Außensicht: St. Pölten – Europäische Kulturhauptstadt 2024?
Ausgabe
„Keine 30 Minuten vor Wien eine Kulturhauptstadt wäre sinnlos." „Da ist mir immer noch lieber, alle Welt glaubt, St. Pölten stinkt.“
Es klingt ja verführerisch: St. Pölten wird gemeinsam mit der Region NÖ Mitte Europäische Kulturhauptstadt 2024. Im Vorfeld sprießen EU-, Bundes- und Landesförderungen, wir bekommen neue Ausstellungsräume, spektakuläre Architektur und ein Jahr lang Besucher aus der ganzen Welt. St. Pölten, endlich auf dem Weg, sein düsteres Image zu korrigieren. Aber ehrlich: Ist denn das sinnvoll?
Der Sinn der Heraushebung eines Ortes als Kulturhauptstadt liegt v. a. darin, für eine langfristige Entfaltung der lokalen Kulturszene Impulse zu geben. Also lautet die erste Frage, wie es um die Szene bestellt ist: Hat St. Pölten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ein eigenständiges Kulturleben entwickelt, genug, um die eigene Bevölkerung und jene der Region zu begeistern? Ja, zweifellos.
Aber: Hat St. Pölten genug davon, um europaweit zu strahlen, um langfristig ein Publikum auch jenseits der Grenzen Österreichs anzusprechen?
Bei aller Liebe zu Prandtauer und Bühne im Hof, zu Sonnenpark und Bauchklang und Paradiso, wird man die Frage verneinen müssen.
Jetzt könnte man das bis 2024 wahrscheinlich ändern, indem man die lokale Szene mit Förderinfusionen bis zur Unkenntlichkeit aufpumpt; indem man große Namen herlockt, das Festspielhaus besser anschließt, Stadtsaal-Konzerte popularisiert, Indie-Szene aufbuttert.
Aber selbst, wenn man die Frage, wo das Geld herkommen würde – Swap-Vergleich, hallo? – einmal hintanstellen würde: Wäre es denn wirklich sinnvoll, hier, keine 30 Minuten von der Weltstadt Wien entfernt, ein internationales kulturelles Zentrum aus dem Boden zu stampfen?
Dazu kann man nur sagen: Nein. St. Pölten sollte seine Rolle kennen: Als regionales Ballungszentrum, als Stadt mit hoher Lebensqualität. Aber hier auf den Aufbau weiterer Kulturstätten mit internationalem Anspruch zu setzen, wäre fahrlässig.
Wichtiger als hier um viel Geld eine Potemkinsche Kulturhauptstadt aufzustellen wäre, die Synergie mit Wien besser zu nutzen – zum Beispiel, mit den ÖBB über einen Nacht- oder Wochenendzug für Konzert- oder Theaterbesucher zu verhandeln. (GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger ist Redakteur des Nachrichtenportals NZZ.a)
Vor ein paar Wochen in einer Wiener Bar. Illustre Runde, belanglose Gespräche. Wie wir genau auf St. Pölten gekommen sind – ich weiß es nicht mehr. „Bitte, warst du schon einmal in St. Pölten?“, fragt eine Bekannte, höhnisch grinsend. Bevor ich etwas erwidern kann, fährt sie fort: „St. Pölten ist Pampa, da ist nichts. Es stinkt, es …“ – „Ich bin aus St. Pölten“, unterbreche ich. Auf kollektives Gelächter folgt betretenes Schweigen. Ich fühle mich bemitleidet. Es stinkt. Es ist schirch und öd. Ein paar Industrieanlagen, rundherum tiefste Provinz. So wird über St. Pölten gesprochen – außerhalb des Stadtgebiets. St. Pölten ist längst besser als sein Ruf, gemütlich und urban zugleich. Ungeachtet dessen ist das Image der Stadt in Restösterreich konstant miserabel.
Ein Blick nach Linz gibt Hoffnung: Die Stadt hatte lange mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen, sie galt als triste Betonwüste, als Heimstätte der Stahlindustrie. Linz ist zwar heute immer noch als Stahlstadt bekannt, steht aber auch für junge Künstler, für Kultur, für Inspiration.
Linz hat hart an einer Imagekorrektur gearbeitet, das Kunstmuseum Lentos und das Ars Electronica Festival sind Zeugen davon. Nicht unwesentlich für die Neuerfindung der Stadt: Linz war im Jahr 2009 europäische Kulturhauptstadt, das Prestige wirkt bis heute nach.
Insofern spricht vieles dafür, dass sich auch St. Pölten als Kulturhauptstadt bewirbt. Neben den großen Spielstätten verfügt die Stadt über eine erlesene Kulturszene, die viel Kreativität und Herzblut beweist, wie die Initiativen im und rund um den Sonnenpark beweisen.
Allein: Die Finanzierung für das Mammutprojekt Kulturhauptstadt ist fraglich. Im Angesicht von Großveranstaltungen neigt die öffentliche Hand dazu, sich finanziell zu übernehmen. Seit der Fußball-Euro 2008 steht etwa in Klagenfurt ein sündteures Stadion, das niemand braucht.
Kurzum: Ja zur Bewerbung – aber nicht um jeden Preis. Solide Finanzierung und nachhaltige Konzepte sind Basisvoraussetzung. Schließlich will ich mir zukünftig nicht anhören müssen, wie abgewirtschaftet St. Pölten ist. Da ist mir immer noch lieber, alle Welt glaubt, St. Pölten stinkt.(JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“)
Der Sinn der Heraushebung eines Ortes als Kulturhauptstadt liegt v. a. darin, für eine langfristige Entfaltung der lokalen Kulturszene Impulse zu geben. Also lautet die erste Frage, wie es um die Szene bestellt ist: Hat St. Pölten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ein eigenständiges Kulturleben entwickelt, genug, um die eigene Bevölkerung und jene der Region zu begeistern? Ja, zweifellos.
Aber: Hat St. Pölten genug davon, um europaweit zu strahlen, um langfristig ein Publikum auch jenseits der Grenzen Österreichs anzusprechen?
Bei aller Liebe zu Prandtauer und Bühne im Hof, zu Sonnenpark und Bauchklang und Paradiso, wird man die Frage verneinen müssen.
Jetzt könnte man das bis 2024 wahrscheinlich ändern, indem man die lokale Szene mit Förderinfusionen bis zur Unkenntlichkeit aufpumpt; indem man große Namen herlockt, das Festspielhaus besser anschließt, Stadtsaal-Konzerte popularisiert, Indie-Szene aufbuttert.
Aber selbst, wenn man die Frage, wo das Geld herkommen würde – Swap-Vergleich, hallo? – einmal hintanstellen würde: Wäre es denn wirklich sinnvoll, hier, keine 30 Minuten von der Weltstadt Wien entfernt, ein internationales kulturelles Zentrum aus dem Boden zu stampfen?
Dazu kann man nur sagen: Nein. St. Pölten sollte seine Rolle kennen: Als regionales Ballungszentrum, als Stadt mit hoher Lebensqualität. Aber hier auf den Aufbau weiterer Kulturstätten mit internationalem Anspruch zu setzen, wäre fahrlässig.
Wichtiger als hier um viel Geld eine Potemkinsche Kulturhauptstadt aufzustellen wäre, die Synergie mit Wien besser zu nutzen – zum Beispiel, mit den ÖBB über einen Nacht- oder Wochenendzug für Konzert- oder Theaterbesucher zu verhandeln. (GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger ist Redakteur des Nachrichtenportals NZZ.a)
Vor ein paar Wochen in einer Wiener Bar. Illustre Runde, belanglose Gespräche. Wie wir genau auf St. Pölten gekommen sind – ich weiß es nicht mehr. „Bitte, warst du schon einmal in St. Pölten?“, fragt eine Bekannte, höhnisch grinsend. Bevor ich etwas erwidern kann, fährt sie fort: „St. Pölten ist Pampa, da ist nichts. Es stinkt, es …“ – „Ich bin aus St. Pölten“, unterbreche ich. Auf kollektives Gelächter folgt betretenes Schweigen. Ich fühle mich bemitleidet. Es stinkt. Es ist schirch und öd. Ein paar Industrieanlagen, rundherum tiefste Provinz. So wird über St. Pölten gesprochen – außerhalb des Stadtgebiets. St. Pölten ist längst besser als sein Ruf, gemütlich und urban zugleich. Ungeachtet dessen ist das Image der Stadt in Restösterreich konstant miserabel.
Ein Blick nach Linz gibt Hoffnung: Die Stadt hatte lange mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen, sie galt als triste Betonwüste, als Heimstätte der Stahlindustrie. Linz ist zwar heute immer noch als Stahlstadt bekannt, steht aber auch für junge Künstler, für Kultur, für Inspiration.
Linz hat hart an einer Imagekorrektur gearbeitet, das Kunstmuseum Lentos und das Ars Electronica Festival sind Zeugen davon. Nicht unwesentlich für die Neuerfindung der Stadt: Linz war im Jahr 2009 europäische Kulturhauptstadt, das Prestige wirkt bis heute nach.
Insofern spricht vieles dafür, dass sich auch St. Pölten als Kulturhauptstadt bewirbt. Neben den großen Spielstätten verfügt die Stadt über eine erlesene Kulturszene, die viel Kreativität und Herzblut beweist, wie die Initiativen im und rund um den Sonnenpark beweisen.
Allein: Die Finanzierung für das Mammutprojekt Kulturhauptstadt ist fraglich. Im Angesicht von Großveranstaltungen neigt die öffentliche Hand dazu, sich finanziell zu übernehmen. Seit der Fußball-Euro 2008 steht etwa in Klagenfurt ein sündteures Stadion, das niemand braucht.
Kurzum: Ja zur Bewerbung – aber nicht um jeden Preis. Solide Finanzierung und nachhaltige Konzepte sind Basisvoraussetzung. Schließlich will ich mir zukünftig nicht anhören müssen, wie abgewirtschaftet St. Pölten ist. Da ist mir immer noch lieber, alle Welt glaubt, St. Pölten stinkt.(JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“)