EMIL MARIO VACANO - Herzblut & Champagner
Text
Thomas Fröhlich
Ausgabe
Nach ihm ist die Vacano-Promenade im Stadtwald, dem ehemaligen Kaiserwald, benannt. Er war einer der meistgelesenen altösterreichischen Autoren und eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Heute kennt ihn beinahe niemand mehr: Emil Mario Vacano, der auch eine Zeitlang in St. Pölten lebte. Thomas Fröhlich begab sich anlässlich dessen 180. Geburtstags auf Spurensuche in nebliges Terrain.
Der Kaiserwald von St. Pölten bietet im winterlichen Nebel und bei sanftem Schneefall nicht nur für Melancholiker eine prächtige Bühne. Eine beinahe undurchdringliche Stille liegt über ihm, nur gelegentlich unterbrochen vom Knacksen eines Zweiges oder dem kaum merklichen Rauschen des Windes. Betritt man den Wald von der Stadtseite aus durch den kurzen Fußgängertunnel unter der Bahntrasse und wendet sich sogleich nach links, befindet man sich auf der Vacano-Promenade, die uns an einem Bildstock aus dem 17. Jahrhundert vorbei zum Kalvarienberg führt. Alles wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Unter „Promenade“ stellt man sich möglicherweise auch etwas anderes vor als diesen unauffälligen Waldweg, der so gar nichts Mondänes oder Glamouröses an sich hat. Im Sockel des Bildstockes findet man die später angebrachte, mittlerweile stark verwitterte Inschrift: „Hier verweilte oft und gern der Dichter Emil Mario Vacano.“
Vacano?
Den meisten sagt das wahrscheinlich gar nichts. Er scheint nicht dauerhaft in die Literaturgeschichte eingegangen zu sein – und als Ikone, mit der touristisches Kleingeld zu wechseln ist, dürfte er schon gar nicht taugen. Obwohl man nicht komplett falsch liegt, wenn man ihn – nicht nur vom Lifestyle her – ein wenig mit Oscar Wilde vergleicht. Er war auf jeden Fall ein Vielschreiber, der im Grunde jedes Genre beackerte: Satire, Biografie, Erzählung, Schauerliteratur, Zukunftsroman, religionskritisches Essay, Lustspiel, Ratgeber. Er galt (und gilt immer noch) als einer der vielgelesenen und kommerziell erfolgreichen Schriftsteller der k.u.k. Monarchie. Er war mit den unterschiedlichsten Zeitgenossen befreundet, darunter Alexander von Sacher-Masoch, Peter Rosegger, Franz Keim oder die gerüchte- und skandalumflorte Tänzerin Lola Montez, mit der er – gleichsam in Autorengemeinschaft – 1864 das Buch „Blaues Blut. Handbuch der Noblesse“ herausbrachte. Wer aber glaubt, hier einen Ratgeber für ausschließlich adeliges Geblüt vor sich zu haben, hat die Rechnung ohne Vacano gemacht. Dieser thematisierte auch „die Noblesse der Künstlerinnen, der Armut – und die Noblesse der Gauner“ (W. Setz).
Vor seiner Karriere als Schriftsteller arbeitete er unter anderem im Zirkus als Kunstreiterin (!) mit Namen Miss Corinna oder Signora Sangumeta. Zudem wurde ihm ein homoerotisches Verhältnis mit Emerich Graf von Stadion nachgesagt.
Untertags war er ein glühender Katholik, der sich mitunter auch in der Mönchskutte abbilden ließ, die Amtskirche hingegen harsch in seinem Werk „Die Gottesmörder“ kritisierte. Nachts war er diversen Frivolitäten und Pikanterien nicht abgeneigt und dafür auch bekannt und berüchtigt. Vacano selbst bezeichnete sich gerne als „Cokette und Betbruder in einer Person“ und titulierte sich als „Patriarch und Gigerl“. „In den Nächten fast frivol für das Orpheum schwärmend, am Tage im gotischen Dome in verzückter Gläubigkeit vor dem Altar kniend – so habe ich ihn selbst gesehen“, schrieb Rosegger in seinem Nachruf auf Vacano.
Beschäftigt man sich ein wenig näher mit Vacanos Leben, findet man ein paar unverrückbare Fakten und viel Fiktion vor, da er selbst ein Meister darin war, seine Biografie immer wieder ein wenig abzuändern, sich selbst gleichsam neu zu erfinden. In der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ von 1895 lesen wir unterm Eintrag „Vacano, Emil(e)“ gleich im ersten Satz: „Emil(e) Mario (eigentlich Emil Alois Ferdinand) V., in den letzten Jahren bisweilen Emil V.-Freiberg, Romanschriftsteller, geboren am 16. November 1840, während einer Reise seiner Eltern zu Schönberg an der mährisch-schlesischen Grenze, ist eine der seltsamsten Literaturgestalten des 19. Jahrhunderts“. Nach der Matura in Lemberg ging Emil(e) zum Zirkus, wo er als Seiltänzer und Kunstreiter auftrat, Letzteres sehr oft in Frauenkleidung. Allerdings war dies damals keine Seltenheit: Da man Frauen bestimmte Stunts nicht ausführen lassen wollte, steckte man gerne junge Männer, die nicht gerade über eine Schwarzeneggersche Körperlichkeit verfügten, in feminines Gewand. 1859 verließ Vacano den Zirkus und trat eine Zeit lang als Schauspieler auf, ehe er zur Literatur fand. Sein erstes Buch, „Mysterien des Welt- und Bühnen-Lebens“, in der Theater- und Zirkuswelt angesiedelt, zeigte schon jenen Schreibstil, der sein gesamtes Werk durchziehen sollte: ein leichter Tonfall und eine oft verspielte Erzählweise mit autobiografischen Einsprengseln, die scheinbar die Oberflächlichkeit feierten, bei genauerer Betrachtung jedoch durchaus in Gefühlstiefen wie auch Abgründe führten, wie etwa in seinem Schlüsselroman über Ludwig II., „König Phantasus“.
Mit Emerich Graf von Stadion, der sich ebenfalls literarisch betätigte, verband ihn eine lange Beziehung, wobei die Lesarten ihrer Freundschaft differieren. Der Historiker Wolfram Setz, der 2014 im Männerschwarm-Verlag die definitive Biografie über Vacano herausbrachte, ging zuerst von der Homosexualität des Schriftstellers aus – eine Annahme, die er im Zuge der Recherchen mehr und mehr relativierte. Geschlechtergrenzen scheinen bei Vacano eher unbestimmt und nicht so leicht fassbar zu sein. Dass ihn der männliche Körper faszinierte, kann man in vielen seiner Texte nachlesen. Und auch der eigene Körper dürfte ihm gefallen haben, wie er in „Die Kunst der Schönheit“ in charmanter Eitelkeit zugibt: Da zählt er die „acht wahrhaft schönen Männer“ auf, die er in seinem Leben gesehen habe; der letzte Name in dieser Reihe: „Emil Mario Vacano“.
Seine Bücher kamen auf jeden Fall beim Publikum an, auch wenn er sich oftmals darüber mokierte, vom heimischen Literaturbetrieb, den „Wiener Genies von eigenen Gnaden“, deren „Namen über die Wiener Ringstraße nicht hinaus klingen“, zu wenig gewürdigt zu werden.
Fallweise verließ er auch die Gestade der Donaumonarchie, um etwa in New York den weltberühmten Zirkus Barnum zu besuchen oder den „Moralischen Vorlesungen“ von Lola Montez zu lauschen.
Und gelegentlich konnte er Menschen durchaus auch vor den Kopf stoßen, wenn er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hielt. Er konstatierte dies, etwa im „Bilderbuch für Hagestolze“, mit dem Bonmot: „Ach, die Meisten von uns gehen auch zu Grunde am verbrannten … Maule.“
Von 1866 lebte er bis zum Tod seiner Mutter 1890 mit dieser in der St. Pöltner Domgasse. In späteren Jahren dürften ihm, der immer schon zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ schwankte, wirtschaftliche Probleme sowie ein massives Herzleiden das Leben bitterer gemacht haben. Seine letzten von Krankheit überschatteten Jahre verbrachte er schließlich bei einem befreundeten Maler in Karlsruhe, wo er am 9. Juni 1892 verstarb.
Was bleibt?
Sein heutiger Bekanntheitsgrad hält sich in überschaubaren Grenzen. Wie einst der Regisseur Willi Forst am Ende seiner Karriere meinte: „Mein Stil hat Pause“, so dürfte auch Vacanos leichtfüßige Herangehensweise an Kunst und Leben in diesen Tagen nur wenige inspirieren. Er war einer, der zwischen allen Stühlen saß und dessen Leben wohl mindestens so spannend war wie sein Schaffen. Im Rahmen des St. Pöltner Bürgertheaters wurde zwar vor einigen Jahren ein Dramolett von Moritz Beichl zum Thema Vacano zum Besten gegeben – doch hatte dies mit der historischen Gestalt nicht viel mehr als den Namen gemein.
Er selbst – Emil Mario, Corinna, Sangumeta – verblieb im Nebel der Literaturgeschichte und der verlorenen Erinnerungen.
Den meisten sagt das wahrscheinlich gar nichts. Er scheint nicht dauerhaft in die Literaturgeschichte eingegangen zu sein – und als Ikone, mit der touristisches Kleingeld zu wechseln ist, dürfte er schon gar nicht taugen. Obwohl man nicht komplett falsch liegt, wenn man ihn – nicht nur vom Lifestyle her – ein wenig mit Oscar Wilde vergleicht. Er war auf jeden Fall ein Vielschreiber, der im Grunde jedes Genre beackerte: Satire, Biografie, Erzählung, Schauerliteratur, Zukunftsroman, religionskritisches Essay, Lustspiel, Ratgeber. Er galt (und gilt immer noch) als einer der vielgelesenen und kommerziell erfolgreichen Schriftsteller der k.u.k. Monarchie. Er war mit den unterschiedlichsten Zeitgenossen befreundet, darunter Alexander von Sacher-Masoch, Peter Rosegger, Franz Keim oder die gerüchte- und skandalumflorte Tänzerin Lola Montez, mit der er – gleichsam in Autorengemeinschaft – 1864 das Buch „Blaues Blut. Handbuch der Noblesse“ herausbrachte. Wer aber glaubt, hier einen Ratgeber für ausschließlich adeliges Geblüt vor sich zu haben, hat die Rechnung ohne Vacano gemacht. Dieser thematisierte auch „die Noblesse der Künstlerinnen, der Armut – und die Noblesse der Gauner“ (W. Setz).
Vor seiner Karriere als Schriftsteller arbeitete er unter anderem im Zirkus als Kunstreiterin (!) mit Namen Miss Corinna oder Signora Sangumeta. Zudem wurde ihm ein homoerotisches Verhältnis mit Emerich Graf von Stadion nachgesagt.
Untertags war er ein glühender Katholik, der sich mitunter auch in der Mönchskutte abbilden ließ, die Amtskirche hingegen harsch in seinem Werk „Die Gottesmörder“ kritisierte. Nachts war er diversen Frivolitäten und Pikanterien nicht abgeneigt und dafür auch bekannt und berüchtigt. Vacano selbst bezeichnete sich gerne als „Cokette und Betbruder in einer Person“ und titulierte sich als „Patriarch und Gigerl“. „In den Nächten fast frivol für das Orpheum schwärmend, am Tage im gotischen Dome in verzückter Gläubigkeit vor dem Altar kniend – so habe ich ihn selbst gesehen“, schrieb Rosegger in seinem Nachruf auf Vacano.
Beschäftigt man sich ein wenig näher mit Vacanos Leben, findet man ein paar unverrückbare Fakten und viel Fiktion vor, da er selbst ein Meister darin war, seine Biografie immer wieder ein wenig abzuändern, sich selbst gleichsam neu zu erfinden. In der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ von 1895 lesen wir unterm Eintrag „Vacano, Emil(e)“ gleich im ersten Satz: „Emil(e) Mario (eigentlich Emil Alois Ferdinand) V., in den letzten Jahren bisweilen Emil V.-Freiberg, Romanschriftsteller, geboren am 16. November 1840, während einer Reise seiner Eltern zu Schönberg an der mährisch-schlesischen Grenze, ist eine der seltsamsten Literaturgestalten des 19. Jahrhunderts“. Nach der Matura in Lemberg ging Emil(e) zum Zirkus, wo er als Seiltänzer und Kunstreiter auftrat, Letzteres sehr oft in Frauenkleidung. Allerdings war dies damals keine Seltenheit: Da man Frauen bestimmte Stunts nicht ausführen lassen wollte, steckte man gerne junge Männer, die nicht gerade über eine Schwarzeneggersche Körperlichkeit verfügten, in feminines Gewand. 1859 verließ Vacano den Zirkus und trat eine Zeit lang als Schauspieler auf, ehe er zur Literatur fand. Sein erstes Buch, „Mysterien des Welt- und Bühnen-Lebens“, in der Theater- und Zirkuswelt angesiedelt, zeigte schon jenen Schreibstil, der sein gesamtes Werk durchziehen sollte: ein leichter Tonfall und eine oft verspielte Erzählweise mit autobiografischen Einsprengseln, die scheinbar die Oberflächlichkeit feierten, bei genauerer Betrachtung jedoch durchaus in Gefühlstiefen wie auch Abgründe führten, wie etwa in seinem Schlüsselroman über Ludwig II., „König Phantasus“.
Mit Emerich Graf von Stadion, der sich ebenfalls literarisch betätigte, verband ihn eine lange Beziehung, wobei die Lesarten ihrer Freundschaft differieren. Der Historiker Wolfram Setz, der 2014 im Männerschwarm-Verlag die definitive Biografie über Vacano herausbrachte, ging zuerst von der Homosexualität des Schriftstellers aus – eine Annahme, die er im Zuge der Recherchen mehr und mehr relativierte. Geschlechtergrenzen scheinen bei Vacano eher unbestimmt und nicht so leicht fassbar zu sein. Dass ihn der männliche Körper faszinierte, kann man in vielen seiner Texte nachlesen. Und auch der eigene Körper dürfte ihm gefallen haben, wie er in „Die Kunst der Schönheit“ in charmanter Eitelkeit zugibt: Da zählt er die „acht wahrhaft schönen Männer“ auf, die er in seinem Leben gesehen habe; der letzte Name in dieser Reihe: „Emil Mario Vacano“.
Seine Bücher kamen auf jeden Fall beim Publikum an, auch wenn er sich oftmals darüber mokierte, vom heimischen Literaturbetrieb, den „Wiener Genies von eigenen Gnaden“, deren „Namen über die Wiener Ringstraße nicht hinaus klingen“, zu wenig gewürdigt zu werden.
Fallweise verließ er auch die Gestade der Donaumonarchie, um etwa in New York den weltberühmten Zirkus Barnum zu besuchen oder den „Moralischen Vorlesungen“ von Lola Montez zu lauschen.
Und gelegentlich konnte er Menschen durchaus auch vor den Kopf stoßen, wenn er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hielt. Er konstatierte dies, etwa im „Bilderbuch für Hagestolze“, mit dem Bonmot: „Ach, die Meisten von uns gehen auch zu Grunde am verbrannten … Maule.“
Von 1866 lebte er bis zum Tod seiner Mutter 1890 mit dieser in der St. Pöltner Domgasse. In späteren Jahren dürften ihm, der immer schon zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ schwankte, wirtschaftliche Probleme sowie ein massives Herzleiden das Leben bitterer gemacht haben. Seine letzten von Krankheit überschatteten Jahre verbrachte er schließlich bei einem befreundeten Maler in Karlsruhe, wo er am 9. Juni 1892 verstarb.
Was bleibt?
Sein heutiger Bekanntheitsgrad hält sich in überschaubaren Grenzen. Wie einst der Regisseur Willi Forst am Ende seiner Karriere meinte: „Mein Stil hat Pause“, so dürfte auch Vacanos leichtfüßige Herangehensweise an Kunst und Leben in diesen Tagen nur wenige inspirieren. Er war einer, der zwischen allen Stühlen saß und dessen Leben wohl mindestens so spannend war wie sein Schaffen. Im Rahmen des St. Pöltner Bürgertheaters wurde zwar vor einigen Jahren ein Dramolett von Moritz Beichl zum Thema Vacano zum Besten gegeben – doch hatte dies mit der historischen Gestalt nicht viel mehr als den Namen gemein.
Er selbst – Emil Mario, Corinna, Sangumeta – verblieb im Nebel der Literaturgeschichte und der verlorenen Erinnerungen.
Währenddessen gehe ich im leichten Schneetreiben die Vacano-Promenade entlang – die Dämmerung setzt ein und irgendwie tät‘ ich nun gerne Pferdegetrappel und leise Zirkusmusik vernehmen. Und jemand, der, im etwas dandyhaften Stil des 19. Jahrhunderts gekleidet, neben dem Bildstock steht, wirft mir ein Bonmot zu, das mich zum Lächeln bringt.
Aber so etwas geschieht nicht. Nicht heute. Nicht einmal zur blauen Stunde.
Aber so etwas geschieht nicht. Nicht heute. Nicht einmal zur blauen Stunde.