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St. Pöltens gute Seite

Ein echter Schwarzer!

Text Johannes Reichl
Ausgabe 03/2014

Erfolgsunternehmer, Lobbyist, reicher Schnösel, Schattenbürgermeister, Herr Obergscheit, Visionär – Josef Wildburger wird von seinen Zeitgenossen unterschiedlich wahrgenommen. Gar keine Meinung hat kaum jemand zu ihm, wie er umgekehrt zu allem eine Meinung hat und damit auch nicht hinterm Berg hält.

Diplomatie ist definitv nicht Wildburgers Hauptfach – der Mann polarisiert, was in einer brachial-gemütlichen österreichischen „Ja, aber“-Gesellschaft zwecks Reibungswiderstand vielleicht gar kein Nachteil ist. Wobei sich Wildburger selbst ohnedies mehr down to earth sieht. „Im Grunde bin ich ein echter Schwarzer!“, lacht er, und spielt damit nicht etwa auf seine politisch bürgerliche Prägung an, sondern seine Zunft: Wildburger ist quasi Niederösterreichs „Oberrauchfangkehrer“, ein Big Gambler im Rußgewerbe mit Zweigstellen in St. Pölten und Gmünd.
Auch wenn der „Herr Doktor“ vielen St. Pöltnern als „Mastermind der Plattform 2020“ und als Politagitator, also eher von der akademisch-strategischen Ebene her bekannt ist, spielt der Rauchfangkehrerbetrieb eine fundamentale Rolle. Da ist Historie im Spiel! Bis ins 12. Jahrhundert lässt sich die Geschichte der Willburger von Wilburg zurückverfolgen, einem adeligen Rittergeschlecht aus der Bodensee-Region, das erst rund 600 Jahre später aufgrund eines Abschreibfehlers um ein Binnen-d bereichert wurde. „Seitdem heißen wir Wildburger“, schmunzelt der Nachfahre.
Spätestens ab Mitte des 18. Jahrhunderts ist auch der Rauchfangkehrerbetrieb belegt und kreuzen sich die Wege der Wildburger mit St. Pölten. „Damals, 1751, erhielt eine mit meinem Urgroßvater verschwägerte Familie die Rauchfangkehrerkonzession!“ Ein beliehenes Gewerbe, das – der Atem der Habsburger währte lange – bis 1973 als Maria Theresien Konzession aufrecht war, die den Wildburgers aufgrund ihrer Vererbbarkeit über Generationen hinweg den Berufsstand sicherte. Irgendwann brachte es die „Dynastie“ auf über zehn Betriebe, wobei manch Vorfahre bereits damit begonnen hatte, seinen unternehmerischen Geist auch auf andere Felder auszudehnen. Der Großvater etwa erfand Kaminaufsätze, Großonkel Bruno gründete einen Installations- und Anlagenbaubetrieb, die ehemalige Spedition Gärtner und das heutige Reisebüro wurden von Großtante Trude Koch betrieben, Wildburgers Vater studierte Pharmazie und betrieb „nebenher“ die Alte Spora Apotheke.
Eat The Rich. Die Familie erarbeitete sich so über die Jahrhunderte einen gewissen Wohlstand und sozialen Status – man verstand sich als bürgerliche Unternehmer und wurde von der Bevölkerung auch so wahrgenommen, zugleich, und das prägt Wildburger bis heute, war man aufgrund der eigenen Betriebe immer auch in direkter Tuchfühlung zur arbeitenden Bevölkerung.
Freilich bildeten sich über die Jahrhunderte bisweilen gewisse Standesdünkel heraus, die allerdings familienintern wieder überwunden wurden. „Die großbäuerliche Linie seitens meiner Großmutter wurde etwa lange Zeit vor mir eher nicht erwähnt, obwohl sie aufgrund ihrer Mitgift vieles überhaupt erst finanziell ermöglicht hatte. Und bei meinen Eltern war es noch so, dass meine Mutter bis zwei Wochen vor der Hochzeit nicht einmal das Haus betreten durfte, weil sie meiner Großmutter als Kleingewerbetreibende als nicht gut genug galt“, schüttelt Wildburger den Kopf. „Allerdings wird mein Großvater Josef als das genaue Gegenteil beschrieben: großbürgerlich, großzügig, generös, tolerant: Er hat sogar Alimente für Ausrutscher seiner Gesellen bezahlt.“
Die Eltern ließen sich - auch dank Unterstützung des Großvaters - ohnedies nicht abhalten, Wildburger und seine zwei Geschwister sind der lebende Beweis dafür. Wie selbstverständlich wachsen sie im unternehmerischen Umfeld auf. Von seinen Eltern wird Wildburger unterschiedlich geprägt. „Mein Vater war der Schöngeist, humanistisch gebildet, historisch sehr interessiert – von ihm habe ich sicher meine diesbezüglichen Leidenschaften.“ Die Mutter wiederum ist die eigentliche Geschäftsfrau: „Sie ist eine unglaublich starke Frau. Im Grunde genommen hat sie den Rauchfangkehrerbetrieb geführt und uns gleichzeitig großgezogen. Von ihr haben wir Disziplin, Unternehmergeist, Managementfähigkeiten.“
Welche Rolle spielte das großbürgerliche Milieu? „Das ist natürlich zum Teil eine eigene Welt, in die du da hineingeboren wirst. Man ist mit vielen Unternehmerfamilien auf Du & Du, erlebt dadurch Siege und Niederlagen in diesem Bereich hautnah mit.“
Als Teil einer Elite habe er sich aber nicht gefühlt. „Ich glaube, es geht nicht um privilegiert, sondern es ist eine gewisse gesellschaftliche Automatik, wie du sozusagen wahrgenommen wirst. Ich kann mich gut daran erinnern, dass mich im Alter von 16 Jahren ein Lehrer fragte ‚Na, hast schon dein Moped gekriegt?‘, und mit 18 ‚Jetzt kriegst sicher einen Porsche.‘ D. h. es gab – und gibt – schon so eine Art ‚Eat The Rich‘-Mentalität, auch eine gewisse Neidgesellschaft. Dabei ist diese Automatik durchaus zweischneidig, denn selbstverständlich eröffnen sich für dich, wenn du so aufwächst, große Chancen. Zugleich ist da aber auch – von der Familie ebenso wie von der Gesellschaft – ein großer Druck.“
Möglicherweise liegt gerade in dieser Ambivalenz die Grundwurzel von Wildburgers Darstellungsbedürfnis, seines unbändigen Ehrgeizes sowie seiner Zielstrebigkeit. Er möchte allen beweisen, dass er auf niemanden angewiesen ist, keinen behütenden Background braucht.
 
Werkstatt der Weltverschwörrung. Schon in der Schule zählt er zu den Besten – und Aufmümpfigsten. „Ich war ein sehr guter Schüler – heute würde man wohl hochbegabt sagen“. So wie die heute derart Eingestuften, kämpft auch Wildburger mit ähnlichen Kollateralschäden: Er fühlt sich vielfach unterfordert, sucht den Reibewiderstand der Lehrer, eckt an und gilt alsbald als undiszipliniert – an Selbstbewusstsein mangelt es dem Jungen nicht. Einmal geht er sich beim Direktor beschweren, weil ein Lehrer schlechter sei als er. Ein anderes Mal organisiert er einen Testboykott, an dem die Klasse geschlossen teilnimmt. Die „Pädagogen“ reagieren „typisch“: Man versucht den Buben zu isolieren „neben mir durfte niemand mehr sitzen“, schließlich überlegt man den Rauswurf. „Mit einer Stimme Mehrheit durfte ich bleiben, aber es war symptomatisch: Was macht man mit einem begabten Schüler, der unbequem ist – man sieht ihn als Systemfeind. Soviel zum viel diskutierten Gymnasium als Hort der Elitenbildung.“
Verbittert ist Wildburger im Blick zurück aber nicht. „Es war keine belastende Zeit – es gab ja auch viele gute Lehrer – definitiv war es aber eine sehr prägende. Zum einen kristallisierte sich damals meine Führungskompetenz heraus, ich lernte, wie man Einfluss nimmt – die Schule war eine Art Werkstatt der Weltverschwörung. Zum anderen erkannte ich früh, dass das Leben eben nicht ‚gerecht‘ oder ‚perfekt‘ ist, sondern jedes Ding zwei Seiten hat, und es nicht um Maximum oder um Minimum geht, sondern darum, das Optimum herauszuholen!“
Was sich Wildburger in diesen Jugendtagen ebenfalls aneignet, ist ein philosophischer Unterbau, den er bemerkenswerterweise in der Katholischen Jugend erhält. „Der Dom zu St. Pölten war damals sehr liberal. Wir studierten die Religionskritiker und die Moralphilosophen, von Marx und Engels über Nietzsche und Freud bis hin zu Immanuel Kant und seinem kategorischen Imperativ.“ Auch die Faszination für den Renaissancemenschen als ein Ideal bildet sich in diesen Jahren heraus und wird ihn zeitlebens, selbst im Zuge seiner Firmengründungen, nicht loslassen.
Negative Auslese. Für seinen weiteren Werdegang ist die Sehnsucht, diesem Ideal möglichst nahe zu kommen, nicht ohne Bedeutung, denn anders als der übliche Maturant wählt Wildburger sein Studium nicht nach seinen Interessen aus, sondern trifft eine Art negative Auslese: „Nach der Matura hab ich mir überlegt: ‚Wovon verstehst du eigentlich am wenigsten?‘ Da lagen die Naturwissenschaften, die in meinem neusprachlichen Gymnasium eine geringere Rolle gespielt hatten, nahe.“
Wildburger inskribiert an der TU Technische Chemie, und muss – im Gegensatz zur Schule – zum ersten Mal kämpfen. Zugleich befeuert die intellektuelle Herausforderung einmal mehr seinen Ehrgeiz – am Schluss beantragt er Studienzeitverkürzung und gehört zu den ersten drei seines Jahrganges. Als „Belohnung“ flattert ein heißbegehrtes Fullbright-Stipendium an das MIT (Massachusettes Institute of Technology) in Cambridge/Boston ein. Eine Ehre, die den damals 22-Jährigen zugleich vor eine Grundsatzentscheidung stellt. „Sollte ich das Stipendium annehmen und damit den Weg in die Spitzenforschung einschlagen, mit dem Ziel einer der Besten der Welt zu werden, also z.B. den Nobelpreis anzustreben, oder übernehme ich unter anderem den elterlichen Betrieb und werde Unternehmer.“
Wildburger entscheidet sich letztlich für eine Art Mittelweg. Er hält der Heimat die Treue, bildet sich aber akademisch weiter. „Ich habe Verfahrenstechnik zu studieren begonnen mit Fokus auf Umwelttechnik, Brennstofftechnik, Gas- und Feuerungstechnik.“ Zum „Drüberstreuen“ beginnt er zudem ein Betriebswirtschaftsstudium, das er aber nicht abschließen wird – zu viel läuft parallel in Sachen „Karriereplanung“: So macht er „nebenher“ die Rauchfangkehrermeisterprüfung, die Prüfung zum Zivilingenieur für technische Chemie, erwirbt die Berechtigung zur Führung technischer Büros und Installationsbetriebe und erstellt als Uni-Assistent sowie Uni-Lektor diverse Gutachten. „Eine ganz wichtige Schule, weil ich dadurch ein Gespür bekam, was – auch verwaltungsrechtlich – möglich und plausibel ist und was nicht.“
Big Business. Als Wildburger 1989, mittlerweile zum Doktor promoviert, den elterlichen Rauchfangkehrerbetrieb übernimmt, fühlt er sich dank seiner Studien bestens gerüstet. „Mir war immer wichtig, dass ich niemals von jemandem abhängig bin. Ich muss eine Ahnung haben von allem, muss die Sachen beurteilen können.“
Der Wissenschaft und Forschung kehrt er dennoch nicht den Rücken, sondern implementiert diese in seine Berufswirklichkeit, ja versucht sein humanistisches Ideal der Verquickung von Lehre und Praxis in ein ganzheitliches Unternehmensmodell der Gegenwart zu gießen – die Geburtsstunde der KWI. „Wir wollten in der Unternehmensberatung, verknüpft mit der Ingenieursleistung, den Auftraggebern bei der Errichtung sowie dem Betrieb von Anlagen und Bauwerken ein System in die Hand geben, das rechtliche, technische und wirtschaftliche Belange zusammenführt.“ Wildburger träumt einmal mehr von „multifakultärer Interdisziplinarität“, stößt damit aber in einer monostrukturell aufgebauten Wirtschaftswelt rasch an Grenzen. „Im Grunde“, so gesteht er lachend und einigermaßen überraschend ein „bin ich grandios gescheitert!“
Es ist freilich ein „leichtes“ Lachen, denn die KWI entwickelt sich trotzdem äußerst positiv, am Schluss wird es sechs Firmen unter diesem Dach geben: eine Ingenieursleistungsfirma, eine Unternehmensberatungsfirma, eine IT-Firma, ein Wasser-, Schlamm- und Bodenlabor, eine Immobilienentwicklungsfirma sowie eine Business- und Projekt Development Firma, wobei letztere, kurz CAMCO genannt, die glamouröseste Entwicklung nimmt. „Wir brachten sie 2006 an die Londoner Börse, wo sie am Alternative Investment Market zum Börsengang des Monats avancierte.“ Im Schlepptau des Kyotoprotokolls und bei Einführung des Emissionshandelssystems der EU spezialisierte sich die CAMCO auf die Projektierung, Umsetzung und Vermittlung des ‚handelbaren CO2’ von großen Energieprojekten in Schwellenländern. Ein Erfolgsmodell „solange die EU an ihren ambitionierten Umweltzielen festhielt.“ Als sie aber damit begann, viel zu große Gratiskontingente zu vergeben, brach der CO2 Handel ein. Damit einhergehend zerbröselte auch der Wert der CAMCO von ehemals etwa 100 Millionen Euro „auf aktuell etwa 10 Millionen, wobei sie nach wie vor ein innovatives Unternehmen ist.“
Heute ist Wildburger bei der CAMCO „nur“ mehr ein major shareholder und member des advisory boards, wie er sich überhaupt – mit Ausnahme der Immobilienfirma – sukzessive aus der KWI zurückgezogen hat. „Der Zeitpunkt für den jeweiligen Verkauf war einfach gut“, erklärt er ohne Sentimentalität und blickt zufrieden zurück. „Die ehemalige KWI Holding AG hat selbst sicher über 100 Arbeitsplätze geschaffen und aus Folgefirmen sowie Abspaltungen entstanden wohl weitere 1.000 Jobs.“ Dass Wildburger geschäftlich gerade an den „old school“ Unternehmen – dem Rauchfangkehrerbetrieb sowie der Installationsfirma, die er 1992 gegründet hatte – festhielt, ist wohl auch kein Zufall. Zuletzt sah er seinen Grundansatz der umfassenden Beratung zusehends zu einem sich selbst erhaltenden System pervertiert. „Das Niveau in manchen Bereichen der Wirtschaft ist ja rapide gesunken. Heute geht es im Qualitätsmanagement oft nicht mehr um die Qualität des Endproduktes an sich, sondern das Hauptaugenmerk wird auf die Dokumentation gelegt, auch wenn das bedeutet, dass einfach nur immer schlechtere Qualitäten festgehalten werden. Es gibt eine immer mehr ausufernde Anzahl an Personen – im Beauftragtenwesen für eh Alles, Projektmanager, Projektsteuerung, Projektcontrolling, externe Bauherrenvertretung etc. – die im Grunde oft nichts Substanzielles leisten, außer Unmengen von Papier und elektronische Datenfriedhöfe zu produzieren, die dann wieder evaluiert werden müssen, und damit den finanziellen Aufwand in astronomische Höhen treiben. Bestes Beispiel dafür war zuletzt der Skylink des Flughafen Wien. In so einem Markt hat es mich einfach nicht mehr zu arbeiten gefreut!“
Ebenso ging Wildburger die überbordende Verpolitisierung zusehends gegen den Strich. „Gerade im Consultance-Bereich wirst du immer öfter gezwungen, Gefälligkeitsmeinungen zu vertreten – das stürzt dich als Person aber in einen moralischen Konflikt. Sollst du sagen, dass etwas falsch ist – dann kriegst du den einen Auftrag gar nicht. Oder sollst du es wider besseren Wissens machen, dich also verbiegen, weil es ja nicht nur um dich allein geht, sondern um deine Mitarbeiter und ihre Familien, die am Unternehmen dran hängen.“ Als ein Beispiel bringt Wildburger das „an sich gute“ Technopol-Konzept des Landes. „Da ist St. Pölten à priori ausgeschlossen worden, obwohl es objektiv der beste Standort ist. Das konnte ich einfach nicht vertreten.“ Mit dem Verkauf der KWI-Firmen habe er sich „letztendlich Freiheit erkauft. Heute bin ich als One-Man-Show unterwegs und wirtschaftlich unabhängig!“
„Politiker“ im Schatten. Dass Politik dabei nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, empfindet Wildburger nicht als Widerspruch. „Es geht bei meiner Tätigkeit ja letztlich um die Umsetzung sachpolitischer Inhalte.“ Auch, dass er in seiner Funktion als Obmann der Plattform 2020 selbst zu einem politischen Faktor der Stadt geworden ist, stellt Wildburger nicht in Abrede – es kollidiert auch nicht mit seinem Verständnis von Demokratie. „Ich verstehe meine Rolle sicher nicht nur als Berater, sondern als handelnde Person der zweiten Reihe im Hinblick auf die Umsetzung polit-strategischer Ziele. Das ist schon eine einflussreiche Position.“ Eine, die den KURIER einmal sogar vom „Schattenbürgermeister“ sprechen ließ. Hat ihm das gefallen? „Also, wenn man es positiv meint im Sinne, dass da jemand ist, der vieles einbringen kann zum Wohl der Stadt, dann freut es mich durchaus. Wenn es aber negativ gemeint ist im Sinne, der Bürgermeister sei so schwach und hänge an meinem Gängelband, dann ist es natürlich völlig lächerlich, weil es nicht stimmt – in dem Sinne wäre es nur beleidigend.“
Warum er überhaupt lieber im Schatten, sprich im Hintergrund die Fäden zieht, begründet Wildburger mit seinem Naturell: „Ich bin einfach lieber der Regisseur als der Schauspieler.“ Dabei stand in Vergangenheit durchaus einmal auch der Schritt in den Vordergrund im Raum. Als er als Wirtschaftsbundvorstandsmitglied in St. Pölten und als Funktionär der Bezirkswirtschaftskammer eine Reorganisation der Systeme fordert und sich in leitender Funktion anbietet, stößt er rasch auf Widerstand gewisser Kreise in der Volkspartei. „Im Unterschied zu anderen wollte ich halt nicht nur gescheit daher reden, sondern auch etwas umsetzen“, meint er rückblickend und fügt emotionslos hinzu „dadurch fanden meine politischen Ambitionen relativ rasch wieder ein Ende. Mit manchen Leuten wollte ich auch nichts zu tun haben. Heute bin ich froh darüber! Wenn ich sehe, dass früher von mir respektvoll gesehene, überbezahlte Nationalbankdirektoren die Konkursverhinderung einer Lokalbank – etwas, was für jeden Unternehmer mit Gefängnis enden würde und mit einer unvorstellbar hohen Summe zu 100% zu Lasten des Steuerzahlers geht – als wirtschaftlich probates Mittel empfehlen, und eine Bundesregierung diesen Rat annimmt, dann kann ich nur wiederholen, wovor ich seinerzeit schon gewarnt habe: Das Management der Mittelmäßigen führt uns direkt in die Diktatur der Dilettanten!“
St. Pölten 2020. Dass sich mit der Plattform 2020 quasi eine andere agitatorische „Spielwiese“ auftat, hat sich – wenn ab einem gewissen Punkt vielleicht auch unter Nachhilfe – letztlich so ergeben. Als der damalige Bürgermeister Willi Gruber 2004 an die KWI und Wildburger herantrat, die Stadt beim Aufbau einer Wirtschaftsservicestelle zu beraten, war dies der Auftakt einer intensiven Zusammenarbeit, welche eine Reihe von Ergebnissen und Prozessen zeitigte: Ecopoint – die Wirtschaftsservicestelle der Stadt wurde gegründet; der in Auflösung befindliche City-Club wurde, unter Einbezug sämtlicher City-Player – also neben Handel auch Gastro, Hausbesitzer, Institutionen, Politik etc. - als Innenstadt-Plattform (heute Plattform 2020) auf neue Beine gestellt; die Erstellung eines Masterplans für die Innenstadt wurde in Angriff genommen. Alsbald dehnten sich diese Überlegungen auf die gesamte Stadt aus.
Als der Masterplan 2008 mit großem Trara präsentiert wurde, machte sich bei manchen – möglicherweise aufgrund einer zu hohen, herbeipropagierten Erwartungshaltung – Enttäuschung breit: War das nicht bloß eine lose Aneinanderreihung von Überschriften, mehr Nabelschau denn Blick nach vorne, standen doch auch viele längst auf Schiene befindlichen Projekte wie Bahnhofsneubau oder die Vertiefung der Fachhochschule auf der Agenda.
In Wildburgers Augen haben diese Kritiker damals nicht den Kern der Sache bzw. deren innere Logik begriffen. „Das Ganze ist ja ein strukturierter Aufbauprozess, basierend auf einem gemeinsamen Bild der Zukunft, einer Vision. Im ersten Schritt ging es natürlich unabdingbar darum, einmal den Ist-Zustand zu erheben – auch die Beschlüsse, die sozusagen schon gefasst waren. Dass da etwa der Bahnhof und Ähnliches dabei waren – na Gott sei Dank – denn wenn es hierfür keine nahe Realisierungsperspektive gegeben hätte, hätte ich mich erst gar nicht engagiert!“
Der nächste Step umfasste die Fragen „wo wollen wir hin mit der Stadt, was fehlt, was macht überhaupt Sinn, weil wir dafür schon gute Voraussetzungen haben, etc.“ Erst als diese Vision definiert war, konnte man sich der Frage ihrer Realisierung zuwenden, „welche Strategie also zielführend ist und welche Instrumentarien und Organisationsmodelle überhaupt notwendig sind, um die Politik bei der Umsetzung zu unterstützen.“ Herausgekommen ist dabei ein Private Public Partnership, die Stadtentwicklungs GmbH (mittlerweile Marketing St. Pölten GmbH), an der die Stadt 40% und die Plattform 2020 60% hält. Ein bisschen erinnert das Konstrukt in seiner Grundidee an ein Sozialpartnerschaftsmodell: Unter Einbindung möglichst aller involvierten Interessensgruppen wird bereits im „vorpolitischen“ Bereich versucht, Leitlinien abzustecken, Umsetzungen auf Schiene zu bringen, Konflikte, wenn möglich, auszuräumen. Der Gemeinderat nickt das so Ausverhandelte mehr oder weniger ab. Ist die Marketing St. Pölten GmbH in diesem Sinne so etwas wie die Gralshüterin der Vision und des Masterplanes, so ist sie im operativen Bereich, nomen est omen, mittlerweile tatsächlich zum kommunalen und standortbezogenen Marketinginstrumentarium geworden.
Ein Erfolgsmodell, wie Wildburger überzeugt ist, das er auch mit Zahlen untermauert: So konnte in einer bereits 2012 gelegten Zwischenbilanz die en gros positive (wirtschaftliche) Entwicklung der Hauptstadt im letzten Jahrzehnt nachgewiesen werden, ein Umstand, den sich nicht zuletzt die Plattform 2020 als Verdienst auf ihre Fahnen heftet. Dabei geht es Wildburger beim Visionsprozess gar nicht um das „Spektakuläre – wir müssen sicher nicht größenwahnsinnig werden“, sondern als solider Fluchtpunkt aller Bemühungen steht letztlich der simpel klingende, aber substanzielle Vorsatz „St. Pölten zu einer prosperierenden Mittelstadt zu machen. Unsere Aufgabe ist es, einen gesunden Wachstumsprozess zu unterstützen!“ Einen, der nach Wildburgers Überzeugung primär von der Wirtschaft getragen werden muss. „Schon Bill Clinton sagte zurecht: ‚It‘s the economy stupid‘. D. h. es geht um wirtschaftlich gesundes Wachstum, dem die Bevölkerungsentwicklung und alles andere in logischer Konsequenz folgen.“ Wobei sich Wildburger als Anhänger realistischer Wachstumsgeschwindigkeiten outet. Noch heute ärgert er sich über ehemals angestellte Bevölkerungsprognosen im Vorfeld der Hauptstadterhebung, die von 80.000 und mehr St. Pöltnern bis zum Jahr 2000 fantasierten. „In Wahrheit waren diese Studien völlig an den Haaren herbeigezogen, und jene, die sie machten, ebenso wie jene, die sie politisch propagierten, agierten akademisch verantwortungslos. Durch die falsche Prognose wurde eine völlig überzogene Erwartungshaltung heraufbeschworen, die u.a. in einer sehr schädlichen kleinen lokalen Immobilienblase Niederschlag fand.“ Dies hätte die Entwicklung St. Pöltens nachhaltig verzögert. „Im Grunde genommen treten wir erst jetzt in die Phase, in der wir unser Potenzial wirklich ausschöpfen können.“
Potenziale. Dass Potenzial alleine freilich auch nicht immer ausreicht – und hier kommt wieder die Politik ins Spiel – musste Wildburger zuletzt in Sachen privater Gesundheitsuniversität, für die er sich stark gemacht hatte, bitter zur Kenntnis nehmen. Eine solche wurde nämlich nach Landesintervention und dank Landesförderung in Krems errichtet „obwohl die Voraussetzungen in St. Pölten wegen des NÖ Landesklinikums eindeutig besser sind. So etwas ist schon frustrierend, weil dieser Prozess ja irreversibel ist – mit all seinen negativen Auswirkungen auf den gesamten Raum.“ Nicht geschlagen gibt sich Wildburger dafür in der Frage einer Tiefgarage unter dem Bischofsgarten, womit wohl auch die Vision eines „gänzlich stellplatzfreien, nicht autofreien Domplatzes“ ein gutes Stück realistischer werden würde. „Ich hoffe, dass dies in Kirchenkreisen vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder spruchreif wird.“
Aktuell geht Wildburger aber auch mit einer neuen Idee für St. Pölten schwanger, die einmal mehr seinem Renaissance-Ideal geschuldet scheint: Die Verquickung von Handwerk und Bildung. „Dieses Entweder-oder, also hier Theoretiker, dort Praktiker ist völliger Nonsens. Ganz im Gegenteil, die duale Ausbildung wird weltweit immer wichtiger – jeder Meister muss auch ein guter Theoretiker sein.“ Gerade St. Pölten mit seiner langen industriellen und gewerblichen Tradition sowie seiner Ausstattung mit hervorragenden pädagogischen Einrichtungen wie WIFI, NDU, HTL usw. würde sich als Standort für eine vertiefende Verschmelzung von Handwerk und Bildung, auch auf akademischer Ebene, geradezu anbieten.
Ein ohne jeden Zweifel spannender Gedanke, den Josef Wildburger wieder – wie alle seine Visionen für St. Pölten – mit Verve und voller Überzeugung vertreten wird. Nötigenfalls auch gegen Widerstand und auf die Gefahr hin, als Herr Obergscheit zu gelten, wie ihm bisweilen vorgeworfen wird. „Ich weiß, dass ich manchmal zu professoral und oberlehrerhaft rüberkomme, mitunter zu ungeduldig bin, eine vorgefasste Meinung habe und das Gegenüber manchmal gar nicht erst richtig aussprechen lasse“, überrascht er diesbezüglich mit einem gehörigen Schuss Selbstreflexion, um dann aber im selben Atemzug lachend hinzuzufügen: „Nur, wirklich falsch liegen tue ich halt auch nicht oft!“