Der Flaneur zwischen den Welten
Text
Thomas Fröhlich
Ausgabe
Kaum ein zeitgenössischer bildender Künstler ist in St. Pölten dermaßen präsent wie Walter Berger. Sei es durch seine Werke im öffentlichen Raum, sei es durch seine Person selbst, die im Flanieren gleichsam Stadtarchäologie betreibt, sei es mittels seiner Bilder und Fotos in der aktuellen Ausstellung „Einblicke“ im NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst (DOK). Berger legt eine Vielseitigkeit an den Tag, die mitunter schon unheimlich wirkt. Thomas Fröhlich hat da einen Verdacht.
„While he spoke, so profound was the stillness that one might have heard a pin dropping upon the floor.” (Aus: “William Wilson” von Edgar A. Poe)
Der Schreiber dieser Zeilen gibt zu: Er ist befangen. Er kennt Walter Berger ja schon länger. Oder, um genau zu sein: beide Bergers. Und umgekehrt.
Was das jetzt soll? Mit volltrunkener Doppelsichtigkeit hat das nichts zu tun. Vielmehr lief man einander vor Jahren schon in Wien regelmäßig über den Weg, ob am Naschmarkt oder im WUK, ohne jedoch eine Ahnung zu haben, wer der andere war. Dann verlegte der Schreiber seinen Hauptwohnsitz nach St. Pölten (ohne Wien ganz untreu zu werden) – und traf da ebenso regelmäßig auf jemanden, der dem Vom-Sehen-Bekannten in Wien verdammt ähnlich sah. Wie ein Doppelgänger. Walter Berger dachte Gleiches vice versa. Irgendwann beschloss man, sich vorzustellen und einander die g’spaßige Mär vom jeweiligen verblüffend ähnlich aussehenden Gegenüber aus Wien zu erzählen – nur um drauf zu kommen, dass beide eben in St. Pölten und Wien lebten. Kein Doppelgänger-Mysterium, sondern ein way of life, der zwei Städte umfasst.
Als „archäologische Spurensicherung der Gegenwart“ beschreibt Carl Aigner, Direktor des Landesmuseums Niederösterreich, Bergers Herangehensweise in der Einführungsrede zur Eröffnung der Doppel-Ausstellung Walter Berger: Einblicke / Fritz Ruprechter: Genaue Ungenauigkeiten. Aigner weist dabei im Besonderen auf die vor einigen Jahren von Berger in Rom geschossene Pantheon-Fotoserie sowie auf die fotografische Dokumentation der vor wenigen Monaten stattgefundenen Sprengung des Glanzstoff-Schlotes hin. „Wahnsinnig schade darum“, meint Berger zum Schlotabriss. „Das wäre ein wunderbares Industriedenkmal gewesen.“
Fragen von Perspektiven und Perspektivenwechsel durchziehen sein Werk, das neben den erwähnten Fotografien auch die – ebenfalls im DOK zu betrachtenden – großformatigen in Drippingtechnik hergestellten Rotationsbilder umfasst, die, wie es eine Besucherin so treffend ausdrückte, „einen komplett reinziehen.“ „Es ist eine weiterentwickelte Technik, die Max Ernst einst Jackson Pollock empfohlen hat“, erklärt der Künstler. „Wenn man ein Farbgefäß an drei Fäden aufhängt, kann man die verschiedensten Resultate erzielen. Ich hänge also Farbflaschen an die Fäden – es dürfen aber auch Ketten sein, da jedes Material zu einem anderen Ergebnis führt – und lasse über eine Düse Farbe auf die darunter liegende Leinwand aus. Ich setze die Flasche in Bewegung – und habe dann eine Aufzeichnung dieser Bewegung, bei der auch das Element Geschwindigkeit eine wesentliche Rolle spielt.“ Wie auch der Zufall, der aber durch Bergers penible Vorarbeiten so zufällig gar nicht ist. Eine formale Ähnlichkeit mit den Doppelspiralnebeln im Kosmos habe sich da ergeben. Auch ein Zufall?
Schließlich gehe es Berger darum, Wahrnehmungskonditionierungen aufzubrechen. Nach dem Motto: Was nehme ich, wenn ich wahrnehme?
Bergers erste eigene Wahrnehmungen begannen auf jeden Fall im Jahr 1951 in St. Pölten. Von 1975 bis 1981 besuchte er die Hochschule für angewandte Kunst in Wien. 1979 eröffnete er seine erste große Einzelausstellung im NÖ Landesmuseum, das sich damals noch in Wien befand. Zahlreiche weitere Einzel- und auch Gruppenausstellungen sollten ihn bis nach St. Petersburg führen. Mental durchaus ein Weltbürger im klassischen Sinne, ein Reisender auch um des Reisens willen, sollten seine beiden Ankerpunkte Wien und St. Pölten bleiben: in Wien sein Atelier im WUK, in St. Pölten sein Wohnsitz. Vergleichen könne man die Städte aber nicht. „Wien ist Österreichs einzige Großstadt“, meint Berger, „und St. Pölten leidet leider unter permanenter Behübschung – jede Fußgängerzone wird mit Betonblumentrögen verschandelt.“ Und er ergänzt: „Genauso wie die Südseite des Bahnhofs. Furchtbar!“ Berger ist durchaus jemand, der sich offenen Auges durch die Stadt bewegt.
Und so unterschiedlich wie seine – großteils in Städten gewonnen – Inspirationen fallen auch seine Kunstwerke aus. Neben seinen großflächigen Bildern einerseits und intimen Fotografien andererseits ist Berger auch im öffentlichen Raum umtriebig: etwa als Schöpfer des Radnetzes Y Nr. 1 in der St. Pöltner Marktgasse (als Spinnennetz bezeichnet) oder als Gestalter der Römischen Wand im Café Schubert. Und dann wäre da noch das „Foyer des Flaneurs“ im KWI-Haus in der Fuhrmannsgasse. Zudem macht es Freude, Berger zuzuhören, wenn er begeistert von seinen Eindrücken erzählt, die dann – transformiert – in seinen Werken Einzug finden.
Was wiederum mit dem vorhin schon genannten Flaneur zu tun hat: Aigner weist nicht zu Unrecht auf diesen Begriff hin, der auch Berger gut charakterisiert. Aus dem 19. Jahrhundert stammend, bezeichnet Flanieren eine nicht zielgerichtete Bewegung durch ein städtisches Umfeld. Der Flaneur liest den öffentlichen Raum gleichsam wie ein Buch, von dem er nie weiß, wie es ausgeht. Vielfach wird der Flaneur auch gerne mit dem Dandy gleichgesetzt, was aber von einigen – nicht nur von Berger selbst – abgelehnt wird. Obwohl man ihm ein leicht dandyhaftes Verhalten nicht absprechen kann. Und das nicht nur aufgrund seiner Bekleidungskultur, die dem Anzug, selbst beim Radfahren, immer noch Priorität einräumt, und die wohl die Antithese zur Jogginghosen-Erbärmlichkeit dieser Tage darstellt. Doch auch wenn er es durchaus schätzt, sich selbst zu inszenieren (mitunter als sichtbaren Teil seines von ihm selbst geschaffenen Werkes), geht es ihm vielmehr um das Erkennen und Offenbaren von Zusammenhängen, um Erfahrungsebenen, die sich dem durch die Straßen hastenden und den Blick womöglich starr aufs Handy – als Hirn-GPS? – gerichteten Zeitgenossen verschließen.
Denn auch Erfahrung lebt von der Perspektive. Und deren Wechsel. Oder wie es der Philosoph Walter Benjamin vor Jahrzehnten recht poetisch formuliert hat: „Die Menge ist der Schleier, durch den hindurch dem Flaneur die gewohnte Stadt als Phantasmagorie winkt. In ihr ist sie bald Landschaft, bald Stube.“
Und dabei erweckt Berger so ganz und gar nicht den Eindruck des in sich gekehrten, versponnenen Künstlers. Vielmehr wie einer, der auch gern und oft anpackt und Elfenbeintürme eher von außen kennt. Bei der Ausstellungseröffnung fällt bezüglich Bergers Persönlichkeit u. a. die Bezeichnung „handfest“: Und das stellt im Grunde ein sehr schönes Kompliment dar. So vielgestaltig die Facetten von Bergers bisherigem Gesamtwerk schillern, fragt man sich allerdings mitunter, ob das alles wirklich von einem Menschen stammt. Oder ob die Idee mit dem Doppelgänger vielleicht doch gar nicht so abwegig ist.
Der Schreiber dieser Zeilen gibt zu: Er ist befangen. Er kennt Walter Berger ja schon länger. Oder, um genau zu sein: beide Bergers. Und umgekehrt.
Was das jetzt soll? Mit volltrunkener Doppelsichtigkeit hat das nichts zu tun. Vielmehr lief man einander vor Jahren schon in Wien regelmäßig über den Weg, ob am Naschmarkt oder im WUK, ohne jedoch eine Ahnung zu haben, wer der andere war. Dann verlegte der Schreiber seinen Hauptwohnsitz nach St. Pölten (ohne Wien ganz untreu zu werden) – und traf da ebenso regelmäßig auf jemanden, der dem Vom-Sehen-Bekannten in Wien verdammt ähnlich sah. Wie ein Doppelgänger. Walter Berger dachte Gleiches vice versa. Irgendwann beschloss man, sich vorzustellen und einander die g’spaßige Mär vom jeweiligen verblüffend ähnlich aussehenden Gegenüber aus Wien zu erzählen – nur um drauf zu kommen, dass beide eben in St. Pölten und Wien lebten. Kein Doppelgänger-Mysterium, sondern ein way of life, der zwei Städte umfasst.
Als „archäologische Spurensicherung der Gegenwart“ beschreibt Carl Aigner, Direktor des Landesmuseums Niederösterreich, Bergers Herangehensweise in der Einführungsrede zur Eröffnung der Doppel-Ausstellung Walter Berger: Einblicke / Fritz Ruprechter: Genaue Ungenauigkeiten. Aigner weist dabei im Besonderen auf die vor einigen Jahren von Berger in Rom geschossene Pantheon-Fotoserie sowie auf die fotografische Dokumentation der vor wenigen Monaten stattgefundenen Sprengung des Glanzstoff-Schlotes hin. „Wahnsinnig schade darum“, meint Berger zum Schlotabriss. „Das wäre ein wunderbares Industriedenkmal gewesen.“
Fragen von Perspektiven und Perspektivenwechsel durchziehen sein Werk, das neben den erwähnten Fotografien auch die – ebenfalls im DOK zu betrachtenden – großformatigen in Drippingtechnik hergestellten Rotationsbilder umfasst, die, wie es eine Besucherin so treffend ausdrückte, „einen komplett reinziehen.“ „Es ist eine weiterentwickelte Technik, die Max Ernst einst Jackson Pollock empfohlen hat“, erklärt der Künstler. „Wenn man ein Farbgefäß an drei Fäden aufhängt, kann man die verschiedensten Resultate erzielen. Ich hänge also Farbflaschen an die Fäden – es dürfen aber auch Ketten sein, da jedes Material zu einem anderen Ergebnis führt – und lasse über eine Düse Farbe auf die darunter liegende Leinwand aus. Ich setze die Flasche in Bewegung – und habe dann eine Aufzeichnung dieser Bewegung, bei der auch das Element Geschwindigkeit eine wesentliche Rolle spielt.“ Wie auch der Zufall, der aber durch Bergers penible Vorarbeiten so zufällig gar nicht ist. Eine formale Ähnlichkeit mit den Doppelspiralnebeln im Kosmos habe sich da ergeben. Auch ein Zufall?
Schließlich gehe es Berger darum, Wahrnehmungskonditionierungen aufzubrechen. Nach dem Motto: Was nehme ich, wenn ich wahrnehme?
Bergers erste eigene Wahrnehmungen begannen auf jeden Fall im Jahr 1951 in St. Pölten. Von 1975 bis 1981 besuchte er die Hochschule für angewandte Kunst in Wien. 1979 eröffnete er seine erste große Einzelausstellung im NÖ Landesmuseum, das sich damals noch in Wien befand. Zahlreiche weitere Einzel- und auch Gruppenausstellungen sollten ihn bis nach St. Petersburg führen. Mental durchaus ein Weltbürger im klassischen Sinne, ein Reisender auch um des Reisens willen, sollten seine beiden Ankerpunkte Wien und St. Pölten bleiben: in Wien sein Atelier im WUK, in St. Pölten sein Wohnsitz. Vergleichen könne man die Städte aber nicht. „Wien ist Österreichs einzige Großstadt“, meint Berger, „und St. Pölten leidet leider unter permanenter Behübschung – jede Fußgängerzone wird mit Betonblumentrögen verschandelt.“ Und er ergänzt: „Genauso wie die Südseite des Bahnhofs. Furchtbar!“ Berger ist durchaus jemand, der sich offenen Auges durch die Stadt bewegt.
Und so unterschiedlich wie seine – großteils in Städten gewonnen – Inspirationen fallen auch seine Kunstwerke aus. Neben seinen großflächigen Bildern einerseits und intimen Fotografien andererseits ist Berger auch im öffentlichen Raum umtriebig: etwa als Schöpfer des Radnetzes Y Nr. 1 in der St. Pöltner Marktgasse (als Spinnennetz bezeichnet) oder als Gestalter der Römischen Wand im Café Schubert. Und dann wäre da noch das „Foyer des Flaneurs“ im KWI-Haus in der Fuhrmannsgasse. Zudem macht es Freude, Berger zuzuhören, wenn er begeistert von seinen Eindrücken erzählt, die dann – transformiert – in seinen Werken Einzug finden.
Was wiederum mit dem vorhin schon genannten Flaneur zu tun hat: Aigner weist nicht zu Unrecht auf diesen Begriff hin, der auch Berger gut charakterisiert. Aus dem 19. Jahrhundert stammend, bezeichnet Flanieren eine nicht zielgerichtete Bewegung durch ein städtisches Umfeld. Der Flaneur liest den öffentlichen Raum gleichsam wie ein Buch, von dem er nie weiß, wie es ausgeht. Vielfach wird der Flaneur auch gerne mit dem Dandy gleichgesetzt, was aber von einigen – nicht nur von Berger selbst – abgelehnt wird. Obwohl man ihm ein leicht dandyhaftes Verhalten nicht absprechen kann. Und das nicht nur aufgrund seiner Bekleidungskultur, die dem Anzug, selbst beim Radfahren, immer noch Priorität einräumt, und die wohl die Antithese zur Jogginghosen-Erbärmlichkeit dieser Tage darstellt. Doch auch wenn er es durchaus schätzt, sich selbst zu inszenieren (mitunter als sichtbaren Teil seines von ihm selbst geschaffenen Werkes), geht es ihm vielmehr um das Erkennen und Offenbaren von Zusammenhängen, um Erfahrungsebenen, die sich dem durch die Straßen hastenden und den Blick womöglich starr aufs Handy – als Hirn-GPS? – gerichteten Zeitgenossen verschließen.
Denn auch Erfahrung lebt von der Perspektive. Und deren Wechsel. Oder wie es der Philosoph Walter Benjamin vor Jahrzehnten recht poetisch formuliert hat: „Die Menge ist der Schleier, durch den hindurch dem Flaneur die gewohnte Stadt als Phantasmagorie winkt. In ihr ist sie bald Landschaft, bald Stube.“
Und dabei erweckt Berger so ganz und gar nicht den Eindruck des in sich gekehrten, versponnenen Künstlers. Vielmehr wie einer, der auch gern und oft anpackt und Elfenbeintürme eher von außen kennt. Bei der Ausstellungseröffnung fällt bezüglich Bergers Persönlichkeit u. a. die Bezeichnung „handfest“: Und das stellt im Grunde ein sehr schönes Kompliment dar. So vielgestaltig die Facetten von Bergers bisherigem Gesamtwerk schillern, fragt man sich allerdings mitunter, ob das alles wirklich von einem Menschen stammt. Oder ob die Idee mit dem Doppelgänger vielleicht doch gar nicht so abwegig ist.