MFG - Rote Nase guter Riecher
Rote Nase guter Riecher


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Rote Nase guter Riecher

Text Matthias Steinperl
Ausgabe 09/2005

Andy Warhol und Vladimir Horowitz waren ebenso seine Gäste wie Sir Peter Ustinov oder Danny Kay. Keith Haring hat sich auf seinem Zylinder verewigt, Paul Mc Cartney seine Gitarre handsigniert, Joe Cocker ein Nickerchen in seinem Zirkuswagen gemacht, Heinz Rühmann ihm Frühstück bereitet und Leonard Bernstein sein Zirkusorchester dirigiert. Bernhard Paul - von einem Wilhelmsburger, der 1976 auszog, um mit seinem „Circus Roncalli“ die Zirkuswelt zu revolutionieren.

St. Pölten wird Premierenort der neuen Gemeinschaftsproduktion Produktion des Circus Roncalli mit The Kelly Family. Wie ist diese Kooperation zustandegekommen?
Wir haben schon vor 30 Jahren zusammengearbeitet, waren 1977 gemeinsam auf Tournee. Da ist eine Freundschaft entstanden, so dass wir zum Schluss kamen, wir sollten das wiederholen. „Who’ll Come With Me“ ist sozusagen ein Ergebnis davon. Als ich hörte, dass der Auftakt zur Tournee im VAZ St. Pölten stattfindet, sagte ich „Wow“! Immerhin ist meine 92 jährige Mutter hier in einem Altenheim, und ich komm’ ja aus der Gegend, aus Wilhelmsburg.  Welche Beziehungen haben Sie zu Ihrer alten Heimat noch, immerhin haben Sie jetzt sogar wieder eine Wohnung in Wilhelmsburg?
Ja, wenn man älter wird, sucht man wieder verstärkt seine Wurzeln. Die Wohnung ist jene meiner Kindheit. Ein Freund hat mir erzählt, dass meine Stiefmutter auszieht. Im ersten Moment dachte ich: Aber dann kannst du ja nie wieder in die Wohnung, wo du aufgewachsen bist, den so prägenden Lebensabschnitt zwischen 5 und 15 Jahren verlebt hast. Deswegen war es mir ein Anliegen, sie zu bekommen – was zum Glück gelungen ist. Als Dankeschön helfe ich der Stadt bei der Installierung eines Heimatmuseums im HOF mit. Mein Vater hat ja früher mit seiner Leica alles fotografiert, was ihm so vor die Linse kam, auch viele Häuser, die heut verschwunden sind. Die stell ich ebenso zur Verfügung wie meine Porzellan-Sammlung. Eine Art Museum ist übrigens auch die Wohnung geworden. Ich hab sie im Originalzustand der 50’er Jahre wiederhergestellt, hab die alte Eckbank ebenso wieder gefunden wie die alte Kredenz, die meine Mutter 1938 zur Hochzeit bekommen hatte. Jetzt sieht die Wohnung wieder so aus, wie in meiner Kindheit. Manche wundert das, der Deix aber versteht es und hat gemeint: „Na, dann werden wir dort bald zusammensitzen und uns Geschichten von früher erzählen.“ Manfred Deix. Als Art Director des „Profil“ waren Sie ehemals ja quasi sein Chef?
Ja, das hat der Deix auch immer aufs Korn genommen. Wenn ich gesagt hab „Du wir brauchen a Cover!“, hat er erwidert: „Ah, der Herr Chef braucht ein Cover.“ Deix war ja ein Spezialist fürs späte Liefern. Dann haben wir uns in der Nacht zusammengesetzt - also ich bin eigentlich geblieben, damit er mir nicht wieder ins Wirtshaus abposcht - und haben das Cover fertig gemacht. Ich hab sogar die unwichtigen Teile angemalt, damit wir fertig wurden. Klingt nach Freundschaft?
Der Deix ist wie ein Bruder für mich. Erst unlängst läutet das Telefon und er sagt: „Weißt was, heute kennen wir uns genau 40 Jahre lang.“ Kennengelernt haben wir uns in Böheimkirchen, da war mein Großvater Schuldirektor, und die Deix hatten ein Wirtshaus. Dann haben wir auf der Grafischen studiert, gemeinsam mit Hellnwein oder dem Bramer. Der Deix hat auch stark mein Humorempfinden geschult. Für mich ist er der beste Karikaturist Europas, vielleicht sogar der Welt. Das ist ein Genie! Als Genie, als Revolutionär des Zirkus gelten sie selbst. Woher rührt eigentlich die Zirkus-Leidenschaft?
Ich hab im Flashpark in Wilhelmsburg mit meinem Bruder den ersten Zirkus gesehen, da war ich sechs Jahre alt. Das war ein einschneidendes Erlebnis. Ich wollt sofort mit den Kindern vom Zirkus, die während ihres Aufenthaltes bei uns in der Schule waren, durchbrennen. In St. Pölten haben wir dann den Zirkus Krone besucht, dort beim Eisberg in der Nähe. Das war riesig, die kamen ja mit Unmengen von Wagen. Die richtige Vorstellung konnten wir uns zwar nur einmal leisten, dafür sind wir jeden Tag in die Tiershow – die billiger war – gegangen. Der Dompteur hat uns schon erkannt und in Preußisch gesagt: „Na, auch wieder im Lande die Herrn!“ - da waren wir natürlich mächtig stolz.  Der Direktor des Cirque du Soleil hat einmal gesagt, dass der Circus Roncalli ein Vorbild für ihn war. 
Wir sind tatsächlich die Mutter aller Schlachten. Die gesamte neue Zirkusschiene ist von uns ausgegangen. Wir haben den Zirkus sozusagen der Kultur zurückgegeben.
Heute gibt es viele, die uns kopieren - auf der ganzen Welt. Der Cirque du Soleil ist gutes Entertainement, auch wenn er mir persönlich zu amerikanisch, zu seelenlos, zu kalt ist.  Ist ein Geheimnis des Erfolges, dass Sie als Direktor quasi alles in sich vereinen: Manager, Regisseur, Mitwirkender?
Zirkus ist ein Gesamtkunstwerk. Wenn da nicht alles aus einer Hand kommt, dann wird das eine Melange, wo nicht mehr alles zusammenpasst. Mein Vorteil war und ist zudem, dass ich die Medienbranche kenne, ebenso vom Baulichen Ahnung habe - das konnte ich alles umsetzen. Wir haben zum Beispiel das Zirkuszelt, das 100 Jahre unverändert blieb, erneuert. Ebenso haben wir – weil es früher im Zirkuszelt immer so heiß und stickig war - eine neue Kuppelkonstruktion geschaffen, welche für eine ordentliche Belüftung sorgt und die heute weltweit Standard ist – die heißt sogar Roncalli-Kuppel. Außerdem hab ich eine hydraulische Orchesterbrücke eingeführt. Das gehört alles irgendwie zusammen. Und Sie hatten einen klingenden Namen für den Circus parat. Wäre heut ein „Circus Ratzinger“ denkbar, nachdem Roncalli offensichtlich dem weltlichen Namen von Papst Johannes XXIII entlehnt wurde?
Ratzinger, das klingt eher – und das bitte jetzt nicht auf die Person zu beziehen – nach einem Insektenvertilgungsmittel, das wär also ein ungeeigneter Name. Wir wollten damals etwas Klingendes, wobei vor allem André Heller für Roncalli plädierte.  Mit Heller kam es aber bald zum Zerwürfnis. Warum?
Der Grund war damals seine Eitelkeit, das gibt er heute selber zu. Wir haben uns in der Zwischenzeit aber wieder versöhnt. Leute wie Heller gibt es viel zu wenige in Österreich. Heut ist Österreich ein sehr angepasstes Land. Die Künstler früher hingegen, die haben ihr Ding durchgezogen, wie etwa später der Ostbahnkurti, der hat mir sehr imponiert. Woher kannten Sie den?
Vom Probekeller im 10. Bezirk. Da war ich in einer Band mit seinem Bruder, dem Erich, der sich jetzt Lukas nennt. Das war überhaupt eine andere Szene damals. Da sind Leut wie Falco und Ambros ein- und ausmarschiert.  Eine „goldene Künstlerära“, die aber in die Jahre gekommen ist. Sie selbst steuern langsam dem 60’er zu. Bereitet Ihnen das Kopfzerbrechen?
Der Deix hat unlängst gemeint: „No, jetzt samma a scho oide Hund.“ Früher galt uns der 35’er als uralt. Mit 35 haben wir dann ernüchtert festgestellt „Na, jetzt sind wir wirklich so alt!“ Aber dass wir 60 werden... (lächelnd) Irgendwann beginnt man halt die Redewendung „Man ist so alt, wie man sich fühlt.“ zu lieben.  Denkt man da an Pension?
Pension? Nein das gibt’s für Künstler nicht. Du kannst ja nicht von einem Tag auf den andern mit dem Klavierspielen, der Schauspielerei oder dem Zirkus aufhören. Außerdem muss ich für meine Kinder weitermachen. Wie alt sind die?
Sieben, 14 und 16, und die wollen unbedingt zum Zirkus. So werd ich wohl im Sägemehl der Manege sterben. (lachend) Aber da sind ja noch 50 Jahre hin. Nein, ich bin nicht wirklich heiß darauf, ganz alt zu werden, so dass es dann heißt: „Nein, das darfst nicht essen!“ oder „Pass auf, da geht der Zug.“ Das ist nicht mein Thema. Vorm Sterben hab ich keine Angst – ich glaube an Wiedergeburt. Das Gespräch wird kurz unterbrochen. Zwei Söhne des Malers Ernst Fuchs übergeben Bernhard Paul eine Kappe ihres Vaters. Was ist mit der?
Die ist für meine Hutsammlung. Ich hab ja einen richtigen alten Hutsalon, wo ich berühmte Hüte unterbring, von Chaplin bis Haring.. Ist die Teil Ihrer Sammlung von Alltagskultur der Jahrhundertwende, für die Sie schon über 60 alte Läden samt Einrichtung und Ware gesammelt haben? Ist die Sammlerei eigentlich ein Spleen?
Nun, es gibt zwei Sorten von Menschen. Diejenigen, die alles weghauen, und diejenigen, die alles sammeln. Ich bin oft umgezogen im Leben, allein in Wien neunmal und natürlich mit dem Zirkus. Aber trotzdem hab ich noch die Bahnkarte, mit der ich zum ersten Mal zum Zirkus Krone gefahren bin. Für mich ist das wichtig. Gibt es etwas, das Sie nicht sammeln?
Überraschungseier und Telefonwertkarten – mit diesem Plastikzeug fang ich nichts an. Sonst haben sich Sammlungen in den Sammlungen ergeben, mittlerweile zu rund 50 Themen. Ich hab etwa eine größere Wiener Prater-Sammlung als das Prater Museum selbst, zudem – so heißt es – hätte ich die größte Zircus- und Varieté Sammlung Europas. Aber auch eine Instrumentensammlung hat sich ergeben, wobei Paul Mc Cartney einen Bass signiert hat. Über einen Freund bin ich auch an Beatles-Belege gekommen, als der Starclub dicht machte. Ich hab alle Quittungen von der „Kapelle The Beatles“, wie drauf steht, und von der „Gage + Überstunden“, die John Lennon gegengezeichnet hat. Auch ein Brief von Brian Epstein ist dabei, in dem er bittet, ob es möglich wäre, dass die Beatles beim nächsten Mal nicht alle vier in einem Zimmer schlafen müssen, sondern jeweils nur zwei und zwei.  Klingt nach harter Anfangszeit für die Beatles. Braucht man den Existenzkampf als Künstler, auch diesen Ansporn. Sie selbst galten in der Schule ja als Außenseiter?
Wenn man unterschätzt wird, dann ist es schon wichtig, dass man irgendwann auf den Tisch haut. Ich hatte früher wenig Selbstvertrauen. Ein Bekannter hat aber einmal erklärt: „Eine alte physikalische Regel lautet, dass aus Kohle bei enorm hohen Druck Diamant wird.“ Dieser Druck war immer da, auch diese Angst um die Existenz – das war schon immer ein Auslöser für Karrieren. Ist auch der Clown – den sie im Zirkus spielen - ein Außenseiter? Was ist ein Clown?
Der Clown ist ein altes Kind. Er ist absurd mit all seiner Schminke, mit der roten Nase. Aber er ist eine unterschätzte Figur. Der Clown ist als Antiheld in Wahrheit der Held,weil er die Leute zum Lachen bringt. Jemanden zum Weinen zu bringen, ist keine Kunst, aber jemanden zum Lachen zu bringen, das ist schwer. Ein guter Clown schafft es, dass in der selben Sekunde sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen, der Intellektuelle ebenso wie der Arbeiter lachen. Zum Abschluss zurück nach St. Pölten. Wenn Sie hierher auf Besuch kommen, was fällt Ihnen da auf, was fühlen Sie?
Als erstes fallen mir die Bausünden auf. Ich kann mich ja noch an diese kleine nette Barockstadt erinnern, an die alten Läden. Da hat sich viel verändert. Und die Relationen haben sich für mich verschoben. Früher, als Kind, war Wilhelmsburg Wilhelmsburg, St. Pölten als nächstgrößere Stadt quasi Wien und Wien New York. Nach St. Pölten sind wir einmal in der Woche mit dem Autobus gefahren - auf den Markt, zum Leiner oder in andere Geschäfte, die es in Wilhelmsburg nicht gegeben hat.  Und als Jugendlicher, wo sind Sie da unterwegs gewesen? 
Viel beim Fedrizzi, weil der die beste Jukebox hatte, die sogenannte ‚Seeburg’. So eine hab ich jetzt auch erstanden. Dort haben wir Eis gegessen und Schilling um Schilling in der Jukebox versenkt. Dann gabs den Mikesch, außerdem die Charly Bar – die war aber ein verruchter Ort, das durfte man zuhause nicht verraten, dass man dort gewesen war. Ich hab auch mit der Band in den Stadtsälen gespielt, mit den Imperatores Vindobonensis, da gab es noch den sogenannten 5 Uhr Tee. Zur Person  Bernhard Paul wurde 1947 in Lilienfeld geboren und wuchs in Wilhelmsburg auf. Mit sechs Jahren erster Zirkusbesuch – seitdem Wunsch, zum Zirkus zu gehen. HTL in Krems, anschließend Grafische Lehr- und Versuchsanstalt Wien gemeinsam mit Deix, Hellnwein, Bramer u.a. Art Director von „Profil“ sowie einer internationalen Werbeagentur. Verheiratet und drei Kinder. 1976 Gründung des Circus Roncalli. Revolutioniert das Genre Zirkus (Cirque du Soleil Direktor: ‚Roncalli war ein Vorbild!’). Weiters Gründung von Varietés, zahlreiche Projekte von der Opernregie, Schauspielerei bis hin zur Professur am Reinhardt Seminar. Leidenschaftlicher Sammler. Neben der größten Zirkus- und Varieté Sammlung Europas, Plakatsammlung mit über 10.000 Lithographien, Handschriftensammlung sowie Sammlung Alltagskultur der Jahrhundertwende mit über 60 Läden samt Einrichtung und Ware.  „Das Wunder Roncalli“ (Geo-Magazin) hat bislang über 15 Millionen Besucher weltweit begeistert!