MFG - Orpheus und die Unterwelt
Orpheus und die Unterwelt


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Orpheus und die Unterwelt

Ausgabe 10/2008

Glasscherbenviertel. Little Istanbul. Ghetto. Armenhaus St. Pöltens. Welch „schmeichelnde Namen“ hat man der Herzogenburgerstraße nicht schon alle angedeihen lassen. Zurecht? Wir wolltens wissen und zogen Orpheus gleich hinab in die vermeintliche Unterwelt, um ganz woanders anzukommen. Eine Ehrenrettung.

TAG 1. 19 Uhr
Little China
Das Viertel, das gemeinhin mit seinem hohen türkischen Einwohneranteil assoziiert wird, beginnt... mit einem Chinesen! Glauben wir zumindest, weil wir fälschlicherweise den Ausgang der Herzogenburgerstraße Ecke Eybnerstraße annehmen, obwohl er in Wahrheit ca. 300 m weiter vorne am Mühlweg liegt. Ein einziges Gebäude ist auf dieser Strecke situiert – Interspar – der aber mit seiner Rückfassade der Herzogenburgerstraße die kalte Schulter zeigt. Symptomatisch. Auch die Tennisplätze sind längst verschwunden, heute donnert hier hinter grünen Schallschutzwänden die Westbahn vorbei.
So beginnen wir unsere Reise also beim Chinarestaurant Asia Yang „Am Stadtpark“, Herzogenburgerstraße 2. Wie ein vorgezogener Leuchtturm wirkt das Gebäude. Während vorne die Eybnerstraße hell beleuchtet ist, verschwindet nach dem Chinesen die Herzogenburgerstraße in einer 90 Gradkurve irgendwo im Dunkel. Wenig verwunderlich, dass sich die Familie, die direkt über dem Lokal wohnt, rein emotional der Eybnerstraße zugehörig fühlt. Beim Eintreten werden wir von einer chinesischen Glückskatze am Tresen begrüßt, die monoton ihre Arme kreist „Die winkt das Glück herein“, klärt uns der 20 jährige Sohn des Hauses Xing auf. Neben dem MFG liegt „Xian Hu“, eine chinesische Zeitung mit Österreichbezug. Xing setzt sich mit uns an einen der freien Tische, die Frau Mama kredenzt Grünen Tee. „Meine Eltern sind seit 20 Jahren in Österreich“, erzählt er. „Bis vor einem Jahr waren wir in Wien, dann sind wir nach St. Pölten gekommen.“ Der Wechsel von der Groß- in die Kleinstadt macht v. a. Xing zu schaffen. „Für meine Eltern ist es ganz okay hier, aber ich fahr sofort nach Wien, wenn ich frei habe, da sind all meine Freunde!“ Die Herzogenburgerstraße spielt in der persönlichen Geographie praktisch keine Rolle. „Wenn wir etwas brauchen, dann gehen wir eher zum Interspar“. Aus diesem Grätzl sind auch die Gäste, während „von drinnen aus der Herzogenburgerstraße eher wenige kommen!“ „Drinnen“ – das ist ein bezeichnender Ausdruck. Da ist ein Missing Link zwischen diesem Außenposten und dem „drinnen“, und tatsächlich ist das eine der Eigenheiten der Herzogenburgerstraße: Sie franst nach Süden und Norden hin gehörig aus, verliert sich in zum Teil heruntergekommenen alten Industriegeländen.
Von ihrer Zusammensetzung her sei die Gästestruktur sehr heterogen, wobei Österreicher überwiegen, wie man unschwer von den Lieblingsspeisen ableiten kann: „Wiener Schnitzl oder Hühnerfleisch Chop Suey“, lacht Xing. Und wie ist der Zusammenhalt der Chinesen untereinander? „Den gibt es eigentlich nicht. Es ist nicht üblich, dass sich die Chinesen untereinander treffen.“ Zum Abschied gibt uns Xing einen Sack voll Glückskeksen mit auf den Weg. Ein Omen?

frei.raum
Auf dem Nachbarhaus prangt ein Schild „Zu verkaufen“. Wenig verwunderlich. Nur ein paar Meter über dem Gebäude donnert die Westbahn vorbei. Den Kasten kann man wohl nur mehr wegreißen und Parkplätze daraus machen, wie auf einem Grundstück daneben.
Auf der anderen Straßenseite hingegen sind Anzeichen von Zivilisation. Ein Motorradgeschäft, ein türkischer Lebensmittelladen sowie das kurdische Kulturzentrum „Amara Mesopotamien“. Drinnen herrscht Festbeleuchtung, doch als wir anläuten, bleibt es still. Abschreckung vor Einbrechern? Wir schlagen einen Haken und stechen in die im  ehemaligen Schlachthof situierte Jugendkulturhalle, den „frei.raum“. Ein Name mit Potential zum Oxymoron, denn der frei.raum als solcher ist als Gebäude die räumliche Antithese zum realen Freiraum rundherum. Als wir eintreten sitzen ein paar Mitarbeiter über ihre Laptops gebeugt. Eine Bühne, eine Bar, Schachbrettboden, Discokugeln. Heute wird noch ein DJ auflegen „immerhin die Nr. 3 der Weltrangliste“, verrät Mitarbeiter Sebastian Haas. Im Nebenraum machen wir es uns auf einem Sofa, umringt von Graffitiwänden, gemütlich. Auch im Fall des frei.raum scheint der Sprung ins Herz der Herzogenburgerstraße zu weit. „Wir sind eigentlich sehr autonom.“ Selbst verschlage es einen gerade zu „Kurtis Keb & Piz“ oder in den Lebensmittelladen gegenüber „der hat gute Fladenbrote“.
Auch die Glanzstoffmisere „war eigentlich kein Thema bei uns.“ Als hingegen die Kurden eine Demo abhielten, bekamen das die Freiräumler unmittelbar mit, weil der kurdische Klub ja gleich schräg gegenüber liegt. „Aber die Leute kommen nicht auf uns zu und umgekehrt. Da gibt es weder negative, noch positive Erfahrungen.“
Wir treffen auch Wolfgang Matzl, der als Jugendkoordinator der Stadt ebenfalls im frei.raum angesiedelt ist. Vom Schlachthof sind es nur wenige Meter zu den Häusern, Sozialwohnungen, in denen das Leben mitunter nicht nur die Sonnenseite kennt. Für Matzl eine Chance. “Ich bin ein großer Fan von einem Gemeinwesenprojekt, das man in Form einer Art ‚Basena-Lokals’ ansiedeln könnte. Wenn Menschen wohin gehen können, dort ihre Sorgen und Probleme deponieren, die nötige Information und Unterstützung erhalten, so kann man viel Zorn und Hass abbauen.“ Auf diese Art könnte man etwa die Spannungen im „österreichischen“ Teil der Herzogenburgerstraße reduzieren.
Auch am Freiraum-Areal könnte sich Matzl ein Sozialprojekt in Form von einer „integrativen Gartengestaltung“ vorstellen: „Wir haben eine große Grünfläche, die nicht genutzt wird. Unter der Koordination von Sozialarbeitern und gemeinsam mit dem Verein Lames könnten wir hier für Leute mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen einen Raum schaffen, an dem sie beispielsweise ihre landestypischen Gemüsesorten anbauen.“ Und wie beurteilt er prinzipiell das Viertel. „Wir haben kaum Kontakt zu den Anrainern, aber ich bin laufend im Gespräch mit Behörden und der Exekutive. Da gewinnt man den Eindruck, dass es generell eher ruhiger geworden ist und das Leben weniger Gewalt hervorbringt.“ Auch die „Ausländerproblematik“ beurteilt er realistisch: „Die großen Probleme sehe ich nicht. Natürlich gibt es Vorkommnisse, aber die sind bei so vielen Menschen wohl nicht zu vermeiden. Die Fehde zwischen Türken und Tschetschenen scheint noch in der Luft zu liegen, aber ich habe den Eindruck, dass alle Seiten um Entspannung bemüht sind.“ Für das Glanzstoff-Areal hat er schon konkrete Vorstellungen? „Ein Boheme-Viertel hätte schon seinen Reiz. Modernes Wohnen, ein ausgeprägtes Studentenviertel, viel Kultur... Man könnte sich das Alte AKH in Wien als Beispiel nehmen. Natürlich sind wir viel kleiner, aber man kann es auch mutig und positiv sehen: St. Pölten liegt direkt an der Autobahn, man ist in wenigen Minuten in Wien, hat eine sensationelle Landschaft, da könnte man schon ein Angebot an Wien-Pendler machen.“

Steppenwolf
Nebenan zieht der Steppenwolf, das Jugendzentrum der Stadt, seine Kreise. Ebenfalls ein passendes Bild für den etwas abgelegenen Standort. Im Vorhof ist eine überdimensionale Sandkiste aufgeschüttet, drinnen ist es geräumig, eine lange Anti-Alk-„Bar“, Wuzzler, Bücher, Zeitschriften. Kurzum: Klassisch. Ein paar Kids knotzen auf einer Sitzgruppe. „Im Prinzip kommen die Jugendlichen, um ihre Freizeit sinnvoll zu verbringen“, umreißt Leiterin Barbara Fellöcker die Grundaufgabe der Einrichtung. „Wir geben aber nichts autoritär vor, sondern entwickeln gemeinsam mit den Jugendlichen das Angebot!“  Im Fall der Fälle steht man als soziale Einrichtung auch mit Rat und Tat zur Seite. Ungefähr 30-70 Besucher zählt man pro Tag „derzeit sind wir aber in einer Umbruchphase, weil viele – was uns sehr freut – eine Lehrstelle gefunden haben“. Prinzipiell überwiege der Burschenanteil, altersmäßig sei der Steppenwolf für 13-21jährige ausgelegt. „Wir haben jetzt aber auch einen Miniklub für 8-13 jährige ins Leben gerufen, weil einfach der Bedarf besteht.“ Viele der Kleinen kommen in Begleitung der älteren Geschwister, die quasi die Aufsicht überhaben, weil die Eltern arbeiten müssen.
Wie viele Jugendliche aus der direkten Nachbarschaft kommen, kann Fellöcker schwer abschätzen. Tatsache ist, dass es sich um einen bunten Völkermix handelt: Österreicher, Türken, Rumänen, Tschetschenen etc. tummeln sich im Steppenwolf. „Nationale Spannungen gibt es bei uns aber eigentlich überhaupt nicht.“ Grund dafür sind einfache Katalysatoren wie Wuzzler oder Playstation! Nationale Chauvinismen werden im freundschaftlichen Länderkampf spielerisch nivelliert! Beispielgebend!
Auch die Steppenwolf-Crew verzieht sich eher in ihren Bau, soll heißen, dass es kaum Anbindung zur Welt draußen gibt. Am ehesten noch im Zuge der „Aufräumaktion“ ein-, zweimal im Jahr, wenn man gemeinsam mit den Jugendlichen den direkt anschließenden Spielplatz säubert. Dort tummeln sich viele Kids herum, bisweilen kommt es zu Reibereien der vorwiegend ausländischen Jugendlichen mit den zumeist älteren österreichischen Bewohnern der Häuser daneben. „Da schlüpfen wir dann in die Rolle des Mediators“, verrät Fellöcker. Dass der „Wiesn“, wie das Areal im Revier genannt wird, auch der unrühmliche Titel „Drogenumschlagplatz“ vorauseilt, kann oder will die Steppenwolfleiterin nicht bestätigen. Diesbezüglich verweist sie uns auf die Streetworker von „Nordrand“, die quasi an der „Front“ aktiv sind.
Und so landen wir bei Bernhard Zima, dem fachlichen Leiter von „Nordrand“. Als Streetworker arbeitete er selbst mit jungen Leute, auch in der Herzogenburgerstraße, „wo sich in den letzten Jahren viel verändert hat: Die Fachhochschule, neue Studentenwohnheime, das Jugendzentrum Steppenwolf. Früher waren das freie Flächen, Wiesen, auf denen man sich ohne Konsumzwang treffen konnte. Gerade diese Freiräume fehlen für junge Menschen oft. Das Jugendzentrum hat hier aber eine wichtige Rolle übernommen.“ Die Atmosphäre im Viertel beschreibt er als gut. „In den letzten Jahren wurden viele Häuser saniert, damit steigen die Mieten. So sind viele unserer Klienten in andere Stadtteile gezogen, v.  a. in die Gegend der Kranzbichlerstraße. Demnach haben wir auch unsere Arbeitsbereiche ausweiten müssen. Man kann aber mit Sicherheit sagen, dass die Gegend nicht gewalttätiger geworden ist. Ich glaube, da herrschen eher Projektionsflächen für Phobien“, spielt er auf gängige Vorurteile an.
Das Streetworker-Team versucht gemeinsam mit den Jugendlichen an einer positiven Wahrnehmung der Jugend zu arbeiten. „Oft stehen nur Negativschlagzeilen in den Medien, da wird vieles verzerrt.“ Jüngst sanierten etwa Jugendliche einen kleinen Sportplatz in der Nähe des Mühlwegs gemeinsam mit den Streetworkern.
Für das Glanzstoff-Areal „wünsche ich mir, dass man im Rahmen einer modernen Stadtteil-Arbeit leerstehende Räume für unsere Klientel zugänglich macht. Diese braucht Orte, wo man nichts Fertiges vorsetzt, sondern wo sie selber aktiv werden können.“ Als Vorbild nennt er diesbezüglich den autonomen Jugendclub in Wilhelmsburg.

Café Orange
Es ist mittlerweile nach 21 Uhr, als wir das Café Orange betreten. Auf einem großen Bildschirm, ein Relikt des vormaligen Wettcafés,  wird Champions-League übertragen, an den Tischen spielen die Gäste Romme. Was sofort auffällt: Im Lokal sind ausschließlich Männer. Türken und Kurden, wie wir erfahren, friedlich vereint. Unsere überraschten Blicke weiß man zu deuten. „Wir haben untereinander keine Probleme“, erklärt Kaya Alik, der uns an seinen Tisch bittet. Troubles gab es vor geraumer Zeit zwischen Türken und Tschetschenen, als es in einem Lokal in der Daniel Gran Straße zum Showdown kam. Cicek Híjseyin war damals Gast. „Ich konnte gar nicht so schnell schauen, da wurde ich schon attackiert.“ Nicht ohne Folge: Die damals zugezogene Augenverletzung hat bis heute ihre Spuren im Gesicht hinterlassen. „Prinzipiell funktioniert das Zusammenleben im Großen und Ganzen aber gut!“, ist man sich einig. Keine fremdenfeindlichen Österreicher? Kaya Alik winkt ab. „Heute gibt es keine Rechten mehr, die sind ausgestorben.“
Auch Karakas Hasan Ali spricht von friedlicher Koexistenz der Volksgruppen. Etwaige Konflikte führt er nicht auf Herkunft oder Kultur, sondern einfach auf den Charakter von Einzelpersonen zurück. „Es gibt überall gute und schlechte Menschen. Wir sind doch alle Menschen und müssen zusammenhalten!“
Plötzlich springt Kaya Alik auf: „Wollt ihr Wasserpfeife rauchen?!“ Da sagen wir nicht nein, und so verschwindet er kurz und kommt mit einer blubbernden Wasserpfeife zurück. „Das ist eine alte Tradition aus Tunesien“, klärt er uns auf und lässt uns die ersten Züge.
Ob soviel Betrieb, das Lokal ist bis auf den letzten Platz besetzt, an einem stinknormalen Wochentag üblich sei? „Na siehst du nicht, dass die Leute alle im Krankenstand sind“, lacht Kaya Alik im Hinblick auf eine gar nicht komische Ursache: Viele hier sind Glanzstoffmitarbeiter, die frustriert zuhause bleiben, weil das Werk geschlossen wird. „Dass die Glanzstoff tatsächlich zusperrt, hat sich keiner vorstellen können“, gibt Cicek Híjseyin die Stimmung wieder. „Bestimmt die Hälfte der Leute hier arbeitet dort!“ Oder hat gearbeitet wie Karakas Hasan Ali. Der 65 jährige Österreicher türkischer Abstammung war 30 Jahre lang Textilarbeiter in der Fabrik. Seit fünf Jahren ist er in Pension, mit den Glanzstofflern fühlt er sich aber nach wie vor solidarisch: „Wir sind alle traurig! Immerhin hängen da 400 Leute dran und ihre Familien. Das ist schlimm – für die ganze Stadt! Denn wie viele Fabriken gibt es denn noch in St. Pölten? Wenn die Leute aber arbeitslos sind und kein Geld verdienen, dann können sie auch nichts kaufen, und das bekommt die ganze Stadt zu spüren.“ Wie viele fühlt er sich von der Politik im Stich gelassen. „Die denken überhaupt nicht nach. Wie kann es sein, dass eine Million Menschen an der Armutsgrenze leben? Du musst mit 900 Euro auskommen, davon sollst du aber alles bezahlen – Essen, Miete etc.“ Er selbst streckt sich mit seiner kleinen Pension nach der Decke. Selbst die Gemeindewohnung um 368 Euro Miete war ihm zu teuer.
Auch Kemal Ener hat zu kämpfen. Aufgrund einer Erkrankung ist er seit einigen Jahren nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Gerne hätte er sich wenigstens beim Roten Kreuz engagiert „freiwillig und unentgeltlich, weil ich wollte den Österreichern helfen!“, doch auch diese Option wurde ihm vom Arzt mit der Begründung untersagt, „dass ein Kranker keinem anderen Kranken helfen kann“.
Cicek Híjseyin wiederum sieht die Glanzstoff aus einem zweiten Blickwinkel. „Natürlich ist es tragisch, aber so ist das Schicksal, und dafür kriegen wir jetzt wieder Luft!“ Sieben Jahre hat er in der Herzogenburgerstraße gelebt, die seiner Meinung „die schlechteste Straße in St. Pölten ist!“ Jetzt hat er eine Bleibe in der Wiener Straße gefunden. Was so schlimm ist? „Es gibt viele Arbeitslose, Leute die vom Notstand leben und mit 400 Euro auskommen müssen, Drogendelikte, Alkoholiker“. Das bringe automatisch soziale Spannungen. Seinem Eindruck nach sei die Situation „vor 10 Jahren noch besser gewesen.“ Zwar habe man mittlerweile die Häuser renoviert, „aber nur außen. Innen schauen sie nach wie vor furchtbar aus.“ Und auch er weiß um das leidige Wohnungsproblem – vielfach seien diese für die kleinen Brieftaschen einfach zu teuer! Deshalb sei etwa die Idee, am ehemaligen Glanzstoffareal Wohnbauten zu errichten, sehr sinnvoll. Kaya Alik sieht es ähnlich, findet aber im Gegenteil, dass die Gesamtsituation besser geworden ist. „Vor 15 Jahren war noch ein anderes Klima, gabs viele Kriminelle. Von diesen sind viele nach Wien gegangen. Es könnte aber noch besser sein“, spielt er auf die Kommune an, von der man sich vernachlässigt fühlt. „Man braucht sich nur die Straßen anzusehen!“
Im Unterschied zu vielen anderen hier ist Kaya Alik kein österreichischer Staatsbürger. „Die Staatsbürgerschaft ist mir egal, weil ich möchte nach Australien, wo der zweite Teil unserer Familie lebt“, erzählt er von seinen Plänen. Derzeit arbeitet er bei Georg Fischer, um sich das Geld zusammensparen, in seiner Freizeit ist er auch als Partymacher aktiv, hat etwa die Oriental-Nights im Megaplex-Kino organisiert.
Viele hier sind „Neuösterreicher“, stolze, überzeugte Patrioten, was ein vermeintliches Paradoxon zeitigt: Es gibt einige BZÖ Wähler, dabei ist die Partei nicht gerade für ihre offene Ausländerpolitik bekannt. Nur – Ausländer ist man ja nicht, sondern Österreicher! Dass viele vor einigen Jahren noch keinen österreichischen Pass besaßen und von Rechten wie Jörg Haider offen diffamiert wurden, ist offensichtlich in den Abgründen des ewigen Vergessens (oder Verdrängens?) versunken.
Es ist gegen 23 Uhr, als wir das Lokal verlassen. Die Straße wirkt ausgestorben – wie jede andere Straße der Landeshauptstadt um diese Uhrzeit, und so brechen wir die Zelte fürs Erste ab.

TAG 2. 14 Uhr
Die Exekutive
Das mit der Kriminalität vom Vortag ist hängen geblieben. Tatsächlich vermuten viele in der Herzogenburgerstraße ja St. Pöltens Sodom und Gomorrah. Eine Fehlannahme, wie Hugo Schläger von der Polizeiinspektion Traisenpark aufklärt. „Gerade aus der Maria Emhart Straße und der Tullner Bahnstraße sind einige Leute weggezogen, dadurch gibt es für uns auch weniger Einschreitungen. Das Viertel ist generell nicht besonders auffällig.“ Prinzipiell habe das Viertel durch den Zuzug der Fachhochschule und der damit verbundenen Aufwertung dazugewonnen. Ressentiments bestünden aber noch. „Erst unlängst hat mir eine junge Studentin im Rahmen eines Selbstverteidigungskurses erzählt, dass es angeblich versuchte Vergewaltigungen in der letzten Zeit gegeben habe. Uns ist dazu nichts bekannt, gut möglich, dass sich hier auch einige Gerüchte halten.“
Kein Gerücht, sondern einfach Ausdruck einer anderen Lebensweise, sei der Umstand, dass sich Ausländer zu Nachtzeiten eher noch in kleineren Gruppen auf den Straßen aufhalten. Durch den Zuzug von tschetschenischen Zuwanderern habe es auch eine Durchmischung der früher eher nur türkisch-stämmigen Migranten gegeben. „Es ist wohl so, dass gerade in den einzelnen Milieus, egal ob ’österreichisch’ oder ‚ausländisch’ die Streitigkeiten intern geklärt werden. Wir erfahren sicher nicht alles, was dort läuft. Das Viertel würde ich aber generell als ruhig beschreiben. Bei Einbrüchen haben wir zwar einen Anstieg bemerkt, aber das muss jetzt nichts mit den Bewohnern selber zu tun haben, da spielen oft auch Sicherheitsstandards bei den Wohnungen eine Rolle.“

Pipis Imbiss-Stube
Ein Spot, wo bisweilen Österreicher in kleinen Gruppen auf der Straße zusammenstehen, ist Pipis Imbiss-Stube. Als wir am frühen Nachmittag kommen, sind etwa acht Leute im Lokal. An den Wänden hängen Fotos von Gästen, aus dem Radio dröhnt Schlagermusik. „Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie geht...“ „von einem zum anderen“, singt eine Dame enthusiasmiert mit. „Die Platte ist wirklich sche!“, zeigt sie sich euphorisch. „Wollts einen Jägermeister?“ Wir lehnen dankend ab – Arbeit ist Arbeit, Schnaps ist Schnaps.
Ernstl, ca. 45 Jahre alt, setzt sich mit uns an den einzigen Tisch im Lokal: „Über die Herzogenburgerstraße wollt ihr etwas hören? Na, da kann ich euch was erzählen.“ Eigentlich kommt er aus Weißenkirchen/Perschling. Herverschlagen hat ihn vor etwa vier Jahren das Leben, und dieses hat es mit ihm nicht wirklich gut gemeint. Zahlreiche Schicksalsschläge musste Ernstl einstecken. Vor Jahren schreibt er Schlagzeilen, als er 18 Meter in einen Aufzugschacht in die Tiefe stürzt. Wie durch ein Wunder überlebt er, fightet sich zurück. „Ich war am weißen Hof. Hab wieder gehen gelernt, sprechen gelernt.“ Auch ins Arbeitsleben kämpft er sich zurück. Ernstl ist zäh. „Ich hab ja zwei Gesellenprüfungen, bin immer arbeiten gegangen, war nie arbeitslos!“ Plötzlich verfinstert sich seine Miene. Umso unverständlicher ist es ihm, als er dann – nachdem es weiter bergab geht – nicht gleich eine Gemeindewohnung bekommt. „Es hat geheißen“, und dabei ballt er wütend die Faust „dass ich keinen Anspruch hätt, weil ich keine fünf Jahre hier einen Wohnsitz hab. Kannst du dir das vorstellen, während jeder Kanak am nächsten Tag eine Gemeindewohnung bekommt.“ Man spürt seinen Zorn, seinen Druck. Dann sind in seinen Augen also die Ausländer schuld? Da winkt Ernstl ab. Der Grant richtet sich gegen die Behörden, die Regierung, die ihn im Stich gelassen hätten. „Mit Ausländern hab ich kein Problem. Ich kann mit jedem gut! Ich bin früher auf Montage gewesen, musst wissen. In Afghanistan, Weißrussland. Das Fremde stört mich nicht.“
Die Bürokratie hingegen schon. Den Leuten wird viel zugemutet. Jene, die schon ganz unten sind, müssten sich noch weiter erniedrigen. Selbsthass ist vorprogrammiert. Man kann nicht, wie man will, sondern man muss, wie es die Umstände verlangen. „Viele, die eine Wohnung wollen, nehmen die Kinder mit zur Behörde und zwicken sie, damit sie weinen, um Mitleid zu erregen – das kannst ruhig schreiben, weil so ist das!“
Erst auf Intervention einer Gemeinderätin bekommt Ernstl schließlich in der Herzogenburgerstraße eine Gemeindewohnung. Aber das Leben schlägt weiter unaufhaltsam zu. Zwei Herzinfarkte hat er mittlerweile hinter sich, „da bei der Pipi hats mich zusammengeschmissen“, und jetzt hat man auch noch Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Ernstl kämpft gegen Tränen an, schüttelt ungläubig den Kopf, starrt für einen Moment abwesend ins Leere, ballt die Faust, um sie wieder erschöpft zu öffnen. Man fühlt, was er denkt – das Leben ist beschissen, ungerecht. Und könnte er, er würde ihm wohl in die Fresse hauen. Aber bei aller Scheiße hat es auch seine Lichtblicke, begegnet er Menschen „richtigen Menschen, wie der Pipi! Die Pipi ist ein Engel. Die hilft mir immer.“ Ebenso erfährt er in der Nachbarschaft Solidarität. „Hierher zieht vielleicht nur das Gsindl, aber das Gsindl, das kannst mir glauben, das hält zusammen! Die Leute haben selber nix, aber wenn du mal in Not bist, kannst dir sicher sein, dass dir jemand hilft!“

Hally Market
Als nächstes besuchen wir den Halley Market. Am Parkplatz wird gerade frisches Gemüse aus einem Lieferwagen geladen. Drinnen gehen wir ob des Angebots fürs erste staunend durch die Reihen: Frische Fische, buntes Obst und Gemüse, Lammkeulen und Kalbsrücken, daneben Baklava. Das Gros des Sortiments ist türkischer Herkunft, selbst die Knorr-Packerlsuppen sind in türkischer Verpackung.
Wir setzen uns mit Cihat, dem Sohn von Geschäftsführer Ali Bilgic, im kleinen Büro zusammen. Drei Jahre war er alt, als er mit den Eltern nach Österreich gekommen ist. Den Laden hat sein Vater vor ca. 10 Jahren eröffnet. Die Waren, v.a. Gemüse und Fleisch, holt man täglich frisch vom Großmarkt in der Wiener Laxenburgerstraße. „Es kommen viele Türken, Albaner, Bosnier einkaufen“, so Cihat. Aber auch Österreicher versorgen sich hier mit Essen. „Wir sind für alle da und freuen uns über jeden Kunden, egal woher er kommt. Mensch ist Mensch.“ Eine Gruppe sucht man freilich vergeblich: die Studenten. „Keine Ahnung, vielleicht haben sie Berührungsängste“, mutmaßt Cihat „oder sie gehen halt eher zu Kurti.“
Aufgrund seines Sortiments deckt der Halley Market eine Nische ab, wird insbesondere von moslemischen Mitbürgern geschätzt. Einmal mehr wird bewusst, wie sehr der Islam auch in die Essensgewohnheiten seiner Gläubigen hineinspielt. Spielt Religion für die Moslems im Viertel eine große Rolle? „Eine sehr große! Wenn wir Zeit haben, fahren wir in die Moschee zum Beten. Ich schätze, dass gut 60% der Moslems regelmäßig in die Moschee gehen!“ Und die ist nur einen Steinwurf entfernt, an der Ecke Herzogenburgerstraße/Matthias Corvinus Straße.
Mit Ausländerfeindlichkeit sei man kaum konfrontiert. „Alle sind sehr freundlich zu uns“, so Cihat. Auch mit den Tschetschenen gäbe es wieder Frieden. „Das ist vorbei. Viele kommen auch zu uns einkaufen. Aber das war schon streng damals, als plötzlich alle fünf Meter ein Polizeiauto in der Herzogenburgerstraße gestanden ist“, erinnert sich Cihat kopfschüttelnd an eine Straße im Ausnahmezustand zurück. Dabei sei die Herzogenburgerstraße ja eigentlich „eine ruhige Straße. Der Mühlweg etwa ist bedeutend belebter!“
Mit dem Schließen der Glanzstoff könnte es in Bälde noch ruhiger werden. „Für uns war die Glanzstoff gut“, Nachsatz „Der Geruch weniger.“ Jetzt hoffe man auf eine rasche Verwertung des Areals, weil damit auch endlich ein Strukturproblem gelöst werden könnte. „Die Leute fahren entweder ins Traisencenter im Norden oder in den Mediamarkt im Süden. Dazwischen ist die Herzogenburgerstraße mit der Glanzstoff“, macht Cihat auf einen Absaugeffekt der Nord und Südpole  der Stadt aufmerksam. Kurzum, es klafft ein Loch, weshalb „ein Frequenzbringer toll wäre, ein Einkaufszentrum etwa, oder Wohnungen!“ Auf eines freut er sich jedenfalls schon. „Dass dann endlich die Gleise wegkommen!“
 
Studentenfutter
Wir machen einen Abstecher ins Studentenwohnheim und besuchen Anne, die sich mit einem Kollegen eine 40 Quadratmeterwohnung teilt. 251 Euro berappt sie dafür, „da sind aber schon sämtliche Betriebskosten inkludiert“. Ihr eigenes Zimmer ist ca. 14 Quadratmeter groß. Am Schreibtisch steht der Laptop, Poster zieren die Wand, ein Kuschelpolster samt Arm in Halbtorsoform (Pauli) liegt am Boden, auf einem Kasten steht eine Megapackung Choco-Cornflakes, darunter ein Stapel „Bob der Baumeister“ Pickerl, die sie im Zuge ihres Studentenjobs verteilt. Der Erstkontakt mit der Herzogenburgerstraße war ernüchternd bis einschüchternd. „Es hat geheißen, es kommt immer wieder die Polizei. Erst kurz vorher gabs eine Messerstecherei. Jeder hat sich über die Glanzstoff aufgeregt und über die Schienen“, erinnert sich Anne. Zwar hätte sich manches bald relativiert „Die Glanzstoff etwa hat mich persönlich nie gestört, das hab ich nicht einmal gerochen“, anderes wiederum sei ihr bis heute nicht geheuer. „Wenn es finster ist, gehe ich ungern allein durch die Gegend.“ Die vor manch Lokal herumlungernden Männer seien nicht gerade vertrauenserweckend.
Trotzdem hätte der persönliche Kontakt zu Menschen in der Nachbarschaft manch Vorurteil auch widerlegt. „Ich hab genauso unreflektiert gesagt: ‚Da wohnen ja nur die Ausländer‘, obwohl ich nicht ausländerfeindlich bin. Aber jetzt, wo ich welche persönlich kenn, muss ich sagen, dass sie eigentlich ganz nett sind.“ Nachsatz: „Im Unterschied zu den angesoffenen Österreichern!“ Prinzipiell konstatiert die Studentin drei Gruppen im Grätzl: Studenten, Ausländer und österreichische Sozialhilfeempfänger. Eine Durchmischung finde praktisch nicht statt, „jede Gruppe lebt irgendwie für sich allein“, der einzige Integrationsfaktor sei Kurti „da kommen irgendwie alle hin.“
Als Student komme man sich aber ein bisschen wie am Ende der Welt vor, was v. a. an der mangelnden Infrastruktur liegt. „Es gibt weder einen Bäcker noch ein gemütliches Kaffeehaus oder nette Lokale in der Straße. Bis vor kurzem gab es nicht mal einen Bankomaten! Und wir haben jetzt zwar den Lup, aber der fährt nur jede halbe Stunde! Wenn du also nicht mobil bist, schaut es schlecht aus!“ Wenig verwunderlich, dass sie sich insbesondere von der Verwertung des Glanzstoffareals einiges erwartet. „Da wär wirklich viel Potential vorhanden, auch etwas für junge Leute umzusetzen, etwa Kultureinrichtungen.“
Dann würde man vielleicht auch das ramponierte Image der Stadt aufpolieren können. „In Studentenkreisen heißt es allgemein: Alles ist besser als St. Pölten. Diejenigen, die hier studieren, sind entweder Einheimische oder solche, die explizit diese Zweige studieren möchten!“ St. Pölten sei verschrien „Ich komm aus Amstetten – selbst dort ist mehr los am Abend! Die Stadt bietet den Studenten einfach nix“, so Annes hartes Resümee.

Der kleinste gemeinsame Nenner
Als nächstes „knöpfen“ wir uns Kurti vor, den kleinsten gemeinsamen Nenner der Straße. Warum? Weil, egal mit wem wir geplaudert haben, sein Name immer gefallen ist. Seit 1993 lebt er in Österreich, „Kurtis Piz & Keb“ hat er vor zwei Jahren eröffnet, „weil ich schon immer vom Standort überzeugt war“. Allein vom stylischen Ambiente her hebt sich Kurtis Lokal vom „Standard“ der Straße ab und signalisiert mit dem schönen, angeschlossenen Gastgarten Aufbruchsstimmung. „Die Situation in der Herzogenburgerstraße ist in den letzten Jahren besser geworden, sie hatte schon ein schlechteres Image“, ist der Gastronom überzeugt. Seine Kunden kommen nicht nur aus dem Grätzl, sondern aus ganz St. Pölten, selbstverständlich auch viele Studenten. „Eigentlich weniger Leute aus den Sozialwohnungen der Herzogenburgerstraße. Die kommen, wenn überhaupt, eher am Abend auf etwas zum Trinken“. Dabei sind es gerade die Abendzeiten, die ihn ein bisschen irritieren. „Hier wohnen so viele Türken, aber nach 18 Uhr ist die Straße wie ausgestorben. Das ist untypisch!“ In die schräg gegenüberliegende Glanzstoff hat er bisweilen Essen geliefert. Jetzt befürchtet er eine lange Leerstehzeit für die Fabrik, „aber da muss in jedem Fall wieder etwas Neues kommen. Vielleicht ein Lutz oder so etwas in der Art. Wichtig ist, dass wir Leute herbekommen“, wünscht er sich und springt auf, als die nächsten Gäste ins Lokal kommen. Die Arbeit ruft! Eines möchte er aber noch anbringen: „Ich fühl mich hier wohl. Ich liebe diese Straße!“

Opposites attract
Wertschätzung hört man auch aus den Worten Bernhard Herzbergers heraus, dem Presseleiter der Emmaus-Gemeinschaft, die gleich neben Kurti ein Wohnheim für aus der Bahn geworfene Männer betreibt. Gerade im vermeintlich Fremden sieht er einen der prägendsten, positiven Aspekte der Straße. „In den Supermärkten und Geschäften fühle ich mich an die Maturareise in der Türkei erinnert – an sich also Urlaubsflair. Hier bekommt man alles von Datteln, Lammfleisch, Efes...!“ Ebenso sei die Parallelität von verschiedensten Gesellschaften, Religionen und Lebensstilen faszinierend. „Am Gehsteig triffst du junge Studenten, die mit der Mappe unter dem Arm in die FH pilgern genauso wie gleichaltrige Frauen mit Schleier – vielleicht schon mit Kinderwagen und einem Kind an der Hand. Und geh ich mir eine Zeitung holen, plaudert der Besitzer des Ladens, ein Tunesier, mit mir übers österreichische Wahlergebnis“, beschreibt Herzberger die Vielfalt, die sich auch in gegenseitigem Respekt niederschlägt. „Als die Wallfahrtsbasilika in Mariazell ihr 850-Jahr Jubiläum feierte, konnte man bei ihm die 5-Euro-Silbermünzen kaufen. ‚Haben Sie schon gesehen, wie schön jetzt Mariazell nach der Renovierung ist’, schwärmte der Nachbar wie ein alter Wallfahrer, der sich selbst einmal im Jahr auf den Weg macht...  Wasserpfeifen aus Tunesien gibts übrigens auch bei ihm zu kaufen.“
Es herrscht also, wenn man sich aufeinander einlässt, ein offenes, ja gegenseitig befruchtendes Klima. Koexistenz ist möglich, ja Realität. „Im Jugendzentrum der Stadt hat nach dem 11. September und dem Karrikaturenstreit ein interreligiöses Treffen mit Gebet stattgefunden! Und an der Ecke zur Matthias Corvinus Straße findet man auf der einen Seite das ‚Mutterhaus’ der Emmausgemeinschaft mit christlicher Verwurzelung im Dienste der Armen, und quer gegenüber hat der islamische Wohltätigkeits- und Kulturverein seine Bleibe gefunden. Zufall oder mehr?“ Wer weiß. Jedenfalls Alltag, dem man sich stellen muss, ja dem sich die Menschen hier schon längst stellen. Das Leben ist ein Kampf, aber es ist zu meistern. In der Herzogenburgerstraße vielleicht schwieriger als anderswo – und das ringt einem höchsten Respekt ab vor den Menschen, die hier leben. Aber der Kampf ist nicht aussichtslos. Im Gegenteil. Denn der Gang des Orpheus entpuppt sich zuletzt als Irrweg in dem Sinne, dass der steinige Weg nicht in die hoffnungslose Unterwelt führt, sondern im Gegenteil nach oben! Hier ist nicht der Tod zuhause, sondern das pure Leben, in einer Vielfalt und Intensität, wie man sie sonst nirgends in der Stadt findet. Orpheus braucht nicht angstvoll zurückzublicken, weil es ohnedies nichts zu verlieren gibt. Euridyke ist tot. Es wandelt längst, vielleicht noch unbemerkt, eine neue Gefährtin an seiner Seite, die den Namen Zukunft trägt!