Klimaneutral voraus
Text
Sascha Harold
Ausgabe
Der EU-Klimapfad sieht vor, dass die Länder der Union bis 2050 Klimaneutralität erreicht haben. Auch Österreich hat sich diesem Ziel verpflichtet. Wie sieht die Umsetzung in Betrieben aus dem St. Pöltner Umland aus?
Die Vorgaben scheinen klar: Bereits 2019 beschloss der EU-Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder, dass die EU bis 2050 Klimaneutralität erreichen solle. Ein Jahr später wurde noch ein Zwischenziel ergänzt, bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen demnach um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Das damit vorgegebene allgemeine Ziel soll in Österreich durch den Nationalen Energie- und Klimaplan auf den Boden gebracht werden, der bis zum Juni 2024 an die Europäische Kommission übermittelt werden muss. Im aktuellen gut 250 Seiten starken Entwurf werden Teilziele definiert, Szenarien durchgerechnet und Folgeabschätzungen getroffen. Selbst bei Umsetzung der skizzierten Maßnahmen fehlen zum Klimaziel der EU noch 13 Prozentpunkte. Ob bis Juni ein Entwurf übermittelt werden kann, der zumindest auf dem Papier die notwendigen Einsparungen zeigt, ist derzeit fraglich. Doch was heißen die Zahlenspiele konkret für Unternehmen und im Speziellen die Industrie? Wie läuft die Abstimmung zwischen Politik und Wirtschaft und welche konkreten Maßnahmen wurden und werden in den St. Pöltner Betrieben aktuell umgesetzt?
Bekenntnis zu Klimazielen
Zum grundsätzlichen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekennen sich alle befragten Unternehmen der Region. Bei der Egger Holzwerkstoffe GmbH klingt das etwa so: „EGGER verfolgt eine ambitionierte, zukunftsweisende Klimastrategie zur Reduktion des gruppenweiten CO2-Fußabdrucks. Der Holzwerkstoffhersteller bekennt sich klar zum Net Zero Ziel bis 2050.“ Auf dem Weg dorthin habe man sich außerdem entsprechende Milestones gesetzt, heißt es aus dem Unternehmen weiter. Als Beispiel für die Bemühungen wird u. a. die technische Umrüstung am Standort Unterradlberg genannt. Dort habe man nach einem Jahr Bauzeit und einer Investition von rund fünf Millionen Euro einen neuen Wärmetauscher installiert, der die Produktion ohne den Einsatz von Erdgas ermöglicht. „Mit dieser Investition sind wir einen weiteren Schritt hin zu einer nachhaltigen Zukunft gegangen. Wir sind stolz, dass wir unseren Wärme- und Strombedarf nun fast zur Gänze durch erneuerbare Energiequellen decken und dadurch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können“, so Martin Wurzl, Werksleiter Technik/Produktion.
Auch beim Sanitärtechnik-Unternehmen Geberit, das ein Produktionswerk in Pottenbrunn betreibt, sieht man sich in punkto Nachhaltigkeit in einer Vorreiterrolle: „Bereits 1990 hat Geberit eine erste Umweltstrategie erstellt und konkrete Maßnahmen umgesetzt. Diese Strategie wurde mit den Jahren schrittweise zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie ausgebaut“, so Helmut Schwarzl, Geschäftsführer der Produktionsgesellschaft in Pottenbrunn. Das Thema wird dabei umfassend und nicht bloß auf die Zahl der Treibhausgasemissionen reduziert betrachtet. Kreislaufwirtschaft und „Ecodesign“ werden bei Geberit hervorgehoben. „Ein wesentlicher Beitrag von Geberit zur Kreislaufwirtschaft besteht deshalb darin, dank hochwertiger Materialien und strengen Qualitätsanforderungen eine möglichst lange Produktlebensdauer zu erreichen“, erläutert Schwarzl. Mit dem Ecodesign-Prinzip meine man, dass jedes Produkt ökologisch besser sein müsse als sein Vorgänger, ohne dabei Einbußen bei Qualität oder Funktionalität zu erleiden. Bei den Emissionszielen sieht sich das Unternehmen im Plan: „Im Jahr 2023 sanken die absoluten CO2-Emissionen der gesamten Geberit Gruppe im Vergleich zum Vorjahr um 19,6 % auf 121.014 Tonnen. Seit der Übernahme der energieintensiven Keramikproduktion mit zahlreichen europäischen Produktionsstandorten im Jahr 2015, nahmen die relativen CO2-Emissionen (CO2-Emissionen im Verhältnis zum währungsbereinigten Nettoumsatz) sogar um 63,2 % ab. Diese substanzielle Abnahme resultiert aus der Reduktion des Energieverbrauchs, der Erhöhung der Effizienz sowie aus dem gezielten Zukauf von hochwertigen erneuerbaren Energieträgern“, fasst Schwarzl zusammen. Bis 2035 will die Geberit Gruppe die relativen CO2-Emissionen gegenüber 2015 um 80 Prozent reduzieren.
Politik gefordert
Ähnlich umfassend sieht man es beim Hersteller von EPS-Kunststoffen sunpor mit Standorten in Stattersdorf und Radlberg. Man nehme als Unternehmen seine Verantwortung ernst und setze aktive Schritte um ökologische und soziale Nachhaltigkeit umzusetzen. Auch wenn die produzierten EPS-Granulate (Expandiertes Polystyrol) Rohstoffe aus der Erdölkette sind, werden sie zum Beispiel in der Dämmung von Gebäuden eingesetzt und spielen damit eine wichtige Rolle bei der Senkung des Energiebedarfs. Weil EPS bis zu 100% recyclingfähig sei, sieht das Unternehmen die Zukunft in einer geschlossenen EPS-Kreislaufwirtschaft. Die Politik sei gefordert, Rahmenbedingungen für nachhaltige, leistbare Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel zu setzen. Um die EU-Klimaziele zu erreichen, brauche es gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten, heißt es seitens sunpor weiter.
Konkreter wird Thomas Salzer, Geschäftsführer der Salzergruppe, die in den Bereichen Papier, Formteile und Service in St. Pölten tätig ist. „Es hakt an einem realistischen Blick unter dem Aspekt, was ist tatsächlich machbar, gibt es die Ressourcen, um den Wandel zu schaffen und sind wir dann noch wettbewerbsfähig. Es hilft wenig, wenn die EU global das Tempo vorgibt, alle andern zusehen und sich die Hände reiben, weil die Industrie in der EU gegen die Wand gefahren wird“, meint der Geschäftsführer. Sich häufig ändernde Vorgaben und Ziele machen es zudem schwer, langfristig zu planen, so Salzer weiter. Im Unternehmen will man das EU-Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 erreichen, zuletzt hat man mit dem Bau eines Kraftwerks begonnen: „Zwei der Unternehmen der Gruppe – Papier und Formtech – sind energieintensiv und benötigen Dampf für den Produktionsprozess. Durch den Bau der Bio-KWK, ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk, wo Strom und Wärme genutzt werden können, durch die EVN am Standort Salzer, kann ein Großteil der CO2-Emissionen der Produktion in Zukunft vermieden werden.“ Investitionskosten: rund 50 Millionen Euro.
Großteils Einigkeit über Ziele
Und wie läuft die Umsetzung der Klimaziele auf politischer Ebene? In der Stadt St. Pölten hat man kürzlich die Klimakoordinationsstelle (KlimaK) eingerichtet, die einerseits Klimakompetenzen im Magistrat bündeln, andererseits aber auch den Austausch zwischen Stadt und Vereinen und Wirtschaftstreibenden forcieren soll. Aufseiten der Betriebe sehe man bei der KlimaK derzeit vorsichtig positive Stimmung: „Diese Stimmung wollen wir natürlich aufnehmen und für unsere Vorhaben bestmöglich verwerten. Unsere Türen stehen jedenfalls für einen Ideenaustausch offen, erklärt der Leiter der KlimaK Franz Gruber, der ergänzt: „Das Thema Klimakrise ist natürlich ein heikles. Dennoch gibt es zahlreiche Bemühungen, auch von unseren Wirtschaftstreibenden. Es gilt nun diese Bemühungen zu bündeln und in Taten umzusetzen. Bisher hakte es daran, dass es für diese Anliegen keine Anlaufstelle gab, diese wollen wir nun bieten.
Aufseiten der politischen Fraktionen im St. Pöltner Gemeinderat findet man unterschiedliche Perspektiven. Von der grünen Stadträtin Christina Engel-Unterberger gibt es grundsätzlich Lob für die Einrichtung der KlimaK, andere Projekte der Stadt lehnt sie allerdings ab: „Mit Sorge und Befremden sehen wir jedoch, dass die Stadt und insbesondere die mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ weiterhin Lobbyarbeit für umstrittene Großprojekte wie die S34 und ein REWE-Logistikzentrum im Süden der Stadt betreiben“, so Engel-Unterberger. Diese Projekte seien das diametrale Gegenteil von Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Angesprochen auf die Industrie hebt die Stadträtin die Investitionen des Bundes für deren klimafreundlichen Umbau hervor, auf Landesebene sieht Engel-Unterberger jedoch noch Herausforderungen beim Netzausbau und der Netzstabilität, die beide notwendig seien, um die Energiewende auszurollen. Der Kritik an solchen Großprojekten schließt sich NEOS-Gemeinderat Niko Formanek an. „Der Klimapfad der EU führt derzeit defacto in ein klimapolitisches Nichts. Vor allem, solange es keine wirklichen harten negativen Konsequenzen für massiv klimaschädliches Verhalten gibt.“ Projekte wie die S34 oder das REWE-Logistikzentrum, die klare klimaschädliche Risiken hätten, müssten harte juristische Konsequenzen haben, so Formanek.
Uneinigkeit über Prioritäten
Die Kritik von FPÖ-Stadtrat Klaus Otzelberger richtet sich gegen einen „vorherrschenden Klima-Extremismus“, den er unter anderem an dem raschen Ausstieg aus russischem Gas festmacht: „Unser Zugang zum Umweltschutz geht mit Hausverstand und ermöglicht es, dass wir den Wohlstand der Bevölkerung erhalten. Derzeit braucht es weiterhin billiges russisches Gas, eine Technologieoffensive, etwa zur Bindung von CO2 in tiefen Gesteinsschichten, eine ehrliche Diskussion über heimische Gasquellen und einen Ausbau der erneuerbaren Energien“, so Otzelberger. Vizebürgermeister Matthias Adl, ÖVP, streicht hervor, dass den Diskussionen auf europäischer Ebene nun Taten folgen müssen. „Dass Klimaschutz mittlerweile ein wichtiger Punkt auf der Agenda der EU ist, ist ein wichtiger Schritt der letzten fünf Jahre, vor allem wenn man sieht, wie manche rechtspopulistischen Parteien den Klimawandel runterspielen. Eines ist aber auch klar: Mit Überregulierungen, die teilweise sinnlos sind, wird der Klimawandel nicht aufgehalten“, so Adl. Mehr investiert werden solle in die Erforschung klimaneutraler Treibstoffe, anstatt den Verbrennungsmotor kurzfristig zu verbieten, so der Vizebürgermeister weiter. „Wie man aktuell an den Problemen mit der Verwertung alter Elektroautos sieht, ist es angebracht, die Nutzung von anderen alternativen Treibstoffen wie etwa Wasserstoff zu forcieren“, fasst Adl zusammen. SPÖ-Vizebürgermeister Harald Ludwig zieht in Zweifel, wie ernst es der Regierung mit dem Klimaschutz wirklich ist: „Die aktuelle Österreichische Bundesregierung einigte sich bislang noch nicht einmal zu einer Aktualisierung eines bundesweit gültigen Klimaschutzgesetzes. Die alte Fassung galt bis Ende 2020, seither fehlt die Neuauflage. Ein Strafverfahren durch die EU ist daher wahrscheinlich.“ Dieses Klimaschutzgesetz sei notwendig, damit die Stadt sich an den Vorgaben orientieren kann. Genügt der Pfad, den die Stadt St. Pölten bisher beschreitet? Ludwig: „St. Pölten ist Pionierstadt und hat sich innerhalb dieses Programmes auch dazu verpflichtet eine CO2-Bilanzierung zu erstellen. Bislang fehlen hier noch die Spielregeln seitens des Umweltbundesamtes. Die KlimaK arbeitet jedenfalls bereits fieberhaft daran, diesen Spielregeln dann zu entsprechen.“ Erst danach könne man CO2-Absenkpfade beschreiten.
Wer sich in den Unternehmen der Region umhört, erkennt deutliche Anzeichen für das Bestreben zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Auch messbare Ziele werden in den Betrieben großteils definiert, auch wenn die Rechenwege hinter etwaigen CO2-Reduktionen nicht immer ganz klar sind. Auf politischer Ebene kann die Einrichtung der KlimaK als positives Signal gedeutet werden, inwieweit die Koordinationsstelle zu mehr Nachhaltigkeit führt, wird man allerdings erst nach einiger Zeit bewerten können. Problematisch ist jedenfalls, dass der aktuell eingereichte nationale Energie- und Klimaplan des Bundes das Ziel der EU schon auf dem Papier verfehlt. Das bietet für die Umsetzung in der Praxis wenig Grund zu Optimismus.