartnerschaft schlecht gemacht hat. Dabei beneiden uns andere Staaten darum und die daraus resultierende Stabilität. In Österreich kann man Streiks ja in Sekunden messen.
Zudem hat Haider eine bewusste Zangenpolitik betrieben, indem er Sündenböcke suchte, im rechten Lager Angst schürte. Das ist über die Jahre einfach gesickert. HC Strache will sich zwar heute gerne anders darstellen, aber er setzt dieses Erbe fort, und in Wahrheit fürchtet er sich vor dem Tag, an dem es ernst wird und er Verantwortung übernehmen muss. Wie das unter Haider geendet hat, weiß man.

Das ist ja nett, dass man sich als SPÖ Sorgen um HC Straches Ängste macht, aber solange wird man als Regierungspartei ja nicht warten wollen, bis man die Macht verliert, es sei denn man stellt sich schon auf eine Koalition mit der FPÖ ein. Oder gibt es Gegenkonzepte?
Also unsere Parteilinie ist klar: Keine Koalition mit HC Strache! Das Modell rot-grün in Wien macht mich hingegen hoffnungsfroh. Das ist ein Projekt, das Chancen hat. Sicher nicht überall, aber im urbanen Bereich ist es ein klarer Gegenentwurf zu schwarz-blau.
Gibt es Konzepte – eine gute Frage. Wichtig ist, dass man sozusagen die Hausaufgaben macht, wobei man damit noch nicht die Herzen der Menschen erreicht. Dass Infrastruktur funktioniert, es Arbeitsplätze gibt etc., das erwarten die Leute ohnedies von einer Regierung. Ich denke, am wichtigsten ist die Frage, welche Kultur, welcher Umgang in einer Gesellschaft herrscht.

Spielen Sie damit auf die Integrationsdebatte an?
Integration ist in meinen Augen ja mittlerweile ein Unwort. Da wird so viel hineininterpretiert – auch in der SPÖ. Die SPÖ hat immer eine große Verantwortung für das Miteinander gehabt. Kein Ur-St. Pöltner soll den Eindruck haben, dass andere bevorteilt werden, umgekehrt soll aber auch kein Nicht St. Pöltner das Gefühl haben, er sei ein Mensch 2. Klasse. Das heißt, wie überall, ist der Ausgleich die Kunst.

Wie schafft man den? Das Thema wird ja auf einer sehr irrationalen Ebene gekocht.
Eines kann ich ganz klar sagen: An uns wenden sich viele Ausländer mit der Frage nach Deutschkursen. Es stimmt also einfach nicht, dass die nichtösterreichische Community nicht daran interessiert wäre, unsere Sprache zu erlernen, sich zu integrieren.
Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede – aber das zeichnet Europa doch aus, diese Vielfalt! Und historisch betrachtet war Österreich immer ein Schmelztiegel. Ein gutes Miteinander ist daher unabdingbar. Wir sind daher ganz klar gegen Sündenbockpolitik, gegen Neidgesellschaft.
Umgekehrt ist die Aussage, dass die Roten Ausländern Tür und Tor öffnen, nicht richtig. Der Zuzug – mit Ausnahme des Balkankrieges – fand immer geregelt und im Konsens statt. Den stärksten Zuzug gab es übrigens unter Schwarz/Blau, als von der ÖVP billige Arbeitskräfte forciert wurden.

Warum tut sich die heutige Politik generell so schwer, Sympathien zu gewinnen? Liegt es auch daran, dass es keine großen gesellschaftlichen Siege mehr zu erringen gibt, weil diese schon die Vorgängergenerationen besorgt haben?
Das stimmt sicher in gewisser Weise. In den Wahlauseinandersetzungen geht es nicht mehr um die großen Würfe, sondern darum, die Standards für die Zukunft zu sichern. Das ist aber ein großes Erbe: Ethische Werte, Friede, Freiheit – die europäische Dimension ist wichtig! Nie wieder Krieg!

Kommen wir zu St. Pölten. Welche Strategie wird die SPÖ für den Wahlkampf im Herbst einschlagen? Kämpferisch-soziales Rot versus böses Schwarz, oder eher „staatstragend“ auf den Bürgermeister aufgebaut?
Wir werden uns natürlich auf unseren Spitzenkandidaten konzentrieren, den sehr sozialen Bürgermeister Stadler, der ein Bürgermeister für alle St. Pöltner ist. Aber es gibt auch Wunsch-Sachthemen für den Wahlkampf bzw. die Zeit danach. Stadler hat den Stadtkern der City nachhaltig zum Positiven verändert, die Neugestaltung des Domplatzs ist ein bestimmendes Thema für die nächsten Jahre, ebensolche sind Sanierungen von Wohnhausanlagen, Schulen, das Sommerbad und die zusätzliche Park & Ride Anlage beim Bahnhof.
 
Was wünscht man sich dazu vom Land?
Das Land soll St. Pölten den dynamischen Weg weitergehen lassen. Finanzielle Hilfe nehmen wir natürlich gerne dankbar an. Die Sigmund Freud Universität wäre ein Gewinn für alle, dass das Land dieses Projekt sabotiert, ist fatal für St. Pölten. Die Schließung der Orthopädie muss ebenfalls verhindert werden ...
 
Das ist ein rotes Tuch für die SPÖ, oder?
Ja, das wollen wir so keinesfalls akzeptieren. Das Land will aus politischem Kalkül in St. Pölten kein Zentralklinikum zulassen, wir versuchen mit dem nötigen politischen Fingerspitzengefühl hier eine positive Kampagne für die Orthopädie und für das Klinikum zu unterstützen.
 
Wäre das nicht ein schönes Beispiel für eine Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Land und Stadt?
Ja, definitiv. Derzeit zahlt die Gemeinde St. Pölten ca. 20 Millionen Euro für das Klinikum in St. Pölten ans Land, wir haben aber keinen Einfluss auf die Entwicklung. Sinnvoller wäre, wenn die Verantwortung und die Finanzierung des Gesundheitswesen beispielsweise nur vom Land getragen wird. Umgekehrt könnte die Gemeinde allein für die Errichtung und Qualität der Kindergärten verantwortlich sein.