MFG - Suppanz im Melting Pot
Suppanz im Melting Pot


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Suppanz im Melting Pot

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2007

Während in der Theaterwerkstatt noch fleißig am Umbau gewerkt wird, trafen wir uns quasi hinter den Kulissen des Landestheaters mit Direktorin Isabella Suppanz zum gemütlichen Talk über Urlaubsziele, eine interessante Lebensgeschichte und natürlich – das Theater!

Wolsdorff, dann Hauser, jetzt Suppanz. Tatsächlich, ich sitze bereits dem dritten St. Pöltner Theaterdirektor innerhalb von fünf Jahren gegenüber – aber mit Suppanz bekleidet die erste Frau in der Geschichte des Hauses diesen Posten. Und wie die Intendanten, so ändern sich auch ihre Büros. Jenes von Isabella Suppanz wirkt schlicht, geradlinig, ohne Firlefanz. Die Direktorin begrüßt uns mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen. „Trinkt ihr einen Kaffee mit?“. Als ich verneine, zieht sie kurz die Stirn in Falten. „Na geh, ihr seids fad!“, meint sie dann lachend und ordert Wasser für uns. Dann nimmt sie im „Omastuhl“, wie sie den Lederfauteuil nennt, Platz, ich versinke in der Couch gegenüber. Mit ein bisschen Urlaubs-Smalltalk – immerhin ist es einer der letzten Hochsommertage – steigen wir gemächlich ins Gespräch ein. „Ich war u. a. in Retz. Das ist so schön! Ich bin mehrmals im Jahr dort bei Freunden, überhaupt gerne am Land“, verrät die Theatermacherin.
Grenzland
Damit ist schon der Anknüpfungspunkt gefunden, um ein bisschen in Suppanz Biografie herumzustöbern. Ob ihre Affinität fürs Land denn mit ihrer Herkunft in der Steiermark zu tun hat? „Ich denke schon. Spindelhof, wo ich herkomme, ist ja ein kleiner Marktflecken im Grünen, etwa 20 km von Graz entfernt.“ Dort wächst Suppanz mit ihren beiden Geschwistern auf, besucht die Volksschule. Danach kommt sie ins Gym nach Radkersburg. Eine prägende Zeit, wie man sich rasch zusammenreimt. „Das Aufbaugymnasium war eine tolle Schule. Es gab zahlreiche Leistungs- und Förderungskurse, sogar ein eigenes Schulparlament.  Ich hab von den Möglichkeiten weidlich Gebrauch gemacht, weil es ja sonst nichts gab – Theaterkurse, viel Musik.“
Auch ins Kino gehen die jungen Leute einmal die Woche. Allerdings nicht im österreichischen, sondern im slowenischen – damals noch jugoslawischen - Teil hinter dem Eisernen Vorhang. „Da sind wir mit dem Pass rübermarschiert. Wir hatten ja viele Freunde dort. Das Kino war auch etwas Besonderes, weil man die Filme im englischen Original gezeigt hat“, erinnert sich Suppanz. Jahre später, 1995, werden sie diese alten Bande zur Gründung des grenzüberschreitenden Festivals „Grenze im Fluß-Meja na reki“ motivieren, auch aus einem paradox wirkenden Grund: Der eiserne Vorhang ist zwar gefallen, aber „nach der Gründung Sloweniens haben sich die Beziehungen irgendwie abgekühlt, das Interesse bestand nicht mehr im selben Ausmaße wie früher.“ Diesem Phänomen setzt die Theatermacherin ihr kultur- und völkerverbindendes Projekt entgegen, solange, bis Slowenien 2004 Mitglied der EU-Familie wird.
Wiener Blut
Nach der Matura geht die junge Frau nach Wien „weil Theaterwissenschaft an der Grazer Uni nicht angeboten wurde.“ Als weitere Fächer gesellen sich Romanistik, Pädagogik und Kunstgeschichte hinzu. „Ich hatte einfach so viele Interessen.“ Dass sie letztlich beim Theater hängen bleiben wird, erscheint aus ihrem Selbstverständnis heraus geradezu logisch. „Theater ist jener Ort, wo ich die verschiedenen Interessensgebiete auf einen Nenner bringen kann - sei das Kunstgeschichte, Architektur oder Literatur. Theater ist ein Melting Pot der Künste.“
Ein Meltingpot, wie auch Wien einen darstellt. War es eine große Umstellung, vom kleinen Radkersburg in die große Bundeshauptstadt zu wechseln? Suppanz winkt ab: „Es ist ja nicht so, dass ich als Landei nach Wien gekommen bin. Ich war vorher schon ein halbes Jahr in London und in Paris als Aupair-Mädchen, um meine lausigen Sprachkenntnisse zu verbessern.“
Und um einen wahren Melting Pot einzusaugen. „Paris hat mich fasziniert, weil es durch seine ehemaligen Kolonien einen sehr hohen nordafrikanischen Bevölkerungsanteil hat - das macht die Stadt irgendwie reicher, bunter.“
Bunt gestaltet sich auch das Wiener Studentenleben. Weniger wegen des Studiums an sich „Ich hab ja wenig studiert“, schmunzelt Suppanz, als vielmehr aufgrund der vielen Jobs, welche der Twen so nebenei annimmt: Werkstudentin an verschiedenen Theatern, Bühnenbildassistentin, Mitarbeiterin in einem Architekturbüro, sogar Musikunterricht gibt Suppanz. „Ich war einmal eine sehr gute Flötistin, bis hin zur barocken Griffweise!“ War? „Ja, wenn man nicht ständig übt, ‚spielt’ man vielleicht Flöte, aber man beherrscht sie nicht wirklich.“
Nicht um die Burg
Ins Berufsleben steigt Suppanz als Assistentin von Intendant Gottfried Reinhardt ein, „das war der Sohn von Max Reinhardt.“ Doch das Leben hält einen Schlenker für sie parat. So wird sie vom kanadischen Fernsehsender CBC engagiert und dreht in Folge unter dem Titel „Music Of Men“ 20 Musikdokus, auch für die ABC Alphaprogramme. „Das kann man sich so vorstellen, dass die Amerikaner mit dem großen Geldkoffer nach Europa gekommen sind samt eigenen Kameraleuten und dann sind wir durchs Land gezogen. Es war eine witzige Zeit. Ich bin oft schon um 5 Uhr in der Früh mit den Kameraleuten unterwegs gewesen, um PickUps zu machen.“
Einmal mehr zeigt sich Suppanz Vielseitigkeit, und so nimmt es gar nicht wunder, dass die gelernte Theaterwissenschaftlerin bereits 1978/1979 in New York die Schauspielschule von Lee Strasberg besucht. „Ja, bedauerlicherweise“, lacht sie, um aufklärend hinzuzufügen. „Ich wollte eigentlich einfach nur wissen, wie es ist als Schauspieler.“ Der große Traum von einer eigenen Schauspielerkarriere sei nie zur Debatte gestanden.
Jener als Theatermacherin hingegen sehr wohl. Nachdem sie 1980 quasi zum Drüberstreuen noch schnell das Doktorat macht, beginnt sie 1981 unter der Intendanz von Achim Bening als Regie- und Dramaturgieassistentin am Burgtheater – und wird  gleich ins kalte Wasser gestoßen. „Ich musste – das ergab sich eher durch einen Zufall – sofort inszenieren, arbeitete mit Schauspielern wie Paulus Manker, Andrea Eckert oder Rudi Wessely zusammen. Die Bedingungen waren nicht einfach, aber es ist gut gegangen.“ Die Feuertaufe wurde also bestanden. Fast fünf Jahre bleibt Suppanz dem Haus treu, erlebt auch noch ein halbes Jahr der Ära Peymann mit. „Dann hab ich geheiratet und bin für vier Jahre nach Deutschland gegangen.“
Und wie beurteilt sie das Burgtheater generell. Ist es tatsächlich d e r Theaterolymp im deutschsprachigen Raum schlechthin? „Das Burgtheater ist einfach ein wunderbares Flaggschiff, auf das man stolz sein kann! Man muss es hegen und pflegen, um jeden Preis, mit allen Mitteln!“
Josefstädter Jahre
1989 kehrt Suppanz an ihre erste Theaterheimat, die Josefstadt zurück. Die nächsten 14 Jahre arbeitet sie als Dramaturgin am Wiener Traditionshaus, ist aber auch als Regisseurin und Filmemacherin aktiv. Zudem, ein weiteres Betätigungsfeld, wird sie Lektorin an der Uni Wien und Lehrbeauftragte am Max Reinhardt Seminar  in der Regieklasse von Achim Benning. „Das war eine tolle Erfahrung, weil man lernt, wenn man etwas öffentlich vertritt, auch viel über sich selbst, wird sich über die Inhalte, die man vermittelt, klarer.“ Zudem – und dies kommt ihr in ihrer heutigen Funktion als Theaterdirektorin zugute – lernt sie praktisch den gesamten Theaternachwuchs von Schauspielern über Dramaturgen bis hin zu Regisseuren persönlich kennen.
Die St. Pöltner Herausforderung
Damit sind wir in St. Pölten gelandet, wo Suppanz 2005 die künstlerische Leitung des „neuen“ Landestheaters übernimmt. Mag sein, dass ihr das „Königsdrama“ rund um die Josefstadt-Neubesetzung den Abschied von der langjährigen Wiener Theaterheimat erleichtert hat.
Einen „Kulturschock“ habe sie jedenfalls nicht erlitten.„Dieses ewige Lamentieren von wegen Provinz ist ja lächerlich.  Der St. Pöltner Rathausplatz etwa ist in vielem großstädtischer als das Grätzel im 1. Wiener Bezirk, wo ich wohne. Österreich ist ein so kleines Landl, wo soll da die Provinz sein – oder wo keine?“, bricht sie für St. Pölten eine Lanze. Zudem ist St. Pölten definitiv eine neue Herausforderung – das erste eigene Haus als Direktorin. Jetzt scheint sich alles zusammenzufügen, all die verschiedenen Mosaiksteinchen des Theaterlebens, welche Suppanz im Laufe der Jahre von der Pieke auf gelernt hat, verleihen ihr breite Kompetenz für die neue Aufgabe. „Dieses Wissen ist aber auch notwendig, sonst würd mich ja keiner ernst nehmen – kein Lichttechniker, kein Bühnenbildner, kein Schauspieler. Vieles kann man eben nur aus der Praxis heraus lernen.“
Auch die (Menschen)Führung? Knallt sie als Direktorin eher mit der Peitsche oder versteht sie sich mehr als primus inter pares? „Ich denke als guter Direktor muss man alles sein: Schwester, Mutter, Freundin. Ein Despot bin ich aber glaub ich nicht.“
Eine Einstellung, die offensichtlich auch mit ihrer Grundauffassung von Theater zusammenhängt, das ja gern als moralische, menschenbildende Instanz herhalten muss. „Das Theater als moralische Instanz –  wenn dann eher innerbetrieblich, im Umgang miteinander. Man kann ja nicht das Wahre, Gute und Schöne vermitteln wollen, und selbst ist man ein grauslicher Mensch. Das ist man eh oft genug, aber man muss zumindest den Anspruch stellen, dass man sich bemüht.“
Gutes Theater
Bemühen und Erfolg sind Suppanz’ Arbeit definitiv nicht abzusprechen. Die Auslastungszahlen stimmen, die Abos sind gestiegen, manch bemerkenswerte Produktion wurde auf den St. Pöltner Brettern, die die Welt bedeuten, dargeboten. „Ich möchte einfach gutes Theater machen!“, umschreibt Suppanz ihre Intention. Fragt sich natürlich, was gutes Theater ist? „Es gibt zwei wesentliche Pfeiler: Ensembletheater und Repertoirebetrieb. Und dass das Theater staub- und schrottfrei bleibt.“ Das heißt Theater am Puls der Zeit? „Ja, wenn der Puls der Zeit nicht gerade auf törichte Weise hüpft!“
Das klingt wie ein kleiner Seitenhieb auf das sogenannte „Regietheater“. Suppanz sieht es differenziert. „Regietheater – das ist so ein Begriff. Faktum ist: Theater ohne Regie gibt es nicht! Wichtig ist eine gute Lesart. Vielleicht ist Regietheater, wenn man sich zu weit von der Vorlage entfernt. In einem solchen Fall wird mir angesichts mancher Selbstverwirklichungsneurotiker schon mitunter speiübel. Aber im Grunde genommen ist das vorbei. Und eine Zeitlang war es auch ganz erheiternd.“
Sie selbst geht akribischst an die Sache heran, wenn sie inszeniert. „Als Regisseur musst du dich fundiert vorbereiten, musst Fragen beantworten, musst mit den Schauspielern gemeinsam durchs Stück gehen. Die Beute sozusagen minutiös zerlegen, sie aber – wenn es passt – auch liegen lassen können.“ Das Drama als Beute, der Regisseur als Jäger – ein interessanter Vergleich. Geht es also ums „Zurstreckebringen“? „Nein. Die Jagd ist gemeinschaftlich zu verstehen. Man umkreist ein Thema.“
Letztlich –  so hört man heraus – ist es der leidenschaftliche Versuch, einem Stück die letzte Quintessenz, die große Wahrheit zu entreißen. Es zu sezieren und wie dereinst die römischen Seher in den Eingeweiden herumzustochern, um die Botschaft in die Welt zu tragen. „Die große Antriebsfeder ist Neugierde“, sinniert Suppanz, „und am schönsten ist es, wenn die kühnsten Erwartungen durch die Arbeit eines Schauspielers noch übertroffen werden.“
Bei dem Gedanken gerät die Theatermacherin ins Schwärmen und erinnert sich an manch persönliches Theaterwunder. „Ich bin ja jemand, der bei einem Text gerne viel streicht. Ich erinnere mich an eine Inszenierung mit Hans-Michael Rehberg. Als ich seine Stimme gehört habe, wie er durch seine Sprache, durch sein Spiel ganz neue Perspektiven herausgearbeitet hat, kam ich zu dem Schluss: ‚Heben wir die Striche wieder auf!’ Schauspieler, wenn sie es können, sind wunderbare Geschöpfe!“
Wie auch das Theater eine enorme Bereicherung für den einzelnen sein kann. „Ich glaube nicht, dass Theater Einfluss auf die Tagespolitik hat oder ein Mensch völlig verändert aus einer Vorstellung geht. Aber als Teil eines Gesamtlebensvollzuges ist es von Bedeutung. Wenn jemand einen Tag ins Theater geht, den nächsten vielleicht ins Konzert usw., dann ist es sicher besser, als wenn er alleine vor sich hindümpelt.“ Relevant, so ist Suppanz überzeugt, sei dabei letztlich auch die Kommunikationsebene - jene mit den Schauspielern auf der Bühne ebenso wie jene der Besucher untereinander. „Wenn wir es schaffen, dass die Leute nach der Vorstellung angeregt über das Stück plaudern, ist uns schon sehr viel gelungen. Und seien wir ehrlich: Es gibt nichts Erotischeres als mit einem gescheiten Menschen ein kluges Gespräch zu führen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, außer Dank, dass wir ein solches mit ihr erleben durften.
Tag der Offenen Tür 
Am 22. September lädt das Landestheater von 10-16 Uhr zum „Tag der Offenen Tür“. Am Programm stehen Theaterführungen, Kostümflohmarkt, Kinderschminken, Podiumsdiskussionen, Lesungen, Theaterquiz und mehr!     
www.landestheater.net