MFG - Bermudadreieck
Bermudadreieck


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Bermudadreieck

Text Johannes Reichl
Ausgabe 04/2007
Was für eine sensationelle Entdeckung – und das im 21. Jahrhundert! Sämtliche Geschichtsbücher und Atlanten müssen umgeschrieben werden, denn jetzt ist es gewiss: Das legendäre Bermudadreieck befindet sich nicht, wie bislang angenommen, im Atlantik, sondern mitten in Europa, ganz genau mitten in unserer City. Wie ist es ansonsten zu erklären, dass innerhalb nur eines Jahres – wie Infrapool im Zuge ihrer alljährlichen Frequenzanalyse eruierte – in der St. Pöltner Fußgängerzone über 20.000 Besucher verschwunden sind. Damit ist die Stadt frequenzmäßig nicht nur aus den Top Ten der österreichischen Einkaufsstädte geflogen, sondern – und das schmerzt wirklich – vom Nachbarn Krems geschnupft worden. Da hilft auch der Sieg im letzten Fußball-Derby gegen die Wachaustädter nicht wirklich – aber vielleicht kann ja ein neues Stadion die Schmach kompensieren, im Übrigen eine andere Art Bermudadreieck, wo gleich 9 Millionen Euro sinnlos verschwinden könnten.
Drollig waren jedenfalls die offiziellen Reaktionen auf das Ergebnis. So sind etwa im Vergleich zu früheren Jahren plötzlich jene Aussendungen des Magistrates verschwunden, die sonst die Zahlen der Infrapool (solang diese „erträglich“ bis erfolgreich waren) medial verwertet haben. Heuer hätte man das Ergebnis wohl am liebsten ignoriert, da dies aber nicht ging, hat man es einfach ein bisserl in Zweifel gezogen, müssten doch die „divergierenden Zahlen erst sachlich analysiert werden“ (St. Pölten hat nämlich in punkto Kaufkraft sein Standing gehalten). Es entbehrt sachlich betrachtet freilich nicht einer gewissen Pikanterie, dass sich St. Pölten als Stadt im letzten Jahr gar nicht an der Frequenzanalyse beteiligt hat (aus böser Vorahnung?), diese Schlingel aber doch glatt von selbst gemessen haben.
Auch der Mut zur Selbsterkenntnis und Einsicht ist offensichtlich verschluckt worden. So mutet es ein bisschen eigenartig, ja fast wehleidig an, wenn die Stadtentwicklung St. Pölten Gmbh lapidar meint: „Bei einer unerklärlichen Berg- und Talfahrt muss seriöserweise das Mess-System in Frage gestellt werden.“ Ach so, da liegt der Hund begraben! Die sind schuld, nicht wir! Ob man diese Skepsis auch im Falle steigender Zahlen geäußert hätte, darf  – seriöserweise – bezweifelt werden. Dabei ist das Mess-System, das in 80 Städten gleich gehandhabt wird, sozusagen wasserdicht: Die Infrapool zeichnet einfach die Fußgängerströme an einem bestimmten Punkt mittels Video auf. Es wird doch kein Bösewicht ein paar Passanten wegretouchiert haben?
Das eigentlich „Tragische“ an der ganzen Sache ist  dabei nicht die schwindende Frequenz an sich, als viel mehr das „Herumgeeiere“ drumherum (das vergangene Osterfest kann man dafür nur schwerlich als Ausrede ins Treffen führen). Es entlarvt ein altbekanntes gefährliches wie falsches Grundmuster, das der Stadtentwicklung und Urbanität insgesamt abträglich ist: Anstatt Probleme nämlich als solche ehrlich anzuerkennen, offen anzusprechen und dann konstruktiv (etwa mittels sinnvoller Instrumentarien wie der Masterplan eines werden könnte) lösungsorientiert anzupacken, wird zunächst versucht, sie schönzureden, sie zu verdrängen oder die Schuld gleich woanders zu suchen. Oder – nicht minder kontraproduktiv – man nutzt die „Chance“, um daraus politisches Kleingeld zu schlagen und dem Gegner ein bisschen am Zeug zu flicken.
Bleibt zu hoffen, dass man bald Taucher ins Bermudadreieck schickt, auf dass sie verlorengegangene Tugenden wie Mut, Selbsterkenntnis, Kritikfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit, Konstruktivität, Tatendrang und Gelassenheit bergen. Dann verschwindet zuletzt vielleicht sogar das Bermudadreieck wieder von selbst!