Der fabelhafte Mr. Strauß
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Klammheimlich und unspektakulär, dafür mit umso größerer Kompetenz und Liebenswürdigkeit, begleitet Gernot Strauß seit nunmehr über zwei Jahrzehntenfachkundig die Musik-Aficionados der Stadt. Dabei hat er jede technologische Entwicklung mitgemacht: vom Vinyl zur CD. Von der CD zum Streaming. Vom Streaming – siehe da – per Sidestep retour zum Vinyl. Und er hatte immer sein fachkundiges Handerl am Puls der Kunden – deshalb wartet Mediamarkt St. Pölten seit kurzem mit der größten Vinylabteilung der Region auf!
Das NXP Music Center nur wenige Meter entfernt wirbt ja mit dem Slogan „Music was my first love“. Wenn der Slogan noch auf jemanden zutrifft, dann auf Strauß. Schon im zarten Alter von acht Jahren wurde er – sehr zum Stolz der Frau Mama – bei den Wiener Sängerknaben aufgenommen. Mehr Schock als Stolz rührte die Mama dann allerdings sechs Jahre später beim Vorsingen des Sohnemanns für einen Solopart zu Tränen „als mitten in der Probe der Stimmbruch einsetzte, womit meine Karriere vorbei war“, lacht Strauß. Im Gegensatz zu manch anderen Burschen, die – salopp formuliert – nach den Sängerknaben-Jahren im Internat sowie Reisen rund um den Globus einen veritablen Knacks davontrugen, gehörte Strauß zu jenen, der seine sechs Jahre bei Österreichs Kultur-Exportschlager „geliebt hat! Es war unglaublich, wo wir überall gespielt haben, in New York, Australien, Japan.“ Und überall wurden die Burschen wie Stars gefeiert – von den Konzertbesuchern wohlgemerkt, denn von den strengen Betreuern gab es mitunter „auch mal eine Detschn, wenn wir was ausgefressen hatten.“ Bleibende Schäden hat er aber nicht davongetragen, wie er lachend versichert.
Musik war jedenfalls immer Thema im Hause Strauß, die Mama war ja Musikschullehrerin und musste sich – zu ihrem wie meinem Glück – nur zwei Jahre auch mit den „Blockflötekünsten“ des Schreibers dieser Zeilen arrangieren. Der kleine Gernot fischte schon in der Volksschule die ersten Platten aus Mamas Plattenkoffer und legte sie auf den Plattenteller – oder „einmal auch versuchsweise auf den Heizstrahler“, was der Mama weniger Freude bereitete. Zu hören gab es Liedgut von „Celentano über Udo Jürgens bis hin zu Harry Belafonte und halt die Schlager von damals“, erinnert sich Strauß – auch davon hat er dem Vernehmen nach keine bleibenden Schäden davon getragen, wobei der Musikliebhaber durchaus grantig werden kann, wenn ihm manch Kleingeist, der auf weltoffen macht, mit Naserümpfen ob nicht korrelierenden Musikgeschmacks kommt. „Es gibt einfach keine gute und schlechte Musik. Punkt. Ich kann nur sagen, mir persönlich gefällt das eine besser und das andere eben nicht. Aber wenn, Hausnummer, ein Hansi Hinterseer mit seiner Musik tausende Leute glücklich macht und die mit breitem Grinsen im Gesicht tanzen – dann ist das prinzipiell gut. Ich selbst muss es mir ja nicht anhören!“
Kultmusiker und Kult-DJ
Gute Musik machte Herr Strauß freilich immer selbst, wobei er auch hier schmunzelnd an die Anfänge zurückdenkt – etwa als ihn Sam Gilly von den Roots Vibrations eines Tages zu einer Bandprobe einlud. „Da war ich, der brave Bub in Hemd und Pulli, plötzlich in irgendeinem Stadl in den Pampas, wo sich alle in abgefuckten Klamotten irgendwelche Sachen reinzogen.“ Ein Kulturschock für den Ex-Sängerknaben, allerdings kein bleibender. Man muss sich eben anpassen, und so stieg Strauß alsbald bei den Roots als Keyboarder ein.
Im Übrigen nicht die einzige Kultband, die er als Musiker bereicherte. So sorgte er – diesmal an der Gitarre – auch als Gründungsmitglied der Modern Folk Band Ballycotton für Furore, mit deren Mastermind Matthias Jakisic er nach wie vor „ab und an auf ein Bier geht.“
Zugleich machte sich Strauß auch zusehends als einer der beliebtesten DJs der Stadt einen Namen – mit seinem Namen. „Ich legte immer als DJ Gernot Strauß auf – irgendwelche Künstlernamen waren mir zu pseudo.“ Heute findet man ihn zwar nur mehr selten hinter den Turntables „wenn, dann leg eher nur mehr im privaten Bereich für Freunde auf“, aber während der glory days dauerten die Battles mit Manshee im Club Maquie schon mal „bis zum bitteren Ende um vier oder fünf Uhr in der Früh. Aber irgendwann war dann plötzlich Sperrstunde um zwei – das hatte keinen Lack mehr!“, fügt er leicht melancholisch hinzu. Auch seine Engagements bei Kult-Veranstaltungen wie etwa dem Seniorenfloor hat Strauß mittlerweile an den Nagel gehängt, weil er – gar nicht im negativen Sinne – musikalisch eben selbst eine Art Senior geworden ist. „Wenn die Kids heute nach Electronic fragen, oder sagen ‚Kannst mal was Gscheites spielen, etwa Gigi d’Agostini‘ – dann wird es Zeit.“ Nicht weil die Musik schlecht sei, sondern eben nicht seine.
Der Musik blieb er aber selbstredend weiterhin treu. Die längste diesbezügliche Konstante ist seine Rolle als „Musik-Dealer“. Nachdem Strauß beim Musikhaus Radler gelernt hatte, erlangte er ersten Kultstatus als Verkäufer beim Virgin. Für Menschen meines Alters, die quasi mit Gernot groß geworden sind, klingt es ja noch heute völlig abstrus, dass St. Pölten Anfang der 90er – neben wenigen Orten wie New York oder Shanghai – tatsächlich einen eigenen Virgin-Store hatte! Warum man ausgerechnet auf die Kleinstadt an der Traisen verfiel, bleibt wohl eines der großen ungelösten Rätsel dieser Stadt „wobei die Engländer sich das damals durchaus sehr genau angeschaut haben, wo sie was aufmachen.“ Wer weiß, vielleicht war ja irgendein Verantwortlicher mit Gernot Strauß auf ein Bierchen und wurde von dessen Enthusiasmus für Musik angesteckt. Irgendwann, als sich Richard Branson zunehmend mehr für Fluglinien und Flüge ins All zu interessieren begann, war dann ohnedies Schluss.
Feelgood-Stimmung
Strauß‘ eigene Reise ging in Folge nicht so weit – sie führte ihn nur gut zwei Kilometer weiter südlich zum Mediamarkt. Die große Hop On-Hop Off-Bezeihung seines Lebens, „einfach weil ich dazwischen immer wieder etwas Neues ausprobieren wollte.“ Einmal ereilte ihn der Ruf der Liebe und er zog für zwei Jahre nach München. Ein andermal versuchte er sich als Metallarbeiter bei Georg Fischer in Traisen oder stand bei SPAR und BILLA als Wurtsverkäufer hinter der Theke. Aber die Musik führte ihn am Ende des Tages immer wieder zurück, auch dank eines verständnisvollen Chefs, der die Fremdgänge seines Mitarbeiters nicht persönlich nahm und wusste, was er am verlorenen Sohn hatte „obwohl er beim letzten Mal schon gesagt hat, das war das letzte Mal!“, grinst Strauß.
Als Kunde war es jedenfalls immer eine große Erleichterung, wenn man wieder Gernot zwischen den Regalen herumhirschen sah. Wenn man endlich wieder mit dem Meister himself fachsimpeln konnte, der sich Zeit für ein kleines Tratscherl nahm und mit den berühmten Worten „Hast du da schon mal reingehört, das könnte dir gefallen“ den persönlichen musikalischen Horizont erweiterte. Strauß verbreitet einfach feelgood-Stimmung, man fühlt sich einfach wohl, wie man es sich klischeemäßig für einen kleinen Plattenladen vorstellt. Dass dieses Kunststück auch im großen Mediamarkt gelingt, ist vor allem der Person Gernot Strauß zu danken, der in Wahrheit soetwas wie der Godfather ist – eine absolute Musik-Instanz, im Vergleich zum Paten aber die softere, liebevollere Variante. Man landet nicht mit Betonpatscherln im Wasser, sondern bestenfalls mit Vinyl vorm Plattenspieler.
Denn es ist nicht zuletzt Strauß‘ Instinkt zu danken „und weil ich weiß, was unsere Leute nachfragen“, dass Mediamarkt St. Pölten zuletzt zahlreiche CD-Regale durch Vinyl ersetzt hat. Gut 5.000 Stück hat Gernot auf auf rund zehn Meter – vor einem Jahr war es noch ein Meter! – zusammengetragen, wobei er nicht nur bestellt „was der Computer ausspuckt, sondern eben auch das, von dem ich weiß, dass es unsere Kunden hier vorort wünschen.“ Ein Computer und Algorithmus kann nämlich, und das ist die gute Nachricht, mit einem Mensch aus Fleisch und Blut nicht mithalten. Er kann 0815-Berechnungen liefern, er kann den Mainstream bedienen, aber individuelle – in dem Fall also regionale Lösungen – Fehlanzeige.
Symphonie für die Sinne
Dass Vinyl überhaupt eine Art Renaissance feiert, kommt doch überraschend, vor allem dass es sogar den ehemaligen Tod-Feind CD auf Sicht zu überleben scheint – denn die Silberscheiben sind schwer am Rückzug, streaming reißt immer größere Löcher in die CD-Regale, die aber teils mit Vinyl gefüllt werden.
Strauß‘ Diagnose: „Der Pandemie sei Dank! Plötzlich hatten die Leute einfach wieder mehr Zeit für sich, ihre Hobbies. Manchen war vielleicht auch langweilig, und da hat man sich gedacht, eigentlich wäre es doch schön, wieder einmal ganz klassisch eine Platte aufzulegen.“ Denn während streaming, wenn man es so formulieren möchte, die Alltagsware ist – ist Vinyl doch ein ganz bewusster Akt „ja ein Ritual, für das man sich Zeit nehmen muss und das unglaublich entschleunigt! Ich sehe das ja bei mir selbst, wenn ich am Abend heimkomme. Dann suche ich mir ein Platte heraus, schau mir das Cover an, les die Texte, höre bewusst die Musik und nippe nebenbei entspannt an einem Bier.“ Alles haptisch. Alles sinnlich. Alles analog. Alles down to earth – wenn es etwa vielleicht einmal kratzt, oder man die Songs auf der Seite durchhört und nicht nur einzelne ansteuert, die die meisten Klicks haben. „Dadurch kann man auch extrem viel entdecken, und man bewegt sich sogar – wenn die Seite aus ist und man die Platte wenden muss“, lacht Strauß. Seine Ode auf Vinyl möchte er aber nicht als elitäre Standesdünkel missverstanden wissen oder dass er verächtlich auf streaming herunterblicken würde. „Ich streame ja selbst! Das ist praktisch, etwa nebenbei in der Arbeit, beim Autofahren, im Zug.“ Aber Vinyl ist, wie er es poetisch formuliert „eine Symphonie für die Sinne!“
Dass es jetzt wieder im Vormarsch ist, freut den Musik-Guru „auch wenn natürlich die Zeiten vorbei sind, als sich etwa Led Zeppelin für eine einzige LP-Produktion ein eigenes Haus samt Studio bauen ließen!“ Aber das Angebot ist wieder schwer im Steigen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Neuauflage von Klassikern, sondern auch immer mehr aktuelle Bands bringen Vinyl heraus.
„Eine Platte ist ja mehr als nur die Musik. Da gibt’s auch Geschichten, Texte, Illustrationen – das ist ein ganzes, aufeinander abgestimmtes Werk!“ Kurzum, etwas Bleibendes und nichts, das nach 1.000.000 Klicks im spotify-Ozean wieder so schnell verschwindet, wie es aufgetaucht ist. Das schätzen alte wie junge Musikliebhaber, weshalb es nicht selten vorkommt, dass bei Strauß bisweilen der Papa mit der Tochter auftaucht und beide nach ausgiebigem Diggern (Blättern durch die Platten, Anm.) mit einem breiten, ja glücklichen Grinsen das Geschäft verlassen – mit ihrer neuen Lieblingsplatte unterm Arm. „Das ist schon sehr cool“, gesteht Strauß, dessen größter Traum ja immer der eigene, gut sortierte Plattenladen war. Dem kommt er nun, in seinen 50ern, interessanterweise so nah wie nie zuvor – denn bei Virgin anno dazumal herrschte noch das Motto „CD killed the LP“. An ein Comeback von Vinyl glaubte damals niemand – auch nicht Strauß. „Ich hab schon so 82/83 herum meinen Plattenkoffer verkauft, worüber ich mich noch heute ärgere“, gesteht er. Mit der rituellen Verbrennung seiner CD-Box – ja auch die gab es – dürfte er hingegen dem Lauf der Zeit näherliegen. Aber es kommt eben oft anders als man denkt – als romantischer Schwärmer fügt man fast erleichtert hinzu „zum Glück!“