MFG - Ein Mann wie ein Rufzeichen
Ein Mann wie ein Rufzeichen


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Ein Mann wie ein Rufzeichen

Text Johannes Reichl
Ausgabe 02/2006

Er schaut MTV, würde gerne einmal mit Björk zusammenarbeiten, bezeichnet Madonna als Künstlerin und hält Frank Zappa für eine Art Beethoven der Neuzeit. Tonkünstler-Guru Kristjan Järvi ist das, was man einen unkonventionellen Dirigenten nennen könnte. Mit seiner grammy-nominierten Fusionband „Absolute Ensemble“ stellt er das am 23. Februar im Festspielhaus eindrucksvoll unter Beweis.

Damit wir das Mozartjahr gleich hinter uns bringen: Was sagt Järvi zu Amadeus?
Mozart war eine Ausnahmeerscheinung, ein allumfassendes Phänomen. Viele sehen nur die Musik, aber Mozart hat in Wahrheit – so wie auch Haydn und Beethoven - die gesamte Kultur Europas mitgeprägt. Wien war damals das Musikzentrum schlechthin, und zwar eines für zeitgenössische Musik! Das ist vor allem wichtig zu begreifen: Was Mozart und die anderen Genannten machten, war zeitgenössische Musik, etwas völlig Neues. Deshalb hatten Sie es auch nicht so leicht, Anerkennung zu finden. Mozart als ehemaliges Wunderkind am allerwenigsten.
Waren Sie auch ein Wunderkind? Immerhin ist Ihr Vater Dirigent, ebenso Ihr Bruder, Ihre Schwester Flötistin. Das klingt nach Druck vom Elternhaus?
Überhaupt nicht. Wenn du ein Wunderkind förderst, so wie es Leopold Mozart getan hat, dann musst du dein eigenes Leben völlig zurückstellen – das haben meine Eltern nicht gemacht. Sie haben uns zu nichts gezwungen, ich war auch sicher kein Wunderkind. Als ich mit sechs zum Klavierspielen angefangen hab, war mir das viel zu fad. Das Üben freute mich überhaupt nicht, stattdessen bin ich lieber unterm Klavier herumgekraxelt. Aber wir waren ein musikalischer Haushalt. Musik war allgegenwärtig. Entweder es übte jemand, oder wir hörten Musik aus der Konserve - Oper, Konzerte etc. Ich glaubte als kleiner Stöpsel ja, dass die Musik aus der Box kommt. Dazu gibt es eine witzige Episode, passend zum Mozartjahr. Es lief grad irgendwas von Amadeus. Ich rüttelte an der Box so heftig, dass mir der Gegenstand, der darauf stand, auf den Kopf fiel. Ich bin in Tränen ausgebrochen und hab geklagt: „Mozart hat mich geschlagen!“ Das ist noch heute ein Running-Gag in der Familie. Das war meine erste Erfahrung mit Mozart!
Die Sie aber nicht von der Musik abgehalten hat. Heut sind Sie selber Dirigent. Was fasziniert sie an der Spezies „Musikus“?
Musiker, insbesondere Orchestermusiker, sind Künstler. Das ringt mir Respekt ab. Die Leute sehen das ja nicht, aber Musiker beginnen ihre Ausbildung so um die fünf Jahre herum und hören bis zu ihrem Lebensende nicht mehr auf damit. Die leisten so gesehen viel mehr als etwa ein Arzt, wo man in Ehrfurcht erstarrt und meint: „Ah, der hat solange studiert.“ Der Beruf des Musikers ist in Wahrheit härter. In gewisser Weise sind sie Verrückte, im positiven Sinne Fanatiker. Das ist genau das Spannende, auch für ein Orchester! Diese Energie, die Risikobereitschaft, das Hineinfinden in neue Orchesterwerke und Herausforderungen, so dass sich die Musiker wie Rock’n Roller fühlen. Das versuche ich zumindest mit meinen Orchestern. Dabei muss man nicht perfekt sein. Wichtig ist die Frage, wie man die Sache angeht! Selbst große Musiker wie ein David Oistrach oder Miles Davies waren nicht fehlerlos, aber sie waren zu 100% bei der Sache.
Miles Davies? Aber der kommt ja vom Jazz!
Und? Zwischen E-Musik und Jazz ist nicht viel Unterschied. Wenn die Leute meinen „Na, beim Jazz improvisieren die Musiker halt ein bissl herum“, dann haben Sie keine Ahnung. Der Jazz läuft nach strikten Strukturen ab, ist immens schwer. In Österreich habt ihre große Musiker, wie etwa Joe Zawinul. Der kommt, wie viele Jazzer, ursprünglich vom klassischen Fach her. Wenn man die Brahms-Haydn Variationen anhört, die er mit Friedrich Gulda eingespielt hat – das wurde nie besser gespielt! Was Zawinul als Künstler ausmacht ist dieser ganz eigene Groove, ist die Offenheit für Neues. Musik ist ja keine starre Wissenschaft, wo man sagt, zwei Takte sind zwei Takte – auch wenn das an den Konservatorien mitunter gelehrt wird. Aber das ist Blödsinn! 99% halten sich blind daran, aber 1% überschreitet die Grenzen. Genau dieses 1%  interessiert mich.
Diese Grenzgänger findet man aber überall. Fiele da zum Beispiel auch eine Musikerin wie Madonna rein?
Warum nicht. Du hörst Dirigenten nie über Madonna reden - zu Unrecht! Okay, früher war ihre Musik nicht hochwertig, da machte sie nette, austauschbare Songs, mehr nicht. Aber die letzten drei Alben zeigen Madonnas Entwicklung zur echten Künstlerin hin. Sie mischt Musikstile, wie dies vor ihr noch keiner gemacht hat, schafft völlig neue Klangwelten. Das ist nichts anderes, was auch Schuhmann, Beethoven, Haydn – halt mit anderen Mitteln – versucht haben.
Frank Zappa, der für mich so ein bissl der Beethoven der Neuzeit ist, war auch so einer. Der würde heute die verrücktesten Dinge machen. Dieses Mischen der verschiedensten Sachen, das Suchen nach neuen Zugängen, das macht die wirklich Großen aus!
Ist es auch das, was Sie selbst suchen beim Dirigieren – neue Zugänge?
Ja, das ist mein Ansatz des Dirigierens im 21. Jahrhundert. Du musst offen sein für interessante Musik, und die finde ich genauso auf MTV, bei Usher, Crag Davies. Das hat genauso seine Berechtigung. Die Puristen rümpfen da immer gleich die Nase, aber das ist es, was die Leute nun einmal hören – auch weil es sie emotional anspricht. Diese stupende Unterscheidung zwischen E- und U-Musik in Mitteleuropa ist ohnedies nervend. Ich versuche einen breiten Zugang. Meine Mentalität ist in gewisser Weise mehr die eines Jazz-, eines Rockmusikers.
Was ist dann Ihr „Absolute Ensemble“ - Järvis Klangkosmos in Reinkultur?
Ich wollte meine Ideen umsetzen, wusste aber nicht wie. Darum haben wir uns zum Ensemble zusammengefunden, das ja ein Sammelsurium von tollen und kreativen Musikern, Komponisten, Arrangeuren aus den verschiedensten Bereichen ist. Anfangs war noch alles undefiniert, aber es kam etwas in Fluss und heute haben wir zu einem völlig neuen, eigenständigen Stil gefunden. Wir sind eine Fusionband, die kein fixes Repertoire spielt, sondern Projekte verwirklicht. Wie Arabien Night, wo wir mit Künstlern aus dem Libanon und Tunesieren zusammengearbeitet haben, mit Größen wie Dahfer Yussef. Oder das Zappa-Projekt, das wir jetzt im Festspielhaus präsentieren. Wir planen unter dem Titel „Absolut Zawinul“ im übrigen auch etwas mit Joe. Absolut steht dabei nicht für etwas Statisches, Unumstößliches, sondern für Universalität, Vielfalt!
Auf Ihrer Homepage findet man einen Link zu Björk. Würden Sie gern mit ihr zusammenarbeiten? Sind Fusionen zwischen E- und U-Musik möglich?
Björk, oder auch Moby sind immens interessant, weil sie das Wesen des Pop Richtung Klassik öffnen. Ich bin überzeugt davon, dass es in der Mitte einen Platz gibt, wo wir uns alle finden und überlappen können. Das ist es im Grunde, was ich suche: Eine völlig neue, dritte Musikebene, die zwischen E- und U-Musik angesiedelt ist. Wagner hatte mit seinem Konzept vom Gesamtkunstwerk schon die richtige Idee, wobei das aber nichts Monumentales sein muss. Da genügen schon zwei Leute dazu. Nehmen wir Künstler wie David Bowie. Der hat das in den 70’ern genial vorexerziert!
Heißt das dann, dass sich die Orchestermusik verändern muss?
Nein! Aber die Form, der Zugang muss sich ändern. Das heißt nicht, dass ich das Orchester kille, aber dass ich das Orchester neu definiere. Indem ich nämlich jeden einzelnen Musiker als Künstler wahrnehme, ihn nach seinen Talenten bestmöglich einsetze, ihn einbinde, an seiner Kreativität interessiert bin. Indem ich das Orchester also wie eine Band führe, wo die Musiker die aktiven Bandmitglieder sind.
Und Kristjan Järvi ist der Bandleader! Haben die Tonkünstler bei diesem Ansatz bislang mitgespielt?
Es ist ein Prozess, der sich aber sehr positiv entwickelt. Am Anfang wussten die Leute nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollten. Die dachten, ich bin irgend so ein kulturloser Ami, der nicht einmal Deutsch kann, sondern ein american-Englisch palavert und sich wahrscheinlich Fastfood reinzieht. Aber jetzt, eineinhalb Jahre später, ist das Eis, sind auch die Ohren geschmolzen. Wir waren gemeinsam in meiner Heimat, Tallin in Estland – ich bin ja estnischer Staatsbürger, mit fünf aber nach New York gekommen und dort aufgewachsen. Der Hauptplatz in Tallin schaut in etwa so aus wie der in Bremen. Da haben manche begriffen: Ach so, der ist ja europäisch, kein US-Rockguru mit Fastfood-Präferenz. Und wir machen großartige Sachen, wo das Orchester seinen eigenen Stil definiert, wenn man nur an Bernsteins MASS denkt. Zudem werden wir die Werke von H. K. Gruber einspielen.
Wenn schon kein Rockguru, dann aber zumindest ein Sexsymbol. Es heißt, dass manche Damen nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen Ihres knackigen Hinterns ins Konzert kommen. Warten nach dem Konzert die Groupies auf Sie?
(lacht) Ach ehrlich, ist das so mit den Damen? Das hab ich gar nicht gewusst. Groupies - vielleicht sollten wir da einmal mit dem Management reden, ob wir das vertiefen können.
Sie sind jung, Jahrgang 1972. Wo sehen Sie sich in, sagen wir einmal, 10 Jahren?
Das ist schwierig, eigentlich unmöglich zu beantworten. Ich strebe nach der höchsten Qualität, möchte besser werden, aber wohin das letztlich führt, weiß nur Gott. Das ist eine Reise, die nie aufhört, denn es kommt ja nie der Punkt, wo du absolut mit dir zufrieden bist. Ich bin gespannt auf die Leute, die Kulturen, die Musik. Wichtig ist, dass man auch Risiko eingeht, Neues ausprobiert. Ich freue mich auf die Zukunft - und die ist letztlich das Einzige, was wir haben.
Wie wärs zum Beispiel mit fünf Grammies im Regal? Immerhin waren sie schon einmal für den „Musik-Oscar“ nominiert.
(lacht) Mir würd schon einer genügen. Außerdem... wenn du einen hast, kommen die anderen von selbst!
Wenn Sie sich mit einem Satz beschreiben müssten, wie würde der lauten?
Das wär kein Satz, sondern ein Zeichen: ! www.kristjanjarvi.com