MFG - Voll das Leben
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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Voll das Leben

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2013

Er ist einer der „großen Alten“ der Stadt: Josef „Sepp“ Weidinger. Der legendäre „rote“ Baumeister führte zu Spitzenzeiten nicht nur ein Bauimperium mit fast 1.000 Mitarbeitern, sondern erlebte noch Systemzeit und Zweiten Weltkrieg hautnah mit, gehörte dem sagenumwobenen Club 45 an und erfand sich beruflich mit 65 Jahren notgedrungen nochmals neu. Über einen 89-jährigen Jungspund.

Wenn man ein bisschen erahnen möchte, wie Josef Weidinger tickt, braucht man nur das seinen Memoiren vorangestellte Zitat zu lesen: „Körperlich ist er leistungsfähig und gewandt, zeigt jedoch nur geringe straffe Haltung. Großer Unfleiß und unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht sind die Ursachen für den minderen Gesamterfolg des nur mäßig begabten Jungen.“ Das sind nicht, wie unschwer erkennbar, die hochtrabenden Weisheiten eines Philosophen, sondern es handelt sich um die Beurteilung Weidingers durch seinen Klassenlehrer der 6. Klasse. Da schimmert schon ein bisschen dieser feine, lebensbejahende Humor durch, mit dem Weidinger auf die Welt um sich blickt, gepaart mit einem Schuss Verschmitztheit. Zugleich wirkt es wie eine dem damaligen Lehrer, der zugleich das eigene Schicksal verkörpert, unter die Nase geriebene Antwort: „Da bist du aber schön falsch gelegen. Schau her, was aus mir geworden ist!“ Ein junger alter Mann von 89 Jahren, der durchaus gelassen auf ein erfülltes, wenngleich herausforderndes Leben zurückzublicken scheint, das er mit folgender, dem Buch vorangestellter Zeile, so zusammenfasst: „Wundervolle und stürmische Jahre voller Leben“.
Ein Herz in Wagram
Ein Leben, das sich – obwohl Weidinger die halbe Welt bereist hat – wohn- und herzenstechnisch immer um den Kristallisationspunkt Wagram-Purkersdorferstraße abgespielt hat, wo er noch heute in seinem in den 80’er Jahren selbst errichteten Haus lebt. Nur einen Katzensprung davon entfernt wirft die ehemalige Zwetzbachermühle ihre Schatten in den Garten herüber, als wären es zugleich die Schatten der eigenen Vergangenheit – immerhin wurde Weidinger im ersten Stock der Mühle geboren. „Dahinter war ein großer Bauernhof, das war unser Spielplatz.“ Dort verbrachte der Junior vornehmlich seine Zeit, wenn er nicht gerade im Wirtshaus im Erdgeschoss steckte – freilich nicht als Gast, sondern interessierter Beobachter der Szenerie sowie helfende Hand, führte seine Mutter doch den Betrieb. Der Vater wiederum war Baumeister, selbstredend dass das Unternehmen nur einen Steinwurf von der Mühle entfernt lag.
Mit der Zwetzbachermühle wuchs der kleine Sepp zugleich, nichts ahnend, in einem sehr politischen Umfeld auf. Immerhin war Josef Zwetzbacher, der Christlichsozialen Partei zuzählend, Landeshauptmann Stellvertreter von Niederösterreich. Da konnte es schon vorkommen „dass Engelbert Dollfuss, wenn das große Tor zugesperrt war, durch die Wirtsstube durchmarschierte.“ Viel Aufsehen erregte dies allerdings nicht, da faszinierte den etwa zehnjährigen Buben die Bildhauerarbeit von Wilhelm Frass, der im Zwetzbacher Hof die große Dollfuss-Säule für den Domplatz schuf, schon mehr.
Obwohl im Wirtshaus der Mutter sowohl Bauern als auch Arbeiter anzutreffen waren, „die sich im Großen gut verstanden haben, eine einigende Klammer war diesbezüglich die Feuerwehr“, bekam der Junge doch auch die allmähliche Radikalisierung der Gesellschaft mit. „Einmal etwa spielte im Pavillon im Park eine Musikkapelle auf. Als sie den Freiheitsmarsch anstimmte, mussten sich die Musiker rasch verstecken, weil man sie verprügeln wollte.“ Und auch auf den Baustellen des Vaters schlägt sich der Riss durch die Gesellschaft unmittelbar durch. „Mein Vater hatte 1936 den Auftrag bekommen, einen Teil der Berufsschule zu bauen, und stellte dafür Maurer aus Wagram an. Immer wenn der damalige Vizebürgermeister Müllner zur Kontrolle auftauchte, nahmen die Wagramer Reißaus, weil sie nicht der Vaterländischen Front angehörten.“
Eine „wilde“ Zeit
Eingebrannt hat sich Weidinger auch der Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1938. „Da war ein unvorstellbarer Jubel auf den Straßen. Ich wollte mir auch gleich ein kleines Hakenkreuz anheften, weil mir das so gefallen hat – aber das haben mir meine Eltern verboten.“
Freilich nicht aus Antipathie gegenüber dem neuen Regime, „sondern aus Respekt vor Zwetzbacher.“ Den Nazis standen die Weidingers durchaus positiv gegenüber. „Es waren ja fast alle pro Hitler. Da war einfach eine große Hoffnung spürbar, dass jetzt alles besser wird. Es gab ja damals zig Arbeitslose – bei uns im Wirtshaus sind sie gesessen, und konnten sich gerade mal ein Viertel Most leisten – mehr war nicht drin.“
Als Weidinger 1942 im Alter von 18 Jahren – der vermeintliche Blitzkrieg ist mittlerweile Alltag geworden – zu den Panzerpionieren in Klosterneuburg einrücken muss, glaubt er „nach wie vor wie die meisten von uns an den Endsieg.“ Er gelangt nach Frankreich, wo er bei einer Brückenkolonne eingesetzt wird. „Das waren rund 150 LKW! In Süd-Lyon haben wir etwa eine 120 Meter lange Brücke über die Loire gebaut. Nach 24 Stunden war sie fertig und der erste Königstiger, damals der schwerste Panzer, konnte drüberfahren“, ist er noch heute von der Ingenieurskunst fasziniert: „Dort habe ich eigentlich erst richtig bauen gelernt.“
Es ist ein böser Zynismus des Schicksals – in gewisser Weise auch Ausdruck eines kriegsimmanenten Alltagsirrsinns – dass er am 8. März, also kurz vor Ende der Kriegshandlungen, in ein Gefecht mit Folgen verwickelt wird. „Unser Feldwebel war so betrunken, dass er anstelle Richtung Deutschland – wie unser Befehl lautete – unabsichtlich genau in die Gegenrichtung fuhr, also dem Feind direkt in die Arme.“ Weidingers Tross gerät unter Beschuss. „Ich bin vom Lastwagen hinunter gehechtet, habe mich hinterm Hinterrad verschanzt und wurde von einem Explosivgeschoss gestreift.“ Als er sich wieder hervorwagt, liegen auf dem Lastwagen fünf tote Kameraden, und seine rechte Hand scheint nur mehr Matsch zu sein.
Weidinger kommt ins amerikanische Kriegslazarett, „wo 20.000 Verwundete von rund 3.000 Ärzten versorgt wurden – die meisten waren deutsche Ärzte in Kriegsgefangenschaft.“ Glück im Unglück für Weidinger, denn ein Arzt namens van Ackeren kann seinen rechten Arm vor der Amputation retten. Den Ringfinger verliert er aber dennoch. Erst Ende 1945 kehrt der junge Mann aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Wenn man ihn heute nach einem Fazit über die Kriegsjahre fragt, meint er fast lakonisch: „Es war eine wilde Zeit.“
Und dann kam Emmi
„Eine schreckliche Zeit“ werden für ihn, wie er es formuliert, auch die ersten Nachkriegsjahre. „Ich musste ja plötzlich alles mit links machen – links zeichnen, links schreiben lernen – das kann ich bis heute nicht sehr gut.“ Trotzdem beißt sich der junge Mann auf der technischen Hochschule durch und avanciert 1956 zum staatlich geprüften Baumeister. Dass er trotz seiner Behinderung nicht vor „Selbstmitleid“ zerfließt, verdankt er seiner robusten, stets lebensbejahenden Art. „Ich war immer ein positiver Mensch! Außerdem gab es doch so viele schöne Mädchen und Vergnügungen“, lächelt er verschmitzt.
Die schönste von allen war aber Emmi, die er gegen Ende der 50’er Jahre bezeichnenderweise in der „Kurvenbar“ – auch diese selbstredend in seinem Wagramer Grätzel situiert – kennen und lieben lernt. „Emmi war die große Liebe meines Lebens“, schwärmt er, und noch heute beginnen seine Augen zu leuchten, wenn er von seiner verstorbenen Gattin erzählt. „Sie war nicht nur unheimlich hübsch, sondern vor allem blitzgescheit.“
Die ehemalige RAVAG Journalistin, die späterhin selbst zur St. Pöltner Ikone avancierte, weil sie mit ihrer Boutique EMMI quasi die Haute Couture in St. Pölten einführte, bringt drei Kinder in die Beziehung mit ein – für damalige Verhältnisse, wir befinden uns im Sechzigerjahre-Mief einer prüden Provinzstadt, Grund genug für echauffiertes Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Die Nonkonformisten Sepp und Emmi lassen sich davon aber nicht entzweien, und heiraten schließlich – wenngleich geheim – 1966 in Salzburg. Der Beginn einer lebenslangen Ehe.
Als Emmi 2002 überraschend stirbt, ist das „der größte Schmerz meines Lebens“, wie Weidinger gesteht. Wieder ist es seinem lebensbejahenden Naturell zu danken, dass er die tiefe Trauer schließlich überwindet. „Ein Mensch muss das aushalten“, sagt er heute fatalistisch, und seine „Bibi“, wie er seine Frau nannte, scheint nach wie vor allgegenwärtig. Nicht nur, dass bereits das Haus selbst, das zum Großteil von ihr geplant worden war, Ausdruck ihres weltoffenen und großzügigen Charakters darstellt, hat Weidinger zudem überall Bilder des gemeinsamen Lebens aufgehängt. Auch ihr Zimmer hat er so belassen, wie es war.
Der „rote“ Baumeister
Emmi hat auch Weidingers gesamtes Berufsleben, alle Höhen und Tiefen, von Anfang an miterlebt und mitgelebt. Als Weidingers Vater 1959 stirbt, übernimmt der Sohnemann gemeinsam mit seiner Schwester den väterlichen Betrieb. Was wie eine Selbstverständlichkeit wirkt, ist vor allem eine Herzensangelegenheit. „Am Bauen hat mich eigentlich alles interessiert: Das Handwerk, die Baustoffe, das Planen, die zwischenmenschlichen Prozesse.“ In seinem Buch, und das gibt durchaus Einblick in seinen Zugang zum Beruf, hat er dem Kapitel über das Bauunternehmen folgendes Zitat vorangestellt: „Du musst geben, bevor du nimmst, und bauen, bevor du wohnst.“ Bauen als Prozess, „in dem es immer um ein Miteinander geht.“ Und auch um Netzwerken, Umgarnen, Einkochen – eine Klaviatur, die der gesellige und leutselige Baumeister ausgezeichnet zu spielen versteht: „Das war sicher eine Stärke von mir. Im Grunde genommen war ich ja mein Leben lang auf Auftragssuche.“
Aufträge, die er mit Fortdauer der Jahre mit zunehmendem Maße vor allem von SPÖ-nahen Institutionen, Genossenschaften, Gemeinden und Betrieben bekommt, was ihm alsbald den Titel „roter Baumeister“ einträgt. Eine politische Punzierung, die aber weniger parteipolitischer Überzeugung, denn kühler Pragmatik geschuldet scheint. „Ich bin in Wahrheit kein politischer Mensch! Tatsächlich ist die ganze Parteipolitik ja kindisch. Es geht immer nur ums Gewinnen, nie ums Teilen. Aber durch die Politik haben sich Zugänge erschlossen. Und da die schwarze Hemisphäre damals schon von Julius Eberhardt besetzt war, blieb mir nur die rote“, schmunzelt er.
Club 45
In dieser steigt er bis in die höchsten Kreise auf. Parteisekretäre, Gewerkschaftsbosse, Spitzenfunktionäre, Bürgermeister, Genossenschaftspräsidenten, ja selbst Bundeskanzler Kreisky und sein Stab zählen zu Weidingers Gästen und Freunden. Auch im berühmt-berüchtigten Club 45 von Udo Proksch wird er Mitglied, inmitten von „Künstlern, Ministern, Bankdirektoren, Industriekapitänen – das war ein buntgemischtes Publikum.“ An Udo Proksch selbst erinnert sich Weidinger „als guten Gastgeber. Er war ein sehr auffälliger Typ.“ Für einen Mörder hält er ihn hingegen nicht. „Er wollte einen Versicherungsbetrug inszenieren, weil er Geld brauchte. Dass am Schiff auch noch die Mannschaft war, als sie es versenkten, war glaub ich ein Unfall, nicht Vorsatz.“
Und wie stand es um die angeblichen Ausschweifungen im Club 45? Da schüttelt Weidinger herzhaft lachend den Kopf. „Also, mag ja sein, dass manche Herren nachher noch irgendwohin auf ein Gspusi entschwunden sind, aber dort in den Räumen des Demel ist sicher nix gewesen. Das war ja eine hochseriöse Angelegenheit, wo es regelmäßig Veranstaltungen gesellschaftlicher Natur gegeben hat – auch Emmi war oft mit. Und es gab die besten Schinkenfleckerl der Welt!“ Vor allem sei der Club 45 aber ein idealer Ort zum Netzwerken gewesen, wo man rasch und unkompliziert ins Gespräch kam. „Ich kann mich etwa erinnern, dass die VOEST für die Stadt Wien Fertigteilhäuser bauen sollte, und wir konnten das genausogut. Da hab ich Rüdiger Proksch, den Bruder von Udo, gebeten, mir einen Termin bei Bürgermeister Gratz einzufädeln. Dieser kam auch tatsächlich zustande und war eine Angelegenheit von gerade mal fünf Sekunden. Gratz meinte nur: ‚Jo, des mach ma!‘, und ich hatte plötzlich einen Auftrag für 500 Häuser in der Tasche!“
Gut geschmiert?
Inwiefern, was der Baubranche ja gerne nachgesagt wird, zur Erlangung derartiger Großaufträge auch geschmiert werden musste, ist wohl eine Frage des Blickwinkels. Weidinger erzählt dazu folgende Geschichte: „Ich habe dem Marsch – das war der Parteisekretär vom Kreiksy und ein guter Freund von mir – einmal als Dankeschön 100.000 Schilling als Parteispende mitgebracht. Da hat er gemeint ‚Das ist lieb Sepp, aber steck das wieder ein. Das ist bei uns nicht erwünscht.‘“
Kleinere Dienste, wie etwa das Aufstellen von Wahlplakaten oder manch Robe für die Damen seiner Geschäftspartner „deren Konfektionsgrößen Emmi alle kannte“, waren für Weidinger hingegen Selbstverständlichkeiten. „Mit Korruption hatte das aber nichts zu tun. Das ist ja das Jämmerliche heute. Früher hat man nichts dabei gefunden, wenn man einem Freund geholfen bzw. sich für Hilfe bedankt hat. Es war alles viel ehrlicher. Heute hingegen traut sich keiner mehr irgendetwas. Dadurch gehen aber die freundschaftlichen Beziehungen flöten, die Lockerheit ist verloren gegangen“, ortet er einen übertriebenen Kontrollzwang und ein too much an political correctness, die in Wahrheit verlogen sei „weil die wirklichen Gfrasta, wo es um 100.000e Euro und mehr geht, sowieso nicht erwischt werden.“
Dass man umgekehrt seine Kontakte nutzte, was heute gemeinhin unter dem ebenfalls in Verruf geratenen Begriff „Lobbying“ verstanden wird, sei nicht nur selbstverständlich, sondern existenziell gewesen. „Ich war ja immer unterwegs in fishing for Aufträge, da konnte man sich nicht zurücklehnen.“
Gefallener Engel
Trotz all seiner Beziehungen kann Weidinger aber nicht verhindern, dass sein Unternehmen und bisheriges Lebenswerk – immerhin gilt er mit seinem Stoff „Prefab“ u. a. auch als Pionier der Fertigteilbranche in Österreich – in einer Art kalter Enteignung Ende der 80’er verloren geht – das Ergebnis einer Intrige, wie er überzeugt ist. Nach Einstieg seiner Hausbank BAWAG bei der Neuen Reformbau wird seine Firma zum „Problemfall“. Plötzlich ist einer zu viel im Genossenschaftsteich – und der zu viel bzw. das schwächste Glied in der Kette ist Weidinger. „Wir hatten damals zwar hohe Schulden, zugleich aber volle Auftragsbücher – die Umsatzzahlen erreichten die Milliarden-Grenze, der Personalstand bewegte sich um 1.000 Mitarbeiter.“ Fast traumatisch hat sich ihm jener „unschöne Tag“ eingebrannt, als er und seine Schwester nichts ahnend einer „Einladung“ von BAWAG Generaldirektor Flöttl nach Wien folgen und sich in dessen Büro plötzlich einem regelrechten Tribunal aus Bankern gegenüber sehen. Noch vorort wird Weidinger vor die Alternative gestellt: Entweder er stimmt zu, dass die BAWAG seine Baufirma übernimmt, oder es wird Konkurs verhängt. „Da hab ich unterschrieben.“ Noch am selben Tag fahren in St. Pölten „in einer Wild West Attacke“, wie es Weidinger formuliert, die Banker vor und besetzen die Büros. „Nur mich haben sie komischerweise in Ruhe gelassen“.
Mit einem Mal fällt der rote Baumeister von ganz oben nach ganz unten. Von den honorigen Genossen und Bussifreunde ist nichts mehr zu sehen „weil sie sich nicht mit der Gewerkschaft anlegen wollten. Es war, als hätte ich plötzlich überhaupt keine Freunde mehr“, erinnert er sich zurück. Und während andere im Alter von 65 Jahren ihren wohlverdienten Ruhestand antreten, heißt es für den Baumeister nochmals zurück zum Start: „Ich hatte ja noch Schulden am Haus, musste also arbeiten.“
Im Keller seines Hauses richtet er sich „als Alleinunterhalter“ ein Architektur- und Planungsbüro ein. Seinen ersten Auftrag erhält er – die St. Pöltner Genossen haben ihren Sepp im Gegensatz zu den Wienern nicht vergessen – von der Wohnungsgenossenschaft St. Pölten: „Da habe ich praktisch vom ersten Krawattenknopf bis zur letzten Türklinke alles selbst gezeichnet“, erzählt er nicht ohne Stolz. Und er macht seine Sache so gut, dass alsbald das Geschäft wieder floriert.
Auch ein Schuss Genugtuung widerfährt ihm: Bald nach der Übernahme seiner Firma meldet sich nämlich der Generaldirektor der Neuen Reformbau bei ihm. Offensichtlich ist man zur Erkenntnis gelangt, dass man zwar den Feind aus dem Weg geräumt, mit ihm aber auch den talentierten Auftragsfischer und seine lukrativen Kontakte verloren hat. „Daher hat er mir einen Konsulentenvertrag angeboten. Für jeden an Land gezogenen Auftrag sollte ich ein Honorar in Höhe von 3% der akquirierten Summe erhalten – das hat mir natürlich sehr gefallen“, schmunzelt Weidinger.
Unruhestand
In den Ruhestand ist er daher nie wirklich getreten, „und selbst heute fühl ich mich nicht als Pensionist, obwohl ich natürlich einer bin – alles andere ist ja lächerlich!“
Aber „Ruhestand“ trifft es nun wirklich nicht. Nach wie vor läuft Weidingerst Geist wie ein Duracel-Häschen und lässt die meisten Jüngeren einigermaßen alt aussehen. Auch körperlich trotzt er, so gut es eben noch geht, dem Zahn der Zeit: „Jeden Tag in der Früh setze ich mich für eine halbe Stunde auf den Heimtrainer.“ Im Anschluss fährt er mit dem Auto ins Punschkrapferl zum Frühstücken, danach frönt er dem, was er immer am meisten liebte: Dem Kontakt mit Menschen, dem „Netzwerken“, „wobei einer der großen Vorteile des Alters darin besteht, dass man sich seine Gesprächspartner aussuchen kann“, lacht er.
Solch gern gesehene Gesprächspartner und Gäste sind unter anderem seine ehemaligen Klassenkameraden, die alljährlich – seit 1946 – bei Weidinger das Klassentreffen zelebrieren. Mitte September ist es wieder soweit, Weidinger ist schon mitten in der Planung. Wie viele da überhaupt noch kommen? Weidinger setzt sein verschmitztes Lächeln auf, überlegt kurz, und meint dann in Anlehnung an den Filmklassiker „Das dreckige Dutzend“: „So ungefähr das letzte Dutzend!“
Seinen Humor, seinen Optimismus und seine ungebrochene Neugierde hat sich Weidinger bis heute erhalten, ebenso wie sein Gespür für die Schönheiten des Lebens. Sie halten ihn jung. Als er inmitten des Gesprächs plötzlich fragt „Und, trink ma an Champagner?!“, und das an einem Montag um 14 Uhr herum, kann die Antwort daher nur lauten: „Unbedingt!“ Voll das Leben eben – und das steckt immer im Moment, nie im Alter.