Eine kolumbianische Rhapsodie
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Andrés Orozco-Estrada: Was für ein Name! Ab 2009 wird er unverwechselbar mit den Tonkünstlern Niederösterreich in Verbindung gebracht werden. Dann tritt der gebürtige Kolumbianer nämlich seinen Posten als neuer Chefdirigent des Orchesters an. Wir trafen den Maestro auf der Durchreise im Wiener Café Museum: Aus Kolumbien kommend war er gerade für vier Tage in seiner Zweitheimat Wien, tags darauf ging es schon wieder ab nach Zürich – ein Dirigentenleben.
Sie kommen aus Kolumbien, Medellin – das assoziieren hierzulande viele noch immer mit Drogenkartellen und Escobar. Haben Sie das als Kind mitbekommen?
Während meiner Kindheit, ich bin 1977 geboren, war wohl die schlimmste Phase. Es verging kein Tag, an dem nicht jemand getötet wurde auf der Straße. Es herrschte stete Angst vor Anschlägen – und die konnten überall passieren. Es machte sich so etwas wie Paranoia breit, man ging nur mehr fort, wenn man musste. Und nachdem Escobar auf jeden getöteten Polizisten ein Kopfgeld von 300 Dollar ausgesetzt hatte, hielten alle einen Respektabstand von Polizisten.
Wie stellt sich die Situation heute dar?
Die Drogenkartelle bestehen nach wie vor und wird es wohl solange geben, wie Bedarf nach Drogen gegeben ist. Aber sie arbeiten heute mehr im Untergrund, tragen ihren Reichtum nicht mehr so exzessiv zur Schau wie früher, als es vorkam, dass sich einer eine Garage aus purem Gold bauen ließ.
Das Militär ist sehr stark, die Ökonomie extrem unsicher, die Korruption groß. Es gibt einen extremen Unterschied zwischen arm und reich, und während Lateinamerika derzeit sehr nach links geht, sind wir wirtschaftlich fast gänzlich auf die USA ausgerichtet.
Und die Guerillas, die ja vor ein paar Wochen zwei verschleppte Geiseln freigelassen haben?
Pflanzen heute selbst Drogen an und kassieren von den Kartellen Geld dafür. Eine soziale Armee, wie in ihrem Ursprungsgedanken, waren sie vielleicht in den 60’ern. Seit der Revolution sind sie selbst korrumpiert.
Andererseits ist Kolumbien ein Traumland! Die Menschen sind sehr lieb, die Frauen ausgesprochen hübsch, und wir haben – können Sie sich das vorstellen - 360 verschiedene Sorten Obst! Letztlich liebt man einfach das Land, wo man geboren ist.
Sie kehren ja auch regelmäßig zurück – die Bande müssen also groß sein. Wie sind Sie eigentlich aufgewachsen?
Mit meiner Mutter in einer kleinen Wohnung. Sie ist eine sehr starke, unabhängige Frau, wie alle Damen in unserer Familie. In meinem alten Zimmer hat sie jetzt lauter Fotos und Zeitungsausschnitte von mir aufgehängt – (lacht) das ist schrecklich.
Sie ist halt sehr stolz auf ihren Sohn. Waren Sie musikalisch „vorbelastet“?
In der Form nicht. Aber Musik hat in meiner Familie schon eine Rolle gespielt, allerdings eher Volksmusik, mit viel Rhythmus, Trommeln, Gitarren. Mein Onkel hat in einer Band gespielt. Als kleiner Bub hat er mir eine Trommel geschenkt, die ich stundenlang bearbeitet hab. Meine Mutter und er haben erkannt, welche Freude mir das bereitet und dass ich auch Talent habe. Als meine Mutter dann in einer Zeitung eine Annonce einer Privatschule, eine Art Musikgymnasium, gelesen hat, hat sie mich hingebracht, und ich hab die Aufnahmeprüfung bestanden.
Sie kommen ja aus armen Verhältnissen. Wie konnte sich die Mutter die Ausbildung und das Studium leisten?
Auch Dank eines Förderprogrammes des Staates, der junge Musiktalente unterstützt hat. Das Studium war jedenfalls jeden Cent wert, ich habe eine solide Basis bekommen. Ich habe Geige begonnen, im Chor gesungen, Musikgeschichte gelernt, Harmonielehre und natürlich Orchesterspiel. Es hat viel Spaß gemacht, und es war da auch nie Druck von zuhause, dass ich ein kleiner Mozart werden muss!
Auf dessen Spuren wandeln Sie aber quasi, immerhin hat es Sie nach Wien verschlagen? Wie ist das gekommen?
Ich hab natürlich auch über Wien gelernt, von seinem guten Ruf erfahren, den hervorragenden Dirigenten, die hier gewirkt haben – das hat mich fasziniert. Nach der Matura wollte ich Dirigent werden, bin zunächst zwei Jahre nach Bogota gegangen – das war aber nicht das Richtige. Die Sehnsucht nach Wien ist geblieben.
Es war dann Schicksal oder Zufall. Ich hab jedenfalls von einem kolumbianischen Dirigenten, der in Wien tätig war, erfahren und hab begonnen, im Internet über die Stadt, das Studium zu recherchieren. Schließlich hab ich beschlossen, die Aufnahmeprüfung zu versuchen. Besagter Dirigent hat mich gewarnt, dass die sehr hart sei und ich sie nicht gleich bestehen werde. Ich hatte also nicht allzu hohe Erwartungen. Als ich dann einer von 10 gewesen bin, die aus 110 Kandidaten aufgenommen wurden, war ich überglücklich und hab mir im ersten Moment gedacht: ‚Jetzt hast du den Jackpot geknackt.’ Aber es ist nicht so, dass man es dann automatisch geschafft hat. Es ist eher ein Anfang unter dem Motto „Jetzt geht‘s erst los!“
Seit 1997 leben Sie nun hier. Fühlen Sie sich eigentlich als Wiener?
Ja. Ich hab hier meine Wohnung, ich zahle meine Steuern – man lässt mich also gar nicht vergessen, dass ich hier zuhause bin (lacht). Umgekehrt spürt man, dass man Ausländer ist. Jedes Jahr muss ich etwa mein Visum verlängern lassen, wobei die Beamten nicht immer nett sind. Es ist für Künstler nicht möglich, ein längeres Visum zu erhalten. Naja, außer man ist Netrebko und es ist Republikinteresse, dass man Staatsbürger wird - aber das kann ja noch werden. Auch beim Zoll ist es bisweilen mühsam – nicht nur in Österreich, sondern generell in Europa. Als Kolumbianer hält dich offensichtlich jeder für einen Drogendealer. In Paris etwa, ich hatte eine Mappe mit Noten unterm Arm, fragte mich der Zöllner, was das sei. Als ich antwortete meine Noten, ich sei Dirigent, sah er mich misstrauisch an und meinte dann allen Ernstes: ‚Dirigieren sie einmal was vor.’ Da frag ich mich schon, warum ich mir das antu. Aber das dauert nur 1 Stunde, dann bin ich wieder glücklich in Wien! Die Stadt hat mich jedenfalls sehr geprägt – auch im Hinblick auf meinen Beruf.
Inwiefern?
Ich bin mit 19 hergekommen, da ist man ja noch nicht ganz fertig. Hier hab ich quasi den letzten Schliff erhalten. Nehmen wir etwa die Sprache. Bei uns in Kolumbien ist sie sehr blumig. Hier hingegen ist sie sehr konkret, sehr genau. Die Lateinamerikaner gelten als feurig, hier herrscht diese logische, deutsche-mitteleuropäische Art. Das hat meinen Charakter komplettiert. Und das hilft mir auch beim Dirigieren. Als Kind hab ich ja Karajan und Bernstein im Fernsehen gesehen und wollt sie nachmachen, hab wild wie ein Kasperl „herumdirigiert“. Ich hab mir damals gedacht, so muss man dirigieren, rein aus der Emotion heraus. Aber in Wien hab ich erfahren, dass man die Sache schon auch sehr grundsolid angehen muss, dass es eine technische Basis gibt, die man lernen kann.
Das heißt es geht um die richtige Mischung, Dosierung? Feuer und Logik?
Ja. Ein Vergleich zur Formel 1: Da gab es den kolumbianischen Rennfahrer Carlos Montoya, der wie ein Stier war, immer Vollgas, keine Angst vor irgendetwas. Anfangs sorgte er für großes Aufsehen. Doch, nach zwei Jahren war er wieder draußen, weil er konnte halt nur Vollgas geben, wusste nicht, wann man bremsen muss – aber das gehört auch dazu. So ist es auch in der Musik. Man kann nicht nur ganze Zeit am Gaspedal stehen, wie ein Verrückter herumhüpfen – da fällt das Orchester auseinander. Man soll dem Orchester helfen, wenn es notwendig ist, aber man soll es umgekehrt nicht stören, wenn es eh läuft! Das hab ich erst hier gelernt!
Was ist das Faszinierende an einem Orchester, dass in einem der Wunsch wächst, einen solchen Körper zu leiten?
Was mich fasziniert ist einfach, dass Menschen unterschiedlichsten Charakters, unterschiedlichster Herkunft, vielleicht sogar unterschiedlicher Sprache, sich zusammentun und gemeinsam dasselbe Ziel verfolgen. Wenn das funktioniert, ist das schon sehr beeindruckend! So betrachtet ist ein funktionierendes Orchester auch ein Spiegelbild für die Gesellschaft, Beispiel positiver Koexistenz.
Dorthin zu kommen ist bei einem Haufen von 100 Musikern mit unterschiedlichen Vorstellungen aber sicher nicht einfach. Welche Rolle spielt dabei der Dirigent?
Er muss die ideale Führungspersönlichkeit sein, muss darauf achten, dass alles funktioniert, beieinander bleibt. Ein Orchester ist natürlich ein sehr fragiles Konstrukt. Letztlich geht es um Respekt: Respekt vor den Noten, Respekt vor dem Komponisten, Respekt vor den Musikern.
Und wie verschaffen Sie sich diesen. Sind Sie ein Dirigent Marke Karajan, also cholerischer Diktator, oder versuchen Sie es eher über Konsens?
Ich habe gerne Harmonie, aber ich weiß auch, wie gefährlich ein Mangel an Autorität sein kann. Dann wird aus der Demokratie rasch Anarchie, und da kommt nichts raus, das ist das Ende - auch für ein Orchester. Man muss also in dem Sinne schon auch unangenehme Positionen einnehmen können, muss kritisch sein. Letztlich verlange ich von jedem Respekt und dass er gibt, was er kann. Ich bin aber sicher keiner, der schreit. Das liegt mir nicht.
Wichtig ist, dass man selbst genau weiß, was man will, dass man es vermitteln kann, und dass man weiß, was möglich ist. Wenn man das beherzt, wird einem auch der notwendige Respekt entgegengebracht, und man kann den Zuhörern die Musik vermitteln.
Provokant gefragt: Warum haben Sie überhaupt das Bedürfnis, Musik zu vermitteln?
Musik gibt so viel. Ich erinnere mich etwa an ein Konzert in einem sehr armen Viertel in Kolumbien, vor sehr einfachen Leuten, die mit ernster Musik ansonsten nicht viel am Hut haben. Die waren so begeistert, haben geweint vor Freude. Ein Mann hat gefragt: ‚Morgen müssen Sie wieder kommen.’ Und das passiert immer wieder. Nach einem Konzert in einer Kirche ist ein Mann, offensichtlich ein Alkoholiker, an mich herangetreten und hat gesagt: ‚Sie haben so schön dirigiert wie der Karajan! Spielen Sie noch den Messias?’ Karajan ist halt ein Dirigent, den er gekannt hat, und er hat sicher keine Schallplatten besessen, die er sich anhören konnte, aber er war einfach so berührt von der Musik, und ich richtig traurig, weil wir den Messias nicht im Repertoire hatten, ich seinen Wunsch nicht erfüllen konnte. Oder eine Mutter hat mir nach einem Konzert ihr Baby in die Hand gedrückt und die Großmutter gesagt: ‚Wir wollen, dass es einmal so wird wie du. Halt es mal!’ Solche Momente machen so glücklich, da weiß man, dass sich die ganze Mühe lohnt. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, romantisch, aber das ist es. Und ich seh es ja an mir selbst: Ich kann krank sein, mies drauf, aber sobald ich am Podium stehe, ist nach drei Sekunden alles weg, dann ist nur mehr die Musik.
Musik als Lebenselixier?
Warum nicht? Musik bewirkt so viel, verändert die Leute. Ich habe z.B. letztes Jahr Jeunesse-Kurse gegeben. Die jungen Leute wollten gemeinsam Musik machen - und dann kommt einfach etwas in Bewegung. Menschen, die sich erst drei-, viermal gesehen und gemeinsam musiziert haben, sind als Freunde nachhause gefahren, Liebespärchen haben sich gebildet – das ist einfach eine wunderschöne Sache!
Zum Abschluss: Wie beurteilen Sie Ihr neues Orchester, die Tonkünstler, und welche Linie werde Sie fahren?
Das Orchester hat eine sehr spannende und interessante Entwicklung genommen. Das Repertoire ist bedeutend breiter geworden. Das möchte ich fortführen. Ich werd zwar vielleicht weniger z.B. einen Adams spielen, dafür aber vielleicht mehr Wiener Schule, einen Berg, einen Webern, auch moderne Sachen.
Wichtig ist natürlich auch, das Kernrepertoire in Mitteleuropa zu pflegen, das natürlich die Wiener Klassik, die deutsche Romantik umfasst. Das interessiert mich sehr. Damit bin ich selbst groß geworden, mit Beethoven, Haydn, Mozart, aber auch Mahler oder Strauss.
Was ich mir auch wünschte, wäre mehr Oper zu machen, auch im Festspielhaus. Das Orchester hat ein riesiges Potential – musikalisch wie menschlich – das sind beste Bedingungen, damit wir gemeinsam noch besser werden und uns weiter entwickeln. Das ist es, was ich letztlich will, was mein großes Lebensziel ist: Beste Musik. Alles so gut wie möglich machen. Ich bin vielleicht noch nicht am Ziel, aber die Richtung stimmt, eins geht ganz natürlich ins andere über. Die Tonkünstler sind eines dieser Orchester, wo man sich weiterentwickeln kann. Darauf freue ich mich schon sehr!
Während meiner Kindheit, ich bin 1977 geboren, war wohl die schlimmste Phase. Es verging kein Tag, an dem nicht jemand getötet wurde auf der Straße. Es herrschte stete Angst vor Anschlägen – und die konnten überall passieren. Es machte sich so etwas wie Paranoia breit, man ging nur mehr fort, wenn man musste. Und nachdem Escobar auf jeden getöteten Polizisten ein Kopfgeld von 300 Dollar ausgesetzt hatte, hielten alle einen Respektabstand von Polizisten.
Wie stellt sich die Situation heute dar?
Die Drogenkartelle bestehen nach wie vor und wird es wohl solange geben, wie Bedarf nach Drogen gegeben ist. Aber sie arbeiten heute mehr im Untergrund, tragen ihren Reichtum nicht mehr so exzessiv zur Schau wie früher, als es vorkam, dass sich einer eine Garage aus purem Gold bauen ließ.
Das Militär ist sehr stark, die Ökonomie extrem unsicher, die Korruption groß. Es gibt einen extremen Unterschied zwischen arm und reich, und während Lateinamerika derzeit sehr nach links geht, sind wir wirtschaftlich fast gänzlich auf die USA ausgerichtet.
Und die Guerillas, die ja vor ein paar Wochen zwei verschleppte Geiseln freigelassen haben?
Pflanzen heute selbst Drogen an und kassieren von den Kartellen Geld dafür. Eine soziale Armee, wie in ihrem Ursprungsgedanken, waren sie vielleicht in den 60’ern. Seit der Revolution sind sie selbst korrumpiert.
Andererseits ist Kolumbien ein Traumland! Die Menschen sind sehr lieb, die Frauen ausgesprochen hübsch, und wir haben – können Sie sich das vorstellen - 360 verschiedene Sorten Obst! Letztlich liebt man einfach das Land, wo man geboren ist.
Sie kehren ja auch regelmäßig zurück – die Bande müssen also groß sein. Wie sind Sie eigentlich aufgewachsen?
Mit meiner Mutter in einer kleinen Wohnung. Sie ist eine sehr starke, unabhängige Frau, wie alle Damen in unserer Familie. In meinem alten Zimmer hat sie jetzt lauter Fotos und Zeitungsausschnitte von mir aufgehängt – (lacht) das ist schrecklich.
Sie ist halt sehr stolz auf ihren Sohn. Waren Sie musikalisch „vorbelastet“?
In der Form nicht. Aber Musik hat in meiner Familie schon eine Rolle gespielt, allerdings eher Volksmusik, mit viel Rhythmus, Trommeln, Gitarren. Mein Onkel hat in einer Band gespielt. Als kleiner Bub hat er mir eine Trommel geschenkt, die ich stundenlang bearbeitet hab. Meine Mutter und er haben erkannt, welche Freude mir das bereitet und dass ich auch Talent habe. Als meine Mutter dann in einer Zeitung eine Annonce einer Privatschule, eine Art Musikgymnasium, gelesen hat, hat sie mich hingebracht, und ich hab die Aufnahmeprüfung bestanden.
Sie kommen ja aus armen Verhältnissen. Wie konnte sich die Mutter die Ausbildung und das Studium leisten?
Auch Dank eines Förderprogrammes des Staates, der junge Musiktalente unterstützt hat. Das Studium war jedenfalls jeden Cent wert, ich habe eine solide Basis bekommen. Ich habe Geige begonnen, im Chor gesungen, Musikgeschichte gelernt, Harmonielehre und natürlich Orchesterspiel. Es hat viel Spaß gemacht, und es war da auch nie Druck von zuhause, dass ich ein kleiner Mozart werden muss!
Auf dessen Spuren wandeln Sie aber quasi, immerhin hat es Sie nach Wien verschlagen? Wie ist das gekommen?
Ich hab natürlich auch über Wien gelernt, von seinem guten Ruf erfahren, den hervorragenden Dirigenten, die hier gewirkt haben – das hat mich fasziniert. Nach der Matura wollte ich Dirigent werden, bin zunächst zwei Jahre nach Bogota gegangen – das war aber nicht das Richtige. Die Sehnsucht nach Wien ist geblieben.
Es war dann Schicksal oder Zufall. Ich hab jedenfalls von einem kolumbianischen Dirigenten, der in Wien tätig war, erfahren und hab begonnen, im Internet über die Stadt, das Studium zu recherchieren. Schließlich hab ich beschlossen, die Aufnahmeprüfung zu versuchen. Besagter Dirigent hat mich gewarnt, dass die sehr hart sei und ich sie nicht gleich bestehen werde. Ich hatte also nicht allzu hohe Erwartungen. Als ich dann einer von 10 gewesen bin, die aus 110 Kandidaten aufgenommen wurden, war ich überglücklich und hab mir im ersten Moment gedacht: ‚Jetzt hast du den Jackpot geknackt.’ Aber es ist nicht so, dass man es dann automatisch geschafft hat. Es ist eher ein Anfang unter dem Motto „Jetzt geht‘s erst los!“
Seit 1997 leben Sie nun hier. Fühlen Sie sich eigentlich als Wiener?
Ja. Ich hab hier meine Wohnung, ich zahle meine Steuern – man lässt mich also gar nicht vergessen, dass ich hier zuhause bin (lacht). Umgekehrt spürt man, dass man Ausländer ist. Jedes Jahr muss ich etwa mein Visum verlängern lassen, wobei die Beamten nicht immer nett sind. Es ist für Künstler nicht möglich, ein längeres Visum zu erhalten. Naja, außer man ist Netrebko und es ist Republikinteresse, dass man Staatsbürger wird - aber das kann ja noch werden. Auch beim Zoll ist es bisweilen mühsam – nicht nur in Österreich, sondern generell in Europa. Als Kolumbianer hält dich offensichtlich jeder für einen Drogendealer. In Paris etwa, ich hatte eine Mappe mit Noten unterm Arm, fragte mich der Zöllner, was das sei. Als ich antwortete meine Noten, ich sei Dirigent, sah er mich misstrauisch an und meinte dann allen Ernstes: ‚Dirigieren sie einmal was vor.’ Da frag ich mich schon, warum ich mir das antu. Aber das dauert nur 1 Stunde, dann bin ich wieder glücklich in Wien! Die Stadt hat mich jedenfalls sehr geprägt – auch im Hinblick auf meinen Beruf.
Inwiefern?
Ich bin mit 19 hergekommen, da ist man ja noch nicht ganz fertig. Hier hab ich quasi den letzten Schliff erhalten. Nehmen wir etwa die Sprache. Bei uns in Kolumbien ist sie sehr blumig. Hier hingegen ist sie sehr konkret, sehr genau. Die Lateinamerikaner gelten als feurig, hier herrscht diese logische, deutsche-mitteleuropäische Art. Das hat meinen Charakter komplettiert. Und das hilft mir auch beim Dirigieren. Als Kind hab ich ja Karajan und Bernstein im Fernsehen gesehen und wollt sie nachmachen, hab wild wie ein Kasperl „herumdirigiert“. Ich hab mir damals gedacht, so muss man dirigieren, rein aus der Emotion heraus. Aber in Wien hab ich erfahren, dass man die Sache schon auch sehr grundsolid angehen muss, dass es eine technische Basis gibt, die man lernen kann.
Das heißt es geht um die richtige Mischung, Dosierung? Feuer und Logik?
Ja. Ein Vergleich zur Formel 1: Da gab es den kolumbianischen Rennfahrer Carlos Montoya, der wie ein Stier war, immer Vollgas, keine Angst vor irgendetwas. Anfangs sorgte er für großes Aufsehen. Doch, nach zwei Jahren war er wieder draußen, weil er konnte halt nur Vollgas geben, wusste nicht, wann man bremsen muss – aber das gehört auch dazu. So ist es auch in der Musik. Man kann nicht nur ganze Zeit am Gaspedal stehen, wie ein Verrückter herumhüpfen – da fällt das Orchester auseinander. Man soll dem Orchester helfen, wenn es notwendig ist, aber man soll es umgekehrt nicht stören, wenn es eh läuft! Das hab ich erst hier gelernt!
Was ist das Faszinierende an einem Orchester, dass in einem der Wunsch wächst, einen solchen Körper zu leiten?
Was mich fasziniert ist einfach, dass Menschen unterschiedlichsten Charakters, unterschiedlichster Herkunft, vielleicht sogar unterschiedlicher Sprache, sich zusammentun und gemeinsam dasselbe Ziel verfolgen. Wenn das funktioniert, ist das schon sehr beeindruckend! So betrachtet ist ein funktionierendes Orchester auch ein Spiegelbild für die Gesellschaft, Beispiel positiver Koexistenz.
Dorthin zu kommen ist bei einem Haufen von 100 Musikern mit unterschiedlichen Vorstellungen aber sicher nicht einfach. Welche Rolle spielt dabei der Dirigent?
Er muss die ideale Führungspersönlichkeit sein, muss darauf achten, dass alles funktioniert, beieinander bleibt. Ein Orchester ist natürlich ein sehr fragiles Konstrukt. Letztlich geht es um Respekt: Respekt vor den Noten, Respekt vor dem Komponisten, Respekt vor den Musikern.
Und wie verschaffen Sie sich diesen. Sind Sie ein Dirigent Marke Karajan, also cholerischer Diktator, oder versuchen Sie es eher über Konsens?
Ich habe gerne Harmonie, aber ich weiß auch, wie gefährlich ein Mangel an Autorität sein kann. Dann wird aus der Demokratie rasch Anarchie, und da kommt nichts raus, das ist das Ende - auch für ein Orchester. Man muss also in dem Sinne schon auch unangenehme Positionen einnehmen können, muss kritisch sein. Letztlich verlange ich von jedem Respekt und dass er gibt, was er kann. Ich bin aber sicher keiner, der schreit. Das liegt mir nicht.
Wichtig ist, dass man selbst genau weiß, was man will, dass man es vermitteln kann, und dass man weiß, was möglich ist. Wenn man das beherzt, wird einem auch der notwendige Respekt entgegengebracht, und man kann den Zuhörern die Musik vermitteln.
Provokant gefragt: Warum haben Sie überhaupt das Bedürfnis, Musik zu vermitteln?
Musik gibt so viel. Ich erinnere mich etwa an ein Konzert in einem sehr armen Viertel in Kolumbien, vor sehr einfachen Leuten, die mit ernster Musik ansonsten nicht viel am Hut haben. Die waren so begeistert, haben geweint vor Freude. Ein Mann hat gefragt: ‚Morgen müssen Sie wieder kommen.’ Und das passiert immer wieder. Nach einem Konzert in einer Kirche ist ein Mann, offensichtlich ein Alkoholiker, an mich herangetreten und hat gesagt: ‚Sie haben so schön dirigiert wie der Karajan! Spielen Sie noch den Messias?’ Karajan ist halt ein Dirigent, den er gekannt hat, und er hat sicher keine Schallplatten besessen, die er sich anhören konnte, aber er war einfach so berührt von der Musik, und ich richtig traurig, weil wir den Messias nicht im Repertoire hatten, ich seinen Wunsch nicht erfüllen konnte. Oder eine Mutter hat mir nach einem Konzert ihr Baby in die Hand gedrückt und die Großmutter gesagt: ‚Wir wollen, dass es einmal so wird wie du. Halt es mal!’ Solche Momente machen so glücklich, da weiß man, dass sich die ganze Mühe lohnt. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, romantisch, aber das ist es. Und ich seh es ja an mir selbst: Ich kann krank sein, mies drauf, aber sobald ich am Podium stehe, ist nach drei Sekunden alles weg, dann ist nur mehr die Musik.
Musik als Lebenselixier?
Warum nicht? Musik bewirkt so viel, verändert die Leute. Ich habe z.B. letztes Jahr Jeunesse-Kurse gegeben. Die jungen Leute wollten gemeinsam Musik machen - und dann kommt einfach etwas in Bewegung. Menschen, die sich erst drei-, viermal gesehen und gemeinsam musiziert haben, sind als Freunde nachhause gefahren, Liebespärchen haben sich gebildet – das ist einfach eine wunderschöne Sache!
Zum Abschluss: Wie beurteilen Sie Ihr neues Orchester, die Tonkünstler, und welche Linie werde Sie fahren?
Das Orchester hat eine sehr spannende und interessante Entwicklung genommen. Das Repertoire ist bedeutend breiter geworden. Das möchte ich fortführen. Ich werd zwar vielleicht weniger z.B. einen Adams spielen, dafür aber vielleicht mehr Wiener Schule, einen Berg, einen Webern, auch moderne Sachen.
Wichtig ist natürlich auch, das Kernrepertoire in Mitteleuropa zu pflegen, das natürlich die Wiener Klassik, die deutsche Romantik umfasst. Das interessiert mich sehr. Damit bin ich selbst groß geworden, mit Beethoven, Haydn, Mozart, aber auch Mahler oder Strauss.
Was ich mir auch wünschte, wäre mehr Oper zu machen, auch im Festspielhaus. Das Orchester hat ein riesiges Potential – musikalisch wie menschlich – das sind beste Bedingungen, damit wir gemeinsam noch besser werden und uns weiter entwickeln. Das ist es, was ich letztlich will, was mein großes Lebensziel ist: Beste Musik. Alles so gut wie möglich machen. Ich bin vielleicht noch nicht am Ziel, aber die Richtung stimmt, eins geht ganz natürlich ins andere über. Die Tonkünstler sind eines dieser Orchester, wo man sich weiterentwickeln kann. Darauf freue ich mich schon sehr!