MFG - 850 Jahre STP-Wer wir sind. Sind wir wer?
850 Jahre STP-Wer wir sind. Sind wir wer?


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St. Pöltens gute Seite

850 Jahre STP-Wer wir sind. Sind wir wer?

Ausgabe 04/2009

Eigentlich hatten wir an dieser Stelle eine tiefschürfende Geschichte über 850 Jahre St. Pölten geplant. Allein, im Rahmen der Recherche wurde rasch klar, dass man dieser vielköpfigen Hydra nicht mit einer Story beikommen kann. Deshalb werden wir ihr ab dieser Ausgabe im Zuge einer eigenen Serie sukzessive die einzelnen Köpfe abschlagen (wohlwissend, dass zig andere nachwachsen). Der Einstieg war aufgelegt. Nachdem im Zuge des Fritzl Prozesses einmal mehr die Frage des Images thematisiert wurde, baten wir die Experten zu Wort. Einerseits plauderten wir mit den stadtverantwortlichen Gralshütern in Sachen Image und Marketing, zum anderen mit den externen Profis. Ein Schattenboxkampf in zwei Runden!

Runde 1 - Zurück in die Zukunft!
In der Ecke des Rings: Peter Zuser, seines Zeichens Magistratsbediensteter mit Aufgabengebiet Stadtmarketing, sowie Martin Bosch von der Agentur living office, der Haus- und Hofagentur der Stadt. Beginnen wir ganz banal. Was assoziieren Sie als St. Pöltner mit der Stadt?
Zuser: Das Problem ist, ich bin nicht St. Pöltner, sondern Pottenbrunner! Das ist ja ein Faktum dieser Stadt, dass sie zu 50% aus Dörfern besteht. Deshalb ist es im Marketing auch so schwierig, eine eigene Identität zu schaffen. Wir haben einerseits einen urbanen Kern, andererseits lebt die Hälfte der Leute in dörflichen Strukturen samt Vorgarten und Einfamilienhaus. Da sehe ich schon eine gewisse Diskrepanz, weil als Dorf können wir uns ja wohl schlecht positionieren. Andererseits ist aber gerade dies das Besondere: Ich lebe letztlich unter dörflichen Strukturen im Grünen und hab zugleich die Vorteile einer Hauptstadt mit ihrem kompletten Angebot.
Bosch: St. Pölten ist, was es ist. Eine 50.000 Einwohner Stadt. St. Pölten ist nicht Linz. St. Pölten ist nicht Wien. Wir haben ganz andere Rahmenbedingungen. Es ist eine überschaubare Stadt mit einem Hauptstadtbonus, der nach wie vor wirksam ist. Noch immer übersiedeln Institutionen – da ist nach wie vor Potential vorhanden! Ich will das keinesfalls niederbeten, aber das ist tatsächlich eine sehr relevante Dimension, hochinteressant für die Menschen, die hier leben und arbeiten.

Es ist bemerkenswert, dass wenn man über St. Pölten spricht, immer sofort auch die Rede von Linz oder Wien ist. Vergleichen wir uns da nicht mit den falschen?
Bosch: Wir müssen uns nicht vergleichen, sondern wir müssen beginnen zu unterscheiden. Was ist der Unterschied zu Städten wie Linz oder Wien? Und da wird ein klarer Vorteil St. Pöltens sichtbar, nämlich die enorme Verdichtung. Wir haben einen urbanen Kern, innerhalb dessen in fußläufiger Entfernung eine hohe Dichte an Funktionalität gegeben ist! Machen wir also die vermeintlichen Nachteile zu unseren Vorteilen.

Was meinen Sie da im Konkreten?
Bosch: Etwa das Faktum, dass die Wiennähe eindeutig ein Vorteil ist. Oder dass die Lage St. Pöltens genial ist. Ich kann das als Unternehmer mit Kunden in Wien wie Linz aus eigener Erfahrung beurteilen. Wenn man serviceorientiert denkt, klein- und mittelstädtische Strukturen schätzt, ist man in St. Pölten bestens aufgehoben. In Wien ist man vielleicht irgendwo in einem Außenbezirk, bei uns ist man in zentraler Toplage und hat in fußläufiger Entfernung gleich alle Förderstellen der Stadt und des Landes zur Hand. Zudem wird Wien in zwei Jahren in 20 Minuten von St. Pölten aus erreichbar sein! Das wird viele zum Ansiedeln motivieren. Billiger Wohnraum, gute Infrastruktur, Grünraum, große Sicherheit, die Seen, das Kulturangebot etc. – in St. Pölten ist das tatsächlich alles grandios!
Und was das „Vergleichen“ betrifft: Da müssen wir uns im Feld der Mittelstädte positionieren. Aber nach dem Motto „Lernen von den Besten!“ kann man sich auch Ätzis von großen Städten holen. Dabei geht es nicht ums Kopieren, sondern darum, Passendes für uns zu adaptieren.
Zuser: Linz war früher DIE Stinkestadt. Ich hatte eine Tante in Buchenau. Immer wenn wir bei Linz vorbeigefahren sind, hab ich Kopfweh bekommen. Aber die Linzer haben den Imagewandel geschafft. Sie haben bewiesen, dass er funktioniert! Daher müssen wir uns das anschauen! Wobei die Linzer natürlich enormen Aufwand betrieben haben. Anfang der 90’er Jahre etwa mit einer Roadshow, die 200 Millionen Schilling gekostet hat! Das können wir nicht.

Warum eigentlich nicht? Offensichtlich hat sich der hohe Einsatz ja gelohnt. Wird bei uns vielleicht die Bedeutung des Marketings unterschätzt. Sowohl budgetär als auch infrastrukturell, wenn man bedenkt, dass es gerade einmal einen Dienstposten dafür gibt?
Zuser: Ich bin nicht allein im Stadtmarketing: Insgesamt sind wir vier Personen. Es gibt zwei Grafikerinnen, eine Dame für die Homepage und mich. Allerdings bin ich nicht ausschließlich fürs Marketing zuständig, sondern leite auch die Homepage-Redaktion und habe weitere Agenden.
Natürlich hätte ich gerne mehr Mittel. Unser Budget sind heuer 184.000 Euro – da sind die Druckpatronen schon miteingerechnet. Allerdings muss man berücksichtigen, dass Marketing auch noch in anderen Ressorts wie Tourismus und Wirtschaft betrieben wird, die ihre eigenen Budgets haben.
Bosch: Ich sage ganz ehrlich: Die Budgetmittel reichen! Klar tut man sich mit mehr Geld leichter, aber das ist eben die Kunst, aus dem Verfügbaren das Beste herauszuholen. Fokussierung ist unumgänglich. Stadtmarketing ist eine Zentralfunktion ist. Da geht es auch ums Bewerben der Dienstleistungen der Stadt, des Magistrats, der sich als modern, offen, kundennah positionieren möchte – genau darauf zielt die aktuelle Kampagne „Offizieller Ausstatter Ihres Lebens“ ab.
Zuser: Enorm wichtig ist, dass die Beschäftigten der Stadt wissen, dass sie über ihre Dienstleistungen unmittelbar am Image der Stadt mitwirken, dass die Einzelprodukte mit der allgemeinen Linie in Einklang gebracht werden müssen. Das war ein großer Lernprozess für alle. Das müssen wir vor allem auch nach innen kommunizieren. Meine Funktion sehe ich daher ebenso als Drehscheibe innerhalb des Getriebes.

Und wie stehts um die Kommunikation nach außen. Wer sind die Adressaten?
Bosch: Das Kommunikationsverhalten ist heut zersplitterter als früher, es kommt also sehr auf individuelle Kommunikation an, man muss dementsprechend zielgruppenspezifisch vorgehen. Ein Tourist etwa hat andere Erwartungen als ein Wirtschaftstreibender oder jemand, der sich hier ansiedeln möchte. Es ist nicht immer leicht, da die richtige Balance zu finden, deshalb haben wir auch eine Dachmarke kreiert, wo alles reinpasst.

Damit meinen Sie „Mitten in Europa“. Ein Slogan, der nicht unumstritten ist. Warum hat man gerade diesen gewählt?
Bosch: Wenn ich einen Slogan suche, muss ich wissen, welche Ansprüche ich an die Marke habe. Im Fall einer Stadt gibt es Restriktionen, da kann ich nicht mit flapsigen Begriffen arbeiten, nicht nur einen Aspekt herausstreichen. Der Slogan muss in der Nähe ebenso bestehen wie zum Beispiel in Japan oder China. „Mitten in Europa“ ist deshalb ein Slogan, der auf abstrakter Ebene arbeitet und dabei all die Aspekte der Stadt miteinbezieht bzw. was ebenso relevant ist, nicht dagegen ansteht! Er mag vielleicht ein bisschen fad klingen, aber er hat sowohl eine regionale als auch eine emotionale Verortung. Wir stellen uns damit als offene Bürger in Mitteleuropa dar. Fakt ist, dass wir diese Marke millionenfach implementiert haben, dass sie auf allen Drucksorten etc. mitkommuniziert wird! Dass ist ein großer Wurf! Natürlich muss man das mit Inhalt füllen.

Diesbezüglich beschleicht einen mitunter das Gefühl, dass St. Pölten alles sein will: grünste Stadt, sicherste Stadt, älteste Stadt etc. – ist das nicht zuviel des Guten?
Bosch: Eine Stadt in der Größenordnung St. Pöltens hat immer verschiedene Aufgaben zu erfüllen. St. Pölten ist eine Stadt mit vielfältigem Angebot. Das unterscheidet uns freilich noch nicht von anderen. Daher müssen wir eine Alleinstellung mit ähnlich gelagerten Städten erreichen!
Man muss auch auf eines aufpassen: Wir reden immer von Image. Das ist jener Aspekt, welches Bild die anderen von uns haben. Die Frage muss aber vorerst sein, wie wollen wir gesehen werden? Das hängt wiederum mit Bildern im Kopf zusammen, die wir erzeugen müssen. Vor dem Image muss also die Vision kommen.

Damit sind wir beim Masterplan gelandet, dem Visionspapier „St. Pölten 2020“. Es gibt glühende Befürworter ebenso wie harsche Kritiker, die das Papier für substanzlos und überflüssig halten.
Bosch: Es heißt immer zu wenig, zu langsam, zu irgendwas. Die Stadt Rom hat vor vier Jahren eine Werbekampagne ausgeschrieben. Gewonnen hat jene Agentur, die gemeint hat, bevor eine Werbekampagne Sinn macht, braucht die Stadt überhaupt erst einmal eine Corporate Identity! Und das passiert einer Millionenstadt! Prozesse brauchen eben ihre Zeit! Wir sind da nicht allein.
Vision ist ja keine Krankheit, sondern die Entwicklung von Zukunftsbildern. Im Zentrum steht die Frage: Was passiert? Was wird in den nächsten 10 Jahren sein? Da geht’s auch darum, globale Megatrends zu erkennen, denen wir uns nicht verschließen dürfen. Aktuell etwa ganz eindeutig der Trend zur Urbanisierung, auch im Sinne von Reurbanisierung, dass also die Energie wieder von den Zentren ausgehen muss.
Wir müssen dabei auf dem, was wir haben, aufbauen, ebenso aber neue Entwicklungen berücksichtigen, wenn ich nur an die neu dazugekommen Verwertung des Glanzstoffareals denke.
Ein solcher Visionsprozess ist unabdingbar. Wenn die offizielle Stadt keine Visionen definiert, dann bin ich auf Einzelinitiativen angewiesen. Damit ist aber eine gemeinsame Linie nicht möglich.
 
Können Sie den bisherigen Masterplanprozess, das Projekt „St. Pölten 2020“ nocheinmal kurz umreißen ?
Bosch: In den Prozess des Innenstadt-Masterplanes waren Bürger der City, Vertreter der Parteien sowie der Institutionen und Firmen wie z.B. der Sparkasse oder der Gebietskrankenkasse involviert. Außerdem das Zukunftsinstitut von Matthias Horx. Grundsätzlich hat man drei große Entwicklungspotentiale für St. Pölten herausgearbeitet: Das Thema „Gesundheit“, das Trendfeld „Innovation und Kreativität“ sowie das Thema „Centrope-Office-Stadt“, also unsere Positionierung als Schnittstelle in Mitteleuropa.
Auf Basis der Entwürfe muss die Prozessorganisation aufbauen. Dem folgen konkrete Handlungen, über die wir Werte und Bilder schaffen.
Jetzt muss der next step folgen. St. Pölten 2020 ist ja nicht die Innenstadt – für die gab es den Masterplan – sondern nun geht es um die Stadt insgesamt. Dementsprechend muss man repräsentative Persönlichkeiten und Betriebe aus der ganzen Stadt in den Prozess einbinden, vom VAZ über die Voith oder Egger bis hin zu vielen mehr.
Zuser: Ein Beispiel, um die Relevanz zu unterstreichen: Vor einigen Wochen war eine Hamburger Delegation in St. Pölten, der Kontakt entstand bei der Hamburg-Reise. Der offizielle Vertreter der Stadt meinte, er sei auf St. Pölten aufmerksam geworden, weil da die Vision als Gesundheitsstandort verankert ist! Wir machen das also sicher nicht zur Selbstbefriedigung. Es muss einfach klar sein, wohin die Reise geht, muss eine Linie geben – genau das erbringt der Masterplan.

Man fragt sich aber schon, warum diese Erkenntnisse erst jetzt Raum greifen. Es gab ja immer schon Image- und Marketingarbeit? Was ist passiert?
Bosch: Das kann ich an meiner persönlichen beruflichen Entwicklung nachvollziehen. Ich begleite die Stadt seit 10 Jahren. Früher gab es auch schon Slogans wie „Entdecke die Vielfalt“, „Eine Stadt macht Zukunft“. Aber es war sehr viel Aktionismus dabei, nach dem Motto „Wir machen eine Veranstaltung, wir brauchen schnell einen Slogan.“ Ich bin da in meiner Naivität mitgegangen. Durch den Wechsel von Bürgermeister Gruber hin zu Matthias Stadler sind aber mit einem Schlag quasi drei Generationen übersprungen worden. Der jetzige Bürgermeister hat erkannt, dass vor den Details die Grundlagen extrem wichtig sind! Deshalb hat er die Plattform Innenstadt zugelassen, ebenso das Projekt St. Pölten 2020 – denn genau dieses Zukunftsverständnisses bedarf es!

Das Bild einer Stadt wird nicht zuletzt durch die eigene Bevölkerung transportiert. Da bekommt man bisweilen den Eindruck, dass es den St. Pöltnern an Bekenntnis zur Stadt mangelt, überproportional viel über die Stadt geraunzt wird. Wie reagiert man da in der Kommunikation?
Bosch: Natürlich kenn ich viele Leute, die sudern, aber die kenn ich auch in Krems, Linz, Wien. Ich glaub nicht, dass wir da eine Ausnahme bilden.
Prinzipiell kann ich mich in der Kommunikationsarbeit nicht an den Suderanten orientieren. Die prinzipielle Frage ist, wie viele Leute kann ich erreichen? Primär konzentriere ich mich da auf jene, die positiv denken, weil die sind immens wichtige Multiplikatoren. Die Suderanten lass ich außen vor. Man muss einfach akzeptieren, dass es einen gewissen Prozentsatz gibt, den ich nicht erreichen kann, weil er sich nämlich gar nicht erreichen lassen möchte. Und wenn’s jemand wirklich so schrecklich findet, dann muss er eben wegziehen.
Zuser: Also bei der letzten Umfrage über die Zufriedenheit mit der Stadt Jahr 2005 war größte Zustimmung. Nur ganze 4 Prozent haben gemeint, dass sie hier eigentlich nicht gern leben.
Aber es stimmt schon. Unser Image war bislang sicher eher brav, bieder, langweilig. Das wurde, vor allem von den jungen Leuten kritisiert. Gerade diese Gruppe müssen wir erreichen, die Jungen sind ja die Zukunft! Deswegen sind auch die Festivals, wie jetzt Beatpatrol und Frequency so großartig und werden von der Stadt unterstützt, weil wir uns damit österreichweit positiv positionieren können. Viele Pottenbrunner waren etwa vom Nuke so begeistert, dass sie sogar beim VAZ gezeltet haben, obwohl sie heimfahren hätten können. Auch mit den Studenten müssen wir noch viel enger zusammenrücken. Da ist sicher Potential da.
Letztlich ist derzeit eine extrem spannende Zeit. In Wahrheit beginnt jetzt erst alles! Die Leute erkennen, dass sich etwas bewegt. Das Bewusstsein für die Positiventwicklung ist da.
Bosch: Derzeit ist es wirklich irrsinnig geil. Es geht los! Das merkt man an allen Ecken und Enden. Auch Stadt und Land positionieren sich besser zueinander. Herr Pröll hat erkannt, dass man mit der Art Oppositionspolitik, wie sie in St. Pölten betrieben wurde, keinen Erfolg haben kann. Umgekehrt ist es schade, dass es die Roten im Land emotional noch immer nicht packen, dass der Landeshauptmann einen guten Job macht. Aber die Leute wollen Zusammenarbeit.
Und Zwischenrufe wird es immer geben: Was ist die Idee? Was ist der Slogan? Wieso dauert das so lange? Die Antwort ist einfach: Es ist Arbeit, und die braucht Zeit, weil es um eine nachhaltige Implementierung der Ziele geht – und diesbezüglich sind wir auf einem sehr guten Weg!

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