MFG - Sie ist unter uns
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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Sie ist unter uns

Ausgabe 06/2009

Rathausplatz. Ein lauer Frühsommerabend. Helmut Mittermeier sitzt gemütlich im Café Central, dennoch ist er nicht gut drauf. „Ging schon mal besser“, lässt er wissen. Sein Blick fällt auf die frisch renovierte Dreifaltigkeitssäule: „Irgendwie fast ein bisschen zu weiß geworden?“ Reingewaschen? Vom Unnötigen befreit? Analogien zur aktuellen Wirtschaftsdebatte tun sich auf.

In deren Zuge hört man ganz ähnliche Ausdrücke wie „war überfällig“, „Gesundschrumpfen“, „die fetten Jahre sind vorbei“. Freilich nur von jenen, die von der Krise (noch) nicht betroffen sind und sich auf der sicheren Seite wähnen. „Ich bin im Dienstleistungssektor, was soll mir schon passieren?“, meint etwa mein Freund Michael, Chef eines Entertainmentbetriebes. Das kleine Schönfärbe 1x1 dieser Tage – nur die Rechnung geht nicht auf! Auch Mittermeier ist Dienstleister. Der Mitdreißiger schreibt für diverse Wirtschaftsmagazine, fertigt Firmen-Pressemeldungen an, verfasst Artikel für Kunden- und Industriezeitungen. Doch die Aufträge sind rar geworden – es fehlt offensichtlich selbst das Geld, die negativen News zu kommunizieren. Oder der Wille. Und damit Geld für Mittermeiers Dienste, und dem wiederum jenes für die Miete seines Büros. Ein wirklich schönes. Sein ganzer Stolz. „Aber ich bin gerade auf der Suche nach etwas kleinerem“, meint er, und fügt dann seufzend hinzu: „Wenn du etwas weißt...“
Auch im Backstagebereich des VAZ diskutiert man, während auf der Bühne Helene Fischer vor ausverkauftem Haus trällert, über die Wirtschaftslage und ihre Auswirkungen aufs Business. Der Vorarlberger Veranstalter ist überzeugt „dass, wenn überhaupt, eher bei anderen Luxusgütern gespart wird. Beim Zweitauto etwa, oder beim Wochenendtrip.“ Die „kleinen Freuden“ hingegen würden durch die Krise nicht nur nicht tangiert, sondern vielleicht sogar mehr nachgefragt „das ist dann sozusagen das besondere Guzzi, das man sich noch gönnt.“ Dennoch lässt auch in einem multifunktionalen Haus wie dem VAZ die Krise grüßen. So hat etwa eine große Versicherung ihre traditionelle Weihnachtsfeier für über 2000 Mitarbeiter gestrichen – komplett!
Und auch der öffentliche Dienst ist nicht gefeit, muss – wie man es neuerdings so gern formuliert – „seinen Beitrag leisten“. „Wir haben Gehaltskürzungen im Ausmaß von 7%, und die Stunden in der Abendschule wurden überhaupt gleich um fast ein Drittel gekürzt!“, beklagt ein HTL Professor. Der vermeintliche Sieg gegen Ministerin Schmied war ein Pyrrhus-Sieg. Aber letztlich ist alles eine Frage der Wahrnehmung. Wie die Krise selbst, von der zwar jeder spricht, die aber keiner so recht zur Kenntnis nehmen möchte – solange er nicht muss! Dabei ist sie mitten unter uns.

I must to the bank
Eine Wetter-Szenerie mit fast symbolischem Charakter. Es ist stark bewölkt, zwischendurch gibt es immer wieder kleine Schauer, aber der ganz große Wolkenbruch scheint überstanden. Der Ort passt ebenfalls: Europaplatz! Die Wirtschafskrise ist kein lokales Ereignis, sondern spielt sich in größeren Maßstäben ab. Österreich, Europa, die ganze Welt. Just hier hat die Raiffeisenbank Region St. Pölten ihr Headquarter aufgeschlagen.
Der Bau des Finanzinstitutes gibt sich nach außen hin unterkühlt. Schwarzer Stein, überdimensionales Raiffeisen-Branding. Wir fahren mit dem Lift in den 4. Stock hinauf und landen in einem stylischen, aber gemütliches Foyer. Witzige 70’ies Retrostühle, viel Glas, das Transparenz vermitteln soll, wo manche neuerdings Verdunklungsgefahr vermuten. Auf einem Tisch liegen Zeitungen: Kurier, Wirtschaftsblatt, St. Pölten konkret... ganz obenauf die Raiffeisenzeitung! Auch das könnte man symbolisch deuten. Ob es noch zutrifft? Die Aktien der Raiffeisen International haben innerhalb eines Jahres um 70% an Wert verloren. Die Banken hat es voll erwischt. Freilich, die RI ist nicht die Raiffeisenbank Region St. Pölten. Hier bäckt man kleinere, überschaubare Brötchen. „Das Geschäftsmodell ist ausschlaggebend. Wir als regionale Bank haben ein Umfeld von 100.000 Leuten. Das Einkommen der Leute vorort ist das Potential, das uns zur Verfügung steht.“ Das sagt einer, der es wissen muss: Direktor Karl Kendler, der uns abholt. Eleganter grauer Anzug, violettes Hemd, dazu passende Krawatte, poliertes Schuhwerk. Freundlich-distanziertes Auftreten. Ein Mann, der Seriosität ausstrahlt – und Understatement. Sein Büro ist geräumig, aber in keinster Weise protzig. So wie der Hausherr selbst, der uns höchstpersönlich Kaffee einschenkt.

Am Weltmeer & daheim
Auf einem Regal erspähe ich das Modell eines Containerschiffes. Kein „Spielzeug“, sondern Beispiel für eines jener Schiffe, an denen man sich beteiligen kann – ein Anlagehit der letzten Jahre. „Schiffsbeteiligungen sind eine gute Durchmischung des Portefeuilles“, bestätigt Kendler „zugleich auch ein sensibler Indikator für die Weltwirtschaft“. Und der hat zuletzt negativ ausgeschlagen. Tatsächlich wird draußen auf den Weltmeeren die globale Dimension der aktuellen Krise am offensichtlichsten. „Die ZEIT“ etwa begleitete einen deutschen Containerschiff-Kapitän. Er fährt aktuell mit halber Fracht, so langsam wie möglich, um nicht lange in Häfen verweilen und teure Hafenmaut bezahlen zu müssen. Aber immerhin fährt er noch!  Andere Schiffe – das gab es seit Jahrzehnten nicht – laufen überhaupt nicht aus. Auftragsflaute! Draußen auf See ist die Krise in halber Fahrtgeschwindigkeit messbar, bei uns neben medialer Dauerpenetrierung auch in Nuancen: so verdrängte im KURIER der Wirtschaftsteil die Chronik nach hinten.
Zufall? Mitnichten, ebenso wenig wie das Platzen der Immobilienkrise in den USA und die damit korrelierende Banken- und Finanzkrise, die manche Wirtschaftsexperten prophezeit hatten. Aber nie in dieser Wucht.  „Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft. Die Situation 2008, und darüber sind sich alle Experten einig,  war einmalig, so etwas gab es seit 1929 nicht mehr“, bestätigt Kendler, der als regionaler Bankdirektor auch an den zur Krise führenden Faux Pas manch internationaler Institute mitzuleiden hat. „Es hat einige Institute gegeben, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Es wurde weltweit versucht, die Bilanzstruktur zu ändern. In den letzten Jahren gab es einen exzessiven Expansionsdrang, der eine Blase produziert hat. Am Immobilienmarkt, aber auch bei den Fremdwährungskrediten.“
Damit spielt er auf einen Aspekt an, der vielerorts fast untergegangen ist. Zwar schimpft man gern auf „die Amis da drüben“, aber es gibt auch eine europäische, ja eine österreichische Dimension, welche die Alpenrepublik ihrerseits nach Osteuropa exportiert hat. „Generaldirektor Püspök (RLB) wurde ehemals fast ausgelacht, weil er in der Frage der Fremdwährungskredite sehr restriktiv war und gewarnt hat.“ erinnert sich Kendler.  „Das ist ja ein Geschäftsmodell, das Sinn macht, wenn ich in derselben Währung auch Einkünfte habe. Aber irgendwann begann man es auf sämtliche Finanzierungsmodelle umzulegen. Die Kunden selbst begannen Bank zu spielen, denn plötzlich gewann man Geld mit einem Kredit“, und das ist widersinnig und ging nur eine Zeitlang gut. Auch weil die Institute, auch Raiffeisen, aus Wettbewerbsgründen dem keinen Riegel vorschoben. „Dazu hätte es einer einheitlichen Regulierung bedurft“, aber die gab es nicht.
Und so reizten alle das System so lange als möglich aus, weil sich alle, Banken wie Kunden, als Gewinner fühlten. Mit Ablaufdatum. „Es liegt einfach in der Natur des Menschen, dass er immer alles optimieren möchte. Er will mehr haben. Wenn ich aber mehr haben will, dann bedeutet das auch mehr Risiko“, so Kendler. Man könnte auch von Gier reden, und dem Bankdirektor liegt der Begriff wohl auf der Zunge, auch wenn er ihn nicht ausspricht. Aber man weiß, worauf er hinaus will, wenn er mehr Ethik einfordert, in seiner wie in jeder Branche, vor allem aber auch vom einzelnen. Dabei sei es Kendler zufolge weniger an fehlenden Vorschriften gelegen, als viel mehr an deren Sanktionierung. „Persönlich bin ich überzeugt, dass die aktuellen Vorschriften ausreichend gewesen wären.“ Wenn sich denn alle daran gehalten hätten.

Kollateralschaden
Haben sie aber nicht, und mit dem Fall „Lehman“ kam die ganze Branche in Verruf. Die Konsequenzen hat auch ein regionales Bankinstitut vorort mitzutragen, wenngleich Kendler relativiert. „Wir haben 45000  Kunden. Jene, die uns für  Kursverluste bei Veranlagungen verantwortlich gemacht haben, kann man an der Hand abzählen.“ Dabei kann der Direktor die allgemeine Enttäuschung nachvollziehen. „Wenn du einen Depotauszug besprichst, wo viele Werte im Minus liegen, erhält die Kauflust natürlich einen Dämpfer. Und wenn ich nur Krise, Krise, Krise hör, bekomm ich sie auch irgendwann“, spielt er auf eine gewisse mediale Gehirnwäsche an, welche die Krise als solche noch verschärfe. Aber letztlich seien dem Institut die Kunden treu geblieben, weil man für Seriosität stehe. „Wir hätten nie Portefeuilles angeboten, wo z.B. nur Immobilienaktien drin sind – auf die Streuung kommt es an. Wir haben immer gemeinsam mit unseren Kunden die Anlagen erarbeitet,  haben auch viele Garantieprodukte vermarktet.“ Dass zuletzt eine Flucht aus Wertpapieren zu konstatieren war, „ist kein Geheimnis“, dafür „ist aber das Einlagengeschäft gestiegen!“ Das heißt, die Leute suchen wieder sichere Häfen á la Sparbuch. „Oder sie investieren in Häuser oder renovieren die Wohnung fürs Enkerl.“ Irgendwie scheint plötzlich das große Bedürfnis nach Sicherheit, Überschaubarkeit, Handfestem um sich zu greifen. Lieber ein Stück weniger verzinste Realität, als eine Spekulation auf überproportionale Renditen. Realitätssinn ist zurückgekehrt, oder schlichtweg die einfache (schmerzhafte?) Erkenntnis, dass, wo Risiko draufsteht, eben auch Risiko drin ist. „Das ist wie mit dem Beipacktext beim Arzt, den nimmt auch keiner ernst oder liest ihn durch“, ortet Kendler eine gewisse Denkanalogie. Umgekehrt waren aber auch manch „Ärzte“ in der Finanzdienstleistungsbranche nicht gerade Meister ihres Faches.

Keine Kreditklemme
„Medizin“ tat auch manch österreichischer Bank not, wobei Kendler diesbezüglich der österreichischen Politik für ihre Erste Hilfe ein gutes Zeugnis ausstellt. “In Österreich konnte ein gröberer Schaden im Rahmen gehalten werden, da hat die Politik wirklich sehr schnell und richtig gehandelt“ Er verweist damit auf die angebotenen Staatsgelder zur Erhöhung der Eigenkapitalausstattung bzw. Sicherung der Liquidität der Institute, welche die Banken allerdings nicht, „wie gemeinhin der Eindruck entstand, geschenkt bekommen. Die Gelder müssen die Banken mit 8% Verzinsung zurückzahlen! Das ist ein gutes Geschäft für den Finanzminister!“
Durch diesen Schritt wurde ausreichend Liquidität gesichert. Dass die Banken diese Gelder nunmehr nicht wieder in den Kreislauf pumpen, sondern horten, stellt Kendler zumindest für sein Institut in Abrede. „Aus unserer Sicht gibt es keine Kreditklemme. Tatsächlich ist die Nachfrage aktuell auf sehr gedämpftem Niveau, weil viele Investitionsvorhaben auf die lange Bank geschoben werden.“ Faktum sei, dass manche Unternehmen ihrerseits mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen haben, es bestehe eher der Bedarf nach Überbrückungskrediten für Verlustfinanzierungen. Die Bank selbst habe ihre Strategie nicht geändert. „Die Kreditvergabe richtet sich bei uns immer nach der Bonität. Wobei wir unseren langjährigen Kunden in guten wie in schlechten Zeiten beistehen. Zugleich sind wir verantwortlich für die Einlagen unserer Kunden.“
Die generelle Wirtschaftslage beurteilt Kendler differenziert. „Über weite Strecken trifft es Unternehmen, die schon vorher Probleme hatten – da ist die jetzige Krise nur der Auslöser. Aber das Ausmaß ist so groß und überraschend, dass es auch gesunde Betriebe treffen wird“, prophezeit der Bankdirektor. Grund, deshalb den Kopf in den Sand zu stecken, sieht er aber keinen. „Es gibt wirklich Licht am Ende des Tunnels, die Talsohle ist erreicht!“ Fürs erste zumindest im Finanzsektor! Die Realwirtschaft hingegen „wird 2009 und auch 2010 noch zu kämpfen haben. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir, und damit meine ich uns alle, die Krise positiv bewältigen werden, wenngleich wir nachher nicht einfach zur Tagesordnung übergehen dürfen!“

Wie der Teufel das Weihwasser
In der NÖ Wirtschaftskammer klirren in einem Ambiente, das architektonisch an das New Yorker Guggenheim erinnert, die Sektgläser. Garnelenspießchen werden gereicht, ein DJ legt Discomusik auf, mehrheitlich junge, extravagante Menschen (oder solche, die sich dafür halten) flanieren durchs Foyer. Nominierungsgala zum „Goldenen Hahn“, dem Werbepreis des Landes. Die Werbewirtschaft feiert sich selbst.
Bei manchen mag dennoch nicht so rechte Stimmung aufkommen. Ein Agenturboss berichtet „dass es mit einem großen Auftrag fürs Land jetzt doch nichts wird, weil die sparen“, und ein St. Pöltner Reisebüro-Betreiber beklagt, „dass wir die Krise sehr spüren. Die Leute buchen später, viele schauen sehr genau auf den Preis. In Griechenland haben wir Einbußen von 30% – 40%!“
Im Saal drinnen kämpft sich derweil ein mittelmäßiger Moderator durch die Veranstaltung. Den ganzen Abend hindurch, das ist sein Running-Gag, versucht er das Wort „Krise“ zu vermeiden und strapaziert es dadurch über Gebühr. Zum Lachen bringt das nur wenige. Als es dann doch fällt, das böse Wort, verzieht er sein Gesicht. „Jetzt ist sie mir also doch herausgerutscht, die Krise!“
Mit dem patscherten Ausblenden des Wortes hat er freilich einiges mit den Funktionären gemeinsam. So wähnten sich heuer beim Neujahrsempfang der Wirtschaftskammer viele Unternehmer im falschen Film, weil so getan wurde, als sei alles Eitelwonne. Von dieser „Wir machen die Augen zu, dann findet uns die Krise nicht“-Mentalität ist man mittlerweile dankenswerterweise abgekommen. Zwar vermeidet man das Wort „Krise“ nach wie vor wie der Teufel das Weihwasser, aber immerhin hat man sich zu einer Sprachregelung durchgerungen, die „Schwierigkeiten“ einräumt . Bei einer Zahl von beispielsweise fast 15.000 Mitarbeitern in  Kurzarbeit wäre alles andere auch ein Hohn.  „Es gibt Branchen mit klaren Problemen, etwa im Automobilbereich und den mit ihm verbundenen Sektoren, Bereiche mit gewissen Verunsicherungen und ebenso Firmen mit vollen Auftragsbüchern!“, umreißt sodenn Christian Buchar, Pressesprecher von Wirtschaftskammer-Präsidentin Sonja Zwazl, die Lage.
Dabei muss man der Kammer zugestehen, dass sie in einem gewissen Dilemma steckt. Spricht sie offen von Krise, so demoralisiert sie die Mannschaft. Deshalb versucht man gegenzusteuern, wo möglich, wobei vielfach die psychologische Botschaft schwerer wiegt als die faktische Wirkung. Unter dem Motto „Stark trotz Krise“ bittet man etwa medientauglich Unternehmen vor den Vorhang, die trotz Krise erfolgreich sind. Als bewusstes „Nach Regen kommt auch wieder Sonnenschein“-Signal wurde das Programm 2010+ aus der Taufe gehoben, um sich auf die Zeit NACH der Krise vorzubereiten. Überhaupt appelliert die Präsidentin bei jeder Gelegenheit: „Wir dürfen uns von aktuellen Problemen nicht den Blick für die Notwendigkeiten für den Aufschwung von morgen verstellen lassen. Die Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden!“
Durch die Umsetzung der neuen Vergaberichtlinien des Landes, eine langjährige Forderung der Wirtschaftskammer, erhofft man sich einen nachhaltigen Wirtschaftsimpuls, weil er „dafür sorgen wird, dass das Geld der öffentlichen Hand im Land und in den Regionen bleiben wird!“ Freilich müssten auch die Banken, so ein weiterer Appell, wieder „mehr Vertrauen in die Unternehmer“ setzen – sprich den Geldhahn aufdrehen. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, hat die Wirtschaftskammer Investitionen in die eigenen Bezirksstellen in Höhe von 28 Millionen Euro vorgezogen.
Auch auf der Werbegala wird eine neue Kampagne präsentiert: „Marke statt Krise“ „Klingt eher wie ein Hilferuf“, amüsiert sich ein Werbeprofi. Tatsächlich mutieren die Werber dieser Tage zur Speerspitze des erhofften Aufschwungs bzw. zur letzten Bastion gegen den Zusammenbruch. Sie müssen durch ihre Botschaften den Konsum, die Kauflust von Max Mustermann am Laufen halten. „Krise trotz Marke wäre auch passend gewesen“, witzelt der Werbeguru und angelt sich noch ein Gläschen Sekt, das er in einem Zug leert.

Dicke Luft in Herzogenburg
Sonntagnachmittag. Ein kleiner Ort in der Nähe St. Pöltens. Die Sonne scheint. Kinder spielen im Garten. Der Geruch von Gegrilltem liegt in der Luft. Wir sitzen auf der Terrasse, Herr Maier (ein Aliasname, seinen richtigen möchte er nicht in der Zeitung lesen) schenkt Kaffee nach. Von einem Freund hat man ein gebrauchtes Schwimmbad gekauft, dessen Aufstellung von den Kindern im Viertelstundentakt gefordert wird. Maiers stets geduldige Antwort: „Später“.
Alles scheint perfekt. Idylle pur. Und doch liegt da ein unsichtbarer Schleier von drückender Unsicherheit in der Luft, ein Damoklesschwert, das seit Monaten quälend über Maier und seiner Familie sowie der gesamten Belegschaft von Georg Fischer (immerhin an die 1.300 Personen) hängt. Der Herzogenburger Ableger des Schweizer Konzerns ist u. a. in einer Branche aktiv, um die man ihn aktuell nicht beneidet: Automobil. In Herzogenburg werden z. B. Türrahmen für die Mercedes S-Klasse produziert, Autos, deren Absatz laut Financial Times heuer bereits um rund 40% eingebrochen ist. Die „GF Automotive“ selbst berichtet von Umsatzeinbußen von 47% seit Herbst!
 
Aufziehende Gewitterwolken
„Damals wurde in den Medien viel von DER Krise gesprochen“, erinnert sich Maier. „Da machte sich schon Unsicherheit breit.“ Wie vor einem Gewitter zogen allmählich dunkle Wolken auf. Erster Donner grollte. „Früher haben wir großzügig Vorschauen getätigt, nach dem Motto „im Juni, Juli werden wir 10.000 Teile produzieren. Aber die Vorschau-Zeiträume wurden immer kürzer.“ Mittlerweile scheint man froh, wenn man weiß, wie es im nächsten Monat weitergeht. Ein weiteres Alarmsignal waren außertourliche Schließtage. „Was uns alle erschüttert hat, waren Schließtage bei BMW. Die haben ihre Mitarbeiter vorübergehend in Urlaub geschickt – mitten im Jahr!“ Bald darauf war auch das eigene Werk betroffen. Die Produktion wurde zurückgefahren. Liefen früher die Maschinen die ganze Woche durch, so stehen sie jetzt Samstag und Sonntag still. Die Schichten sind von 25 auf 14 heruntergeschraubt worden. Leiharbeiter wurden entlassen, Zeitverträge nicht verlängert, der Abbau der Ferien- und Gleitzeitkonten eingeleitet. „Was uns all die Monate aber am meisten quälte, war die Frage, wie es überhaupt weitergeht.“ Doch die Geschäftsführung ließ die Belegschaft, wie man so schön sagt, deppert sterben. Es gab null Information, dementsprechend brodelte die Gerüchteküche, von „die wissen selbst nicht, was sie machen sollen“ über „die haben ein fixfertiges Sanierungskonzept im Ladl“ bis hin zu „wir werden geschlossen“.

Das Fettgedruckte
Dann, im April,  trudelte endlich ein Brief unter dem Wortlaut „Persönliche Information über das GF Maßnahmenpaket“ ein. An jeden einzelnen Mitarbeiter,  in dem das zwischen Geschäftsführung, Betriebsrat und Gewerkschaft ausgehandelte Paket vorgelegt wurde. Daumen mal pi sollten die Angestellten in Hinkunft auf rund 7%  ihres Salärs verzichten, die Arbeiter gar auf bis zu 12%! Warum es einen derartigen eklatanten, schon den Keim von Zwietracht in sich tragenden Unterschied zwischen den Arbeitnehmergruppen gab, „hat niemand verstanden.“ Das Management selbst, so wurde mitgeteilt, gehe mit gutem Beispiel voran (und setzt dies seit Mai tatsächlich um): Der CEO verzichte auf 20% seines Fixgehaltes, die Führungskräfte des Konzerns auf 10%. Auch eine Art Einbußen-Ober-Schmerzgrenze wurde zugesichert. Die Angestellten etwa sollten maximal 400 Euro verlieren. „Insgesamt war von einem Einsparpotential durch die Maßnahmen von rund 3,9 Millionen Euro die Rede.“ Der Brief schloss im Fettdruck: „Bitte bedenken Sie, dass die Arbeitsplätze am Standort massiv gefährdet sind, wenn das Paket abgelehnt würde.“ Die Botschaft war unmissverständlich. „Für mich wäre das ein akzeptabler Kompromiss gewesen“, räumt Maier ein, auch wenn er dadurch – wie er uns anhand des ebenfalls im Brief integrierten Musterlohnzettels zeigt – gut 100 Euro seines Monatssalärs eingebüßt hätte. „Aber ich mache den Job gern. Ich habe nicht weit in die Arbeit, die Arbeitszeiten sind okay. Woanders wäre ich schlechter dran.“

Urknall bei Urabstimmung
Ende April fand die Urabstimmung über das Maßnahmenpaket statt, und die endete mit einem Big Bang: Das Paket wurde abgelehnt! Während ca. 90% der Angestellten den Vorschlag mitgetragen hätten, sprach sich das Gros der Arbeiter dagegen aus.
„Die haben es offensichtlich einfach nicht kapiert, dass uns dann wahrscheinlich überhaupt nichts mehr bleibt. Ich hab echt einen Grant!“, schüttelt Maier den Kopf. Dass vielleicht einen Arbeiter, der um ein Eck weniger als ein Angestellter verdient, der prozentuelle Einschnitt ungleich schwerer trifft, stellt er nicht in Abrede, letztlich orten die Angestellten bei ihren Kollegen dennoch kurzsichtige Betonierermentalität. „Mich ärgert, dass ich jetzt vielleicht wegen jemandem, der nur dumm die Feile schwingt ohne nachzudenken, auch den Job verliere.“ Freilich, die „Feilenschwinger“ bilden das Gros der Werksmannschaft. Seitdem herrscht jedenfalls dicke Luft im Werk. „Eine Kluft zwischen Arbeitern und Angestellten gab es schon immer, aber nach diesem Erlebnis hat sie sich offen manifestiert.“ Ob die Zerstrittenheit der Belegschaft bei etwaigen weiteren Verhandlungen zum Vorteil gereicht, darf bezweifelt werden – wobei Verhandlungen ohnedies kein Thema mehr sein dürften. So kommentiert der Marketing & Kommunikationsleiter Harald Weber von der GF Automotive Mutter in  Schaffhausen die Ablehnung der Abstimmung folgendermaßen. “Georg Fischer nahm diesen Entscheid mit Bedauern zur Kenntnis und muss nun Maßnahmen durchführen, die von uns alleine beeinflusst werden können.“ Maßnahmen, die keine rosigen Zeiten verheißen. So wurden die Mitarbeiter sowie die Medien Ende Mai von einer Reihe von Maßnahmen des Konzerns in Kenntnis gesetzt, worin es u. a. heißt, „dass für etwa 850 Mitarbeitende Kündigungen nicht zu umgehen sein werden.“ Davon könnte auch der Standort Herzogenburg betroffen sein, zumal man hier „die drei Fabriken umstrukturiert und teilweise zusammengelegt werden!“ Was das heißt, umreißt Weber in Stichworten „Die Anpassung der Kapazitäten an die Nachfrage. Die teilweise Verlagerung von Produkten an andere Standorte. Die Rückgabe einzelner, nicht profitabler Produkte an den Markt. Die Reorganisation der Produktion am Standort Herzogenburg“, um dann hinzuzufügen. „Weitere Details können wir erst im Laufe des Projektfortschritts nennen.“ Auch auf die Frage, ob es Kündigungen geben wird, antwortet Weber nebulös. „Die Entwicklung des Personalstandes hängt auch davon ab, wie die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen greifen. Freisetzungen sind nicht auszuschließen, Konkretes werden wir zum gegeben Zeitpunkt berichten!“
Kurzum. Das große Zittern wird prolongiert, und das zehrt gewaltig am Nervenkostüm. „Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie es weitergeht, und es ist mir mittlerweile auch egal!“, meint Maier fast trotzig. „Viele sind von einer Phase der Angst in eine der Gleichgültigkeit hinübergeglitten.“ Fast entschuldigend fügt er hinzu: „Wissen Sie, ich kann mich nicht die ganze Zeit fürchten. Das zermürbt dich, macht dich fertig, und ändern kann ich ohnedies nichts.“ Das klingt wie die berühmten letzen Worte eines Buches, danach ist nichts mehr zu sagen. Maier blickt gedankenverloren auf den Tisch, als hätte man plötzlich die Pause-Taste gedrückt. Unangenehmes Schweigen breitet sich aus, bis uns der Sohnemann erlöst. „Papa, wann stellen wir endlich das Bad auf?“ Maier wirft mir einen ratlosen Blick zu, dann wendet er sich lächelnd seinem Junior zu: „Jetzt mein Schatz“!

Die anderen
Georg Fischer ist nur ein Exempel, wo aktuell die Zeichen auf Sturm stehen. Und die Mär, ja Hoffnung, dass es nur die Automobilindustrie trifft, wird rasch zunichte gemacht. Bereits im März signalisierte etwa der Möbelhersteller Svoboda, bis vor kurzem Arbeitgeber von immerhin 240 Mitarbeitern, dass er mit der Krise zu kämpfen hat. Wie man gegenüber dem Wirtschaftsblatt bestätigte, wurden Urlaube und Zeitausgleiche abgebaut, die Zahl der Leiharbeiter wurde auf null gesetzt. „Die Devise ist: Wir müssen möglichst flexibel bleiben“, so damals Geschäftsführer Bernhard Holzer. Doch das allein reichte nicht aus. Mittlerweile wurden erste Kündigungen ausgesprochen.
Auch der Tiroler Holzwerkstoffhersteller Egger mit Dependance in St. Pölten drückt auf die Kostenbremse. Im Februar kündigte man per Aussendung für die gesamte Egger-Gruppe einen „Abbau von Leiharbeitskräften, Urlaubs- und Überstundenabbau aber auch Kurzarbeit und die Kündigung von Mitarbeitern“ an.  Ein St. Pöltner Mitarbeiter, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, gibt an, dass „Überstunden zwar noch gemacht, aber nicht mehr ausbezahlt, sondern in Zeitausgleich abgegolten werden.“ Dies habe zur Folge, dass er aktuell vier Wochen arbeiten ginge „und jede fünfte Woche muss ich Urlaub nehmen!“ In seinem Säckl macht sich das Streichen der bezahlten Überstunden „mit einem Minus von rund 200-300 Euro bemerkbar.“ Das machte ihm angesichts laufender Kreditrückzahlungen anfangs extrem zu schaffen, ein wenig Entspannung „hat aber die letzte Leitzinssenkung der EZB gebracht, dadurch ist auch die Kredittilgungsrate geringer geworden.“ Dennoch, und dies hat er mit vielen Kollegen gemeinsam, suchen viele zunehmend nach zusätzlichen Einnahmequellen – bis hin zum regelmäßigen Plasmaspenden. „Das kann man bis dreimal alle zwei Wochen. Bei ca. 20 Euro pro Spende bringt das im Monat bis zu 120 Euro in die Familienkasse!“
Auch die Personalvermittlungsagenturen stöhnen. „Wir bekommen die Krise ja als erste zu spüren, weil bei uns immer mehr Bewerber vorstellig werden, die umgekehrt gerade erst woanders ihren Job verloren haben. Die Vermittlung wird daher schwieriger!“, so Martin Heiss, Geschäftsführer von Staff 24. Er schränkt aber ein, „dass die Nachfrage stark abhängig von der Branche ist. Während im Gewerbe und den Mittelständischen Unternehmen die Vermittlungsquote noch gleich hoch wie jene im Vorjahr ist, lässt sich in der Industrie, und hier speziell in der Autoindustrie rund um St. Pölten, ein Rückgang der Vermittlungen feststellen.“
Was im Kampf um einen Arbeitsplatz besonders relevant wird, ist die Frage der Qualifizierung. „Gut ausgebildete Arbeiter lassen sich leicht vermitteln und werden weiterhin nachgefragt, während es für minder qualifizierte Arbeitskräfte und Hilfspersonal immer schwieriger wird.“

Kikantisch
Schwierig könnte es auch für Teile des Handels werden. Bei Leiner/Kika etwa kursieren Gerüchte über geplante Gehaltskürzungen. Betriebsrat Freitag sagt dazu nur „dass wir dazu gar nichts sagen“, und sagt damit eigentlich schon sehr viel. Die Stimmung im Betrieb ist, wie einige Mitarbeiter bestätigen, „von Unsicherheit geprägt. Man hört Gerüchte, aber Konkretes gibt es nicht.“ Aufklärung über den Status Quo schafft Leiner/Kika Geschäftsführer Paul Koch. „Was es aktuell gibt, sind normale Bereinigungen, das heißt wir trennen uns von Mitarbeitern mit unterdurchschnittlichen Zahlen, solche die drei Jahre im Krankenstand sind etc. – da muss man im Sinne des Gesamtunternehmens einen Schlussstrich ziehen. Wenn es gut geht, sind das vielleicht 50 Mitarbeiter in Österreich, und derlei Restrukturierungen hatten wir schon immer“, so der Manager. „Ich will aber nicht schönreden, dass man sich natürlich auch auf etwaige härtere Maßnahmen vorbereitet.“  Als Vorstufe könnte man deuten, dass  Mitarbeiter „mit exzessiven Urlaubsständen“ gebeten wurden, diese sukzessive abzubauen. „Wir gehen da auf Führungsebene mit gutem Beispiel voran“. Zudem stehen weitere Maßnahmen zur Diskussion „etwa bei Managern Teile des Gehalts zu kürzen, Boni zu streichen, die Erreichung von Prämien nach oben zu setzen, Überstundenpauschalen einzuführen oder Leute teilweise geringer anzustellen, weil es nicht Sinn macht, dass sie vielleicht Dienstag, Mittwoch im Geschäft stehen, obwohl in ihrer Abteilung nichts los ist, während sie am Freitag, Samstag voll durcharbeiten könnten und dann auch über das Provisionsmodell besser verdienen würden.“ Beschlossen ist aber noch nichts. Auch für den schlimmsten aller Fälle „liegen  Szenarien in der Schublade, die wirklich drastisch aussehen und die ich mir mit meinen 32 Jahren gar nicht vorstellen mag.“
Dass diese aber je zum Einsatz kommen, hält Koch für unwahrscheinlich. Prinzipiell sei das Unternehmen gut aufgestellt. „Als Familienunternehmen haben wir immer auf eine gute Eigenkapitalquote gesetzt, die bei uns im hohen zweistelligen Bereich liegt! Da wurden wir bis vor kurzem noch von unseren Partnern und den Banken als die Blödis hingestellt, jetzt sind wir plötzlich dir Heroes! In Zeiten wie diesen ist das Gold wert.“ Auch deshalb, weil man dadurch eine gefüllte Kriegskasse hat – Stichwort Expansion. „Ich kann zwar das Schlagwort ‚Krise als Chance‘ nicht mehr hören, aber wir bemühen uns natürlich, jetzt Marktanteile zu gewinnen, ganz einfach weil wir den nötigen langen Atem haben!“ Gerade im Hinblick auf die Ostaktivitäten ärgert sich Koch über das undifferenzierte Bild, das von DER Wirtschafskrise gezeichnet wird. „Man kann nicht alles über einen Kamm scheren, es gibt regionale Unterschiede.“ Auch die Aussagen von Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, der für den Osten Horrorszenarien erstellte und Österreich gar den Staatsbankrott prophezeite (was er vor kurzem „reuemütig“ zurücknahm), stoßen ihm sauer auf.  Zwar gäbe es schwächere Zahlen, „aber das ist ein Raunzen auf hohem Niveau. Wir hatten in den letzten Jahren hohe Gewinne, teils im zweistelligen Bereich, die fallen halt jetzt nicht mehr in dieser Dimension aus!“
Auswirkungen der Krise auf das Kaufverhalten der Kunden könne man, wenn überhaupt, am ehesten im Billigsegment orten, „weil die unteren Arbeiterschichten, Leiharbeiter etc. leider die ersten sind, die ihre Jobs verlieren. Da kann man sich dann nicht mehr so leicht eine Garnitur um 399 Euro leisten. Büromitarbeiter, Versicherungsbeamte, Ärzte etc. haben hingegen quasi noch Geld.“ Deshalb gäbe es auch  im Mittel- und Hochsegment aktuell keine Einbrüche gegenüber den Vorjahren. „Leiner geht es sogar sehr gut!“ Man dürfe also nicht alles schwarzmalen, sondern müsse, wie es Leiner/Kika seit zwei Jahren praktiziert, mit neuen innovativen Konzepten gegensteuern. „Im Moment geht es uns in Österreich noch ganz gut. Was kommt, weiß natürlich keiner – wir können ja nicht Kaffeesud-Lesen. Aber es ist auch nicht alles so tragisch, wie immer kolportiert. Ich habe etwa gelesen, dass in Österreich der Möbelhandel um 8% geschrumpft sei  – das kann ich für uns ausschließen.“

Insbesondere Innenstadt
Noch keine gröberen Schwierigkeiten ortet auch Matthias Weiländer von der Stadtentwicklungs GmbH. „Die Krise ist im St. Pöltner Innnenstadthandel noch nicht angekommen!“ Zwar sei aktuell eine gewisse Kaufflaute spürbar „aber die ist jedes Jahr um diese Zeit zu registrieren.“ Wenn, dann könne man bestenfalls bei höherpreisigen Konsumgütern Turbulenzen registrieren, wobei Weiländer diesbezüglich eine prinzipielle Verschiebung des Kaufverhaltens ausmacht. „Das wurde im Zuge der Verschrottungsprämie evident: Leute, die in diesem Segment einkaufen, investieren jetzt eher in ein neues Auto.“
Was ebenfalls bei manchen Kaufleuten im Raum steht, ist eine Reduzierung der Werbeaktivitäten. Für Weiländer ein falsches Signal, „weil die Marketinglehre besagt ja, dass man gerade in schlechten Zeiten verstärkt in Präsenz und Vermarktung investieren soll!“ Auch Anzeichen von Dauerausverkauf hält er für kontraproduktiv. „Ausverkauf macht ja nur Sinn, wenn Überkapazitäten im Lager bestehen. Ansonsten ist er aus kaufmännischer Sicht problematisch, weil die Margen zu gering sind.“ Die City setze daher auf altbewährte Strategien wie Kundenbetreuung und Qualität. „Damit kann man die Krise hoffentlich, so sie denn kommt, umschiffen. Wir sind jedenfalls gerüstet für den Kampf.“

Richtige falsche Nummer
Jene Institution, die im „Kampf“ an vorderster Front steht, ist das AMS. Hier schlägt der Seismograph in Arbeitslosenzahlen aus. Wenn man als Jobsuchender erstmals anruft, könnte man die gutgemeinte Warteschleifen-Stimme als Zynismus empfinden. „Herzlich willkommen bei Ihrem AMS. Sie haben die richtige Nummer gewählt!“ Wie, die richtige Nummer, wo man sie doch für grundfalsch hält. Niemals wollte man sich hier melden. Und doch müssen das dieser Tage viele.
Wir treffen AMS-Leiterin Klaudia Wrba an einem Montag. Die Bankreihen im AMS sind leer! „Bei uns bekommen die Kunden genaue Termine. Warteschlangen wie früher gibt es nicht mehr“, verweist Wrba auf den gestiegenen Servicecharakter. Wir besuchen sie in ihrem Büro im ersten Stock. Ein einfaches Zimmer, Schreibtisch, Blick zum Interspar, ein Besprechungstisch, darauf Seidenblumen, die symbolisch irgendwie Stabilität vermitteln – sie werden niemals welken.
Wrba selbst scheint die richtige Frau am richtigen Ort zu sein. Abgesehen davon, dass man schon mal jubelt, in dieser Stadt eine Dame in leitender Position anzutreffen – Wrba ist Chefin über 90 Mitarbeiter – strahlt sie neben Kompetenz v. a. eine Art positiv-optimistischer Mütterlichkeit aus. Irgendwie hat man das Gefühl: Egal wie schlimm es kommt, diese Frau kann helfen!
Sie zeigt uns die aktuellen Statistiken. Die Arbeitslosenzahlen sind stark gestiegen, wobei etwas eklatant auffällt: der Männerüberhang. „Bei den Männern haben wir einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 52%, bei den Frauen sind es hingegen ‚nur‘ 12%“ Das klingt im ersten Moment viel – ist es auch. Insgesamt sind im Bezirk über 4.000 Menschen auf Arbeitssuche, 1.000 weitere in Schulungen. Andererseits steht man damit in etwa auf dem Niveau von 2004 – also noch kein Gespenst á la 30’er Jahre Massenarbeitslosigkeit. Die wird auch, wie Wrba überzeugt ist, nicht kommen. „Derzeit weisen die Indikatoren darauf hin, dass sich die Situation 2009 nicht mehr massiv verschlechtern wird, und im Laufe des Jahres 2010 soll sie sich auf tiefem Niveau stabilisieren.“  Das bleibt auch aus volkswirtschaftlichen Gründen zu hoffen: Ein Arbeitsloser kostet dem Staat im Schnitt  2.000 Euro pro Monat!

Von 100 auf 0
Zwar spricht die AMS-Chefin nicht gern von Krise, „weil man die auch herbeireden kann“, aber sie gehört auch nicht zu der Fraktion der Pseudo-Zweckoptimisten. „Wer sagt, es gibt keine Krise, ist weltfremd“. Sie selbst hat eine derartige Situation zuvor noch nie erlebt, und immerhin ist sie schon seit 1992 Chefin. „Alles begann letzten Sommer. Ab dem Zeitpunkt, als die ersten Meldungen über die geplatzte Immobilienblase aus den USA kamen, haben unsere Betriebe ihre Ambitionen drastisch zurückgefahren. Wir sind von der Höchstkonjunktur mit einem Schlag total runtergerasselt.“
Wirklich bemerkbar wurde das am heimischen Arbeitsmarkt allerdings erst Anfang des Jahres. „Bei uns ist die Krise mit etwas Verspätung angekommen.“ Ein Phänomen, das Wrba schon häufig beobachten konnte. „Der Bezirk St. Pölten reagiert zumeist etwas träger. Das liegt möglicherweise daran, dass wir sehr konservative Betriebe haben, die weniger risikofreudig sind. Dadurch sind wir nie ganz oben, aber umgekehrt auch nie ganz unten mit dabei.“
Betroffen seien viele Branchen, es gäbe aber auch Segmente, die sich bislang als krisenresistent erweisen „der Handel etwa ist noch nicht so stark betroffen, auch im Dienstleistungsbereich, bei den Bürokräften gibt es kaum Probleme.“

Die Risikogruppen
Weniger „Glück“ haben Leiharbeiter. Sie waren die ersten, die von den Unternehmen auf die Straße gesetzt wurden „weil Leiharbeit ein Modell ist, das für Boomphasen entwickelt wurde.“ Und die sind definitiv vorbei. „Große Schwierigkeiten haben auch Personen, die keine Ausbildung haben oder nur angelernt sind auf bestimmte Berufe, also wenig flexibel sind“, so Wrba weiter. In dieser Gruppe sind, sozusagen als Untergruppe, wiederum überproportional Ausländer betroffen, weil Sprachdefizite die Situation noch verschärfen. „Es ist Faktum, dass heute auch Hilfsarbeiter Kompetenz brauchen, z.B. des Deutschen mächtig sein müssen, um Anleitungen lesen zu können. Unsere Alphabetisierungskurse boomen daher, wobei diese nicht nur Ausländer, sondern auch viele Inländer brauchen“, verweist Wrba auf das Phänomen des sekundären Analphabetismus.
Was der AMS-Leiterin zudem gehörig Kopfzerbrechen bereitet, “ist der extreme Anstieg bei den Jungen, also den 15-24jährigen. Sie haben massiv Probleme Fuß zu fassen.“ Dabei offenbart sich ein unheilvolles Paradoxon. „Die Unternehmen möchten zwar Leute mit Praxis, nur wie sollen die die Jungen bekommen, wenn sie keiner aufnimmt?“ Das AMS reagiert darauf mit zahlreichen Schulungen „mag sein, dass diese später nicht immer gebraucht werden. Aber allein, dass man das Engagement zeigt, sich fortzubilden, kann die Einstellungschancen erhöhen.“ Zudem kommt den Schulungen neben dem Qualifizierungsaspekt auch ein psychologischer zu, auch für ältere Arbeitnehmer. „Nichts ist so schlimm, wie wenn man lange gearbeitet hat, und plötzlich den Job verliert. Da unterstützen wir indirekt auch, um Frust abzubauen und durch Perspektiven.“

In Bereitschaft
Die Unternehmer reagieren mit unterschiedlichen Strategien auf die Krise. Die omnipräsent scheinende Kurzarbeit „hat in St. Pölten erst ein Betrieb eingeführt. Es gibt aber viele Anfragen dazu.“ Andere Modelle sind Bildungskarenz oder, derzeit am häufigsten praktiziert, eine Art Job-Rotation. „Die Unternehmen haben aus früheren Zeiten gelernt. Wenn sie Mitarbeiter kündigten, waren diese quasi gänzlich verloren. Jetzt möchte man aber gewappnet sein, um sofort auf hohem Level loszulegen, wenn die Wirtschaft wieder anzieht. Deshalb bemühen sich die Firmen, die Stammmannschaft, die erfahrenen Mitarbeiter zu halten. So werden diese deshalb nicht gänzlich entlassen, sondern eben abwechselnd monateweise beim AMS gemeldet, um so den Personalstand zu entlasten und sie im Fall der Fälle sofort zurückzuholen.“ Für Wrba indirekt ein positives Signal. „Das heißt, viele glauben an eine baldige Erholung!“

Die Ruhe vor dem Sturm
Doch bevor diese eintritt, wird auf zahlreiche Sozialeinrichtungen noch Schwerarbeit zukommen. Zwar meint etwa Roswitha Mikusch von der Schuldnerberatung, „dass wir derzeit noch keinen erhöhten Bedarf merken“ und auch Bernhard Herzberger von Emmaus bestätigt, „dass es aktuell noch keine große Zunahme gibt“, sehr wohl rechnet er damit aber in ein paar Monaten. „Derzeit wird das Gros der Leute noch von den Präventionsmaßnahmen in Niederösterreich aufgefangen. Wir sind ja die letzte Anlaufstelle!“, so Emmaus Bereichsleiter Walter Steindl. Die Situation werde sich verschärfen. In extremis – und mit solchen Fällen ist die Emmaus am häufigsten konfrontiert – mit all ihren negativen Auswirkungen wie Depression, Alkoholsucht, Aggression. „Momentan wird es viele geben, die gerade noch durchkommen, aber wenn sie dann von Kurzarbeit oder Kündigung betroffen sind und ihre Kredite nicht zahlen können, kommt es auch schnell zu Problemen innerhalb der Familie. Damit rechnen wir in Zukunft häufiger.“

Sozialhilfe
Auch Peter Eigelsreiter, Leiter der städtischen Sozialhilfe, ist in Warteposition. „Viele Menschen, die momentan bei uns vorsprechen, erzählen, dass sie aufgrund der Krise arbeitslos geworden sind. Aus unserer Erfahrung können wir sagen, dass sich eine derartige Krise immer zeitverzögert auswirkt.“ Eigelsreiter rechnet mit der Ankunft der Welle in vier bis sechs Monaten. Den „Verzögerungseffekt“ erklärt er damit, dass „viele Menschen, die jetzt arbeitslos werden, ja lange Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Sie kommen also erst zu uns, wenn es anschließend zur Sozialhilfe geht.“ Dass man die Lage definitiv ernst einschätzt, bestätigt allein die Tatsache, dass die Sozialhilfe ihr Personal aufstocken möchte, um den dann erhöhten Bedarf zu bewältigen.
Wieviel die Krise letztlich der Stadt über die Sozialhilfe zusätzlich kosten wird, kann Eigelsreiter schwer einschätzen. Aktuell werden diesbezüglich vom AMS und Sozialministerium Informationen eingeholt, auf deren Basis dann eine Kostenschätzung erfolgt „die im Budget jedenfalls berücksichtigt werden muss!“ Seiner Einschätzung nach könnte die Krise zwei bis vier Jahre lang dauern, wobei noch ein Aspekt zu berücksichtigen sei: „Im Jahr 2010 soll die bedarfsorientierte Mindestsicherung eingeführt werden. Da rechnet man heute schon mit zehn bis 20 Prozent Mehrbeziehern!“ Die von der städtischen Sozialhilfe betreuten Personengruppen werden wohl ähnlich bleiben. „Am häufigsten betroffen sind Alleinerziehende, Arbeitslose, davon speziell Personengruppen, die in gering bezahlten Jobs tätig waren und mit der Unterstützung vom Arbeitsamt nicht fähig sind, ihr Leben zu bestreiten.“ Kurzum, es trifft als erstes die Ärmsten.

Unverschuldet zum Handkuss
Die Stadt spürt die Krise freilich nicht nur unmittelbar über die Sozialhilfe, sondern „vor allem bei schrumpfenden Einnahmen, insbesondere durch die Bundesertragsanteile und durch die Mitfinanzierung der Steuerreform, die sich auch auf die Kommunen massiv auswirkt“, erklärt Pressesprecher Peter Bylica. Spielraum, um gegen die Krise anzukämpfen, gibt es kaum mehr. „Die Stadt hat im Budget 3,6 Millionen Euro Abgang ausgewiesen, und die Kosten steigen in allen Bereichen gravierend.“
Aufgrund der schlechten Konditionen werden zusätzliche Darlehen derzeit vermieden. Man bedient sich aus den eigenen Rücklagen. Projekte werden jedoch nicht hintangestellt, wie Bylica versichert: „Dies wäre zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv. Sanierungen, Straßenbau und allgemeine Bautätigkeiten bringen die größte Wertschöpfung und werden daher prioritär behandelt.“ Allerdings, wie Insider behaupten, in gedrosseltem Maße. Manch anstehende Straßensanierung würde auf die lange Bank geschoben. „Das bringt zwar jetzt Entlastung, in Wahrheit ist die Sanierung dafür aber in Zukunft um ein Vielfaches teurer, als ob man sie laufend durchführen würde.“ Bylica betont freilich, „dass die Projekte im außerordentlichen Haushalt nicht zurückgefahren werden.“
Ein kniffliges Thema ist logischerweise die Budgeterstellung: „Wie auch bei Bund und Land wird es 2010 zu Einsparungen im ordentlichen Haushalt kommen müssen.“ Eine Arbeitsgruppe diskutiert deshalb bereits seit Jänner verschiedenste Szenarien und Einsparungspotentiale. „Wir können nicht ausschließen, dass es auf kommunaler Ebene zu massiven Einsparungen kommt. Es ist zu hoffen, dass die Öffentlichkeit dafür Verständnis zeigen wird“, deutet Bylica Abgabenerhöhungen und Leistungskürzungen an, und fügt fast entschuldigend hinzu. „Die Kommunen haben die derzeitige Situation ebenso wenig wie die Bevölkerung mit verschuldet. Bei allen Schwierigkeiten ist es aber wichtig, nicht die falschen Zeichen zu setzen, um nicht in völlige Krisenstimmung zu geraten.“

Dazu besteht aber auch noch kein Grund, zumindest wenn man dem Glücksspielsektor trauen darf. So berichtet Reinhard Knittl, Chef von Premiere Sportwetten in der Linzerstraße, „dass bei uns von der Krise eigentlich noch nichts zu bemerken ist.“ Und das ist ein gutes Zeichen, wenn für Knittl eigentlich von Nachteil, denn eine Binsenweisheit besagt, dass in Krisenzeiten der Glücksspielmarkt profitiert, was unlängst auch die australische Regierung zur Kenntnis nehmen musste. So kurbelte die im Februar an sozial benachteiligte Personen ausbezahlte Einmalzahlung in Höhe von 514 Euro nachgewiesenermaßen zwei Sektoren an: Brauereien und die Glücksspielindustrie! Doch Austria ist nicht Australia, und das gibt in Zeiten, da die Prognosen über die Wirtschaftsentwicklung selbst zu einem Glücksspiel geworden sind, Hoffnung. Und die stirbt bekanntlich zuletzt!