In allerbester Gesellschaft
Text
Michael Müllner
Ausgabe
Nach über vier Jahren wurde das Urteil gegen den ehemaligen Gebäudemanager des Krankenhauses St. Pölten rechtskräftig – er hatte unerlaubte Geschenke von Firmen angenommen und muss nun für zwölf Monate in Haft. Im Gespräch mit MFG schildert er seine Sicht des „Kriminalfalls Spital“ und fühlt sich mit dem, wofür er verurteilt wurde, in allerbester Gesellschaft.
Was war der Auslöser für den Spitalkrimi?
Im September 2004 gab es einen anonymen Brief, offensichtlich von einer armen kranken Seele, der weder originell noch witzig war, und in dem in etwa 15 Mitarbeiter auf dümmliche Weise angepatzt worden sind. Die Inhalte des Briefes hätten jedoch nie zu Ermittlungen geführt, hätte nicht eine damalige Mitarbeiterin das Kontrollamt des Magistrats mit falschen Unterstellungen versorgt. Die Anschuldigungen gegen mich spiegeln genau jene Vorgehensweise wider, die sie für sich selbst überaus gerne in Anspruch genommen hätte und zum Teil auch ohne mein Wissen getan hat. Frei nach dem Motto, was A über B sagt, sagt mehr über A als über B aus. Forciert wurden die Aussagen noch von einem hohen Beamten im Rathaus, der der Dame wohl zugeneigt war. So nahm die Intrige ihren Lauf und die Kripo nahm die Ermittlungen auf. Die Mitarbeiterin hatte an Abrechnungen manipuliert und mir so ihre Privateinkäufe untergejubelt. Ich wollte diese Missstände abstellen, sie verstand das als Mobbing, und so kam es zur Konfrontation. Sie hatte ja auch den Beamten im Rathaus als Fürsprecher. Der Verwaltungsdirektor hat mich aufgrund einer Beschwerde zu sich zitiert. Ich habe erklärt, wer für die Missstände verantwortlich ist und um eine Lösung des Problems ersucht. Gemeinsam mit dem Personalchef war die Antwort dann, dass wir da nichts machen können, da im Raum stand, dass der Beamte wohl schon bald der nächste Magistratsdirektor werden könnte, „da würden wir uns selber ins Knie schießen“.
War der Spitalskrimi im Zuge der Übernahme politisch gesteuert?
Absolut NEIN! Ich kenne alle Ermittlungsunterlagen, der gesamte Akt umfasst 13 A4-Ordner, prall gefüllt, und aus diesen geht hervor, es war ausschließlich eine interne Intrige. Zur Untermauerung, die Hauptbelastungszeugin hat den Lebensgefährten meiner Ex-Frau mehrmals angerufen und ersucht sie zu unterstützen mit wörtlich protokolliertem Text: „Helfen sie mir, denn ich bring den Schlossnagl mit aller Macht in den Häfen, und zwar egal wie, weil dort bringt er sich eh selber um.“ Die Telefonate sind von der Krankenhaustelefonanlage geführt worden.
Und darin liegt für mich der wahre Kriminalfall Spital. Dass ein ranghoher Beamter, der der Wahrheit verpflichtet sein sollte und eine Sekretärin jemanden dermaßen anschwärzen und so viel lügen können, und dabei in Kauf nehmen- bzw. womöglich sogar darauf hinarbeiten, dass sich der in Haft das Leben nimmt. Diese Vernichtungskampagne war das wirklich Kriminelle!
Das klingt nach einem korrupten System, aber Sie wurden rechtskräftig verurteilt...
Ich wurde zu zwölf Monaten unbedingter Haft verurteilt, weil ich im Wert von 10.000 Euro Geschenke angenommen habe. Ich habe mich immer gegen den Vorwurf der Korruption gewehrt. Die Kriminalpolizei hat bestens ermittelt, obwohl sie durch die vielen Falschaussagen teilweise instrumentalisiert wurde. Das System selbst ist nicht korrupt, die Arbeitsabläufe sind transparent. Aber im Kriminalfall Spital wurde immer wieder von falsch geschriebenen bzw. falsch titulierten Rechnungen gesprochen – und dazu muss man festhalten: Rechnungen so abzufassen, dass Gremien des Gemeinderats umgangen worden sind, war nicht meine Erfindung. Wenn ich von Vorgesetzten im Rathaus die Direktive hatte, dass Gremien wie der Stadtsenat oder der Gemeinderat zu umgehen seien und darum eben die Rechnungstitel oder die Beträge angepasst wurden, damit „die Opposition sich nicht unnötig den Kopf zerbricht“, so habe ich diesen Wünschen entsprochen.
Um eine ordentliche Laufbahn zu haben, muss man in das Weltbild der Mächtigen passen, die die Regeln machen. Ich hatte 21 Jahre lang exzellente Dienstbeurteilungen und jährliche Überprüfungen durch das Kontrollamt – nie wurde auch nur die geringste Rüge ausgesprochen. Aber das war auch nie die Frage im Kriminalfall Spital.
Die damaligen politischen Verantwortlichen, heute in Pension, wußten davon?
Sie wussten nicht, dass ich Geschenke annehme, das ist meine persönliche Verantwortung. Aber es gab teilweise die Linie, Firmen, welche im Krankenhaus Aufträge erhalten haben, zum Spenden für Vereine und Veranstaltungen zu ermuntern.
Wie sind Sie mit den zahlreichen gegen Sie erhobenen Vorwürfen umgegangen?
Mein Problem war, dass ich viele Vorwürfe nicht sofort entkräften konnte. Die entlastenden Belege wurden von meinem Sekretariat bewusst nicht rausgerückt. Ich selbst durfte nicht mehr ins Büro und auch nach der Entlassung aus der U-Haft durfte ich mit den betroffenen Firmen nicht reden. So wurde vieles erst im Laufe des Verfahrens aufgeklärt. Etwa die Ermittlungen bei der Sondermüllentsorgung, rund 280.000 Euro wurden mir von der Anklage vorgeworfen. Tatsache ist, dass vor Prozesseröffnung das Land NÖ die Müllentsorgung neu ausgeschrieben hat, völlig neue Akteure waren am Werk, ein anderes politisches Couleur, und trotzdem ist jene Firma, die auch bei mir entsorgt hat, als Billigst- und Bestbieter hervorgegangen. Obwohl die Kosten um einige Prozent höher sind, als zu meiner Zeit. Mir stellt sich da die Frage, wo die ganzen billigen Jakobs nun sind, die sich zu meiner Zeit über meine Vergabeentscheidungen beschwert haben... Grundsätzlich: der Anbieter mit dem billigsten Preis gewährleistet nicht immer eine optimale Ausführung. Daher war bei der Vergabe immer auf Preis, Leistung und Qualität zu achten. Die billigste Regiestunde ist nicht immer die beste.
Die Firmen werden wohl vor Gericht nicht sehr auskunftsfreudig gewesen sein?
Was die Geschenkannahme und Spenden an diverse Organisationen betroffen hat natürlich nicht. Was die Geschäftsgebarungen zwischen Gebäudeverwaltung und den einzelnen Lieferanten betroffen hat, ist den Behörden lückenlos Auskunft gegeben worden. Schließlich waren diese Auskünfte letztendlich ausschlaggebend dafür, dass mehr als zwei Drittel der Anschuldigungen gegen mich freigesprochen wurden.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen?
Was die Geschenkannahme betrifft, so befinde ich mich in allerbester Gesellschaft. Es werfe hier der den ersten Stein, der ohne Schuld ist. Ich habe immer für mein Geld gearbeitet, jedem im Rahmen meiner Möglichkeiten geholfen, ich habe immer geschaut, dass alles geordnet abläuft, ich habe mich nie durch Intrigen bereichert. So gesehen kann ich mich in den Spiegel schauen! Wenn es um falsch titulierte Rechnungen geht, dann auch nicht, denn dieses System wurde nicht von mir erfunden, ich hatte bloß den Auftrag.
Lebt man da mit der Angst, dass irgendwann doch das ganze System auffliegt?
Ich hatte nie Angst, ich war ja Teil des Systems und hab mich damit immer wohl gefühlt. Mir hat meine Arbeit sehr viel Freude gemacht, ich habe die Gebäudeverwaltung neu strukturiert und bestens organisiert, um mich für interessante Aufgaben im Projektbereich und für Ausschreibungen freizuspielen. Natürlich gab es auch immer wieder Anschuldigungen, beispielsweise wenn es um Geschäftsessen geht. Aber glauben Sie mir, die sind nicht immer ein reines Vergnügen, sondern oft auch lästige Pflicht.
Wie sehen Sie heute Ihren langjährigen Arbeitgeber, den Magistrat St. Pölten?
Ich habe keinerlei Groll auf den Magistrat, der war immer ein erstklassiger Dienstgeber. Ich war Teil des Systems, ich hätte jederzeit kündigen können, aber nein, ich habe es mitgetragen und muss jetzt auch dazu stehen. Einzig die Ungleichbehandlung von manchen Mitarbeitern hat mich zeitweise schon sehr gestört. Das sieht man auch jetzt. Die Reaktion des anonymen Briefs gegen mich war eine umfassende Ermittlung. Als vor einiger Zeit ein anonymer Brief im Rathaus einlangte, der den eingangs erwähnten Beamten mit zahlreichen Verfehlungen anschwärzte, wurde alles runtergespielt und auf Eis gelegt. Es stand im Raum, dass ich als Retourkutsche den Brief geschrieben habe, woraufhin ich mich mittels freiwilligen DNA-Tests frei bewiesen habe. Da war jede Menge DNA drauf, aber nicht meine.
Ich konnte den Brief übrigens bei der Kriminalpolizei lesen. Viele der angeführten Verfehlungen wären durchaus überprüfenswert gewesen. Die Ungleichstellung in der Behandlung dieses anonymen Briefs und meiner Angelegenheit ist für mich zweifellos ein Störfaktor. Ich habe gearbeitet und mich schmieren lassen, okay. Sonst aber habe ich den Vorstellungen der Vorgesetzten entsprochen. Andere werken viel ärger als ich, bringen keinerlei Leistung und deren Verfehlungen wird nicht nachgegangen?! Darüber hätte ich mich gerne mit den Verantwortlichen unterhalten...
Man könnte behaupten, dass Sie mit dem Magistrat glücklich sind, weil Sie bis zur rechtskräftigen Verurteilung einen großen Teil Ihres Gehalts bezogen haben und der Magistrat auf weitere Schritte verzichtet. Gibt’s einen Deal?
Nein, es gibt keinen Deal. Wieso auch? Die damaligen Akteure sind längst von der Bühne verschwunden, die Jetzigen hatten mit alldem nichts zu tun. Ich will nicht, dass die angepatzt werden. Vor Prozessbeginn wollte der Magistrat wissen, was ich über Rathaus und Partei so sagen würde. Meine Antwort war klar: nichts Schlechtes. Aber wäre das Thema auf die Leute gekommen, die mich so angeschwärzt haben, dann wussten alle, dass ich alles gesagt hätte. Für das Erstgericht war dies aber ohnedies kein Thema.
Welche Rolle spielt Ihr Parteibuch?
Ich bin überzeugter Sozialdemokrat, aus Leidenschaft. Und daher auch Parteimitglied.
Dieses fragwürdige System wurde ja auch durch Parteibuchwirtschaft ermöglicht?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass vieles, das im öffentlichen Dienst möglich ist, im privaten Bereich nicht möglich wäre. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass bis zum Ferialjob oft die Frage, „ob das eh gute Rote sind“, bei Besetzungen mitspielt. Das wird bei anderen Couleurs übrigens nicht anders sein. Und dass die Zahl der Parteibücher mit der Zahl der Stimmen bei Betriebsratswahlen nie zusammengestimmt hat, ist auch kein Geheimnis. Der Punkt ist, dass man erst in leitender Position für das System interessant wird. Da sind wir wieder bei der Frage, ob man in das Weltbild der Mächtigen passt. Und wenn ja, wenn man sich darauf einlässt und es mitspielt, dann braucht man das Spiel später nicht kritisieren. Ich habe nie groß darüber nachgedacht, sondern gemacht, was sie mir angeschafft haben.
Ein anderes Beispiel, das dieses System schön darstellt: Wir hatten gute zehn Jahre im Krankenhaus einen Mann beschäftigt, von dem kein Mensch wusste, was er eigentlich für eine Aufgabe im Haus hat. Offiziell hat er geschaut, ob die Liftanlagen eh da sind. Keine Liftwartung im eigentlichen Sinn, die war ja an eine externe Firma vergeben. Dem Magistrat war ganz angenehm, dass entweder schwer verwendbare Mitarbeiter oder Leistungen, die fürs Magistrat erbracht wurden, im Krankenhaus angesiedelt wurden. Weil dort zahlte dann auch das Land NÖ mit.
Und jetzt fragt sie in dieser Situation ein Vertreter, ob sie einen Wunsch haben. Wenn Sie keinen haben, dann bekommen Sie eben sonstige Zuwendungen. Wenn man weiß, was sich kreuz und quer abspielt, da denkst du dir nichts Böses dabei, wenn du diese Zuwendungen annimmst. Einmal sagte ein Vertreter zu mir: „Du musst ja nix nehmen. Wenn du in Pension gehst, dann bekommst du dafür sicher einen Orden: den goldenen Unsichtbaren.“ (Lacht.)
Wie geht es dem Weinkeller, den Sie angeblich mit Steuergeld finanziert haben?
Auch diese Behauptung ist im Verfahren als Luftblase zerplatzt. Ich habe einen Weinkeller gekauft und ihn auf meine Kosten renoviert. Einmal habe ich mir einen alten Porsche gekauft, der hat kein Vermögen gekostet. In nächtelanger Arbeit hab ich ihn renoviert und dann wieder verkauft, andere sitzen in der Zeit im Wirtshaus. Da sind wir wieder beim Thema Neid. Meiner Meinung nach etwas Typisches für St. Pölten: Neid und Missgunst.
Magistratsdirektor Thomas Dewina über die Causa Schlossnagl:
„Ich weiß nichts von solchen Direktiven!“
Magistratsdirektor Thomas Dewina führt auf unsere Anfrage an, dass zahlreiche Kontrolleinrichtungen Ähnliches in Zukunft verhindern sollen: Vom Vier-Augen-Prinzip, über Kontrollamt, Kontrollausschuss, Rechnungshof und Antikorruptionsstaatsanwaltschaft. Besonderheiten in St. Pölten sieht er nicht: „Es gibt klare gesetzliche Bestimmungen. Letztlich ist jedoch jeder selbst für sich verantwortlich und hat sich vor den dienstrechtlichen Behörden bis hin zur Staatsanwaltschaft und den Gerichten zu verantworten.“ Und Dewina weiter: „Dass es eine Direktive aus dem Rathaus zur Erfüllung von Straftatbeständen gegeben hätte – wie angeblich Ing. Schlossnagl behauptet haben soll – ist völlig unvorstellbar. Ich jedenfalls weiß von solchen Direktiven nichts.“
Weshalb verzichtet der Magistrat auf zivilrechtliche Schritte gegen Schlossnagl? Wäre man es nicht dem Steuerzahler schuldig gewesen, die jahrelang geleisteten Zahlungen an ihn seit seiner Suspendierung zurückzufordern? Dewina: „Der Magistrat verzichtet nicht auf zivilrechtliche Schritte, sondern es hat das zuständige Organ Stadtsenat beschlossen, ein zivilrechtliches Verfahren gegen Ing. Schlossnagl nicht einzuleiten. Dieser Beschluss beruht auch auf einer ausdrücklichen Empfehlung des Rechtsvertreters der Stadt unter Hinweis auf das hohe Prozessrisiko. Der Stadt wurden aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei im strafrechtlichen Prozess bereits die festgestellten Schadensersätze zugesprochen. Bei einem darüber hinausgehenden zivilrechtlichen Verfahren müsste die Stadt auf eigene Faust (und besser als die Kriminalpolizei) neue Beweismittel ermitteln, um eine Klage überhaupt formulieren zu können. Mit den Gehaltsansprüchen des Ing. Schlossnagl aus den einschlägigen dienstrechtlichen Vorschriften während der Zeit seiner Suspendierung bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung hat das überhaupt nichts zu tun.“
Kommentar des Autors:
Gerhard Schlossnagl bestreitet seine Schuld nicht. Aber er hat auch kein schlechtes Gewissen. Vieles sei usus gewesen. Was für manchen Bürger unglaublich klingt, gehörte laut seinen Aussagen zum modus operandi. Ist es wie so oft „das System“, das es Einzelnen ermöglicht, sich auf moralisch und rechtlich falsches Handeln einzulassen, es womöglich sogar fördert? Soviel könnte man den Erzählungen entnehmen. Und so viel mehr könnte er noch berichten, über so viele Andere... Und da sind wir beim Punkt.
In Schlossnagl’s Welt war es ohne Zweifel ein Systemfehler, dass die Causa publik wurde und er vor Gericht landete. Seiner Persönlichkeit zufolge bleibt seine Loyalität zum System ungebrochen. Nach vier Jahren im Ausnahmezustand und einer bevorstehenden Haftstrafe wirkt er ruhig und zufrieden. Nur eines kann er nicht akzeptieren, dass er Opfer einer Intrige von Leuten wurde, die seiner Meinung nach um keinen Deut besser sind, als er. Wo die Intrige aufhört und die Paranoia beginnt liegt freilich einzig im Auge des Betrachters. Und während die Staatsanwaltschaft noch immer gegen andere Beschuldigte ermittelt, wird die Zukunft zeigen, ob aus dem „Kriminalfall Spital“ auch eine private Vendetta des Gerhard Schlossnagl wird.
Zurücklehnen können sich derweil jene, die sich auf „den Schlossi“ schon während seiner aktiven Zeit verlassen konnten. Er hat’s gerichtet, wenn eine Spatenstichfeier politisch opportun war, obwohl das Budget wieder mal längst überschritten war. Oder als ein parteinaher Sportverein einen Sponsor nötig hatte, dann fand sich sicher ein dankbarer Bauunternehmen auf Schlossnagl’s Liste.
In der Privatwirtschaft kann man zum Graubereich „Lobbying - Networking - Sponsoring - Korruption“ stehen, wie man will. In den Bereichen der öffentlichen Hand geht es um Steuergelder. Hier wäre Transparenz und Kontrolle Ausdruck von politischer Kultur. Und hier sind wir beim Problem: In unserer Verbände- und Parteiengesellschaft muss man als gelernter Österreicher skeptisch sein. Aber das ist nicht die Schuld von Gerhard Schlossnagl. Denn er befindet sich ja „in allerbester Gesellschaft“. Als typischer Österreicher.
Im September 2004 gab es einen anonymen Brief, offensichtlich von einer armen kranken Seele, der weder originell noch witzig war, und in dem in etwa 15 Mitarbeiter auf dümmliche Weise angepatzt worden sind. Die Inhalte des Briefes hätten jedoch nie zu Ermittlungen geführt, hätte nicht eine damalige Mitarbeiterin das Kontrollamt des Magistrats mit falschen Unterstellungen versorgt. Die Anschuldigungen gegen mich spiegeln genau jene Vorgehensweise wider, die sie für sich selbst überaus gerne in Anspruch genommen hätte und zum Teil auch ohne mein Wissen getan hat. Frei nach dem Motto, was A über B sagt, sagt mehr über A als über B aus. Forciert wurden die Aussagen noch von einem hohen Beamten im Rathaus, der der Dame wohl zugeneigt war. So nahm die Intrige ihren Lauf und die Kripo nahm die Ermittlungen auf. Die Mitarbeiterin hatte an Abrechnungen manipuliert und mir so ihre Privateinkäufe untergejubelt. Ich wollte diese Missstände abstellen, sie verstand das als Mobbing, und so kam es zur Konfrontation. Sie hatte ja auch den Beamten im Rathaus als Fürsprecher. Der Verwaltungsdirektor hat mich aufgrund einer Beschwerde zu sich zitiert. Ich habe erklärt, wer für die Missstände verantwortlich ist und um eine Lösung des Problems ersucht. Gemeinsam mit dem Personalchef war die Antwort dann, dass wir da nichts machen können, da im Raum stand, dass der Beamte wohl schon bald der nächste Magistratsdirektor werden könnte, „da würden wir uns selber ins Knie schießen“.
War der Spitalskrimi im Zuge der Übernahme politisch gesteuert?
Absolut NEIN! Ich kenne alle Ermittlungsunterlagen, der gesamte Akt umfasst 13 A4-Ordner, prall gefüllt, und aus diesen geht hervor, es war ausschließlich eine interne Intrige. Zur Untermauerung, die Hauptbelastungszeugin hat den Lebensgefährten meiner Ex-Frau mehrmals angerufen und ersucht sie zu unterstützen mit wörtlich protokolliertem Text: „Helfen sie mir, denn ich bring den Schlossnagl mit aller Macht in den Häfen, und zwar egal wie, weil dort bringt er sich eh selber um.“ Die Telefonate sind von der Krankenhaustelefonanlage geführt worden.
Und darin liegt für mich der wahre Kriminalfall Spital. Dass ein ranghoher Beamter, der der Wahrheit verpflichtet sein sollte und eine Sekretärin jemanden dermaßen anschwärzen und so viel lügen können, und dabei in Kauf nehmen- bzw. womöglich sogar darauf hinarbeiten, dass sich der in Haft das Leben nimmt. Diese Vernichtungskampagne war das wirklich Kriminelle!
Das klingt nach einem korrupten System, aber Sie wurden rechtskräftig verurteilt...
Ich wurde zu zwölf Monaten unbedingter Haft verurteilt, weil ich im Wert von 10.000 Euro Geschenke angenommen habe. Ich habe mich immer gegen den Vorwurf der Korruption gewehrt. Die Kriminalpolizei hat bestens ermittelt, obwohl sie durch die vielen Falschaussagen teilweise instrumentalisiert wurde. Das System selbst ist nicht korrupt, die Arbeitsabläufe sind transparent. Aber im Kriminalfall Spital wurde immer wieder von falsch geschriebenen bzw. falsch titulierten Rechnungen gesprochen – und dazu muss man festhalten: Rechnungen so abzufassen, dass Gremien des Gemeinderats umgangen worden sind, war nicht meine Erfindung. Wenn ich von Vorgesetzten im Rathaus die Direktive hatte, dass Gremien wie der Stadtsenat oder der Gemeinderat zu umgehen seien und darum eben die Rechnungstitel oder die Beträge angepasst wurden, damit „die Opposition sich nicht unnötig den Kopf zerbricht“, so habe ich diesen Wünschen entsprochen.
Um eine ordentliche Laufbahn zu haben, muss man in das Weltbild der Mächtigen passen, die die Regeln machen. Ich hatte 21 Jahre lang exzellente Dienstbeurteilungen und jährliche Überprüfungen durch das Kontrollamt – nie wurde auch nur die geringste Rüge ausgesprochen. Aber das war auch nie die Frage im Kriminalfall Spital.
Die damaligen politischen Verantwortlichen, heute in Pension, wußten davon?
Sie wussten nicht, dass ich Geschenke annehme, das ist meine persönliche Verantwortung. Aber es gab teilweise die Linie, Firmen, welche im Krankenhaus Aufträge erhalten haben, zum Spenden für Vereine und Veranstaltungen zu ermuntern.
Wie sind Sie mit den zahlreichen gegen Sie erhobenen Vorwürfen umgegangen?
Mein Problem war, dass ich viele Vorwürfe nicht sofort entkräften konnte. Die entlastenden Belege wurden von meinem Sekretariat bewusst nicht rausgerückt. Ich selbst durfte nicht mehr ins Büro und auch nach der Entlassung aus der U-Haft durfte ich mit den betroffenen Firmen nicht reden. So wurde vieles erst im Laufe des Verfahrens aufgeklärt. Etwa die Ermittlungen bei der Sondermüllentsorgung, rund 280.000 Euro wurden mir von der Anklage vorgeworfen. Tatsache ist, dass vor Prozesseröffnung das Land NÖ die Müllentsorgung neu ausgeschrieben hat, völlig neue Akteure waren am Werk, ein anderes politisches Couleur, und trotzdem ist jene Firma, die auch bei mir entsorgt hat, als Billigst- und Bestbieter hervorgegangen. Obwohl die Kosten um einige Prozent höher sind, als zu meiner Zeit. Mir stellt sich da die Frage, wo die ganzen billigen Jakobs nun sind, die sich zu meiner Zeit über meine Vergabeentscheidungen beschwert haben... Grundsätzlich: der Anbieter mit dem billigsten Preis gewährleistet nicht immer eine optimale Ausführung. Daher war bei der Vergabe immer auf Preis, Leistung und Qualität zu achten. Die billigste Regiestunde ist nicht immer die beste.
Die Firmen werden wohl vor Gericht nicht sehr auskunftsfreudig gewesen sein?
Was die Geschenkannahme und Spenden an diverse Organisationen betroffen hat natürlich nicht. Was die Geschäftsgebarungen zwischen Gebäudeverwaltung und den einzelnen Lieferanten betroffen hat, ist den Behörden lückenlos Auskunft gegeben worden. Schließlich waren diese Auskünfte letztendlich ausschlaggebend dafür, dass mehr als zwei Drittel der Anschuldigungen gegen mich freigesprochen wurden.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen?
Was die Geschenkannahme betrifft, so befinde ich mich in allerbester Gesellschaft. Es werfe hier der den ersten Stein, der ohne Schuld ist. Ich habe immer für mein Geld gearbeitet, jedem im Rahmen meiner Möglichkeiten geholfen, ich habe immer geschaut, dass alles geordnet abläuft, ich habe mich nie durch Intrigen bereichert. So gesehen kann ich mich in den Spiegel schauen! Wenn es um falsch titulierte Rechnungen geht, dann auch nicht, denn dieses System wurde nicht von mir erfunden, ich hatte bloß den Auftrag.
Lebt man da mit der Angst, dass irgendwann doch das ganze System auffliegt?
Ich hatte nie Angst, ich war ja Teil des Systems und hab mich damit immer wohl gefühlt. Mir hat meine Arbeit sehr viel Freude gemacht, ich habe die Gebäudeverwaltung neu strukturiert und bestens organisiert, um mich für interessante Aufgaben im Projektbereich und für Ausschreibungen freizuspielen. Natürlich gab es auch immer wieder Anschuldigungen, beispielsweise wenn es um Geschäftsessen geht. Aber glauben Sie mir, die sind nicht immer ein reines Vergnügen, sondern oft auch lästige Pflicht.
Wie sehen Sie heute Ihren langjährigen Arbeitgeber, den Magistrat St. Pölten?
Ich habe keinerlei Groll auf den Magistrat, der war immer ein erstklassiger Dienstgeber. Ich war Teil des Systems, ich hätte jederzeit kündigen können, aber nein, ich habe es mitgetragen und muss jetzt auch dazu stehen. Einzig die Ungleichbehandlung von manchen Mitarbeitern hat mich zeitweise schon sehr gestört. Das sieht man auch jetzt. Die Reaktion des anonymen Briefs gegen mich war eine umfassende Ermittlung. Als vor einiger Zeit ein anonymer Brief im Rathaus einlangte, der den eingangs erwähnten Beamten mit zahlreichen Verfehlungen anschwärzte, wurde alles runtergespielt und auf Eis gelegt. Es stand im Raum, dass ich als Retourkutsche den Brief geschrieben habe, woraufhin ich mich mittels freiwilligen DNA-Tests frei bewiesen habe. Da war jede Menge DNA drauf, aber nicht meine.
Ich konnte den Brief übrigens bei der Kriminalpolizei lesen. Viele der angeführten Verfehlungen wären durchaus überprüfenswert gewesen. Die Ungleichstellung in der Behandlung dieses anonymen Briefs und meiner Angelegenheit ist für mich zweifellos ein Störfaktor. Ich habe gearbeitet und mich schmieren lassen, okay. Sonst aber habe ich den Vorstellungen der Vorgesetzten entsprochen. Andere werken viel ärger als ich, bringen keinerlei Leistung und deren Verfehlungen wird nicht nachgegangen?! Darüber hätte ich mich gerne mit den Verantwortlichen unterhalten...
Man könnte behaupten, dass Sie mit dem Magistrat glücklich sind, weil Sie bis zur rechtskräftigen Verurteilung einen großen Teil Ihres Gehalts bezogen haben und der Magistrat auf weitere Schritte verzichtet. Gibt’s einen Deal?
Nein, es gibt keinen Deal. Wieso auch? Die damaligen Akteure sind längst von der Bühne verschwunden, die Jetzigen hatten mit alldem nichts zu tun. Ich will nicht, dass die angepatzt werden. Vor Prozessbeginn wollte der Magistrat wissen, was ich über Rathaus und Partei so sagen würde. Meine Antwort war klar: nichts Schlechtes. Aber wäre das Thema auf die Leute gekommen, die mich so angeschwärzt haben, dann wussten alle, dass ich alles gesagt hätte. Für das Erstgericht war dies aber ohnedies kein Thema.
Welche Rolle spielt Ihr Parteibuch?
Ich bin überzeugter Sozialdemokrat, aus Leidenschaft. Und daher auch Parteimitglied.
Dieses fragwürdige System wurde ja auch durch Parteibuchwirtschaft ermöglicht?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass vieles, das im öffentlichen Dienst möglich ist, im privaten Bereich nicht möglich wäre. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass bis zum Ferialjob oft die Frage, „ob das eh gute Rote sind“, bei Besetzungen mitspielt. Das wird bei anderen Couleurs übrigens nicht anders sein. Und dass die Zahl der Parteibücher mit der Zahl der Stimmen bei Betriebsratswahlen nie zusammengestimmt hat, ist auch kein Geheimnis. Der Punkt ist, dass man erst in leitender Position für das System interessant wird. Da sind wir wieder bei der Frage, ob man in das Weltbild der Mächtigen passt. Und wenn ja, wenn man sich darauf einlässt und es mitspielt, dann braucht man das Spiel später nicht kritisieren. Ich habe nie groß darüber nachgedacht, sondern gemacht, was sie mir angeschafft haben.
Ein anderes Beispiel, das dieses System schön darstellt: Wir hatten gute zehn Jahre im Krankenhaus einen Mann beschäftigt, von dem kein Mensch wusste, was er eigentlich für eine Aufgabe im Haus hat. Offiziell hat er geschaut, ob die Liftanlagen eh da sind. Keine Liftwartung im eigentlichen Sinn, die war ja an eine externe Firma vergeben. Dem Magistrat war ganz angenehm, dass entweder schwer verwendbare Mitarbeiter oder Leistungen, die fürs Magistrat erbracht wurden, im Krankenhaus angesiedelt wurden. Weil dort zahlte dann auch das Land NÖ mit.
Und jetzt fragt sie in dieser Situation ein Vertreter, ob sie einen Wunsch haben. Wenn Sie keinen haben, dann bekommen Sie eben sonstige Zuwendungen. Wenn man weiß, was sich kreuz und quer abspielt, da denkst du dir nichts Böses dabei, wenn du diese Zuwendungen annimmst. Einmal sagte ein Vertreter zu mir: „Du musst ja nix nehmen. Wenn du in Pension gehst, dann bekommst du dafür sicher einen Orden: den goldenen Unsichtbaren.“ (Lacht.)
Wie geht es dem Weinkeller, den Sie angeblich mit Steuergeld finanziert haben?
Auch diese Behauptung ist im Verfahren als Luftblase zerplatzt. Ich habe einen Weinkeller gekauft und ihn auf meine Kosten renoviert. Einmal habe ich mir einen alten Porsche gekauft, der hat kein Vermögen gekostet. In nächtelanger Arbeit hab ich ihn renoviert und dann wieder verkauft, andere sitzen in der Zeit im Wirtshaus. Da sind wir wieder beim Thema Neid. Meiner Meinung nach etwas Typisches für St. Pölten: Neid und Missgunst.
Magistratsdirektor Thomas Dewina über die Causa Schlossnagl:
„Ich weiß nichts von solchen Direktiven!“
Magistratsdirektor Thomas Dewina führt auf unsere Anfrage an, dass zahlreiche Kontrolleinrichtungen Ähnliches in Zukunft verhindern sollen: Vom Vier-Augen-Prinzip, über Kontrollamt, Kontrollausschuss, Rechnungshof und Antikorruptionsstaatsanwaltschaft. Besonderheiten in St. Pölten sieht er nicht: „Es gibt klare gesetzliche Bestimmungen. Letztlich ist jedoch jeder selbst für sich verantwortlich und hat sich vor den dienstrechtlichen Behörden bis hin zur Staatsanwaltschaft und den Gerichten zu verantworten.“ Und Dewina weiter: „Dass es eine Direktive aus dem Rathaus zur Erfüllung von Straftatbeständen gegeben hätte – wie angeblich Ing. Schlossnagl behauptet haben soll – ist völlig unvorstellbar. Ich jedenfalls weiß von solchen Direktiven nichts.“
Weshalb verzichtet der Magistrat auf zivilrechtliche Schritte gegen Schlossnagl? Wäre man es nicht dem Steuerzahler schuldig gewesen, die jahrelang geleisteten Zahlungen an ihn seit seiner Suspendierung zurückzufordern? Dewina: „Der Magistrat verzichtet nicht auf zivilrechtliche Schritte, sondern es hat das zuständige Organ Stadtsenat beschlossen, ein zivilrechtliches Verfahren gegen Ing. Schlossnagl nicht einzuleiten. Dieser Beschluss beruht auch auf einer ausdrücklichen Empfehlung des Rechtsvertreters der Stadt unter Hinweis auf das hohe Prozessrisiko. Der Stadt wurden aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei im strafrechtlichen Prozess bereits die festgestellten Schadensersätze zugesprochen. Bei einem darüber hinausgehenden zivilrechtlichen Verfahren müsste die Stadt auf eigene Faust (und besser als die Kriminalpolizei) neue Beweismittel ermitteln, um eine Klage überhaupt formulieren zu können. Mit den Gehaltsansprüchen des Ing. Schlossnagl aus den einschlägigen dienstrechtlichen Vorschriften während der Zeit seiner Suspendierung bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung hat das überhaupt nichts zu tun.“
Kommentar des Autors:
Gerhard Schlossnagl bestreitet seine Schuld nicht. Aber er hat auch kein schlechtes Gewissen. Vieles sei usus gewesen. Was für manchen Bürger unglaublich klingt, gehörte laut seinen Aussagen zum modus operandi. Ist es wie so oft „das System“, das es Einzelnen ermöglicht, sich auf moralisch und rechtlich falsches Handeln einzulassen, es womöglich sogar fördert? Soviel könnte man den Erzählungen entnehmen. Und so viel mehr könnte er noch berichten, über so viele Andere... Und da sind wir beim Punkt.
In Schlossnagl’s Welt war es ohne Zweifel ein Systemfehler, dass die Causa publik wurde und er vor Gericht landete. Seiner Persönlichkeit zufolge bleibt seine Loyalität zum System ungebrochen. Nach vier Jahren im Ausnahmezustand und einer bevorstehenden Haftstrafe wirkt er ruhig und zufrieden. Nur eines kann er nicht akzeptieren, dass er Opfer einer Intrige von Leuten wurde, die seiner Meinung nach um keinen Deut besser sind, als er. Wo die Intrige aufhört und die Paranoia beginnt liegt freilich einzig im Auge des Betrachters. Und während die Staatsanwaltschaft noch immer gegen andere Beschuldigte ermittelt, wird die Zukunft zeigen, ob aus dem „Kriminalfall Spital“ auch eine private Vendetta des Gerhard Schlossnagl wird.
Zurücklehnen können sich derweil jene, die sich auf „den Schlossi“ schon während seiner aktiven Zeit verlassen konnten. Er hat’s gerichtet, wenn eine Spatenstichfeier politisch opportun war, obwohl das Budget wieder mal längst überschritten war. Oder als ein parteinaher Sportverein einen Sponsor nötig hatte, dann fand sich sicher ein dankbarer Bauunternehmen auf Schlossnagl’s Liste.
In der Privatwirtschaft kann man zum Graubereich „Lobbying - Networking - Sponsoring - Korruption“ stehen, wie man will. In den Bereichen der öffentlichen Hand geht es um Steuergelder. Hier wäre Transparenz und Kontrolle Ausdruck von politischer Kultur. Und hier sind wir beim Problem: In unserer Verbände- und Parteiengesellschaft muss man als gelernter Österreicher skeptisch sein. Aber das ist nicht die Schuld von Gerhard Schlossnagl. Denn er befindet sich ja „in allerbester Gesellschaft“. Als typischer Österreicher.