MFG - Sonja der Baumeister
Sonja der Baumeister


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Sonja der Baumeister

Ausgabe 09/2009

„Na endlich eine Frau!“, seufzt meine Kollegin fast glücklich. Als könnte ich etwas dafür, dass wir so selten Frauen portraitieren. „Da findet man einfach wenige Persönlichkeiten“, rutscht es mir fast heraus, aber ich trete dann doch nicht auf diese Mine. Weil dann müsste ich wieder erklären, dass ich es nicht in dem Sinne meine, dass es keine Frauenpersönlichkeiten gibt, als vielmehr, dass hierzulande wenige Frauen in leitenden Positionen anzutreffen sind! Aber es gibt sie – Sonja Zwazl ist eine von ihnen. Und so wirft mir meine Kollegin zur Abwechslung kein „Eh klar, schon wieder ein Mann“ um die Ohren.

Dann also wieder einmal in die Wirtschaftskammer, diesen orange Bauklotz im Süden der Stadt, der mich immer an dieses Spielzeug erinnert, wo Kinder die verschieden geformten Klötze in die richtig gefrästen Öffnungen eines Kübels stecken müssen. Der Eintritt entlockt mir ein entzücktes „Ah“, immerhin heizt es draußen mit über 30 Grad im Schatten herunter, da sind die gefühlten 10 hier herinnen eine wahre Wohltat.
Die Freude über die Abkühlung währt allerdings nicht lange, denn im Präsidentenbüro herrscht Saunatemperatur. „Ich mag keine Klimaanlagen. Überall wo du hinkommst, egal ob im Flugzeug, im Auto oder hier wirst du tiefgekühlt“, meinte eine im wahrsten Sinne des Wortes verschnupfte Präsidentin. Sie hat gerade eine Grippe hinter sich. Täterprofil: Klimananlage. Sonja Zwazl begrüßt uns im roten Sommerkleid. Meine Kollegin würde jetzt einwenden: ‚Natürlich, bei einer Frau, da spielt auf einmal die Kleidung eine Rolle.“ Ich wasche meine Hände in Unschuld. Auch die Männer nehm ich derart unter die Lupe, weil Kleidung immer etwas über den Träger verrät.
Wir setzen uns an den großen Besprechungstisch, mein Blick fällt auf ein Bild. „Was gefällt ihnen daran“, frag ich. Die Präsidentin legt den Kopf zur Seite: „Hm, vor allem die Farben! Und es hat so eine ganz eigene Stimmung!“ Wie das Wirtschaftskammergebäude. Wirkt es von außen zwar modern, aber nicht unbedingt hipp, so beeindruckt der Bau vor allem durch sein Innenleben. „Das war meine erste Entscheidung, als ich Präsidentin wurde, dass wir mit der Kammer nach St. Pölten ziehen“, erläutert Zwazl, die seit 1999 im Amt ist. „Ich hab den Entwurf zum Bau selbst ausgesucht! Ich finde schön, dass es so offen ist, so kommunikativ – du bist nicht isoliert! Das Haus lebt!“
Der Präsidentin wird überhaupt ein Faible fürs Bauen und Renovieren nachgesagt. Daher ist es wenig verwunderlich, dass sie von ihren Mitarbeitern nicht, wie vielleicht anderswo üblich, Blumen zum Geburtstag geschenkt bekommt, sondern Baumarktgutscheine! Die vermeintliche Männerdomäne ein magnetischer Anziehungspunkt, Sonja im Wunderland? „Ja. Gutes Werkzeug ist mir sehr wichtig. Das muss Qualität haben! Ebenso wichtig sind gute Materialien!“, erklärt sie fachmännisch (fachfrauisch müsste es hier eigentlich heißen), und erzählt, dass sie ihre Bauaffinität von ihrem Vater geerbt hat. „Der war Konstrukteur – und hat ununterbrochen irgendetwas geplant, konstruiert, gebaut. Ein Motorboot, mehrere Häuser, Teiche im Waldviertel!“

Die Wurzeln
Waldviertel ist ein gutes Stichwort, dort beginnt 1946 die Zwazlsaga, genauer in Weitra . „Mein Großvater hatte dort einen Sattlerbetrieb. Die Großmutter war Hebamme, eine sehr emanzipierte Frau!“ Ein Wesenszug, den sie offensichtlich an ihr Enkerl weitervererbt hat. Die ersten vier Lebensjahre wächst Zwazl zwischen Wäldern und Granit auf, dann übersiedelt die Familie nach Wien. Das Waldviertel bleibt trotzdem die Heimat des Herzens.  „Wir sind jede freie Minute ins Waldviertel gefahren. Ich habe praktisch alle Ferien dort verbracht! Kaum war die Schule aus, sind meine Schwester und ich schon im Bus gesessen!“ Für die Kinder ein Traumland. „Wir konnten sozusagen alles tun, was wir wollten, genossen die unglaubliche Bewegungsfreiheit. Wir sind stundenlang in der Natur herumgehirscht. Es gab ein Pferd, einen Wagen, einen Hund. Einfach ideal für ein Kind“, schwärmt Zwazl und fügt schelmisch hinzu „Vor allem eines wie mich, denn ich war ja kein braves Mädchen!“ Der Volksmund sagt, wer sich einmal mit dem Waldviertel infiziert hat, kommt davon ein Leben lang nicht mehr los. Der Präsidentin ergeht es da nicht anders. Bis heute zieht es sie hinauf in den hohen Norden. „Dann gehe ich Schwammerl suchen, Sport treiben oder genieße unsere Hütte am Schwimmteich. Es ist extrem schön dort! Man fühlt sich einfach geborgen. Und am Abend setze ich mich gemütlich mit meinem Bruder zusammen und wir verändern die Welt“, lacht sie eingedenk manch lauen, durchdiskutierten Abends. Früher war auch noch die ältere Schwester mit von der Partie, doch diese ist vor sechs Jahren verstorben. Eine schwere Zeit für die Präsidentin „Das war ein großer Einschnitt“, seufzt sie „wir waren sehr miteinander verbunden.“

Im Portrait
Die Ferien im Waldviertel während der Kindheit werden nur von einem unterbrochen – dem Schuljahr dazwischen. Zwazl besucht Volksschule, Hauptschule, Handelsschule. Nach einem Voluntariat bei der PRESSE landet sie schließlich als Chefsekretärin bei der Triester Verkehrsstelle und der Triester Handelskammer in Wien. „Damals wurde gerade die Adria Pipline gebaut. Das war eine sehr spannende und lehrreiche Zeit“, erinnert sie sich. Auch an manch exotischen Eindruck. „Die Kammer unterhielt etwa Geschäftskontakte mit Kamerun, da kamen immer frischer Kaffee, duftende Gewürze, es war sehr aufregend!“ Während dieser Zeit lernt sie auch ihren Mann kennen, einen Fotografen. Mit der Liebe stehen auch grundlegende Veränderungen ins Haus. Zwazl wird schwanger, zudem beschließt das Paar, sich selbständig zu machen. „Damals hatte ich zum ersten Mal mit der Kammer zu tun“, erinnert sie sich. Einerseits im Hinblick auf die Geschäftsgründung, andererseits im Hinblick auf eine Ausbildungsstelle, denn Zwazl möchte den Fotografenberuf von der Pieke auf lernen. „Fotografie hat mich einfach fasziniert.“ So landet sie schließlich am Fototechnikum AGFA München, das sie von 1971-1973 besucht.
Im Geschäft werden vor allem Portraitfotografien angefertigt, Zwazl erkennt aber über die Jahre, dass – daran gekoppelt – auch weitere Angebote sinnvollerweise ins Spektrum passen.  „Ein Portraitfoto braucht in der Regel auch einen Rahmen. Und Rahmen wiederum müssen mitunter restauriert werden.“  So werden die Geschäftsfelder sukzessive ausgeweitet, ja Zwazl selbst setzt sich Anfang der 90’er Jahre – Beweis für ihre stete Bereitschaft, etwas Neues anzupacken – noch einmal auf die Schulbank und besucht als außerordentliche Schülerin die Berufsschule für künstlerische Berufe.“
Heute führt sie ihr Geschäft „Schön & Rahmen“ gemeinsam mit ihrer Tochter „die künstlerisch unglaublich begabt ist“, in Klosterneuburg. Und auch wenn sie als Präsidentin drei bis vier mal die Woche in St. Pölten weilt und auch ansonsten durch die Lande tingelt, lässt sie es sich doch nicht nehmen, jeden Samstagvormittag selbst hinter der Budel zu stehen. „Ich mache das nach wie vor sehr gerne. Außerdem kommt man in Kontakt mit Kunden, Lieferanten, Kollegen. Bekommt verschiedene Eindrücke!“ Im Hinblick auf ihre Wirtschaftskammerfunktion empfindet sie das sogar regelrecht als Grundbedingung der Tätigkeit. „Man braucht diesen Kontakt! Das finde ich extrem wichtig! Man  kann kein Wirtschaftskammer-Funktionär sein, wenn man keinen Betrieb hat.“

Der Weg in die Kammer
Dass sie überhaupt in der Kammer gelandet ist, mag – unter anderem versteht sich – auch mit ihrer Rolle als Frau in der Wirtschaft zu tun haben. Denn als Unternehmerin eines kleinen Betriebes, die gleichzeitig Mutter ist, war sie wie so viele Geschlechtsgenossinnen einer steten Mehrfachbelastung ausgesetzt. Selbständige Frauen geraten in einer solch patriarchal organisierten Welt (und damals war sie das noch in proportional stärkerem Ausmaß der Fall, wenngleich auch heute noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist) in einen steten Gewissenskonflikt. Dieser rührt nicht daher, dass sie etwa schlechte Mütter wären, als viel mehr, dass sie von der Gesellschaft im Stich gelassen werden, dass ihnen in Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu wenig Unterstützung widerfährt. Zwazl erzählt diesbezüglich ein paar persönliche Episoden, die aber typisch für sämtliche Frauen in einer derartigen Situation sein mögen. „Ich bin ja eine Känguruhmutter, das heißt, ich habe die Kinder immer überallhin mitgeschleppt. Sie waren auch im Geschäft und sind an meinem Rockzipfel gehangen. Einmal, ich war gerade im Gespräch mit einer Kundin, wollte meine Tochter etwas und ich hab wie so oft geantwortet: ‚Ich habe jetzt keine Zeit!‘ Da ist sie einen Schritt zur Seite gegangen, hat mit den Füßen aufgestampft und hat gerufen: ‚Ich hasse die Kunden!‘“
Ebenso erinnert sie sich an jene Momente, wenn sie völlig abgehetzt in den Kindergarten gelaufen ist, um den Sohnemann abzuholen. Damals gab es noch keine Nachmittagsbetreuung. „Er war immer der letzte, der abgeholt wurde, ist immer schon da gesessen und hat gewartet.“ Ein schlechtes Gewissen war die Folge, Dauerstress und Dauerdruck ohnedies. Erlebnisse wie diese lassen Zwazl, bewusst oder unbewusst, eine klare Erkenntnis gewinnen, die späterhin auch zu ihrem politischen Credo wird. „Wir müssen das Leben besser organisieren. Bessere Möglichkeiten schaffen, das ist wichtig!“
Diese sind für eine berufstätige Frau, für eine Unternehmerin noch einmal in besonderem Maße, schon während der Schwangerschaft vonnöten. „86% unserer Betriebe haben unter 10 Mitarbeiter. Wenn da jemand ausfällt, sei es durch Krankheit, sei es durch Schwangerschaft, kann das für einen Betrieb existenzgefährdend werden!“ Auch diesen Existenzdruck musste sie am eigenen Leib erfahren, als sie mit ihrem Sohn schwanger war. „Während es damals etwa im bäuerlichen Bereich schon Dorfhelferinnen gab, die vorübergehend im Betrieb mitangepackt haben, war das in der Wirtschaft noch nicht der Fall. Ich dachte mir damals, ‚Warum krieg ich niemanden?‘“
Die simple Antwort mag unter anderem sein, dass man dafür einfach keine Sensibilität hatte, weil jene, die an der Macht saßen, ausschließlich Männer waren. „Und die setzten sich mit derartigen Fragen nicht auseinander, weil sie gar nicht soweit dachten“, stellt Zwazl ohne Vorwurf fest. Es fehlte also schlichtweg die weibliche Sichtweise – und diese brachte Zwazl mitein.  Aktiv. Indem sie sich engagierte, etwas auf die Beine stellte. Gerade im Hinblick auf dieses Dilemma etwa hat sie den Verein „Betriebshilfe für die Wirtschaft“ gegründet, der genau bei oben erwähnten Ausfällen eines Partners einspringt und eine Arbeitskraft vorübergehende zur Verfügung stellt. Ganz nebenher weist dieser Verein noch eine zweite, sehr positive Komponente auf. „Wir haben dort vor allem ältere Arbeitnehmer, auch Langzeitarbeitslose, die zwar vielleicht nicht die Zampanos sind, aber über exzellente soziale Kompetenzen verfügen, viel Erfahrung haben, wirklich helfen können. Das ist gut für uns Selbständige, umgekehrt ist es auch gut für diese Menschen, wieder Fuß fassen!“
Plötzlich steht die Präsidentin auf und tritt unvermittelt ans Fenster. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.“ Ich stell mich neben sie, wir blicken hinüber aufs WIFI Gebäude, wo Kinder im Garten spielen. „Das ist unser Kindergarten! Das war mir auch ganz wichtig, dass man die Kinder zu den Kursen mitbringen kann. Dass die hier gut aufgehoben sind, während die Eltern einen Kurs besuchen. Das ist eine enorme Entlastung, sowohl für den Partner, der hier einen Kurs besucht, als auch für jenen zuhause, der dann allein den Laden schupfen muss. Das ist es, was ich mir  vorstelle“, sagt Zwazl voll Überzeugung und fügt lachend hinzu. „Ich freu mich noch immer jeden Tag darüber. Heute etwa, als ich in der Früh gekommen bin, sind vierzehn Nackerbazln herumgehuscht. Das macht Sinn!“

Geradeheraus
Anhand dieses Beispiels wird schon ein Wesenszug Zwazls evident. Sie ist eine – und das passt ganz gut zu ihrem Faible fürs Bauen – die anpackt, umrührt, Nägel mit Köpfen macht. „Mein Standpunkt war immer: Reden wir nicht lange herum, sondern schauen wir uns an, was wir in der Praxis brauchen und konkret umsetzen können!“ So hält sie es mit allem, und so ist sie wohl auch in die Politik gekommen: Nicht programmiert, nicht gezielt, sondern – man ist geneigt zu sagen – als logische Folge, weil sie ein aktives Einbringen als ureigenstes, selbstverständliches Element begreift. „Jeder, der in der Wirtschaft tätig ist, soll sich mit seiner Interessensvertretung auseinandersetzen. Das ist wichtig, weil ja jeder einen anderen Zugang hat. Und jeder kann sich einbringen!“, ist sie überzeugt und nimmt sich selbst als bestes Beispiel dafür. „Im Grunde genommen bin ich über Projekte in die Funktionärslaufbahn hineingerutscht. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Präsidentin werde.“
Wohl auch so mancher Mann nicht. Wie ist das eigentlich als Frau in einer vermeintlichen Männerdomäne? Gabs Gegenwind, chauvinistische Pöbeleien? „Am Anfang, wie ich in die Kammer gekommen bin, war ich als Frau sicher ein Exote, und natürlich hat es manch blöde Sprüche gegeben. Aber für jeden blöden Spruch gab es ebenso Solidarisierung durch männliche Kollegen, denen dieser Chauvinismus zuwider war“, erinnert sich Zwazl. Außerdem gäbe es als Frau in einer vermeintlichen Männerwelt auch Vorteile. „Dir wird zum Beispiel mehr Aufmerksamkeit geschenkt!“ Diese hätte sich die Präsidentin durch ihre direkte Art und ihren Führungsstil aber wohl ohnedies erarbeitet, ja eingefordert. Den Mythos vom schwachen Weibchen in der Welt der starken Männer wischt sie jedenfalls mühelos beiseite. „Frauen sind viel direkter Männer“, ist sie überzeugt, und hält in diesem Sinne auch nichts von Herumlamentieren oder Taktieren. „In Diskussionen brauch ich kein nichtssagendes ‚Ich schließe mich an‘ – da ist mir ehrlich gesagt leid um die Zeit. Ich mag auch keine ‚Kompromisse‘. Das heißt, wir haben das gerade noch Erträgliche ausverhandelt, eine Art Waffenstillstand – damit bin ich nicht zufrieden.“
Das klingt angriffslustig, gar eine Spur brachial, (männlich?), wird von Zwazl aber nicht als Einbahnstraße oder One-Woman-Show verstanden. Auch von ihrem Gegenüber erwartet sie ein derartiges Agieren mit offenem Visier. „ Ich halte nichts von Obrigkeitshörigkeit. Das ist mir zuwider. Man muss die Dinge klar ansprechen, muss ehrlich diskutieren. Nur so kann man Sachen umsetzen.“ Auch in ihrem direkten Umfeld erwartet sie einen solch offenen Umgang, den sie als Grundessenz konstruktiven Teamworks begreift. „Seriöser Umgang miteinander ist mir wichtig. Wertschätzung. Da ist der Funktionär, da ist der Mitarbeiter, da ist das Mitglied. Das muss funktionieren wie in einer Familie. Jeder hat seine Aufgaben, von der Bedienerin angefangen bis hinauf zur Präsidentin. Nur miteinander kann man etwas auf die Beine stellen. Ich denke, wir haben hier im Haus eine gute Stimmung. Ein offenes Verhältnis. Die Dinge werden geradeheraus angesprochen.“ 

Politik macht Spaß
Dass ihr diese Offenheit in ihrem politischen Leben – Zwazl ist neben ihrer Kammerfunktion auch Obfrau des NÖ Wirtschaftsbundes, Bundesvorsitzende von Frau in der Wirtschaft sowie Bundesrätin – bislang noch nicht zum Verhängnis geworden ist, wo man gern die Messer hinter dem Rücken wetzt und manch Intrige spinnt, mag vielleicht auch auf eine gewisse Sonderstellung zurückzuführen sein. „ Das Besondere an meiner Funktion ist ja, dass ich nicht bei der Kammer angestellt bin! Das heißt, ich bin nur den Mitgliedern verpflichtet, sonst niemandem! Daher bin ich von der Politik unabhängig! Das macht sehr viel aus!“, mutmaßt Zwazl. Vielleicht ist sie deshalb auch, zumindest wirkt es so, unverbrauchter als manch langjähriger politischer Kollege. „Politik macht mir einfach Spaß! Es gibt hier in der Kammer etwa einen ungeheuren Expertenpool, da kann man viel umsetzen! Mich faszinieren nach wie vor die Möglichkeiten!“ Umso mehr ärgert sie sich über Pauschalurteile und Politikerhetze. „Dieses plumpe ‚Mit denen will ich nix zu tun haben‘ ist ja völlig lächerlich. Wenn man mit etwas nicht zufrieden ist, dann muss man sich auch engagieren, dann muss man mitmachen, sich einbringen. Jeder hat dazu die Möglichkeit!“
Auch im direkten politischen Diskurs kann sie schon mal sauer werden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt „Ich lass mir nicht gern ans Bein pinkeln“, stellt sie nüchtern fest, „und ich kann es nicht ausstehen, wenn man sich politisch etwas via Medien ausrichtet. Das ist eine Frage der Kultur.“ Letztlich gehe es im politischen Wettbewerb wie überall um Respekt, um Konsens- und Paktfähigkeit. „Politik ist Wettbewerb. Ich hab da keine Berührungsängste. Die Gewerkschaften etwa haben ihre Berechtigung und Sinnhaftigkeit. Es kommt immer nur darauf an, dass man im Rahmen bleibt. Wenn man etwas politisch erreichen möchte, dann muss man sich gegenseitig Luft lassen, so dass keiner das Gesicht verliert!“
Stellt sich natürlich die provokante Frage, ob man auch als Bundesrat – Zwazl erfüllt diese Funktion seit 2003 – etwas erreichen kann. Immer wieder werden ja Forderungen laut, dieses Gremium gänzlich abzuschaffen, weil ein Zweikammernsystem in einem Land der Größe Österreichs überflüssig sei und der Bundesrat kaum politischen Einfluss habe. Die Präsidentin zieht die Stirn in Falten. Das lässt sie nicht auf sich sitzen. „Der Bundesrat ist sogar sehr wichtig. Ich kann dort direkt unsere Interessen vertreten, empfinde mich in diesem Sinne als Klammer zwischen Landtag einerseits und Bundesrat andererseits. Man hat einen immensen Informationsvorsprung. Der Bundesrat kann Entschließungsanträge stellen, und er erfüllt wichtige Aufgaben im Hinblick auf die EU. Ich selbst etwa sitze im EU-Ausschuss. Auf den ersten Blick bekommt man halt leider nicht viel mit, welche Möglichkeiten es in dem Gremium gibt!“

Glühende Europäerin!
Womit wir bei einem weiteren Thema sind, das der Präsidentin besonders am Herzen liegt, auch in ihrer Funktion als Wirtschaftskammerpräsidentin: Europa! „Diesbezüglich gibt es halt leider viele Vorurteile, auch viele Fehlinformationen“, beklagt sie – oder gar keine Information, möchte man hinzufügen.  „Wenn etwa immer die Nettozahler-Debatte losgetreten wird: Faktum ist, dass von jedem eingezahlten Euro drei im Gegenwert nach Österreich zurückfließen! Und wie schnell hat man vergessen, dass wir früher teure Wechselspesen bezahlen mussten, die mit dem Euro gänzlich weggefallen sind. Ganz abgesehen davon ist gar nicht auszudenken, wie wir die aktuelle Situation meistern würden,  wenn wir noch den Schilling hätten. Man braucht nur einen Blick nach Ungarn zu werfen, das nicht zur Eurozone zählt. Die haben ganz massiv zu kämpfen.“
Noch mehr in Rage bringen die Präsidentin Pseudodiskussionen um Themen wie die berühmte Gurkenkrümmung. „Die Wahrheit ist, dass die Gurkenkrümmung schon vorher ein nationales Thema war, nicht eines der EU!“, ärgert sie sich. Die Wirtschaftskammer hat deshalb sogar eine eigene Broschüre mit dem vielsagenden Titel „Legenden und Mythen rund um die Europäische Union“ aufgelegt, um mit Unwahrheiten aufzuräumen. Man wünschte sich, dass diese an jeden Haushalt geht, dann hätten Demagogen wie die FPÖ, „deren Ausländerhass ich strikt ablehne“, weniger Chancen, mit ihren Halbwahrheiten zu reüssieren.
Ganz abgesehen von alledem bleibe als allerhöchste Errungenschaft, als allerhöchstes Gut der friedensstiftende Charakter des EU-Projektes. „Wir haben seit Jahrzehnten keinen Krieg mehr erleben müssen. Allein deshalb müsste mir schon wurscht sein, ob ein Krügerl einen Cent mehr oder weniger kostet! Wir können uns heute wirtschaftlich besser gegen die USA behaupten, sind unabhängiger geworden. Und wir leben in hohem Wohlstand. Man sollte sich einmal die Mühe machen, sich umzuschauen, wie es Menschen anderswo ergeht, die nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben.“

Anpassungsfähigkeit
Nicht zuletzt betont die Präsidentin, dass gerade Österreich – Niederösterreich im Besonderen – von der EU-Osterweiterung profitiert hat und dadurch auch die aktuelle Krise bislang besser meistere als andere. „Während Österreich im Durchschnitt zuletzt einen Export-Rückgang von fast 25% hinnehmen musste, lag dieser in Niederösterreich im Vergleich bei ‚nur‘ 5,5%!“ Zwar sei die Situation nicht einfach, aber man müsse sie differenziert beurteilen. „Ich mag keine Verallgemeinerungen. Tatsächlich ist bei vielen Klein und Mittelbetrieben die Auftragslage nach wie vor gut. Probleme gibt es definitiv in der Industrie. Da ist die Auftragslage bei manchen gut, bei anderen wiederum schlecht.“ Prinzipiell sei die Wirtschaft seit jeher Veränderungen unterlegen und mache in den letzten Jahren einen massiven Strukturwandel durch. „In den letzten Jahren ist der Wettbewerb noch härter geworden, die Märkte haben sich globalisiert, da muss man sich immer wieder aufs Neue anpassen.“ Die aktuelle Situation freilich sei mit keiner bisherigen vergleichbar. Wobei sich Zwazl auch diesbezüglich über Horrormeldungen und Übertreibungen ärgert, „welche die Menschen über Gebühr verunsichern. Man kann nicht sagen, das ist genauso wie in den 30’er Jahren – das ist Blödsinn! Ebenso der Vergleich mit 1946 – der ist sogar anmaßend! Wir stehen auch nicht vor einem Tsunami, wie ich auch schon gelesen habe. Wir gehen ja von einem ganz anderen Niveau aus. Wir haben heute einen immens hohen Standard. Die Frage ist eher, wie kann ich diesen halten.“
Hier seien alle im Wirtschaftsleben Involvierten gefordert, die wie Gefäße miteinander kommunizieren. „Als Unternehmer hab ich zu überlegen, wie übersteh ich das alles. Was muss ich machen bzw. was kann ich überhaupt machen.“ Das heißt oft, wenn nötig und möglich, vielleicht ganz neue Wege einzuschlagen. „Mein Großvater etwa war Sattler. Irgendwann ist keiner mehr geritten, Kutschen wurden von Autos abgelöst. Das war auch nicht klass, um es salopp zu formulieren. Aber er hat dann eben umdisponiert.“
Viel spielt sich Zwazl zufolge ohnedies im Kopf ab. „Wenn ich mir andauernd nur denke ‚Was wird noch alles passieren‘ und nur schwarzmale, dann blockiert man sich über kurz oder lang selbst. Man muss aber aktiv sein. Muss sich vorbereiten, um reagieren zu können.“ Die Kammer versuche, ihres dazu beizutragen, den Unternehmen unter die Arme zu greifen. „Wir helfen unseren Betrieben sozusagen mit durchzutauchen, und eines kann man sagen: Die Lage stabilisiert sich!“
Letztlich läuft alles auf das berühmte Schlagwort „Flexibilität“ hinaus, die unser gesamtes Leben heute als conditio sine qua non zu durchdringen scheint. „Wir dürfen im Denken nicht im eigenen Häuserblock verharren“, fordert Zwazl. „Beim Forum Alpbach etwa wurde zuletzt prophezeit, dass Unternehmen in Zukunft nicht mehr ausschließlich nur qualifizierte Menschen, als vielmehr qualifizierbare Kräfte suchen werden, also solche, die sich laufend fortbilden! Die sich geistig fit halten! Flexibel bleiben.“

Arbeitende Entspannung
Bleibt zuletzt die Frage, um beim Zieleinlauf auf privates Terrain zurückzukehren, wie sich Frau Präsidentin selbst fit hält – und zwar im eigentlichen Sinne. Was treibt sie in ihrer Freizeit, abseits der Arbeit? „Ich hab mir vor ein paar Jahren ein altes Haus in Klosterneuburg gekauft. Das hab ich selbst renoviert“, verrät sie, und fügt schmunzelnd hinzu „Das entspannt mich ungemein!“  Ebenso wie die Arbeit im Garten. „Vor ein paar Jahren hab ich ein Biotop angelegt, mit Natursteinen – die hab ich extra aus dem Waldviertel geholt! Wenn ich da jetzt vom Haus oben hinunterschaue, in dieses wunderschöne, saftige Grün – das ist einfach unbeschreiblich!“,schwelgt die Präsidentin und fügt bestimmt hinzu „Es ist einfach schön, wenn man sieht, dass etwas weitergeht!“ Auch die Spaziergänge mit ihrem Hund Gandhi, ein Boxer, gehören zum Entspannungsprogramm, „außerdem sitze ich gerne mit Freunden zusammen, und ab und zu fahr ich mit meiner Tochter für unsere Firma auf internationale Kunstmessen, das verbinden wir dann gleich mit einem Kurzurlaub.“ Da geht es dann nach „Paris, Bologna, Barcelona, London oder Berminghan.“ Reisen ist ein gutes Stichwort, auch wir müssen uns langsam auf den Weg machen.
Zum Abschied inspizieren wir noch Zwazls Devotionalien-Regal mit Erinnerungsstücken: Da finden sich verschieden Fotografien, ein Mobile vom Kindergarten, ein Football und - ein Dirigentenstab! Das ist auch wieder so eine Sache, schießt es mir durch den Kopf: Kennt eigentlich irgendjemand eine Dirigentin? Kaum. Aber warum ist das so? Musik ist ja wohl keine Männerdomäne. Zwazl hat wenigstens einen Dirigentenstab, und auch wenn der nur symbolischen Charakter besitzt, so ist die Botschaft eindeutig: Sie ist hier der Boss, und alles tanzt nach ihrer Pfeife. Auch die Männer! Gesamtgesellschaftlich betrachtet tut uns das gar nicht schlecht, im Gegenteil – in den Chefetagen wären mehr Frauen sogar absolut wünschenswert. Meine Kollegin werde ich mit derlei Worten trotzdem nicht überzeugen können. Ich hör schon geradezu ihre Worte bei der nächsten Redaktionssitzung. „Eh klar – schon wieder ein Mann!“