MFG - Meisterbürger Willi
Meisterbürger Willi


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Meisterbürger Willi

Text Michael Müllner
Ausgabe 11/2006

„Sag mir, wie du aufgewachsen bist, und ich sag dir, wer du bist!“ Auf niemanden scheint dies besser zuzutreffen, als auf Willi Gruber. Wenn man seinen Lebenslauf studiert, wird sein politisches Engagement, sein Bekenntnis zur Sozialdemokratie, sein Eintreten für sozialen Wohnbau und Chancengleichheit nachvollziehbar. Und so gibt der ehemalige Bürgermeister auf die Frage, was ihn am meisten geprägt hat, eine einfache, wiewohl die einzig schlüssige Antwort: „Die Zeit!“

Wir besuchen Willi Gruber an einem Montag Vormittag in seinem Reihenhaus in St. Pölten. Vorbei an einem „Willkommensgartenzwerg“ gehen wir die paar Treppen zum Eingang hoch, wo uns Willi Gruber und seine nicht minder legendäre Gattin Hermine herzlich begrüßen. Weniger euphorisch ist Dino, der ehemalige First Dog, der im Hintergrund Krawall schlägt und vom Herrchen beruhigt werden muss.
Wir nehmen am Esstisch im Wohn-Esszimmer Platz. Ein bisschen fühlt man sich wie in ein Märchenschloss versetzt. Geschwungene weiße Sessel mit Blumenmuster, Porzellanteller mit Motiven aus dem Rosenkavalier an den Wänden, ein Springbrunnen, der mit Blumen bemalte Tisch, darauf eine Glasplatte, als würde Hermi Gruber – welche uns Kaffee und Kekse kredenzt – ahnen, dass wir zur Bröslfraktion gehören. Es ist heimelig und erinnert an eine Sonntagsnachmittagsjause bei lieben Verwandten. Nach ein bisschen Smalltalk, öffnen wir die Akte Gruber – ein Stück Zeitgeschichte!
In der "Fabrikskolonie"
Erste Republik. Das Land ist tief gespalten in Sozialisten und Christlichsoziale. Kommunikation zerbröselt in Hasstiraden, immer öfter sprechen die Waffen der Paramilitärs Heimwehr und Schutzbund. In dieses Österreich wird Gruber am 6. September 1930 geboren. Der Vater ist Dreher bei der Firma Grundmann. Arbeiter, bekennender Sozialist und Schutzbündler. „Mein Vater hat immer gesagt, wir sind Arbeiter, das ist unsere Partei – die Sozialisten! Und die Gewerkschaft sei wichtig. Das war ganz normal. Ebenso, dass die Arbeiterzeitung bei uns am Tisch gelegen ist“, erinnert sich Gruber an das heimatliche Milieu.
Örtlich ist dieses zunächst eine Art Zwischenwelt: „Wir lebten in Ossarn in der Fabrikskolonie. Ringsum aber waren Felder und Land.“ Graue Baracken im ländlichen Idyll, in welche 1934 die erste große Erschütterung hereinbricht, als der Vater, der Schutzbündler, nach den Februarunruhen entlassen wird, von einem Tag auf den nächsten auf der Straße steht. „Mein Vater wurde zwar nicht ausgesteuert, aber das Arbeitslosengeld war minimalst. Die Arbeitslosigkeit hat uns sehr getroffen. Ich erinner mich, dass unsere Kleidung die Großmutter genäht hat, die Schuhe hab ich von meinem Bruder bekommen.“ Gruber wächst in Armut auf.
Die Kriegsjahre
Erst 1938 bekommt Gruber senior wieder Arbeit, bei der Voith. Die Familie zieht in Folge nach St. Pölten, damals wirklich noch das, als was sie überholtermaßen bis heute apostrophiert wird: Abeiterstadt. „Von seinem ersten Lohn hat er uns Buben ‚Klapperln’, also Sandalen gekauft. Die hat er bei einem befreundeten Schuster in Auftrag gegeben, der auch arbeitslos war.“ Einer hilft dem anderen, das ist eine erste Lektion aus diesen Tagen. Und dass vermeintlich einfache Klapperln nichts Selbstverständliches sind.
Auch an den Einmarsch der Deutschen kann sich Gruber erinnern. „Als Österreich zu Deutschland kam, war eine große Euphorie. Wir Buben haben 38 den Durchzug des deutschen Heeres in Kapelln verfolgt, da haben uns die Soldaten auf die LKW’s raufgeholt. Das hat uns sehr beeindruckt, wie es die Nazis überhaupt verstanden, die Jugend zu begeistern.“ Der Vater hingegen „hat geschimpft. Er war distanziert und auch nie bei der NSDAP“. Er durchschaut die Kriegstreiberei von Anfang an. „Als der Krieg erklärt wurde und im Radio durchgesagt wurde, dass Lebensmittelkarten ausgeteilt werden, meinte er ‚Wenn die das schon alles gedruckt haben, ist das von langer Hand geplant.‘“
Mit Fortdauer des Krieges verfliegt die Euphorie der Bevölkerung zusehends. Todesopfer sind zu beklagen – auch in Grubers Familie. „Ein Onkel von mir ist bis heute offiziell vermisst. Es war eine traurige, bedrückende Stimmung.“
Doch Gruber lernt auch Widerstand kennen und Solidarität. „Als Kollegen meines Vaters verhaftet wurden, hat die Kollegenschaft für sie und deren Familien gesammelt. Auch für uns, als mein Vater krank war! Ich erinner mich, wie sie ihm die Münzen auf den Tisch gelegt haben. Es gab eine große Solidarität, die verbunden hat.“
Die letzten Kriegstage erlebt der Vierzehnjährige ebenfalls hautnah. Als er seine Tante in Gabersdorf besuchen will, stehen die Russen schon im Dunkelsteinerwald. „Beim Seeland war ein deutscher Posten, der meinte: ‚Na, do kommst nich hin – der Iwan schießt schon rein.’ Ich bin trotzdem weitergefahren“. In der Innenstadt wiederum entkommt er in der Brunngasse knapp einer Bombe, indem er in eine Toreinfahrt flüchtet. „Nachher war meine Hose ganz rot vom Ziegelstaub.“ Und in der Josefstraße überrascht ihn ein Flieger mit MG-Feuer.
After the war
Dann ist der Spuk vorbei, nicht aber die Spuren, die er hinterlässt. „Für mich wurde klar, dass Krieg nichts weiter als legales Morden ist. Das hat mich sehr geprägt, auch für später. Für mich war ganz selbstverständlich, mich zu engagieren, damit so etwas nicht mehr passiert!“
Nach den Nazis kommen die Russen. Gruber, der schon 1944 als „Elektrowerker-Lehrling“ bei den Gauwerken (der späteren NEWAG) begonnen hat, hilft mit bei der Wiederinstandsetzung des Kraftwerkes sowie des Umspannwerkes. Außerdem werden Leitungen gebaut, in St. Pölten, aber auch im Umland „wo wir während der Arbeiten bei den Bauern geschlafen und gegessen haben.“ Als Mann für „Sonderprojekte“ wird der Junge gekennzeichnet. „Ich hab eine rotweißrote Armschleife bekommen, dazu einen Ausweis in Russisch-Deutsch. Die Hilfspolizei hatte auch so einen, was mir mitunter geholfen hat“, lächelt er schelmisch. Eine Trillerpfeife wiederum sollte ihn und seine damals schwangere Frau vor einer Katastrophe bewahren. „Wir waren allein im Kaiserwald, als plötzlich fünf Russen aus dem Wald aufgetaucht und auf uns zugekommen ist. Was die wollten, kann man sich denken. Ich weiß nicht warum, aber ich hab intuitiv die Pfeife hervorgeholt und fest hineingeblasen. Daraufhin sind die Russen weggelaufen.“ Für einige Momente wird das ehemalige Stadtoberhaupt nachdenklich. „Es gibt schon so Momente im Leben“, meint er kryptisch. Ob das religiös zu verstehen sei? „Nein, ich bin kein religiöser Mensch. Aber es scheint so etwas wie Fügungen des Schicksals zu geben.“
Eine solche mag auch der Übertritt in die Firma Voith sein, wo er die Dreher-Lehre anfängt und sich auch politisch zu engagieren beginnt. „Ich hab mich – das war 1947 – bei der Jugendmännervertrauenswahl eingesetzt.“ Und er fechtet manch Strauß mit den Kommunisten aus, die von den Sowjets unterstützt werden. „Man wollte uns schon überzeugen. Mit Worten, manchmal aber auch mit Eisenstangen.“
1952/53 findet sich der junge Mann bei der Hofpartie des Unternehmens wieder – das heißt vor allem Schwerstarbeit: Graphitsäcke schleppen, Schmelzkoks erzeugen, Ausschuss-Stücke zerkleinern. Der Vorschlaghammer wiegt 15kg.
Die Liebe fürs Leben
In etwa diese Zeit fällt auch die Hochzeit mit Hermine. „Wir haben uns schon von der sozialistischen Jugend her gekannt, seit dem 12./13. Lebensjahr. Sie war eine große Turnerin, noch heut geht sie zweimal in der Woche zur Gymnastik und ins Hallenbad.“ Unglaubliche 54 Jahre sind die beiden miteinander verheiratet! „Freilich, wenn ich die Zeit abzieh, die wir uns aufgrund meines Berufes nicht gesehen haben, relativiert sich das ein bisschen“, lacht der ehemalige Workaholic. Dennoch – 54 Jahre, das flößt Respekt ein. Was ist das „Geheimnis des Erfolges“? „Es ist eine Frage, wie viel Gemeinsamkeiten man hat. Vertrauen muss da sein, gemeinsame Ziele, ein gemeinsames Wollen! Und man muss die Interessen des anderen akzeptieren.“
Dabei haben es die jungen Grubers zu Beginn ihrer Ehe alles andere denn leicht. Der Traum vom eigenen Heim scheitert zunächst am akuten Wohnungsmangel und an den fehlenden Finanzen. Gruber verdient gerade einmal 3,20 Schilling die Stunde. „Wir waren deshalb jahrelang getrennt, bis wir endlich 1956 die erste Mansardenwohnung in der Grillparzerstraße 13 bekommen haben.“ Die besticht mit ihren 33qm zwar nicht durch Größe und angesichts der Nähe zum Hauskamin, wo der Russ hereinkommt, auch nicht durch Komfort, aber sie ist ein gemeinsames Heim. Bis 1962 wohnen die Grubers dort, dann übersiedeln sie in eine Genossenschaftswohnung in der Birkengasse.
Eines wird aus diesem Blickwinkel nachvollziehbar: Grubers politischer Einsatz für öffentlichen und leistbaren Wohnraum. Sein Schicksal sollten die späteren Generationen nicht erleiden.
Vom Betriebsrat zum Bürgermeister
Politisch legt sich Gruber voll ins Zeug. „Ich hab vormittags geschichtelt, am Nachmittag war ich politisch unterwegs. Alles ehrenamtlich, dafür hat es keinen Groschen gegeben!“ Der junge Mann wird – wie ehemals sein Vater – Betriebsrat bei der Voith, außerdem Jugendreferent der Metallarbeiter, was ihm auch neue Perspektiven öffnet. „Die Metallarbeiter durften jemand auf die Sozialakademie schicken, das war 1959/1960 ich.“ Nach der Ausbildung baut er die Seniorenbetreuung in der Pensionsversicherungsanstalt auf. Bereits zuvor, 1958, wird Gruber Gemeinderat. Und er könnte sogar noch höher steigen, stellt aber – was sich viele Parteien angesichts aktueller Streitigkeiten um eigene Pfründe wohl von ihren Mandataren wünschen würden – das Parteiinteresse vor das persönliche. Als es zu einer Zerreißprobe um die Nationalratsliste kommt, weil noch ein ÖBB’ler hineingedruckt werden soll, lässt sich Gruber streichen. Eine Haltung, welche v.a. die Parteigranden registrieren: „Dem Willi muss man dankbar sein. Das muss man ihm einmal vergelten.“
Unter Bürgermeister Schickelgruber und Vizebürgermeister Hameder, „zu beiden hatte ich ein gutes Verhältnis, ja, das war eine Freundschaft“, avanciert er zum Baustadtrat, später übernimmt er den Finanzausschuss und wird ständiger Vertreter des Bürgermeisters. „Das hätte mich durchaus ausgefüllt.“
Doch Gruber ist zu Höherem bestimmt. 1985 folgt er Schickelgruber als Bürgermeister nach. „Da war schon voll die Hauptstadtdiskussion im Gange, das war sozusagen meine Feuertaufe.“ Eine, die er – wie das Traumergebnis bei den Wahlen 1986 mit 27 Mandaten belegt – mit Bravour besteht. „Ich muss aber schon ehrlich zugeben, dass da im Vorfeld eine unglaubliche Werbemaschinerie gelaufen ist“, gibt sich Gruber bescheiden und kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. „Aber es gab ja auch Zeiten, als die ÖVP noch 15 Mandate hatte!“
Die Hauptstadt-Saga
Während im Falle anderer Politiker die große Herausforderung vielleicht erst mittendrin kommt, oder sie ihre Karriere mit einem Big Bang abschließen, ist Gruber sofort mit der Hauptstadt konfrontiert.
Bereits 1974 hatte man die „Machbarkeit“ einer solchen untersucht und sie – aufgrund der horrenden Kosten – für 10 Jahre auf Eis gelegt. „Für viele kam dann überraschend, dass Siegfried Ludwig, der gerade mit der WBO Affäre zu kämpfen hatte, das Thema tatsächlich wieder aufgegriffen hat.“ Wobei es dem damaligen Landeshauptmann ein bisschen ergangen sein dürfte wie dem Zauberlehrling. „Als mich Ludwig zum Bürgermeister angelobte, meinte er: ‚Willi, das Thema hat eine Eigendynamik entwickelt, das kriegen wir nicht mehr weg.’“
Und das wollten die beiden Herren auch gar nicht, wenn sie auch hart darum kämpfen mussten. Während die Landes-SPÖ überhaupt gegen eine Hauptstadt ist „da hatte mein Bruder harte Diskussionen zu führen“, ist auch die ÖVP hinter den Kulissen nicht so geschlossen. „Da gab es auch Gegenstimmen, eine davon war etwa Erwin Pröll.“ In St. Pölten freilich „haben wir uns geschlossen voll reingehaut.“
Der Weg wurde letztlich durch zwei „Kunstkniffe“ geebnet. So führte das Regionalisierungsgesetz, welches St. Pölten bis dato aus einer Reihe von Landesförderungen ausschließt, zum Zerschlagen des politisch-gordischen Knotens namens Neid. „Das war prinzipiell eine kluge Überlegung von Ludwig und Höger. 350 Millionen sollten pro Jahr direkt in die Regionen fließen. Gleichzeitig ist die Landesumlage für die Gemeinden weggefallen, was für diese ebenfalls Vorteile brachte.“
Das zweite Ass war das politische Sicherheitsnetz namens Volksbefragung. Kaum zu glauben, dass Gruber den Tag der Tage im März 1986 relativ gelassen verbrachte. „Ich hab den Volksentscheid gar nicht so verfolgt, als mich der Ludwig angerufen hat und meinte, ich muss sofort nach Wien kommen. Sie machen eine Pressekonferenz. Das war im Marmorsaal der Landesregierung, der ORF machte Interviews. Tja, und dann sind wir es geworden!“
Der große Sieg, freilich – aus Sicht der Stadt – mit einigen Wermutstropfen. „Zugleich war klar, dass etwa Tulln die Agrarhauptstadt, Krems die Bildungshauptstadt, Baden die Tourismushauptstadt und Wr. Neustadt die Industriehauptstadt wird.“ Schraub dem Sprinter die Spikes von den Sprintschuhen, und er wird zwar noch immer schnell sein, aber unter seinem Potential geschlagen werden – so mutet bisweilen die St. Pöltner Hauptstadt-Story an.
Zwei Alphawölfe
Dass an gewissen sphärischen Störungen auch die persönlichen Befindlichkeiten von Pröll und Gruber eine Rolle spielten, will der ehemalige Bürgermeister so nicht bestätigen und nimmt auch die Medien in die Pflicht. „Es gibt immer Kräfte, die etwas hineininterpretieren möchten. Wenn alles happy ist in einer Ehe, alles funktioniert, dann kann man ja nicht darüber tratschen. Es gab immer ein korrektes Verhältnis.“ Dennoch, so hört man heraus, dürfte jenes zu Prölls Vorgänger ein entspannteres gewesen sein – eine Generationenfrage? „Mit Ludwig hab ich vieles besprochen, und dann kommt auch was raus. Mit Pröll gab es kaum informelle Gespräche, weil er keine Zeit und auch keinen Anlass hatte. Erst die letzten ein, zwei Jahre gab es eine Annährung.“ Nachsatz „Außerdem war ich nie der Typ, auch nicht in der Partei, der sich bei irgendjemand einschmeichelt.“
Dass Gruber und Pröll gerade dann, als sie im Zuge der Krankenhaus-Gespräche allein zusammen am Tisch saßen – quasi unter vier Augen die Klingen kreuzend – zueinander fanden, mutet wie eine Ironie des Schicksals an. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich da zwei in ihrem Amtsverständnis näher waren, als sie selbst wahrhaben wollten und vielleicht gerade deshalb nicht so inniglich miteinander konnten, wie es sich die Bürger wünschten.
My home is my castle
Die Hauptstadtentwicklung war jedenfalls Grubers Hauptmission. Seine Grundphilosophie baute dabei nicht primär auf große Visionen, sondern insbesondere auf eine solide Grundstückspolitik. „Ich war immer bemüht, einen Pool von Grundstücken zur Verfügung zu haben. Wir haben diesbezüglich viel getan – da schlummern konzentrierte Gründe für eine positive Stadtentwicklung.“
Sein Resümee anlässlich 20 Jahre Haupstadt. „Hinterher ist man immer gescheiter! Heute weiß man etwa, dass die Anbindung des Regierungsviertels an die Altstadt nicht optimal ist. Diesbezüglich gab es auch andere Vorschläge. Aber ich steh dazu: Die Landeshauptstadt war für St. Pölten keine Jahrhundert-, sondern eine Jahrtausendentscheidung – ebenso für das Land! Und es war eine Gemeinschaftsleistung!“
War die Hauptstadt also der Höhepunkt seiner Politkarriere schlechthin? „Ich hab durch meine Tätigkeit eigentlich laufend Motivationsschübe erfahren, deshalb bin ich vielleicht auch länger aktiv gewesen, als ich selbst geglaubt hab. Sicher – die Landeshauptstadt war schon was. Aber mir ging es immer um die kleinen Leute. Das ist das Schöne am Beruf – man hat mit Menschen zu tun. Man kann nicht immer helfen, aber man bemüht sich. Das wird auch geschätzt, und wenn dann etwas zurückkommt, ist das doppelte Motivation.“
Freilich gab es auch Tiefschläge. Jener, der Gruber am meisten getroffen hat, war das Absacken unter die 50.000 Einwohner-Marke 2001. „Ich hab gedacht, dass wir am richtigen Weg sind – wir haben 4.000 Wohnungen gebaut! Und dann dieses Ergebnis! Es ist mir bis heute ein Rätsel, wo die Leute hingekommen sind. Das war meine große Enttäuschung! Wenn ich geahnt hätte, dass es so kommt, hätte ich sicher die Baurechtsaktion früher begonnen.“
Krankenhauspoker
Voll gefordert wurde Gruber im Zuge der Krankenhausverhandlungen. Man gewann den Eindruck, dass er diesen Felsbrocken – denn von Stein konnte man angesichts der horrenden Kosten nicht reden – noch aus dem Weg räumen wollte, bevor er sich aus der Politik zurückzieht. Die Verhandlungen verliefen zäh. Der Durchbruch erfolgte erst im legendären Vieraugengespräch mit Pröll. Was passierte damals wirklich? „Wir haben die Punkte klar angesprochen, haben unsere Vorstellungen geäußert. Es ging hart auf hart, aber es war sehr korrekt. Mein Vorschlag mit der Übergabe des Theaters dürfte dann dem Landeshauptmann gefallen haben.“
Tatsächlich stieg danach der weiße Rauch auf „und wir haben mit einem Glaserl auf den Abschluss angestoßen“. Das Gerücht, dass Gruber quasi als letzten Joker sich selbst am Spieltisch einsetzte und seinen Rücktritt bei Abschluss in Aussicht stellte, verweist er ins Reich der Fabel. „Das ist völlig lächerlich. Mein Rücktritt stand schon lange fest. Deshalb hab ich zu Pröll auch gesagt: ‚Wenn du mit mir abschließen möchtest, musst du dich beeilen. Ich geb heut nämlich meinen Rücktritt bekannt.‘“
Das „heute“ war der legendäre 29. Juni 2004 „Da war nämlich Parteikonferenz, zu der ich aufgrund des Gesprächs mit Pröll sogar zu spät gekommen bin.“ Dort ließ Gruber die strategisch genial getimte Bombe platzen und zauberte auch gleich seinen Nachfolger aus dem Hut: Mag. Matthias Stadler. Wie Gruber einräumt, wusste gerade einmal Vizebürgermeister Kocevar seit längerem bescheid, wenige Tage zuvor hatte er noch Heidemaria Onodi und Anton Heinzl eingeweiht. Sonst traf die versammelten Genossen die Botschaft völlig unerwartet, und dementsprechend fiel die erste Reaktion aus – perplex. Es dauerte einige vielsagende Momente, bis applaudiert wurde. All die (zum Teil auch von den Medien) ins Spiel gebrachten Kronprinzen gingen leer aus. Irgendwie erinnerte die Situation an den Film Sisi, als Franz Joseph auf die vermeintliche Braut Ninee zugeht, diese schon erwartungsvoll die Arme hebt, und dann gibt der Kaiser der Schwester daneben, mit der niemand rechnet, die Blumen.
War das kein Drahtseilakt bzw. warum wurde es keiner der kolportierten Herren? „Es hat sich keiner in den Vordergrund gedrängt. Ich hab gedacht, das sind meine Freunde, wenn es also jemandem wichtig ist, wird er mich darauf ansprechen. Das ist nicht passiert.“ Die Entscheidung sei jedenfalls keine leichte gewesen. „Es ist ja nicht einfach, jemanden zu finden, der das Zeug zum Bürgermeister hat und der es auch machen möchte. Viele sind als Stadtrat, als Vizebürgermeister geeignet. Aber Bürgermeister – da bist du 12/14 Stunden engagiert am Tag, am Wochenende und auch an Feiertagen. Das bedeutet für die Familie Entbehrungen.“ Hatte er keine Bedenken, dass die Basis vielleicht nicht mitzieht? „Ich konnte meine Partei gut einschätzen. Letztlich war der Tenor: ‚Willi, wen du vorschlägst, wir tragen es mit.’ So war es auch.“
Nach Dienstschluss
Danach trat Gruber seinen wohlverdienten Ruhestand an, nach knapp 46 aktiven Politjahren!
Doch anstatt die Pension genießen zu können, wurde er zunächst krankheitsbedingt in die Knie gezwungen. Er musste sich einer komplizierten Operation unterziehen „und als ich dachte, jetzt hätt ich alles überstanden, stellte Dr. Frühwald Probleme mit dem Herzen fest und ich bekam Bypässe.“ Kurzum, ein Katastrophenjahr, das er aber gut überstanden zu haben scheint. Gruber wirkt fit und entspannt, und er zeigt sich wieder in der Öffentlichkeit. „Ich geh vielleicht zu zwei, drei Terminen die Woche. Das genügt dann auch. So wie früher, dass ich von einem Termin zum nächsten hetz, das ist zum Glück vorbei.“
Auch seine Funktionen hat er großteils zurückgelegt, bis auf jene des Obmannes des Behindertenwohnheimes, das – nicht zuletzt durch sein persönliches Engagement – heuer eröffnet werden konnte. „Es ist toll geworden!“
Für Politik interessiert sich der Langzeitpolitiker klarerweise noch immer, mit Ratschlägen hält er sich allerdings zurück. „In Gedanken bin ich noch viel bei der Politik. Aber ich will nicht dreinreden. Wenn ich gefragt werde ja, aber sonst nicht.“
Und was treibt der Gruber sonst noch. Bekam er angesichts soviel ungewohnter Freizeit keinen Pensionsschock? „Nein, ich genieße es. Früher hat der Wecker um 5.30 Uhr geläutet, dann bin ich mit dem Hund gegangen – täglich. Ebenso, wenn ich von der Arbeit nachhause gekommen bin, egal wie spät es war. Jetzt kann ich länger liegen bleiben und Dinge tun, wofür ich früher kaum Zeit fand, etwa lesen.“
Auch die Natur und die Bewegung sind ihm wichtig. „Ich arbeit gern im Garten, wir haben ja einen 2.000qm großen in Steineichberg. Und ich  bin gern in der Natur. Gestern etwa waren wir mit dem Schwiegersohn auf der Stockerhütte.“
Fad sei ihm jedenfalls nicht. „Mein Alltag ist ausgefüllt. Außerdem bekomm ich Aufträge von meiner Frau, die ich jetzt unterstütze. Da hab ich ja sozusagen Nachholbedarf. Und wenn man älter ist, braucht man einander noch stärker als wenn man jung ist.“
Wie zur Bestätigung kommt Gattin Hermine herein, und so endet unser Gespräch thematisch mit jenen Konstanten, die Gruber sein ganzes Leben lang hindurch begleitet haben:
Politik und – Liebe!