Lebenselixier Musik
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Wie sang in den 80‘ern die Band Trio Rio: „New York, Rio, Tokyo“. Für Dr. Thomas Angyan, Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, klingt die Reihenfolge aktuell in etwa „Berlin, Paris, Tokyo“, ist er doch in der ganzen Welt unterwegs, um über die 200-jährige Geschichte der Musikinstitution vorzutragen. Dass sich in dieser illustren Metropolenrunde auch das kleine St. Pölten findet, ist insbesondere Fördervereinspräsident Lothar Fiedler zu danken, der für die Reihe „Zu Gast im Förderverein“ den renommierten Musikmanager nach Niederösterreich lotsen konnte.
200 Jahre Musikverein – was erwartet die Besucher im Zuge Ihres Vortrages?
Da muss ich sie gleich korrigieren, es geht um die 200-jährige Geschichte der Gesellschaft der Musikfreunde – das Gebäude selbst wurde ja erst später, 1866-1870 gebaut. Die Gesellschaft ist also bedeutend älter!
Gegründet wurde die Gesellschaft der Musikfreunde anlässlich eines Benefizkonzertes für die Witwen und Waisen der Gefallenen der Schlacht von Aspern. Damals war ein öffentliches Konzert, wofür man sich eine Karte kauft, ja absolut unüblich. Wenn, dann luden Adelige einen erlauchten privaten Kreis ein. Das war also schon sehr außergewöhnlich, ebenso wie die Protagonisten. So zählte Salieri zu den Gründungsmitgliedern, Schubert war Mitglied im ersten Vorstand und Brahms Konzertdirektor. Darin spiegelt sich eindrucksvoll wider, welch absolutes Musikzentrum Wien war – es haben sich ja auch nicht zufällig Begriffe wie „Erste“ oder „Zweite Wiener Schule“ herausgebildet.
Der Musikverein als Gebäude war natürlich auch ein ganz besonderer Ort. So wurden dort z. B. fast sämtliche Bruckner-Symphonien uraufgeführt, Mahler stand am Podium, und in ein und dem selben Konzert konnte es mitunter vorkommen, dass Brahms im Zuschauerraum saß, während Schönberg am Stehplatz stand. Das atmet schon alles große Historie! Diese nur auf das Gebäude oder das Neujahrskonzert zu reduzieren, ginge daher an der eigentlichen Bedeutung der Gesellschaft der Musikfreunde vorbei.
Ein Jubiläum feiert aber nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Sie als Intendant. Seit 25 Jahren leiten Sie ihre Geschicke. Was hat sich seit damals verändert?
25 Jahre, das ist schon eine lange Zeit – immerhin ein Achtel der gesamten Bestandszeit der Gesellschaft der Musikfreunde! Als ich gekommen bin, hat sich die Situation noch gänzlich anders dargestellt als heute. Das Programm war sehr traditionell, man hat fast ausschließlich das gegeben, was dem Publikumsgeschmack entsprach – aber es war nicht mehr zeitgemäß. Damals ist gerade die CD aufgekommen und hat einen regelrechten Boom ausgelöst, der sich auch nachhaltig auf die Musikszene insgesamt ausgewirkt hat. Dabei hat die CD als Medium den Häusern kein Publikum weggenommen, wie befürchtet, sondern gerade im Gegenteil das Publikumsinteresse sogar noch potenziert.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Häuser jetzt – da die CD einen gewissen Niedergang erlebt – Publikum verlieren?
Nein. Das einmal geweckte Interesse bei den Hörern bleibt offensichtlich erhalten. Der Wunsch nach dem Live-Erlebnis ist ungebrochen, daher habe ich auch so meine Zweifel, ob Internet-Streaming und dergleichen, wie es bereits manche meiner Kollegen anbieten, sich durchsetzen wird. Das gelingt vielleicht teilweise noch mit Liveübertragungen ins Kino, wie das z. B. die New Yorker Met macht. Da ist man auch in Gesellschaft, in einem schönen Saal. Aber ein, zwei Personen allein zuhause vorm Computer oder Flatscreen, die im Fernsehfauteuil sitzen – da fehlt einfach etwas.
Als Sie den Musikverein übernahmen, galt er als verstaubt. Wie ist es Ihnen gelungen ihn in Folge als lebendige, zeitgemäße Institution zu positionieren und nicht vom großen Erbe der Wiener Musiktradition erdrückt zu werden?
Verstaubt würde ich nicht sagen, aber es war damals Gebot der Stunde, dass wir uns weiterentwickeln müssen, allerdings behutsam, im Zuge eines evolutionären Prozesses. Man darf nicht einfach mit Gewalt die Gewohnheit der Besucher verändern, sondern muss sie an das Neue sukzessive heranführen. Da helfen uns die neuen Säle, die wir geschaffen haben, sehr! Wir bieten etwa Zyklen an, die sich auch saalmäßig überschneiden. Das öffnet dem Publikum interessante Aspekte. Dadurch wird Zeitgenössisches auch vom traditionellen Publikum angenommen und umgekehrt – das ergibt eine gute Mischung.
Ganz wesentlich ist zudem die Vermittlung an die Jugend – das gab es vor 25 Jahren, auch international, noch überhaupt nicht. Heute bieten wir alleine 180 Konzerte in diesem Segment an, die von rund 47.000 Kindern und Jugendlichen besucht werden! Dahinter steht ein sehr engagiertes education program, das greift!
Das heißt, die jungen Menschen werden zur Musik herangeführt, in diesem Sinne „erzogen“?
Vor 25 Jahren gab es noch Besucher, die aus dem Saal gingen, wenn Schostakowitsch oder Janácek gespielt wurden. Wenn heute das Schönberg Violinkonzert gegeben wird, ist das ein durchschlagender Erfolg. Auch Cerha, Penderecki und andere zeitgenössische Künstler werden gut angenommen. Das Publikum hat sich also gewandelt.
Ein Jubiläum feiert auch das Festspielhaus – es wurde vor 15 Jahren in St. Pölten eröffnet. Nimmt man die niederösterreichische Institution in Wien eigentlich wahr, welche Relevanz hat sie?
Allen voran ist das Festspielhaus für die Identifikation des Landes Niederösterreich und seine Bürger enorm wichtig. Ebenso für die Tonkünstler Niederösterreich, die hier sozusagen eine eigene Heimstatt gefunden haben. Dass es eine tolle Reputation genießt, belegt alleine der Umstand, dass z. B. alljährlich die Wiener Philharmoniker hier gastieren. Zudem hat es sich in den Bereichen Tanz und Musiktheater ein eigenständiges Profil erarbeitet.
Eine Hauptstadt braucht eine solche Einrichtung unbedingt, und auch wenn die Nähe zu Wien sicher nicht so einfach ist, hat das Festspielhaus, hat St. Pölten doch seine eigene Identität gefunden.
Werfen wir einen Blick nach vorne. Sagen wir, der Musikverein in 25 Jahren – wohin geht die Reise?
Die Herausforderung der Zukunft besteht darin, das Interesse für die nächsten Generationen zu erhalten, weshalb die Jugendarbeit ja so elementar ist. Ich hatte diesbezüglich vor einem Jahr ein nettes Erlebnis, als mich zwei junge Männer, ich schätze so Ende 20, ansprachen und erzählten, sie hätten vor etwa 20 Jahren den 1. Allegretto-Zyklus bei uns besucht. Das hat mich sehr gefreut. Es zeigt, dass unsere Bemühungen Früchte tragen.
Institutionen wie unsere werden auch immer mehr zu Oasen. Durch das Tempo, das heute gegangen wird, entsteht zunehmend das Bedürfnis nach Entschleunigung. In einem Konzert gelingt dies großartig. Da ist man für zwei Stunden abgeschirmt vom Draußen, bei sich selbst und in der Musik.
Lässt ihr Managementjob noch persönlichen Musikkonsum zu?
Also von den etwa 840 Konzerten pro Saison im Musikverein bin ich sicher bei über 250 dabei. (lacht) Mein Abendprogramm ist also gesichert. Außerdem besuche ich natürlich andere Häuser – die Staatsoper, die Volksoper, internationale Häuser – dieser Blick nach außen ist ganz wichtig. Man darf nicht mit Scheuklappen durchs Leben gehen!
Diese Teilhaftigkeit ist mir auch ein regelrechtes Bedürfnis, und es bereitet mir einfach große Freude, wenn ich z. B. mit Mariss Jansons ein Programm vereinbare, und dieses zwei, drei Jahre später, wenn es dann bei uns stattfindet, natürlich auch anhöre! Ich brauche Musik einfach zum Leben!
Da muss ich sie gleich korrigieren, es geht um die 200-jährige Geschichte der Gesellschaft der Musikfreunde – das Gebäude selbst wurde ja erst später, 1866-1870 gebaut. Die Gesellschaft ist also bedeutend älter!
Gegründet wurde die Gesellschaft der Musikfreunde anlässlich eines Benefizkonzertes für die Witwen und Waisen der Gefallenen der Schlacht von Aspern. Damals war ein öffentliches Konzert, wofür man sich eine Karte kauft, ja absolut unüblich. Wenn, dann luden Adelige einen erlauchten privaten Kreis ein. Das war also schon sehr außergewöhnlich, ebenso wie die Protagonisten. So zählte Salieri zu den Gründungsmitgliedern, Schubert war Mitglied im ersten Vorstand und Brahms Konzertdirektor. Darin spiegelt sich eindrucksvoll wider, welch absolutes Musikzentrum Wien war – es haben sich ja auch nicht zufällig Begriffe wie „Erste“ oder „Zweite Wiener Schule“ herausgebildet.
Der Musikverein als Gebäude war natürlich auch ein ganz besonderer Ort. So wurden dort z. B. fast sämtliche Bruckner-Symphonien uraufgeführt, Mahler stand am Podium, und in ein und dem selben Konzert konnte es mitunter vorkommen, dass Brahms im Zuschauerraum saß, während Schönberg am Stehplatz stand. Das atmet schon alles große Historie! Diese nur auf das Gebäude oder das Neujahrskonzert zu reduzieren, ginge daher an der eigentlichen Bedeutung der Gesellschaft der Musikfreunde vorbei.
Ein Jubiläum feiert aber nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Sie als Intendant. Seit 25 Jahren leiten Sie ihre Geschicke. Was hat sich seit damals verändert?
25 Jahre, das ist schon eine lange Zeit – immerhin ein Achtel der gesamten Bestandszeit der Gesellschaft der Musikfreunde! Als ich gekommen bin, hat sich die Situation noch gänzlich anders dargestellt als heute. Das Programm war sehr traditionell, man hat fast ausschließlich das gegeben, was dem Publikumsgeschmack entsprach – aber es war nicht mehr zeitgemäß. Damals ist gerade die CD aufgekommen und hat einen regelrechten Boom ausgelöst, der sich auch nachhaltig auf die Musikszene insgesamt ausgewirkt hat. Dabei hat die CD als Medium den Häusern kein Publikum weggenommen, wie befürchtet, sondern gerade im Gegenteil das Publikumsinteresse sogar noch potenziert.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Häuser jetzt – da die CD einen gewissen Niedergang erlebt – Publikum verlieren?
Nein. Das einmal geweckte Interesse bei den Hörern bleibt offensichtlich erhalten. Der Wunsch nach dem Live-Erlebnis ist ungebrochen, daher habe ich auch so meine Zweifel, ob Internet-Streaming und dergleichen, wie es bereits manche meiner Kollegen anbieten, sich durchsetzen wird. Das gelingt vielleicht teilweise noch mit Liveübertragungen ins Kino, wie das z. B. die New Yorker Met macht. Da ist man auch in Gesellschaft, in einem schönen Saal. Aber ein, zwei Personen allein zuhause vorm Computer oder Flatscreen, die im Fernsehfauteuil sitzen – da fehlt einfach etwas.
Als Sie den Musikverein übernahmen, galt er als verstaubt. Wie ist es Ihnen gelungen ihn in Folge als lebendige, zeitgemäße Institution zu positionieren und nicht vom großen Erbe der Wiener Musiktradition erdrückt zu werden?
Verstaubt würde ich nicht sagen, aber es war damals Gebot der Stunde, dass wir uns weiterentwickeln müssen, allerdings behutsam, im Zuge eines evolutionären Prozesses. Man darf nicht einfach mit Gewalt die Gewohnheit der Besucher verändern, sondern muss sie an das Neue sukzessive heranführen. Da helfen uns die neuen Säle, die wir geschaffen haben, sehr! Wir bieten etwa Zyklen an, die sich auch saalmäßig überschneiden. Das öffnet dem Publikum interessante Aspekte. Dadurch wird Zeitgenössisches auch vom traditionellen Publikum angenommen und umgekehrt – das ergibt eine gute Mischung.
Ganz wesentlich ist zudem die Vermittlung an die Jugend – das gab es vor 25 Jahren, auch international, noch überhaupt nicht. Heute bieten wir alleine 180 Konzerte in diesem Segment an, die von rund 47.000 Kindern und Jugendlichen besucht werden! Dahinter steht ein sehr engagiertes education program, das greift!
Das heißt, die jungen Menschen werden zur Musik herangeführt, in diesem Sinne „erzogen“?
Vor 25 Jahren gab es noch Besucher, die aus dem Saal gingen, wenn Schostakowitsch oder Janácek gespielt wurden. Wenn heute das Schönberg Violinkonzert gegeben wird, ist das ein durchschlagender Erfolg. Auch Cerha, Penderecki und andere zeitgenössische Künstler werden gut angenommen. Das Publikum hat sich also gewandelt.
Ein Jubiläum feiert auch das Festspielhaus – es wurde vor 15 Jahren in St. Pölten eröffnet. Nimmt man die niederösterreichische Institution in Wien eigentlich wahr, welche Relevanz hat sie?
Allen voran ist das Festspielhaus für die Identifikation des Landes Niederösterreich und seine Bürger enorm wichtig. Ebenso für die Tonkünstler Niederösterreich, die hier sozusagen eine eigene Heimstatt gefunden haben. Dass es eine tolle Reputation genießt, belegt alleine der Umstand, dass z. B. alljährlich die Wiener Philharmoniker hier gastieren. Zudem hat es sich in den Bereichen Tanz und Musiktheater ein eigenständiges Profil erarbeitet.
Eine Hauptstadt braucht eine solche Einrichtung unbedingt, und auch wenn die Nähe zu Wien sicher nicht so einfach ist, hat das Festspielhaus, hat St. Pölten doch seine eigene Identität gefunden.
Werfen wir einen Blick nach vorne. Sagen wir, der Musikverein in 25 Jahren – wohin geht die Reise?
Die Herausforderung der Zukunft besteht darin, das Interesse für die nächsten Generationen zu erhalten, weshalb die Jugendarbeit ja so elementar ist. Ich hatte diesbezüglich vor einem Jahr ein nettes Erlebnis, als mich zwei junge Männer, ich schätze so Ende 20, ansprachen und erzählten, sie hätten vor etwa 20 Jahren den 1. Allegretto-Zyklus bei uns besucht. Das hat mich sehr gefreut. Es zeigt, dass unsere Bemühungen Früchte tragen.
Institutionen wie unsere werden auch immer mehr zu Oasen. Durch das Tempo, das heute gegangen wird, entsteht zunehmend das Bedürfnis nach Entschleunigung. In einem Konzert gelingt dies großartig. Da ist man für zwei Stunden abgeschirmt vom Draußen, bei sich selbst und in der Musik.
Lässt ihr Managementjob noch persönlichen Musikkonsum zu?
Also von den etwa 840 Konzerten pro Saison im Musikverein bin ich sicher bei über 250 dabei. (lacht) Mein Abendprogramm ist also gesichert. Außerdem besuche ich natürlich andere Häuser – die Staatsoper, die Volksoper, internationale Häuser – dieser Blick nach außen ist ganz wichtig. Man darf nicht mit Scheuklappen durchs Leben gehen!
Diese Teilhaftigkeit ist mir auch ein regelrechtes Bedürfnis, und es bereitet mir einfach große Freude, wenn ich z. B. mit Mariss Jansons ein Programm vereinbare, und dieses zwei, drei Jahre später, wenn es dann bei uns stattfindet, natürlich auch anhöre! Ich brauche Musik einfach zum Leben!