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Einstellungssache


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St. Pöltens gute Seite

Einstellungssache

Text Michael Müllner
Ausgabe 03/2020

Sie war die Causa Prima der St. Pöltner Politik. Es ging um unvorstellbar viel Geld („80 Millionen Euro“), massive politische Vorwürfe („Geschäfte am Gemeinderat vorbei“) und den Verdacht straf- barer Handlungen („Untreue unter Ausnützung einer Amtsstellung“).

Nach dem Freispruch durch die Wähler an der Wahlurne der letzten Gemeinderatswahl im Jahr 2016 hat nun auch die Staatsanwaltschaft kein Problem damit, wie im St. Pöltner Rathaus die SWAP-Causa abgewickelt wurde. Das 2016 ins Rollen gebrachte Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister Matthias Stadler und den ehemaligen, mittlerweile pensionierten Leiter der Finanzverwaltung wurde im Februar 2020 eingestellt.
Wir werfen einen Blick zurück auf die Entwicklung einer Geschichte, an der wir jahrelang recherchiert haben und die wir stets möglichst verständlich aufbereiten wollten. Und wir fragen Bürgermeister Stadler, wie belastend das Ermittlungsverfahren für ihn war und was er im Rückblick anders machen würde.
• Frühjahr 2003: Der St. Pöltner Gemeinderat unter Vorsitz von Bürgermeister Willi Gruber (der Amtsvorgänger von Matthias Stadler) fällt einen Grundsatzbeschluss zur „Schuldenbewirtschaftung“. Jahrelang spart sich die Stadt durch eine Vielzahl an spekulativen Zinswetten Geld – und liegt damit im Trend, denn das Geschäftsmodell der Banken floriert: Unzählige Gebietskörperschaften und Private wollen so sparen.
• Mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 geraten die Wechselkurse in Bewegung, das Risiko dieser Zinswetten wird plötzlich sichtbar. Im September schließt die Stadt mit der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien das Swap-Geschäft #707843 ab: 1,5 Millionen erhält die Stadt sofort, die Rückzahlung erfolgt in den nächsten 20 Jahren, die Zinsen sind abhängig vom Kurs des Schweizer Franken. Der später klagsanhängige STP-SWAP ist geboren. Im Frühjahr 2008 unterschreibt der Bürgermeister ein Anlegerprofil, die Stadt sei bereit, unbegrenztes Verlustrisiko zu tragen, heißt es darin.
• Schon bald zeigt sich wie riskant und „giftig“ Swap #707843 ist. Stadt und Bank hoffen längere Zeit hindurch auf eine Stabilisierung der Kurse und führen immer wieder fruchtlose Gespräche. Letztlich klagt die Stadt die Bank im Dezember 2011, sie sieht sich von der Bank falsch beraten.
• Im Sommer 2012 verkündet St. Pölten, aus allen (anderen) riskanten Spekulationsgeschäfte ausgestiegen zu sein. Im März 2014 entscheidet der Gemeinderat die Zinszahlungen für das strittige Geschäft einzustellen. Die Bank reagiert darauf mit einer Widerklage. Am Handelsgericht Wien zieht sich das anhängige Zivilverfahren monatelang oft ohne erkennbare Fortschritte dahin.
• Im Frühjahr 2016, es herrscht Gemeinderatswahlkampf in St. Pölten, beschließt der Gemeinderat einen Vergleich zwischen Stadt und Bank. Offiziell wurden Vergleichsgespräche zuvor stets heftig bestritten, nun präsentiert der Bürgermeister in geheimer Sitzung dem Gemeinderat den Deal. Rund 45 Millionen Euro Kosten nimmt die Stadt in Kauf. Der Vorteil dabei: Man wird das unbekannte Prozessrisiko los. Denn im schlechtesten Fall liegen immerhin knapp 80 Millionen Euro zwischen den Standpunkten von Stadt und Bank.
• Im April 2016 zeigt die St. Pöltner ÖVP den SPÖ-Bürgermeister Stadler und den ehemaligen Finanzamtsleiter bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an. Diese nimmt Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue auf, beauftragt Gutachten, führt Hausdurchsuchungen durch und entscheidet letztlich, dass kein strafrechtlicher Tatbestand verwirklicht wurde. Die Fachaufsicht im Justizministerium sowie der Weisungsrat billigen die Entscheidung der Staatsanwälte, das Ermittlungsverfahren wird im Februar 2020 eingestellt.
INTERVIEW BGM MATTHIAS STADLER
„ATTESTIERT, DASS ALLES SEINE RICHTIGKEIT HATTE.“
Jahrelang begleitete die Amtszeit von Matthias Stadler Kritik der Opposition am Umgang mit der SWAP-Causa. Vorwürfe gab es nicht nur auf der politischen Ebene.
Das mehrjährige Ermittlungsverfahren der Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde im Februar eingestellt. Wie groß war die Belastung für Sie als Privatperson, aber auch als Politiker?
Natürlich ist ein Ermittlungsverfahren nie angenehm. In der heutigen politischen Auseinandersetzung ist man offensichtlich nicht davor gefeit, von anderen beschuldigt zu werden. Ich konnte aber die Handlungen in dieser Causa immer nachvollziehen und war darum sicher, dass weder ich noch sonst jemand im Rathaus Fehler gemacht hatten. Ich bin auch nicht der Typ, der die Justiz einmal lobt, ein anderes Mal beschimpft. Ich glaube an die Unabhängigkeit der Justiz, für die Funktion unserer Gesellschaft ist diese ganz wichtig. Daran soll man sich auch als Politiker halten und nicht auf diese Art versuchen, politisches Kleingeld zu wechseln.
Wurde Ihnen gegenüber begründet, wieso das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde?
Ja, sehr detailliert. Die Ermittlungen waren ja umfangreich, was ich auch gut finde, damit niemand den Vorwurf erheben kann, dass da nicht genau hingeschaut worden wäre. Im Ergebnis wurden weder subjektive noch objektive Elemente des Tatbestands der Untreue verwirklicht. Auch das beauftragte Gutachten kommt zu diesem Ergebnis. Das freut mich nicht nur für mich, sondern auch für den zweiten Beschuldigten, den damaligen Leiter der Finanzverwaltung. Es ist nun attestiert, dass alles seine Richtigkeit hatte.
Das Verfahren dauerte Jahre, zumindest für die Öffentlichkeit ist gefühlte Ewigkeiten nichts weitergegangen. Wie haben Sie das als Beschuldigter erlebt, wie intensiv war der Kontakt mit den Ermittlern?
Ich denke, das war ein ganz normaler Verlauf so eines Verfahrens. Auch die Länge hat mich jetzt nicht sonderlich überrascht, in meiner Funktion erlebe ich ja immer wieder, dass manche rechtliche Auseinandersetzungen eben ihre Zeit brauchen und oft über Jahre gehen. In einem Rechtsstaat darf das auch so sein, dass gewissenhafte Verfahren eben ihre Zeit dauern. Zudem weiß man, dass der Justizbereich personell sehr schlecht ausgestattet ist. Ich bin gespannt, ob sich die aktuellen Versprechungen der Bundesregierung zur Verbesserung dieses Problems auch im nächsten Budget wiederfinden werden.
Konnten Sie das von Bundeskanzler Sebastian Kurz kürzlich angedeutete rote Netzwerk in der Staatsanwaltschaft bemerken?
Nein, glücklicherweise nicht. Übrigens auch kein schwarzes oder türkises.
Ist die SWAP-Causa nun endgültig erledigt oder erwarten Sie, dass sie ein politisches Thema bleibt? In ersten Reaktionen zeigte sich die St. Pöltner ÖVP wenig versöhnlich und zweifelte die Entscheidung an.
Das wird von anderen abhängen. Für mich ist die Causa abgeschlossen, zumindest ich habe keinerlei Ambition dieses Thema für parteipolitisches Geplänkel zu nutzen. Ich überlasse es gerne anderen, wenn sie meinen, auf andere Parteien oder die Justiz hinhauen zu müssen.
Empfinden Sie den Ausgang der SWAP-Causa als persönlichen Sieg? Zuerst, mitten im Wahlkampf, der Vergleich mit der Bank, der Ihnen trotz aller politischen Auseinandersetzung dazu Stimmengewinne brachte. Nun die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen.
Den Vergleich haben wir geschlossen, weil uns Fachleuchte dazu geraten haben. Es gab Gespräche, dann Verhandlungen und als die Zeit reif war und die Experten zum Abschluss des Vergleichs geraten haben, konnten wir den Gemeinderat als zuständiges Gremium damit befassen. Dabei spielte der Wahltermin keine Rolle. Vor dem Hintergrund, was alles sein hätte können, bin ich mit dem Ausgang zufrieden. Es gibt bis jetzt auch keinen Ansatzpunkt, dass dieser Vergleich je in Frage gestellt worden wäre.
Wie ist eigentlich das Gesprächsklima mit der betroffenen Bank heute, nachdem es jahrelang schwer irritiert war?
Es gab immer eine intakte Gesprächskultur. Der Vergleich ist gültig. Es gibt Gesetze, etwa im Vergaberecht, die für alle gelten. Wir als Stadt haben also gar keinen Grund für irgendein „besonderes“ Verhältnis zur Bank. Es herrscht Professionalität auf allen Ebenen. Ich möchte diese unaufgeregte, geschäftliche Professionalität als positiv herausstreichen. Gerade im Vergleich zum zeitweise vorkommenden politischen Dilettantismus ist das gut so.
Was würden Sie in der ganzen SWAP-Causa im Rückblick anders machen?
Man muss das Geschehen auch richtig einordnen. Es gab eine Zeit, da wurde man als konservativer Bremser kritisiert, wenn man als Stadt eben nicht Zinswetten abgeschlossen hat. Es gibt ja einen Grund, warum es mit diesen Spekulationsgeschäften hunderte Akteure mehr oder weniger hart getroffen hat. Das wurde ja nicht im St. Pöltner Rathaus erfunden. Auch die Finanzkrise ist nicht hausgemacht. Mich beschäftigt vor diesem Hintergrund eher die Zukunft. Was kommt da noch auf uns zu, wenn wir etwa an Negativzinsen denken? Im eigenen Haus haben wir natürlich auch daraus gelernt und auch die Kontrollgremien weiterentwickelt, wenn man etwa an den Stadtrechnungshof denkt.
Hat es Sie eigentlich beunruhigt, als der ehemalige Salzburger Bürgermeister rechtskräftig wegen einer ähnlichen Causa verurteilt wurde? Das war ja für viele Beobachter überraschend und hat zu Diskussionen geführt, wie viel Haftung Bürgermeistern zuzumuten ist.
Ich bedauere die Situation der geschätzten Kollegen in Salzburg zutiefst. Sie haben ja alle versucht, Nachteile von der Stadt abzuwenden. Ich habe die juristische Diskussion etwas verfolgt, wie relevant es nun wirklich ist, ob der finanzielle Schaden beim Gemeinde- oder Landesbürger landet. Mir hatten aber alle Juristen bestätigt, dass dieser Fall zu meinem ganz anders gelagert ist. Das war also keine Beunruhigung. Ich interpretiere die Urteilsbegründung im Fall Heinz Schaden übrigens auch dahingehend, dass wir in St. Pölten richtig gehandelt haben, als wir das Problem mit dem strittigen Geschäft erkannt und die Zahlungen an die Bank eingestellt haben. So kam es dann dazu, dass uns die Bank geklagt hat und wir uns dem Problem juristisch angenommen haben.