MFG - "St. Pölten ist cool und das darf man auch sagen"


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St. Pöltens gute Seite

"St. Pölten ist cool und das darf man auch sagen"

Ausgabe 06/2010

Joachim Schloemer hat’s hinter sich! Nämlich die erste Spielzeit als Intendant des Festspielhauses. Und er traut sich was! Nämlich nicht nur St. Pölten als „cool“ zu bezeichnen, sondern auch die Liebe und die Ewigkeit in die Stadt zu holen. „Auf ewig“ heißt das Motto seines neuen Programms. Der Lebensromantiker ohne Freizeit sprach mit MFG über seinen Traumjob.

Ihre erste Spielzeit als Festspielhaus-intendant ist zu Ende. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?
Meine Bilanz ist beides – ernüchternd und ermutigend. Ernüchternd ist sie, weil die Besucherzahlen zurückgegangen sind, was allerdings zu erwarten war und somit nicht überraschend ist. Ermutigend ist sie, da viele neue Besucher den Weg ins Festspielhaus gefunden haben. Wir haben im Rahmen dieser ersten Saison vieles ausprobiert und natürlich sind wir bei einigen Projekten über das Ziel hinausgeschossen. Allerdings konnten wir auch nur so zu den Erkenntnissen kommen, die wir für die Programmgestaltung und -entwicklung benötigen. Formate wie Festivals, Tango am Mittwoch, Veranstaltungsreihen in der Box, Jugendarbeit wie im Jugendklub 300 und vieles mehr zählten zu den Neuerungen. Vieles hat erstaunlich gut funktioniert, anderes werden sie in der nächsten Saison nicht mehr finden, weil es entweder als Format überarbeitet werden muss, oder weil es schlichtweg nicht wirklich Fuß fassen konnte.

Gibt es Dinge, die Sie im Nachhinein gesehen anders machen würden?
Nein. Ich finde, solche Erfahrungen sollte man immer selbst machen. Erfahrungen aus Formaten oder Veranstaltungen, die nicht so gut funktioniert haben, sind maßgeblich in aktuelle Planungen eingeflossen. Es gibt nichts Schlimmeres für mich, als einen Künstler, den ich meist kenne und für seine Arbeit schätze einzuladen und ihn dann vor wenigen Zuschauern spielen zu sehen. Das ist für mich, als Theatermann, eine persönliche Niederlage. Aber es führt kein Weg daran vorbei.

Sie bemühen sich sehr, die St. Pöltner und ihre Stadt in Ihr Konzept einzubauen. Nun sagt man unserer schönen Stadt nach, dass hier nichts los ist und die St. Pöltner fad seien. Wie erleben Sie die hiesige Kulturszene?
Ich denke, dass einiges in St. Pölten los ist, vor allem natürlich im Festspielhaus, ist ja klar. Aber was mir immer wieder zu Ohren kommt ist, dass viele sagen, hier sei nichts los, selbst wenn das ganze Wochenende über viele verschiedene Veranstaltungen stattfinden. Es gehört sich anscheinend so, zu sagen, hier sei nichts los und das immer und immer wieder. Ich vermute, dass es noch sehr lange dauern wird, bis diese Ansicht aus den Köpfen verschwunden ist und die Leute positiver über ihre Stadt denken.
St. Pölten kann cool sein, ist doch so, und es ist nicht schlimm, das laut zu sagen.

Einige der früher regelmäßigen Festspielhaus-Besucher fühlen sich mit Ihrer Herangehensweise nicht dort abgeholt, wo sie abgeholt werden möchten. Woran denken Sie, liegt das?
An Allem und an sehr Wenigem. Zum Einen bin ich, wer ich bin. Ich spiele keine Spielchen, ich tue nicht so, als ob ich den Weltrekord im Besserwissen brechen wollte. Ich setze mich auch mit kulturellen Themen auseinander, die neu für mich sind und stelle mich ihnen, wie zum Beispiel dem Abend „Volkskultur Österreich“, den ich gemeinsam mit Dorli Draxler moderiert habe. Ich denke, es hat sehr viel damit zu tun, dass ich mich sehr von meinem Vorgänger unterscheide. Ich bringe meine eigene Geschichte mit in diese Stadt und in dieses Haus, was meine Arbeit hier prägen wird. Die Erfahrungen, die ich gemeinsam mit dem Publikum über die Jahre machen werde, werden alles (durch)lässiger und entspannter machen. Auch jene Zuschauer, die bis jetzt noch nicht wieder ins Haus gekommen sind, brauchen Zeit, um mich kennen zu lernen und mir ihr Vertrauen zu schenken.

Wie wollen Sie diese Besucher wieder ins Festspielhaus holen bzw. was möchten Sie Ihnen vermitteln?
Durch ein gutes Programm, das sie herausfordert und ermutigt und erhellt und erwischt und verliebt macht und träumen lässt. Ein Programm, von dem sie zehren können. Vermitteln ist immer verführen. Verführen auch dazu, sich zu Wort zu melden, eine Stimme zu haben, die eigene Stimme zu hören, sich Luft zu machen, sich in Beziehung zu setzen, zu dem, was um einen herum passiert.

Was darf man konkret für die neue Saison erwarten?
In aller Kürze: Rasend viel! Am besten man holt sich eine Saisonbroschüre, denn bei 80 verschiedenen Veranstaltungen platzt dieser Artikel bereits, wenn ich nur überlege, wo ich anfangen soll.

Mit dem Café Publik hat St. Pölten ein zusätzliches Lokal mit Musik- und Tanzveranstaltungen erhalten. Wie fügt sich das Publik in das Konzept des Festspielhauses ein und wie ist die Zusammenarbeit mit Andi Fränzl?
Gut, die Zusammenarbeit ist gut und gerade gestern haben wir lange über dieses Thema gesprochen. Wir haben vor, das Segment Café Publik weiter auszubauen, und zwar in eine Richtung, die wir schon mit dem Konzert der Hidden Cameras in der Box eingeschlagen haben. Andi Fränzl hatte die Band für das Café Publik gebucht, aus Platzgründen mussten wir allerdings in die Box „umziehen“. Wir wünschen uns, dass es mehr solche Acts gibt, für die das Café zu klein wird. Andererseits suchen wir auch nach neuen Möglichkeiten und Formaten, um klassische Musik ins Café zu holen, mehr Diskussionsabende einzubauen, Spieleabende zu veranstalten, mehr St. Pöltner ins Programm mit einzubeziehen und Kooperationen wie zum Beispiel mit der FH St. Pölten auszubauen. Das Café Publik ist ein echter Dreh- und Angelpunkt des Hauses. Wenn es irgendwann neue Communities im Zuschauerraum geben soll, dann wird diese Publikumsbindung sicher über das Café Publik laufen. Selbst wenn es noch dauern sollte, aber wir müssen schließlich irgendwann beginnen, den jungen Menschen unser Vertrauen zu schenken und ihnen die Bühne spielerisch überlassen.

Sie sind ein Tausendsassa. Choreograph, Regisseur, künstlerischer Leiter, Gastprofessor, Juror, etc. Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen?
Tausendsassa ist ein Wort, das ich hier einfach überhöre. Ich nehme meine Inspiration aus allem, was der Alltag hergibt. Kochen, Baby wickeln, träumen, Einzahlungen machen, Auto saugen, Müll wegbringen, lesen, Yoga machen, Gewichte heben, meine Freundin küssen, Pflanzen umtopfen - einfach alles, alles, was mir passiert oder über den Weg läuft. Eine Person, die auf die Straßenbahn wartet, ein Autofahrer, der nicht in die Parklücke kommt, das Piepsen des Scanners bei Hofer an der Kasse, Sonderangebote, ein unfreundlicher Verkäufer, die Autofahrer neben mir im Stau, ein alter Mann, der wartet, dass ihn jemand über die Straße bringt. Liebe, Zeit, Licht, Welt - das sind die vier Dinge, die mich am meisten inspirieren.

Was wünschen Sie sich für die kommende Spielzeit?
Zu Saisonbeginn schon keine Sitz- und Stehplätze mehr im Großen Saal für keine der Veranstaltungen zur Verfügung zu haben und aufgrund dessen die Vorstellungszahl verdoppeln zu müssen … und das in aller Bescheidenheit.