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Schwarze Zahlen


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Schwarze Zahlen

Text Michael Müllner
Ausgabe 03/2011

Zerbricht das (angeblich) konstruktive Arbeitsklima zwischen roter Hauptstadt und schwarzem Land an gesundheitspolitischen Fragen? Wie das Land NÖ eine private Medizinuni in St. Pölten verhindert – aber dafür mit eigenen Plänen den Vorwurf des Schrebergarten-Denkens erntet.

Beinharte Aufnahmetests, streng limitierte Studienplätze. Viele sehen in den nächsten Jahren einen Ärztemangel auf uns zukommen. Da sollte ein zusätzlicher Ausbildungsstandort für Humanmedizin nicht schaden. Schon gar nicht, wenn dort neben der Arztausbildung auch Medizintechnik und Medizinökonomie gelehrt werden und es potente Partnerschaften gibt. Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) hat sein Prestigeprojekt „Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften“ am 14. Jänner der Öffentlichkeit präsentiert – und wohl weniger Applaus geerntet als ursprünglich erwartet.
Uni-Schrebergarten
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer Walter Dorner fühlte sich nach der Projektpräsentation an einen „Schrebergarten für pensionierte Professoren“ erinnert. Generell ist er gegen Privatunis, „an denen sich Studenten ein Medizinstudium ‚erkaufen‘ können“. Besonders der Aufbau des Studiums mit einer späten Spezialisierung auf den Arztberuf lässt ihn einen Qualitätsverlust befürchten: „Dort werden Schmalspurmediziner ausgebildet mit denen man nichts anfangen kann!“ Das Gesetz sieht jedenfalls vor, dass neue Studienpläne nach der „Bologna-Architektur“ konzipiert werden. Als Grundlage dient das dreijährige Bachelor-Studium „Gesundheitswissenschaften“, darauf aufbauend folgen ebenfalls dreijährige Master-Studien „Humanmedizin“, „Medizintechnik“ oder „Medizinökonomie“. Dorner lehnt es auch ab, „dass Privat-Unis auf das Ausbildungspersonal staatlicher Universitäten zurückgreifen, die sich dann Zusatzaufgaben und -einkünfte schaffen könnten, obwohl sie schon derzeit ihren umfassenden Aufgaben wie Ausbildung, Forschung und Patientenbetreuung, laut eigenen Aussagen kaum mehr nachgehen können.“
„Die Presse“ druckte einen wenig schmeichelhaften Gastkommentar des früheren Sektionschefs im Wissenschaftsministeriums Norbert Rozsenich. Er forderte eine gesamtösterreichisch koordinierte Hochschulplanung anstatt eines „feudalistischen Konstrukts“, bei dem auch der Betriff „privat“ einer „Orwell’schen Neuinterpretation“ unterzogen werde. Die „Life Sciene Krems GmbH“ entwickelt das Projekt und ist zu 90% im Besitz des Landes NÖ. Als zukünftige Betreiber nennt das Land NÖ eine Kooperation von Donau-Uni Krems, Medizinuni Wien, Technische Universität Wien (TU Wien) und FH Krems. Von Privatwirtschaft keine Spur.
Schwarze Zahlen
Besonders spannend ist die Rolle der Wiener Projektpartner. Wieso beteiligt sich die öffentlich finanzierte Wiener Meduni an einer Privatuni in NÖ? Weil sie eine „einmalige Chance sieht ihr großes Know how einzubringen“, außerdem hätte die Gefahr bestanden, dass „vor der eigenen Haustür ein Lehrplan mit mangelnder Professionalität“ entsteht, denn das Land NÖ hätte die Privatuni „in jedem Fall errichtet“. Das eigene Lehrpersonal will man jedenfalls nur in der Übergangszeit einsetzen und „sehr rasch zurückziehen“.
Dass es einer öffentlichen Uni (wie eben der Meduni oder der TU Wien) so nebenbei gesetzlich verboten ist Privatunis ihre Mittel zuzuschießen, macht die Kartoffel noch heißer. Die Kremser Konstellation ist also von Anfang an zu unternehmerischem Erfolg verdammt. „Nur wenn Businesspläne und Machbarkeitsstudien schwarze Zahlen versprechen, bleiben wir an Bord“, heißt es aus der Meduni Wien. Auch Wissenschaftsministerin Beatrix Karl bestätigt: „Es muss sichergestellt sein, dass keine Bundesmittel, die für öffentliche Hochschulen vorgesehen sind, in die geplante Privatuni fließen. Da braucht es ein transparentes und schlüssiges Finanzierungsmodell.“
Ein paar Hausaufgaben werden die Projektträger bis zur Genehmigung durch den Österreichischen Akkreditierungsrat noch liefern müssen, um den von Erwin Pröll genannten Eröffnungstermin Oktober 2013 zu halten – der übrigens mit der nächsten Landtagswahl zusammenfallen wird.
Paris, Wien, St. Pölten
Während sich in Wiener Uni-Kreisen hitzige Debatten ergaben, stellte sich in St. Pölten die große Enttäuschung ein. Bürgermeister Stadler (SPÖ) war nämlich seit längerem mit einem anderen Privatuni-Betreiber in intensiven Gesprächen. Die Sigmund-Freud-Universität (SFU) ist eine seit Jahren anerkannte Privatuni. In Wien und Paris bietet sie Psychotherapiestudien an, in St. Pölten war ein „vollwertiges Studium der Humanmedizin“ geplant, rund 600 Studierende waren im Vollausbau das Ziel.
Seit rund einem Jahr kam es hinter den Kulissen auch zu intensiven Diskussionen auf Ebene der politischen Entscheidungsträger, was den Standort St. Pölten betrifft. Das Land NÖ drängte angeblich auf eine Verlegung des Projektes nach Krems. Zumindest teilweise, wenn schon nicht ganz, sollte die Wachauer Donaustadt und nicht die Hauptstadt an der Traisen zum Zug kommen.
Bei Landeshauptmann Erwin Pröll wurde seit einem Jahr mit Nachdruck für den Standort St. Pölten lobbyiert: Von der zukünftigen Ausbildungsstätte könne man bequem zu Fuß ins Landesklinikum mit seinen Praktikumsstellen gehen. St. Pölten biete generell perfekte Verkehrsanbindungen (schon bald mit dem öffentlichen Verkehr nur 20 Minuten bis Wien). Zahlreiche Einrichtungen wie die Fachhochschule (mit ihren „gesundheitsnahen“ Studiengängen), Ärzte, Therapiezentren, Röntgeninstitute, Sozialversicherungseinrichtungen oder Schulen lägen in unmittelbarer Nähe. Generell sei die vorhandene Infrastruktur auch bei Freizeiteinrichtungen (die für Studierende und deren Wertschöpfung nicht unwesentlich sind) in St. Pölten bestens für einen Privatuni-Standort geeignet. Aus dem Wissenschaftsministerium heißt es zum Stellenwert des Projekts Privatuni St. Pölten: „Jede Privatinitiative, die in den Zukunftsbereichen Wissenschaft und Forschung gesetzt wird, ist förderlich und daher auch willkommen.“ Auch Niederösterreichs Ärztekammer-Präsident Christoph Reisner begrüßt grundsätzlich neue Ausbildungsplätze, aber „in Wirklichkeit wissen wir noch nichts, das Land hat uns nicht eingebunden, darum holen wir derzeit selbst Fakten ein und sehen dann weiter. Der Begriff ‚Privatuni‘ scheint mir bei diesem Projekt jedenfalls sehr suspekt.“
Kein Platz
Die Entscheidungsträger des Landes entschieden sich jedenfalls für die „Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften“ in Krems. LH-Stellvertreter Wolfgang Sobotka (ÖVP) argumentiert dies mit dem „besseren Konzept“. Der Todesstoß für das SFU-Projekt in St. Pölten war die Aussage des Landes, dass es im St. Pöltner Klinikum keine Ausbildungsplätze für die SFU-Studenten geben werde. Man habe sich laut dem Geschäftsführer der Landeskliniken-Holding Robert Griessner für das Kremser-Projekt entschieden, weil es „richtungsweisend“ sei und auch die Klinikstandorte Krems und Tulln einbinde.
Während SFU-Rektor Pritz sein St. Pölten-Projekt „tot“ sieht und den politischen Willen auf Seiten des Landes vermisst, gibt es hinter den Kulissen zahlreiche Akteure, die noch nicht aufgeben wollen. Deren Tenor lautet sinngemäß: „Es geht einfach um zu viel. Die Sachargumente überzeugen. Es wäre idiotisch, wenn man so ein Projekt sterben lässt. Auch das Land wird sich treffenden Argumenten nicht verschließen.“ In St. Pölten wird sogar kolportiert, dass das Wintersemester 2011 als realistischer Starttermin im Raum stand.
Sobald das Land NÖ die Ausbildungsplätze zusagt, will die SFU zur raschen Umsetzung des Projektes schreiten. Die Konzepte seien fertig, es fehlen nur die Ausbildungsplätze, für welche die SFU übrigens auch einen bereits paktierten Tarif an die Landeskliniken-Holding zahlen würde. Geld in das Gesundheitssystem aus einem zu 100 Prozent privat finanzierten Uni-Betreiber, der ohne jede öffentliche Subvention auskommt. Wieso sollte das Land NÖ diesem Projekt im Weg stehen, wo es doch kein Risiko trägt und ungestört die „eigenen“ Pläne in Krems umsetzen könnte? Will man dem St. Pöltner Standort keinen Startvorteil geben? In Krems wird ja erst 2013 eröffnet, sofern die ambitionierten Zeitpläne halten.
Vor allem als erfolgreicher Bildungsstandort könnte sich Niederösterreich bis zur nächsten Landtagswahl im Herbst 2013 mit einem bereits etablierten Privatuni-Standort in St. Pölten und einer gänzlich neuen, breitaufgestellten Privatuni in Krems bestens profilieren.
Breite Unterstützung
Gerade in dieser win-win-Situation liegt der letzte Funke Hoffnung, den zahlreiche Gesprächspartner quer durch alle Parteien und Ideologien nach wie vor sehen. Könnte aus der Irritation über die Absage des Landes an die SFU schon bald eine offene Unterstützungsinitiative Pro-SFU entstehen, getragen quer durch Gemeinde- und Parteigrenzen? Im St. Pöltner Gemeinderat hat jedenfalls auch die ÖVP-Fraktion der einstimmig gefassten Resolution „Pro-SFU“ zugestimmt. Relevanter für die Landes-ÖVP ist wohl das aufkeimende Unverständnis in breiten Teilen der Wirtschaft, also in klassisch ÖVP-dominierten Wählerkreisen.
Und für Niederösterreich ist ein weiterer Bildungsstandort in St. Pölten zweifelsfrei besser als ein umgesetztes SFU-Projekt in einem anderen Bundesland. Das Land verwaltet in seiner Holding übrigens 25 Landeskliniken. Wie soll es da an 100 Ausbildungsplätzen pro Jahr – die noch dazu vom Betreiber bezahlt sind – scheitern? Gerade am Standort St. Pölten könnte das Land NÖ somit ein vollwertiges Zentralklinikum errichten. Wenn es denn will.
Interview: Univ.-Prof. Dr. Alfred Pritz
Univ.-Prof. Dr. Alfred Pritz ist seit 2005 Rektor der angesehenen Sigmund-Freud-Privat-Universität Wien mit rund 1000 Studenten. Unter seiner Verantwortung erhielt die SFU 2005 und 2010 die „Akkreditierung“ durch den Akkreditierungsrat.
Was hatte die Sigmund-Freud-Universität in St. Pölten
geplant?

Ein vollwertiges humanmedizinisches Studium mit rund 80 Studierenden pro Jahrgang. Wir waren seit längerem im Gespräch mit Bürgermeister Stadler und den Verwertern der Liegenschaft des ehemaligen Areals der Gebietskrankenkasse. Zudem hatten wir circa im April 2010 sehr positive Gespräche mit dem Land NÖ geführt. Eigentlich war alles fix. Sogar der Tarif, den wir an die Krankenhaus-Holding zahlen würden, um die Ausbildungsplätze für unsere Studenten zu bekommen, war festgelegt.
Was ist dann schiefgelaufen?
Nachdem Landeshauptmann Erwin Pröll bei einer Pressekonferenz das Projekt der Privatuni in Krems bekanntgegeben hat, wurde uns mit wenigen Worten abgesagt. Eine Erklärung haben wir eigentlich gar nicht bekommen.
Wurde im Vorfeld der Standort Krems mit Ihnen thematisiert?
Natürlich, uns wurde nahegelegt, dass wir das Projekt doch in Krems umsetzen sollen. Das haben wir abgelehnt, weil das Projekt in Krems nicht funktioniert. Es gab jedoch einen Kompromissvorschlag: Der vor-klinische Teil des Studiums hätte in Krems stattfinden sollen, der klinische Teil in St. Pölten. Wir wollten diese Bedingung des Landes achten. Umso überraschter waren wir, als uns Landesrat Sobotka mitgeteilt hat, dass es nur ein Projekt in Niederösterreich geben wird und wir keine Ausbildungsplätze in St. Pölten erhalten werden.
Das heißt, das Projekt SFU in St. Pölten ist gestorben?
Unser Projekt ist tot. Eine Gruppe mit unternehmerischem Geist wurde vertrieben, die angestrebte Wertschöpfung für Niederösterreich ist weg. Besonders ärgerlich ist, dass wir keinerlei öffentliche Förderungen beantragt haben oder hätten. Wir wären eine echte Privatuniversität, finanziert durch Studiengebühren und aus privaten Einkünften. Wir hätten sogar laufend an das Land überwiesen, um unsere Studenten in deren Klinikum ausbilden zu dürfen!
Vielleicht findet sich ja noch eine Lösung mit dem Landeshauptmann?
Ich bin immer für Gespräche offen, aber viel Hoffnung existiert ehrlich gesagt nicht. Wenn politische Einsicht nicht vorhanden ist, dann ist es Schade um die Energie. Es gibt ja auch andere Alternativen.
Wären zwei private Medizin-Unis in Niederösterreich nebeneinander denkbar?
Natürlich sind zwei Medizin-Unis in NÖ denkbar, mit unseren 80 Studienplätzen pro Jahr wäre das ja ohnehin ein Mini-Angebot bei der sehr großen Nachfrage. Es ist nur eine Frage des Wollens.
Richtig Schwerpunkte Macht es Sinn, die orthopädische Abteilung in St. Pölten zu schließen? Die Bevölkerung reagiert verunsichert, der Protest wächst.
So viele Babys oder offene Herzen können andere Abteilungen gar nicht auf die Welt bringen bzw. reparieren, momentan interessieren sich alle nur für die Orthopädie. Die Landeskliniken-Holding kündigte im Dezember an, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren alle planbaren Operationen der Orthopädie von St. Pölten nach Krems abwandern. In St. Pölten würde man sich auf Akutfälle sowie Vor- und Nachbetreuungen im „orthopädischen Bereich“ beschränken, die „Akutmedizin soll durch ein medizinisches Trauma-Zentrum (Knochen-, Unfall- und Neurochirurgie)“ verstärkt werden. Die orthopädische Leistung sei „sichergestellt“, Arbeitsplätze nicht in Gefahr. In der Öffentlichkeit kam die Botschaft jedoch so an, dass eine Abteilung geschlossen wird, deren Bedeutung gerade durch die zunehmende Überalterung der Bevölkerung wächst. SPÖ-Politiker fanden es klug eine Unterschriftenliste aufzulegen womit die Diskussion zusehends parteipolitisch wurde. Die Initiatoren sprechen von 10.000 Unterschriften einer verunsicherten und erbosten Bevölkerung. Das Land versteht die Aufregung nicht, auch  von SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger sei die „Schwerpunktsetzung so gewünscht“. Der lässt jedoch über MFG ausrichten als Bundesminister kommentiere er Einzelfälle nicht, „das ist schon die Verantwortung und Kompetenz des Landes“. Christoph Reisner, Präsident der NÖ Ärztekammer, befürchtet eine „Verschlechterung der medizinischen Versorgung – was wohl nicht politisches Ziel sein kann“ und hat beim Land Hintergründe zur Entscheidung angefragt. Hinter der hitzigen Diskussion um „die Ortho“ verbirgt sich eine Grundsatzfrage: Soll das Land als Gestalter der Gesundheitsversorgung auf Zentralkliniken und Schwerpunktkrankenhäuser oder auf Teufel komm raus dezentralisieren? Momentan ist St. Pölten aufgrund weniger fehlender Bereiche noch kein Zentralklinikum, hinter vorgehaltener Hand sehen Experten in den Kliniken St. Pölten und Wiener Neustadt dafür jedoch geeignete Häuser. Offiziell schweigen sich viele Fachleute aus. Doch die Gretchenfrage, ob das Filetieren von Abteilungen Sinn macht, beantworten sie ohne Namensnennung meist sinngemäß: „Man hört täglich, dass man Patienten gesamtheitlich betrachten soll. Welchen Sinn macht es da einen Kranken im ganzen Land von einer Klinik in die andere zu führen?“