Menschen treffen
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Anlässlich seines letztjährigen Runden gratulierten ihm seine Freunde unter dem Motto "Auch Romeos werden 60" und schenkten ihm einen Traktor. Ein ungewöhnliches Geschenk für einen Intendanten? Wir baten zum Gespräch.
Als ich Festspielhaus-Intendant Prof. Michael Birkmeyer treffe, ruft er gerade – an seiner Pfeife schmauchend - E-Mails ab. Der Fernseher läuft, ein Korrespondent berichtet live von der US-Wahl und dass Bush praktisch als Sieger feststeht. Als Birkmeyer aufblickt, zieht er an seiner Pfeife und schüttelt den Kopf: „Das ist ja Wahnsinn. Freunde aus den USA schreiben mir, die sind ehrlich verzweifelt! Die Amerikaner sind ein dummes Volk!“ Gespräch mit einem Nonkonformisten.
mfg: Burgtheater-Direktor Klaus Bachler hat im ORF zuletzt scharf die wirtschaftlichen Konstrukte im Theaterbereich kritisiert, weil man sie damit auf eine Stufe mit Fischfabriken stelle. Wie sehen Sie das, immerhin ist das Festspielhaus selbst Bestandteil eines großen Kulturapparates?
Birkmeyer: Die ganze Welt hat uns um die Bundestheater – das Burgtheater zählt ja dazu - beneidet mit ihren eigenen Werkstätten vom Schlosser bis zum Tischler. Das wurde grundlegend geändert. Heute engagiert man Fremdfirmen, versucht alles zu dezentralisieren – Outsourcing ist das Zauberwort! Man bekommt aber bisweilen den Eindruck, dass die einzigen, die davon wirklich profitieren, besagte Beraterfirmen sind. Manchmal hat es den Anschein, dass man nur Geld von der rechten in die linke Tasche gibt - und irgendwann kommt man drauf, dass es doch nicht so funktioniert, und das Spiel beginnt wieder von vorne.
Was die NÖKU betrifft, die sich ja im Anfangsstadium befindet, kann ich noch nicht beurteilen, ob sie Sinn macht oder nicht. Für mich als Künstler ändert sich bislang jedenfalls nichts. Ich habe alle Freiheiten, die ich brauche. Die Politik redet nicht drein – das schätze ich sehr!
mfg: Das Stadttheater St. Pölten wird vom Land übernommen und soll in nur mehr als Schauspielhaus fungieren, während das Musiktheater ins Festspielhaus wandert. Sinnvoll?
Birkmeyer: Sogar sehr, weil sich unser Haus von den Strukturen und der Größe her einfach viel besser für Oper und Operette eignet als das Stadttheater. Mit Tonkünstlerorchester und abcdancecompany bringen wir zudem hochkarätige Ensembles mitein, die schon jetzt laufend bei Produktionen eingebaut werden. Damit entwickeln wir uns, was ich mir immer gewünscht habe, zu einem richtigen Theaterhaus, das von innen heraus belebt wird und nicht nur Fremdproduktionen einkauft.
Mir ist zugleich auch der internationale Aspekt sehr wichtig. Das Festspielhaus soll in diesem Sinne ein Fenster zur Welt sein, wobei mir insbesondere die Theater in den ehemaligen Kronländern als Partner ein Anliegen sind. Die kehren ja quasi durch den EU-Beitritt in ihren angestammten Kulturraum zurück. Tatsache ist, dass internationale Zusammenarbeit der Weg der Zukunft ist, weil sich kaum mehr ein Haus alleine derart kostspielige Produktionen leisten kann, wenn es Qualität will.
mfg: Qualität, so wird bisweilen zumindest suggeriert, verträgt sich aber nicht immer mit großer Publikumsakzeptanz? Wie kratzt man da die Kurve?
Birkmeyer: Natürlich ist es schwer, einen sinnvollen Spagat zu knüpfen, das geb’ ich ganz ehrlich zu. Da gibt’s auch bei uns immer wieder Diskussionen. Vielleicht nähert man sich der Sache am besten auf die Weise, dass man einmal überlegt, was man nicht macht: So etwas wie einen Hansi Hinterseer beispielsweise wird es bei uns nie geben, das ist nicht Aufgabe einer Institution wie unserer. Abgesehen davon dreht sich mir bei volkstümlicher Musik der Magen um - das ist eine persönliche Beleidigung von Ohr und Seele. Qualitätsvolle Volksmusik hingegen ist ein Genuss.
Prinzipiell könnte man es sich natürlich auch leicht machen, nur Veranstaltungen durchführen, die als „gmahte Wiesen“ gelten – aber da komm ich künstlerisch ins Straucheln. Das erinnert mich an einen Ausspruch von Metropolus, der gemeint hat: „Wenn ich nur den Geschmack der Leute treffen möchte, werde ich immer nur ihr Hinterteil, niemals ihr Gesicht sehen.“ Dann läuft man der Entwicklung also nach.
Ich will ein Programm machen, mit dem ich die Menschen erreiche. Mir bringt es ja nichts, wenn ich quasi auf einem hohen intellektuellen Ross daherstolziere und an den Leuten vorbeireite. Ich hab zum Beispiel immer Gräuel vor dieser erhobenen Zeigefinger-Theater-Mentalität gehabt, das ist mir zu Pseudo. In Die Wahrheit ist, dass man mit dem Theater kaum etwas bewegen kann – kleine Schritte vielleicht – aber wirkliche Veränderungen? Nein, da braucht man sich nur die USA anzusehen.
mfg: Sie waren früher in Wien aktiv, arbeiten und leben jetzt in Niederösterreich. Gibt’s einen Unterschied?
Birkmeyer: Wien und Niederösterreich sind zwei völlig verschiedene Welten! Während einem in Wien Stöcke zwischen die Beine geworfen und einem 1000 Gründe genannt werden, warum etwas nicht geht, versucht man in Niederösterreich Dinge zu ermöglich und sagt „Versuchen wir’s!“
Vielleicht liegt es ja auch daran, dass ich nie ein Mensch war, der irgendwelche Seilschaften geknüpft hat. Ich mag keine Parteien, ja selbst Vereine sind mir suspekt.
In Wien aber muss man immer irgendwelche Zweckfreundschaften mit „wichtigen“ Leuten schließen, möchte man weiterkommen. Diese Mühe hab ich mir nie gemacht. Meine Einstellung war immer, dass man durch seine Qualität überzeugen muss. Ich mag nicht von irgendwelchen Leuten - die von der Materie vielleicht nicht den geringsten Schimmer haben - gepusht werden. Es muss die Qualität sein, die dich pusht!
mfg: Wer sich also nicht anpasst fliegt raus in Wien?
Birkmeyer: Es ist ein großes Spiel. Es geht nicht darum, was jemand als Direktor leistet, sondern die entscheidende Frage, die alle beschäftigt, ist ausschließlich jene: Wann wird wer was? Und kaum ist man wo was, wird schon wieder an deinem Sessel gesägt. Es ist ein permanenter Jahrmarkt der Eitelkeiten. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich komme als Tänzer aus dem eitelsten Beruf überhaupt. Ich kann mich noch gut an meinen Lehrer erinnern, der einmal gesagt hat „Du fühlst dich ja so jung, schön und erfolgreich - aber wenn dir das wichtig ist, bist du ein Idiot!“ Er hat absolut recht damit. Du musst lernen, die Eitelkeiten zu überwinden. Ich verabscheue deshalb auch Künstler, die nur um sich selbst kreisen. Diese Menschen sind völlig leer, personifizierter Stillstand. Vielleicht wär’ ich auch mal so geworden, aber es gab zum Glück Menschen, die mir die Augen geöffnet haben. Und ich habe in der Staatsopernballettschule mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, die mich mit Fragen, Attacken, Kritik konfrontiert haben – dadurch bleibt man lebendig. Die jungen Leute gehen mir sehr ab!
mfg: Aber bringt es nicht der Kulturbetrieb an sich mit, dass man mit diesen „Seilschaften“ konfrontiert ist?
Ja und nein. Man bekommt halt mehr Einblick hinter die Kulissen, aber das ist in Wahrheit in allen Lebensbereichen so. Ich verachte jedenfalls diese Seilschaften der Mittelmäßigkeit. Dadurch sind so viele zweit- und drittklassige Leute in vordersten Positionen, dass einem schlecht wird. Aber das ist leider überall so auf der Welt, da braucht man sich nur die USA mit diesem Präsidenten anzuschauen.
Es zählen nur mehr Lobbies, nur mehr Eigeninteressen. Es gibt einseitige Kriege unter fadenscheinigsten Gründen, Menschen verhungern - und wenn man fragt „Warum?“, wenn man wirklich alles von der Fassade abkratzt, dann bleibt ein einziger Grund: Geld. Das ist enorm deprimierend!
Gewinnmaximierung ist zum Ideal erhoben worden. Es ist eine schreckliche Vision, dass vielleicht einmal 300 – 400 Konzerne die Welt beherrschen. Was den Menschen aber an sich ausmacht, das interessiert niemanden mehr. Das macht mir ehrlich Angst, und da sehe ich leider schwarz für die Zukunft. Aus diesem Grund haben auch diese jungen engagierten Menschen, haben die Globalisierungsgegner meine Sympathie, die sich in diese Entwicklung nicht einfach ergeben wollen.
mfg: Das klingt sehr fatalistisch. Gibt’s keine Chance, dem zu entrinnen – und spielt Kunst, im Aufzeigen dieser Sachverhalte, überhaupt keine Rolle mehr?
Birkmeyer: Goethe hat geschrieben: „Nichts ist, das sich bewegt. Du selber bist Rad und Kraft, die es bewegt.“, es liegt also an uns als Individuum selbst.
Viele Menschen scheinen aber aufgegeben zu haben. Es gibt so viele, die nicht leben, sondern nur existieren. Karl Kraus hat diesbezüglich festgestellte „Wenn ich durch die Menge gehe, seh’ ich soviel Leut und keine Menschen.“ Aus den Leuten Menschen machen, das seh’ ich schon als eine der Aufgaben der Kunst – aber das ist keine leichte.
Ich persönlich leb’ deswegen im übrigen auch so gern am Land, bei Rohrbach an der Gölsen in einem alten Gemäuer aus dem 12. Jahrhundert. Ich fahr dann von Zeit zu Zeit mit meinem Traktor, einem 15’er Steyr aus dem Jahr 1953, zum Rosenbaum hinauf, meinem Mostbauern. Dort trifft man noch Menschen!