Die Serientäterin
Text
Thomas Fröhlich
Ausgabe
Eine Bestandsaufnahme der St. Pöltner Literaturszene hatte die Herausgeberin der Anthologie „ungebunden“, Corinna Bergmann, 2023 im Sinn. Dass diese gleichsam alljährlich in Serie gehen würde, hatte sie damals noch nicht auf dem Radar. Doch Potenzial gibt es genug. So erscheint 2024 „ungebunden II“. Und wie bei jedem guten Jahrgangs-Sampler ist ein Ende nicht abzusehen.
Langweilig ist ihr derzeit nicht. Wenn sie nicht grad in der Buchhandlung Schubert steht und Kunden berät, für die NÖN Texte lektoriert oder Kulturveranstaltungen organisiert, dann arbeitet sie schon an der kommenden Anthologie, die erneut die ausnehmend lebendige St. Pöltner Literaturszene abbilden wird. Dass sie Zeit findet, heute das Café im Palais Wellenstein für ein Interview aufzusuchen, grenzt schon an ein kleines Wunder. Doch von Hektik keine Spur. Die Herausgeberin und Autorin wirkt völlig entspannt – nur ihre Begeisterung für das, was sie tut, lässt sich schwer zügeln. Und das ist gut so. So ist man als Interviewer in der glücklichen Lage, auf kurze Fragen umfassende Antworten zu erhalten.
Wie es zur Anthologie „ungebunden“ kam? „Die Idee kam von Peter Kaiser und mir. Es gab da ein Treffen mit dem Kulturamtsleiter Alfred Kellner, bei dem es ursächlich eigentlich um die Literaturzeitschrift ‚Die Brache‘ ging. Im Laufe des Gesprächs entstand dann die Idee einer Anthologie, die vorerst noch eine Art literarischer St. Pölten-Almanach sein sollte. Peter und ich haben daraufhin, gleichsam im Auftrag der Stadt, ein Konzept entwickelt und es dann Alfred Kellner präsentiert, der schließlich Theresia Radl, die neue Leiterin der Stadtbücherei, mit ins Boot geholt hat.“ Bergmann ergänzt: „Eine Ausschreibung für alle Interessierten sollte es werden. Noch vor der offiziellen Ausschreibung habe ich als Erstes allerdings schon etablierte Autorinnen und Autoren gefragt, ob sie Lust und Zeit hätten, mitzuwirken.“ Denn die, etwa Zdenka Becker, Mario Kern, Althea Müller oder Michael Ziegelwagner, zögen dann die noch nicht so bekannten mit. Aus den ursprünglich angedachten zwanzig präsentierten Texten wurden dann jedoch bedeutend mehr, da ein repräsentativer Querschnitt ansonsten nicht möglich gewesen wäre. Insgesamt neunzig Werke wurden eingereicht, wobei Themen, Stil, Bekanntheitsgrad, Geschlecht und Alter, wie gewünscht, kräftig variierten. Eine Jury, der unter anderem auch die Autorin Doris Kloimstein und Literaturkenner Lukas Bärwald angehörten, wählte daraus Einiges aus, sodass „ungebunden“ letztendlich fünfzig Beiträge unterschiedlichster Machart aufzuweisen hatte.
Geboren wurde Corinna Annemarie Bergmann 1972 in St. Pölten, wo sie immer noch lebt. „Ich wuchs in einer großen Familie mit Hunden und Katzen auf.“ Katzen besitzt sie jetzt noch, wobei „besitzen“ wahrscheinlich das falsche Wort ist, „sie machen ja sowieso, was sie wollen.“ Mit Mitte zwanzig studierte sie Skandinavistik und Sprachwissenschaft. „Geschrieben habe ich schon seit der Volksschule, mit dreizehn dann schon etwas ernster zu nehmende Texte.“ Einiges davon publizierte sie in den verschiedensten Anthologien. Im Verlag am Rande veröffentlichte sie mit „Das Unheil geschehe“ einen Band mit ziemlich fiesen Horrorerzählungen und war 2019 Gewinnerin des „Ingeborg Flachmann-Preises“. Überhaupt ist sie ein großer Horrorfan, ob in der Literatur, im Film oder in der Serie. Man kann mit ihr stundenlang über erlesene Scheußlichkeiten des einschlägigen Genres reden – es fällt ihr garantiert noch etwas ein, was man auch als Afficionado noch nicht kennt. Nicht umsonst zeichnet sie auch regelmäßig für die (Vor)Halloween-Veranstaltungen im Café Opfestrudl verantwortlich, welches dann regelmäßig aus allen Nähten platzt. Doch damit nicht genug: „Seit Mai 2022 arbeite ich gemeinsam mit Johannes Schmid, Peter Kaiser, Jonathan Perry und Antonia Leitner an der ‚Brache – Magazin für Poesie‘ mit und veröffentliche dort auch meine eigenen Texte. Dort lasse ich meine poetische Ader raus.“ Demnächst, genauer gesagt am 20. März, findet eine von ihr organisierte Lesung im Palais Wellenstein statt, mit Lesenden, die im ersten „ungebunden“ vertreten sind.
Doch: „So sehr mir das alles taugt, möchte ich wieder mehr selbst schreiben. Ist halt eine Zeitfrage.“ Denn jetzt steht einmal das nächste „ungebunden“ ins Haus, das dann, so wär’s geplant, alljährlich erscheinen soll. Diesmal in Zusammenarbeit mit der Tangente, was natürlich zur Folge hat, dass die diesmaligen Themen von dieser vorgegeben werden, d.h. „Demokratie“, „Erinnerung“ und „Ökologie“. Diese Kontextualisierung durchzieht ja in diesem Jahr im Grunde nahezu das komplette (Gegenwarts)Kulturleben St. Pöltens, wobei es durchaus Stimmen gibt, die Zweifel am tatsächlich segensbringenden Wirken der Tangente hegen und das Ganze eher als Einschränkung, erdacht von woken Bobos für woke Bobos, denn als eine über den eigenen Tellerrand zielende Bereicherung empfinden.
Doch dürfen wir davon ausgehen, dass Bergmann mit ihrer Jury, der diesmal unter anderem auch Michael Ziegelwagner angehört, wieder ganze Arbeit leistet. Denn eins ist auch klar: „Sind wir uns ehrlich: Manche Texte sind mitunter nicht ganz ausgereift ... da wär ein Lektorat hilfreich. Und man sollte konstruktive Kritik annehmen können. Mir hat das jedenfalls immer geholfen.“ Doch setzt sie sogleich einen Aufruf nach: „Traut euch, nehmt eure Sachen aus den Schreibtischladen!“ Die Ausschreibung ist schon angelaufen – und auch diesmal sind garantiert wieder jede Menge Perlen dabei. Corinna Bergmann wartet schon drauf. Und lässt das Ganze in Serie gehen.