MFG - Klage fürs Klima
Klage fürs Klima


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Klage fürs Klima

Text Beate Steiner
Ausgabe 06/2024

„Diese Entscheidung ist nicht zeitadäquat“, sagt Sigrid Schmidl-Amann über die städtische Ablehnung ihrer Photovoltaik-Anlage, und sie unternimmt dagegen rechtliche Schritte.


Ich lebe gern in St. Pölten, und ich lebe gern in diesem Haus, es ist mir sehr wichtig.“ Sigrid Schmidl-Amann und ihr Mann Markus Amann haben das Haus in der Innenstadt mit viel Liebe und viel Geld renoviert. Die Bausubstanz wurde gründlich verbessert, die Fassade gedämmt, anstelle der Gasheizung wurde eine Wärmepumpe eingebaut. Teile des Hauses hinter dem Dom sind aus dem 17. Jahrhundert, seit 1898 ist es im Besitz der Familie von Sigrid Schmidl-Amann. Ihr Urgroßvater hatte hier bis zum Krieg eine Greißlerei. „Es ist mir ein Bedürfnis, das Haus für künftige Generationen zu erhalten, es der Zeit entsprechend klimafit zu machen“, betont die Ärztin, deren Ordination sich auch im Wohnhaus befindet. Den hohen Energiebedarf wollte sie durch Sonnenenergie decken. Das Ehepaar Schmidl-Amann hatte beim Umbau immer wieder Schwierigkeiten mit den Behörden, die jetzt in der Ablehnung der geplanten Photovoltaik-Anlage gipfeln. Die Begründung: Das Haus stehe in der Schutzzone, in der nur nicht sichtbare PV-Anlagen genehmigt werden. „Natürlich ist mir die Lebensqualität und die Gestaltung in der Innenstadt wichtig. Aber Ästhetik kann auch mit moderner Energiegewinnung gepaart werden“, ärgert sich die St. Pöltnerin. Auch darüber, dass der negative Bescheid für das gesamte Dach gilt – nicht nur für den von der Baubehörde erspähten einsehbaren Teil. 

Die Bebauungsvorschriften
Seit Beginn des Jahres 2021 unterstützt in St. Pölten der Gestaltungsbeirat die Behörde beim „Bewahren des Stadtbilds und auch beim Zulassen von zeitgemäßer, anspruchsvoller und Rücksicht nehmender Architektur“, so Stadtplaner Jens de Buck. 
Seit der Verordnung betreffend allgemeine Bauvorschriften aus dem Juni 2023 schaut der Gestaltungsbeirat auch darauf, dass „geschlossene historische Dachlandschaften in ihrem Erscheinungsbild grundsätzlich erhalten werden.“ Was zur Folge hat, dass „Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen nur dann errichtet werden dürfen, wenn dafür aus dem öffentlichen Raum nicht einsehbare Flächen zur Verfügung stehen.“  Diese Schutzzonenverordnung für die Stadt St. Pölten wurde im Einklang und dem Einvernehmen mit Experten und Expertinnen der Landesregierung NÖ und des Bundes, also mit dem Bundesdenkmalamt, verfasst, erklärt der Magistrat. Und macht Hoffnung: „Die allgemeinen Bestimmungen für Schutzzonen, die für alle vier Kategorien bindend sind, sollen dahingehend überarbeitet werden, dass eine Erleichterung für die Kategorie IV, die Pufferzone, angestrebt wird.“ Das wird der Familie Schmidl-Amann wenig helfen, ihr Haus ist mit Schutzzone III klassifiziert, das daneben mit IV. Außerdem überlegt die Stadt, „ortsbildverträglich PV-Anlagen“ künftig zuzulassen. „Meine geplante wäre flach und kaum sichtbar, aber das hat niemanden im Magistrat interessiert“, so die Ärztin.

„Absurde Argumentation“
Sigrid Schmidl-Amann hat jedenfalls kein Verständnis für die Vorschriften der Baubehörde. „Es ist eine absurde Idee, in einer Zeit, die sich so rasch ändert, so etwas Starres zu etablieren.“ Wir alle müssten schauen, wie die neuen Gegebenheiten sind. „Die heißesten Monate überschlagen sich, aber wir haben ein starres Schutzkonzept.“ Wenn unsere Vorfahren auch so gedacht hätten, säßen wir jetzt noch in Höhlen oder mittelalterlichen Steinhütten, ohne denkmalgeschützte Barockbauten oder preisgekrönte Neuschöpfungen. Es gehe um die Menschen, die hier wohnen, die müssten geschützt werden, nicht die Gebäude – die könnten ästhetisch anspruchsvoll und trotzdem klima-adäquat gestaltet werden. 

Präzedenzfall der Initiative für Klimarecht
Sigrid Schmidl-Amann hat den ablehnenden Bescheid beim Landesverwaltungsgericht angefochten, mit Unterstützung von Umwelt-Anwältin Michaela Krömer und dem Verein CLAW – Initiative für Klimarecht, dessen Obfrau Krömer ist. Sie ist fürs Klima schon vor den Verfassungsgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof gezogen. Für den Verein stehen die aktuellen Bauvorschriften der Stadt symbolisch für eine Gegenbewegung, die nationale und internationale Bemühungen um einen nachhaltigen Wandel zu untergraben drohen. Die pauschale Anwendung des Verbots ohne Berücksichtigung der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten setze darüber hinaus den Schutz des Ortsbildes über sämtliche andere Interessen, und das stehe im Konflikt mit der notwendigen Energiewende und der Bekämpfung der Klimakrise – beides wurde durch die EU- sowie die Bundesgesetzgebung als überragendes öffentliches Interesse anerkannt, argumentiert CLAW. Der Verein hofft, dass die Höchstgerichte klare Richtlinien für die zukünftige Gesetzgebung in diesem Bereich setzen werden.

So geht’s weiter
Das hofft auch Sigrid Schmidl-Amann und gibt nicht auf. „Wir gehen jetzt in die nächste Instanz. Repressalien fürchte ich nicht.“ Der Landesverwaltungsgerichtshof hat dann aufgrund der Beschwerde aus St. Pölten die Möglichkeit, die Prüfung der Schutzzonenverordnung beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Sigrid Schmidl-Amann ist überzeugt, dass jeder eine gewisse Eigenverantwortung hat und auch für die anderen. „Es geht um uns alle, um eine Vorbildwirkung und ums Prinzip.“ Denn Klimaschutz sollte groß gedacht werden. „Wenn wir jetzt nichts tun, dann ändert sich nichts. Wenn ich nur ans Hier und Jetzt denken kann, dann ist das ein nihilistisches Weltbild. Wir haben Verantwortung für die nächsten Generationen.“

POLITISCHE POSITIONEN

Die Volkspartei
„Positiv und begrüßenswert, dass es endlich zu einer rechtlichen Klärung kommt.“  So kommentiert die Volkspartei die „Photovoltaik-Klage“ in St. Pölten. „Die politischen Initiativen, die wir als Volkspartei für einen Stopp des de facto PV-Verbots in Schutzzonen gestartet haben, sind ja leider immer wieder an der SPÖ-Stadtregierung gescheitert“, so Gemeinderätin Susanne Binder-Novak. Selbst das Bundesdenkmalamt sehe Photovoltaikanlagen an denkmalgeschützten Objekten bei Einhaltung bestimmter Kriterien als zulässig an. „Es gibt sogar ein eigenes Informationsblatt seitens des Bundesdenkmalamtes [BDA], das vorgibt, welche Kriterien einzuhalten sind“, so die VP-Gemeinderätin. Nur deshalb, weil die Photovoltaikanlage vom öffentlichen Raum aus sichtbar ist, werde sie vom BDA nicht generell für unzulässig erklärt. Vielmehr solle die Anlage die gewachsene Erscheinung und künstlerische Wirkung des Denkmals „respektieren“.

Die Grünen
„Die Klimapionierstadt St. Pölten blockiert die Energiewende“, sagt Stadträtin Christina Engel-Unterberger. Die Grünen unterstützen die Bemühungen von Rechtsanwältin Michaela Krömer ausdrücklich und haben dazu auch bereits konkrete Änderungsvorschläge im Gemeinderat eingebracht. „Es ist dringend notwendig, St. Pölten hier wirklich zu einer Vorreiterstadt in Sachen Klimaschutz zu machen, anstatt innovative Ansätze unter dem Deckmantel des Ortsbildschutzes zu blockieren“, so die Grüne-Stadträtin. Denn es könne nicht sein, dass die „Klimapionierstadt“ St. Pölten ihren Bürgerinnen und Bürgern aus rein „geschmacklichen“ Gründen – über die man bekanntlich streiten kann – die so wünschenswerte eigene Stromerzeugung verbietet. Der Dringlichkeitsantrag der Grünen wurde auch bei der Mai-Gemeinderatssitzung von der SP-Mehrheit abgelehnt.

Die SPÖ
„Die Stadt St. Pölten ist sich dem immer weiter voranschreitenden Wandel in Technologie und Klimaschutz bewusst und setzt auf eine koordinierte Vorgehensweise in der Anpassung unserer Schutzzonen Verordnung“, sagt SP-Vizebürgermeister Harald Ludwig. Die SPÖ setze sich dafür ein, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sowohl der Klimaschutz als auch der Denkmalschutz in Einklang gebracht werden können. Im Zuge der heurigen Überarbeitung des Bebauungsplans werden Vorschläge erarbeitet, um die verschiedenen Schutzzonenkategorien differenzierter abzubilden und ortsbildverträgliche PV-Gestaltungsmöglichkeiten festzulegen. Dies wird in Abstimmung mit allen relevanten Playern, wie dem Amt der NÖ Landesregierung und den anderen Gemeinden erfolgen. 

INTERVIEW
Michela Krömer ist Rechtsanwältin in St. Pölten und Obfrau von CLAW – Initiative für Klimarecht.

Was erwarten Sie sich von der Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht (LVWG)?
Das LVWG hat aufgrund unserer Beschwerde die Chance, die Prüfung der Schutzzonenverordnung direkt beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Es wird aus meiner Sicht in letzter Konsequenz auf die Frage hinauslaufen, ob die Verordnung verfassungskonform ist oder nicht. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verordnung keinerlei Ausnahmen vom PV-Verbot auf sichtbaren Gebäudeflächen vorsieht.

Sind Ihrer Meinung nach Einschränkungen in der Schutzzone unzulässig oder nur zu generell?
Die Verordnung stellt ein Generalverbot dar, sieht also keine Abwägungsentscheidung von unterschiedlichen Interessen vor. Das ist ungeachtet der Frage, dass ein übergeordnetes Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien besteht, ein gravierendes Problem. Die Verordnung sagt zu PV-Anlagen vereinfacht gesagt kategorisch: „Nein!“ – weil man Klimaschutz nicht sehen darf. Das Interesse am Schutz des Ortsbildes – und dabei handelt es sich nicht um Denkmalschutz – wird über alle anderen öffentlichen Interessen gestellt. Ausnahmen davon gibt es nicht. Das ist in verfassungsrechtlichen Kategorien unsachlich und blockiert die Energiewende. Dass das Interesse am Ortsbildschutz im Jahr 2024 über alles andere geht, ist schlicht nicht mehr einzusehen. 

Sollte die Installation generell genehmigt werden?
Mit effizienten Verfahren, die dem Klimaschutz einen hohen Stellenwert einräumen. Eine Generalgenehmigung ohne Prüfung ist ebenfalls nicht sinnvoll, dafür ist die Realität zu komplex. In vielen Rechtsakten der EU ist das Interesse am Erneuerbaren-Ausbau auch schon als „überragend“ festgehalten. Diesen Entwicklungen darf sich Österreich bzw. dessen Organisationseinheiten nicht verschließen. Ansonsten riskieren wir, international den Anschluss zu verlieren.