MFG - Eine Innenstadt-Bilanz mit Höhen & Tiefen
Eine Innenstadt-Bilanz mit Höhen & Tiefen


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St. Pöltens gute Seite

Eine Innenstadt-Bilanz mit Höhen & Tiefen

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 06/2024

Ein Exodus der Gewerbetreibenden in der St. Pöltner City ist (noch) nicht zu beobachten. Die Situation wird von den Betroffenen aber ganz unterschiedlich wahrgenommen. MFG fragte nach.


Was die Geschäftslage in St. Pöltens Innenstadt angeht, ist Christian Wölfl, Geschäftsführer der Neunteufel Handels GmbH, absolut optimistisch. „Ich kann mich einfach nicht beschweren. Manchmal wünsche ich mir im Hauptgeschäft hier in Krems so eine gute Kundenfrequenz wie in der Filiale St. Pölten“, bekräftigt der 41-Jährige. Der Eisen- und Haushaltswarenhandel Neunteufel bietet in Krems seit 1914 alles von Schrauben und Werkzeug bis hin zu Küchengeräten. 2021 eröffnete Neunteufel-Chef Wölfl die St. Pöltner Filiale in der Marktgasse 5.  „Als das Tisch- und Küchenfachgeschäft ‚Wohnkultur‘ in St. Pölten zusperrte, gab es erste Angebote, ob ich das nicht weiterführen wolle“, erklärt er. „Schließlich ist auch die Stadt St. Pölten an mich herangetreten und meinte, für einen guten Branchen-Mix fehlt noch ein Geschäft wie Neunteufel.“ Diese Notwendigkeit sah man nicht nur wegen des Endes der „Wohnkultur“, sondern auch aufgrund der Schließung des Leiner-Hauses. „Die Stadt war da total proaktiv, auch das Marketing ist auf mich zugegangen.“ Das Geschäft in der Neunteufel-Filiale laufe so gut, dass Wölfl schon über eine Geschäftsausweitung nachdenkt: „Aktuell arbeiten wir auf 70 m², und ich würde gern auf 120 hinaufgehen.“ Allerdings sei es schwierig eine passende Immobilie zum adäquaten Preis zu bekommen, wobei St. Pölten von Mietpreisen und Frequenz her im Vergleich zu Krems „human“ sei.

Zuletzt mehrten sich Geschäftsschließungen
Wölfls positive Worte stehen im krassen Gegensatz zu jüngsten Filialschließungen. Seit Sommer 2023 haben mehrere gewichtige Unternehmen wie Tchibo, Libro, s. Oliver oder Triumph der City den Rücken gekehrt. Ab 1. Juli wird auch die Filiale der Blumenbinderei Nentwich ihre Tore in der Kremsergasse schließen. „Zu geringe Frequenz“, lautet die Begründung, weshalb man nach nur zwei Jahren hier keine Zukunft mehr sieht. Rechnet man die Leiner-Schließung als Einmal-Effekt heraus, betrug der Verlust von Verkaufsflächen in St. Pöltens City in den letzten Jahren statt „rekordverdächtigen“ minus 28 Prozent allerdings nur minus zwei Prozent. Ein statistisch guter Wert. Autofreie Zonen, eine sinkende Zahl an Parkplätzen, zu wenige Kunden und andere Punkte werden von lokalen Gewerbetreibenden immer wieder als Probleme genannt.
Einen skeptischen Blick hat etwa Optiker Harald Bacik. „Die Situation für unser Geschäft hat sich klar verschärft, und das geschah in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschaffung der Parkplätze am Domplatz.“ Den Fachoptiker-Laden Bacik gibt es seit 1979, seit etwa zehn Jahren leitet Harald gemeinsam mit Schwester Manuela das Geschäft. Bacik hat also ausreichenden Zeithorizont, um einen Vergleich anstellen zu können: „Die Kundenfrequenz ist deutlich nach unten gegangen.“ Existenzbedrohend sei die Kundenflaute zwar nicht, jedoch beobachtet der Optiker zwei Trends. „Erstens ist die Laufkundschaft de facto weg. Das heißt, wenn jemand zu uns kommt, tut er das bewusst.“ Zweitens sei das Publikum deutlich jünger geworden. „Das ist um 15 bis 20 Jahre nach unten gegangen. Und das ist nicht gut, weil die Älteren ja eher unsere Zielgruppe darstellen“, erklärt der 44-Jährige. Ältere Kunden würden sein Geschäft aufgrund mangelnder Parkplätze und damit weiterer Fußstrecken nicht mehr aufsuchen. Hinzu kommt die Konkurrenz von außen. „Gerade die Älteren fahren dann eher ins Traisencenter zu Wutscher oder Hartlauer. Dort bekommt man fix einen Parkplatz“, erklärt der Chef von sieben Angestellten.

Sündenfall „Domparkplätze“ und autofreie Innenstadt?
Der Sündenfall für die Innenstadt war für Bacik und andere Gewerbetreibende die Abschaffung der Parkplätze am Domplatz Ende Juli 2022. „Uns wurde versprochen, dass die Parkplätze erst wegkommen, wenn adäquater Ersatz durch die Tiefgarage vorhanden ist.“ Die Fertigstellung der Domplatz-Tiefgarage soll allerdings erst Mitte 2025 erfolgen. „Das Einzugsgebiet des Wirtschaftsstandortes St. Pölten ist groß. Wenn etwa jemand von Lilienfeld kommt, dann tut er das natürlich mit dem Auto, das er irgendwo parken können muss.“ 
Was ihn auch aufregt: „Die direkte Kommunikation der Stadt St. Pölten war mangelhaft. Dass die Parkplätze endgültig verschwinden, davon erfuhren wir zunächst sehr kurzfristig über Facebook.“ 
Bacik steht dabei der Idee einer autofreien Innenstadt gar nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber, kritisiert aber das Timing bestimmter Maßnahmen. St. Pölten war diesbezüglich ja einer der Vorreiter. Bereits 1961 verbannte der  Gemeinderat Autos und Motorräder aus dem Zentrum, die Kremser Gasse ist seitdem die zweitälteste Fußgängerzone Österreichs. Diese wurde seitdem um die Wiener Straße, den Domplatz, die Ranzonigasse, die Alumnatsgasse und die Grenzgasse erweitert.
Neunteufel-Chef Wölfl hält autofreie Zonen grundsätzlich für eine „gute Idee“. Dass jedoch im Rahmen einer Erweiterung der Fußgängerzone die E-Tankstellen vom Rathausplatz entfernt wurden, sieht er kritisch. „Dass man die Verbrenner raus haben will, kann ich gut verstehen, aber warum die E-Autos? Die Tankstellen hat man in die darunterliegende Parkgarage verlegt. Da zahlt man dann fürs Parken und fürs Laden.“ Die Situation in den meisten Parkgaragen sei generell angespannt. Die Parkgaragen Karmeliterhof und Rathausplatz seien regelmäßig „knackevoll“.

Innenstadt ist nicht gleich Innenstadt
Anna Öckhers Beispiel beweist: Beim Thema „Wirtschaft in der Innenstadt“ bestimmt der Standort den Standpunkt. „Da mein Geschäft hier in der Kremser Gasse direkt neben dem Bahnhof ist, bin ich mit der Frequenz ganz zufrieden, weil viele Kunden mit den Öffis und aus Nah und Fern kommen“, erklärt die Leiterin des gleichnamigen Hutfachgeschäftes. Öckher zählt unbestreitbar zu den traditionsreichsten Geschäften der innerstädtischen Einkaufszone in St. Pölten. 1856 gegründet, werden hier nun schon in siebenter Generation Hüte verkauft und repariert. Seit 1992 ist Anna Öckher Geschäftsführerin. „In der ausgeweiteten Fußgängerzone bemerke ich schon verstärkt leere Geschäfte. Das wirkt öde und fad. Es vermittelt ein falsches Bild von der Innenstadt, die an sich gut belebt ist“, schildert die Modistenmeisterin. „Wenn das Service passt“, ist sich Öckher sicher, „dann kommen auch die Kunden.“  Vor etwaiger Konkurrenz in Einkaufszentren oder dem Internet fürchtet sie sich nicht. Ihr Produkt­angebot sei spezialisiert, beinhalte Beratung, Anpassung und Reparaturen. Das sieht auch Eisenhändler-Wölfl so. Gewerbepark-Konkurrenz sei zwar da, jedoch: „Bei meinen Küchengeräten habe ich zum Beispiel vieles aus dem mittleren und höherpreisigen Segment. Da wollen Kunden sich vor einem Kauf oftmals beraten lassen, was beim Online-Shopping so gut wie nie der Fall ist.“ Die Kommerzzonen der Innenstädte werden aus seiner Sicht nicht aussterben, aber ihr Gesicht verändern. „Es wird mehr kleine, feine Geschäfte geben, mit spezielleren und beratungsintensiveren Produkten. Die Zeit der großen Innenstadt-Shops mit Produkten für den alltäglichen Einkauf geht aber ganz bestimmt zu Ende.“ 

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