Nachruf auf den Froschkönig
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Wir haben uns heute versammelt, um Abschied zu nehmen – vom St. Pöltner Frosch. Als solcher wurde er 1159 das erste Mal urkundlich erwähnt, ja es geht die Mär, dass er gar der älteste seiner Art überhaupt in diesen Landen sei (was allerdings auch vom Ennser Frosch behauptet wird). Wie auch immer, als so ein stinknormaler Frosch (wobei ihm das „stink“ erst in späteren Jahren, mit der Eröffnung der Glanzstoff 1906, als unschmückendes Beiwort hinzugefügt wurde), war er zwar nicht sonderlich schön, wie wohl auch nicht übermäßig hässlich. Ein typischer Traisenfrosch halt, stets ein bisserl glitschig, sprich anpassungsfähig, selten giftig, durchaus tüchtig, dennoch einem Faulenzer-Sonnenbad am Schotter nie abgeneigt, wie das halt so Art der Frösche ist. Alles in allem ein netter Zeitgenosse, der sein Leben in dem ihm zugewiesenen Biotop nach bestem Wissen und Gewissen führte, Nachkommen zeugte, die vielfach in die Welt hinausgingen und selten zurückkehrten.
So ging das Leben des St. Pöltner Frosches dahin über die Jahrhunderte, er sah andere Frösche aus anderen Landen kommen und gehen, erlebte Freud und Leid, Krieg und Frieden, blieb im Kern aber immer derselbe und war, auch wenn er sich manchmal lauthals bequakte, in Wahrheit doch recht zufrieden mit seinem Dasein. Bis ... ja bis im Jahr 1986 eine folgenschwere Entscheidung getroffen wurde. Nicht etwa vom Frosch allein, sondern von allen Fröschen des Landes gemeinsam. Sein Biotop wurde zum Hauptstadtbiotop erhoben, und er selbst sollte plötzlich nicht mehr der stinknormale Frosch sein (der er selbstverständlich war, denn wie sollte man sich von einem Tag auf den anderen ändern), sondern wurde fortan Froschkönig geheißen. Das brachte den Frosch ganz schön ins Schwitzen (obwohl das Frösche ja angeblich gar nicht können). Denn wie verhält sich so ein Froschkönig? Er wurde unsicher, suchte seine Rolle. Manchmal plusterte er sich groß auf, um den anderen zu imponieren, was diese aber nur mit Lachen quittierten. Das andere Mal wiederum suchte er Unterschlupf und machte sich so klein, als gäbe es etwas, wofür er sich hätte schämen müssen. Zugleich bestaunte er neugierig, was rings um ihn vonstatten ging, ja packte alsbald selbst mit an. Neue Gebäude schossen aus dem Boden, neue Unternehmen und Zentralen wurden errichtet, neue Frösche mit neuen Ideen und Ansichten siedelten sich an. So sehr ihn all dies anfangs geängstigt, weil überfordert hatte, so sehr fand er allmählich Spaß am lauten Getriebe. Alsbald fasste er Mut, seine eigenen Ideen zu entwickeln und, im Unterschied zu früher, sie nicht sogleich wieder zu verwerfen, „weil des jo sowieso ned funktioniert bei uns“, sondern wagemutig in die Tat umzusetzen – unter dem Applaus, nicht etwa dem Neid der anderen. Er begann der Musik in den Kulturtempeln zu lauschen, sonnte sich in den neuen Schanigärten, tauchte im Viehofner See unter oder schnupperte am frisch gerösteten Kaffee im Emmi. Er veränderte sich. So sehr, dass irgendwann das Gerücht ging, in dem normalen (sein „-stink“ hatte er mittlerweile verloren, was den Blick auf sein gar nicht so unschönes Wesen freigab) Froschkönig könnte noch mehr stecken, gar ein verzauberter Prinz von nobler Herkunft.
Und dann – was erst dieser Tage auffiel, obwohl es vielleicht schon länger der Fall ist – war er plötzlich ganz verschwunden, der Frosch. War er wachgeküsst worden durch all die Initiativen und Entwicklungen der letzten Jahre? Hatte er sich verwandelt? Diese Vermutung liegt nahe, denn an seiner statt wandelt neuerdings ein junger, durchaus adretter Prinz von heiterem Wesen und Selbstbewusstsein durch die Stadt, den freilich eine Eigenheit auszeichnet: Des Nachts, wenn er schläft, vermeint man anstatt des Schnarchens ein Quaken zu hören, dann hat der Prinz einen Frosch im Hals, sagen die Leute, was eine andere Volksweisheit bestätigen würde: Letztlich steckt in jedem Prinzen ein Frosch, und das ist eigentlich gar nicht so schlecht.
Wie auch immer. Wir sagen dir nun Adieu lieber Frosch, machs gut, wohin auch immer du gehen magst, und lass dir eines liebevoll gesagt sein: Solltest du wider Erwarten jemals wieder auftauchen, müssen wir dich leider gegen die Wand schmeißen!
So ging das Leben des St. Pöltner Frosches dahin über die Jahrhunderte, er sah andere Frösche aus anderen Landen kommen und gehen, erlebte Freud und Leid, Krieg und Frieden, blieb im Kern aber immer derselbe und war, auch wenn er sich manchmal lauthals bequakte, in Wahrheit doch recht zufrieden mit seinem Dasein. Bis ... ja bis im Jahr 1986 eine folgenschwere Entscheidung getroffen wurde. Nicht etwa vom Frosch allein, sondern von allen Fröschen des Landes gemeinsam. Sein Biotop wurde zum Hauptstadtbiotop erhoben, und er selbst sollte plötzlich nicht mehr der stinknormale Frosch sein (der er selbstverständlich war, denn wie sollte man sich von einem Tag auf den anderen ändern), sondern wurde fortan Froschkönig geheißen. Das brachte den Frosch ganz schön ins Schwitzen (obwohl das Frösche ja angeblich gar nicht können). Denn wie verhält sich so ein Froschkönig? Er wurde unsicher, suchte seine Rolle. Manchmal plusterte er sich groß auf, um den anderen zu imponieren, was diese aber nur mit Lachen quittierten. Das andere Mal wiederum suchte er Unterschlupf und machte sich so klein, als gäbe es etwas, wofür er sich hätte schämen müssen. Zugleich bestaunte er neugierig, was rings um ihn vonstatten ging, ja packte alsbald selbst mit an. Neue Gebäude schossen aus dem Boden, neue Unternehmen und Zentralen wurden errichtet, neue Frösche mit neuen Ideen und Ansichten siedelten sich an. So sehr ihn all dies anfangs geängstigt, weil überfordert hatte, so sehr fand er allmählich Spaß am lauten Getriebe. Alsbald fasste er Mut, seine eigenen Ideen zu entwickeln und, im Unterschied zu früher, sie nicht sogleich wieder zu verwerfen, „weil des jo sowieso ned funktioniert bei uns“, sondern wagemutig in die Tat umzusetzen – unter dem Applaus, nicht etwa dem Neid der anderen. Er begann der Musik in den Kulturtempeln zu lauschen, sonnte sich in den neuen Schanigärten, tauchte im Viehofner See unter oder schnupperte am frisch gerösteten Kaffee im Emmi. Er veränderte sich. So sehr, dass irgendwann das Gerücht ging, in dem normalen (sein „-stink“ hatte er mittlerweile verloren, was den Blick auf sein gar nicht so unschönes Wesen freigab) Froschkönig könnte noch mehr stecken, gar ein verzauberter Prinz von nobler Herkunft.
Und dann – was erst dieser Tage auffiel, obwohl es vielleicht schon länger der Fall ist – war er plötzlich ganz verschwunden, der Frosch. War er wachgeküsst worden durch all die Initiativen und Entwicklungen der letzten Jahre? Hatte er sich verwandelt? Diese Vermutung liegt nahe, denn an seiner statt wandelt neuerdings ein junger, durchaus adretter Prinz von heiterem Wesen und Selbstbewusstsein durch die Stadt, den freilich eine Eigenheit auszeichnet: Des Nachts, wenn er schläft, vermeint man anstatt des Schnarchens ein Quaken zu hören, dann hat der Prinz einen Frosch im Hals, sagen die Leute, was eine andere Volksweisheit bestätigen würde: Letztlich steckt in jedem Prinzen ein Frosch, und das ist eigentlich gar nicht so schlecht.
Wie auch immer. Wir sagen dir nun Adieu lieber Frosch, machs gut, wohin auch immer du gehen magst, und lass dir eines liebevoll gesagt sein: Solltest du wider Erwarten jemals wieder auftauchen, müssen wir dich leider gegen die Wand schmeißen!