MFG - Sankt Bruck an der Swap
Sankt Bruck an der Swap


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St. Pöltens gute Seite

Sankt Bruck an der Swap

Text Michael Müllner
Ausgabe 02/2015

Letzen Sommer wurde in Bruck an der Leitha kräftig durchgeatmet. Am Handelsgericht Wien hatte Richterin Elfriede Dworak ihr Urteil im Streit zwischen der Bezirksstadt und der Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB) gesprochen. Sie ordnete der Bank an rund 450.000 Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen. Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Urteil für das laufende Gerichtsverfahren um ein Spekulationsgeschäft zwischen der Stadt St. Pölten und der RLB ziehen? Sind die Fälle vergleichbar – oder handelt es sich um Äpfel und ... Orangen?

Auch bei Bruck an der Leitha war es die RLB, die mit einer im Jahr 2000 eigens gegründeten Abteilung Gemeinden mit Finanzgeschäften versorgte. Im November 2003 wurde ein Rahmenvertrag unterzeichnet, kurz darauf folgte das erste Geschäft, das schon nach ein paar Monaten mit einem Gewinn von 102.502,19 Euro für die Gemeinde geschlossen wurde. Nachvollziehbar, dass im Jahr 2005 die neugewählte Bürgermeisterin wieder in Gespräche mit der Bank trat, um „Einnahmen für das Budget zu lukrieren.“ Es folgte im Juni 2006 ein Zins-SWAP mit einem Nominale von zehn Millionen Euro – und jeder Menge Zores. In ihrem Urteil stellte Richterin Dworak Aspekte fest, die uns auch im St. Pöltner Fall immer wieder begegnen. So sei das Geschäft von der Gemeinde abgeschlossen worden, ohne dass diese rechtliche Beratung oder die Expertise eines Finanzberaters eingeholt hätte. Der Bank war klar, dass die Gemeindevertreter keine Fachleute waren. Die Bank habe die Ansicht vertreten, dass das Geschäft nicht von der Gemeindeaufsicht zu genehmigen sei – über diesen Aspekt wird auch in St. Pölten gestritten. Auch der Verkäufer des SWAPs konnte nicht nachvollziehen, aufgrund welcher Parameter das von ihm verkaufte Produkt strukturiert war, der ermittelte Marktwert war ihm ebenso wenig bekannt, wie dem Kunden. St. Pölten verfügte mit Ernst Knoth jedoch über einen Finanzdirektor, der jahrelange Erfahrung mit Spekulationsgeschäften hatte.
Unbekannter Marktwert
Auch wenn es im St. Pöltner Rathaus nicht die gleichen Möglichkeiten zur Bewertung des Geschäfts gab, wie in der Bank – mehr Sachverstand kann man den St. Pöltner Akteuren im Vergleich zum Fall Bruck/Leitha nicht absprechen. Doch gerade das Nichtwissen um den negativen Marktwert zum Geschäftsabschluss, wurde für die 8.000 Seelengemeinde Bruck nachträglich zum Glücksfall.
Anfangs war das Geschäft für die Stadt lukrativ, Ende 2007 drehte sich die Wirtschaftslage und es entstanden Verluste. Im September 2007 betrug der Marktwert minus 950.000 Euro, da dämmerte allmählich den Stadtpolitikern, dass dieses Geschäft wohl mehr Risiko in sich barg, als die Verkaufsbroschüre und die Powerpoint-Präsentation vor dem Gemeinderat damals den Anschein machten. Ende 2008 nutzte die Bank ihr Kündigungsrecht. Die RLB hatte das Geschäft nur vermittelt, die eigentlich dahinterstehende Bank wollte die Kündigung um „die Schäfchen ins Trockene zu bringen“, wie es Dworak trocken formuliert. Der Gemeinde wurde die Kündigung so verkauft, dass diese auch für sie ein Vorteil sei, sie erfolgte sogar einvernehmlich. Als die Stadt die Restzahlungen an die Bank nicht im Budget unterbrachte, stundete die Bank großzügig – auch zukünftige Gegengeschäfte waren angedacht, um die Gemeindeverluste zu begrenzen.
Erst ein Sachverständigengutachten aus 2011 machte der Gemeinde bewusst, dass das ihr im „worst case scenario“ mit einem „minimalen theoretischen Restrisiko“ dargestellte Geschäft in Wahrheit vielmehr mit einem negativen Anfangswert ausgestaltet war, dass es also von Anfang an gar nicht ein „neutrales“ Geschäft war, sondern dass es zu Ungunsten der Gemeinde ausgestaltet war. Da die RLB die Gemeinde bei diesem hochkomplexen Produkt mit „grundsätzlich der Höhe nach unbegrenztem Verlustrisiko“ beraten hatte, hätte sie alle Informationen geben müssen, die sie selbst hatte, etwa dass sie Partnerin einer Zinswette sei und somit einen Interessenskonflikt habe. Oder den negativen Marktwert zum Abschlusszeitpunkt. Für das Gericht war glaubhaft, dass das Geschäft in diesem Fall nicht geschlossen worden wäre: Wer schließt schon als Laie ein Geschäft, mit dem er etwas verdienen will, wenn er am Anfang schon mit über 130.000 Euro „im Minus“ ist?
Was sagt uns das nun über den Fall St. Pölten? Dass Verkäufer der Bank ihren Kunden Produkte verkauft haben, die sie selbst gar nicht verstehen konnten. Dass es ein breit angelegter Geschäftsbereich war, der lange Zeit hochlukrativ für Bank und Kunden gelaufen ist. Dass mit dem Erfolg auch immer weniger über konkrete Risiken nachgedacht wurde.
Unbegrenztes Verlustrisiko
Genehmigungspflicht des Geschäftes bei der NÖ-Gemeindeaufsicht? Nein, das ist doch kein Kredit! Ein Anlegerprofil lassen wird den Bürgermeister erst unterschreiben, als neue gesetzliche Vorgaben dies nötig machen. Im Fall von Bruck an der Leitha wurde im Urteil festgehalten, die „Bürgermeisterin hinterfragte diese Einstufung nicht.“ Soviel Gedankenlosigkeit kann man St. Pölten nicht vorwerfen. Das besagte Anlegerprofil erhielt Knoth im Jänner 2008, am 17. März unterschrieb es Stadler. Diskussionen gab es bestimmt, immerhin lag der klagsanhängige SWAP damals schon in Schieflage. Hätte Stadler die Unterschrift verweigert, die Bank hätte das Geschäft wohl geschlossen. Ein Verlust wäre realisiert worden, irgendwer hätte irgendwen klagen müssen. Doch das Profil wurde abgezeichnet, das Geschäft lief weiter, der negative Marktwert stieg – von damals vier auf über 80 Millionen Euro.
Spannend scheint vor dem Hintergrund des Brucker Urteils auch der negative Anfangswert des Geschäfts. Parallelen sind hier nämlich mit Vorsicht zu genießen. In Bruck gab es keine Vorauszahlung, in St. Pölten war aber gerade diese „Upfront-Zahlung“ der Anreiz der Spekulation. Die Kernargumentation von Richterin Dworak, die Gemeinde hätte nicht gewusst, dass sie mit einem Minus ins Wettrennen geht, trifft für St. Pölten nicht zu. Im Rathaus wusste man natürlich, dass das Geschäft einen negativen Anfangswert hat – dieser war als Upfront-Zahlung am Stadtkonto bereits verbucht. Und nur über die Höhe der Margen und Provisionen der Banken, die den negativen Anfangswert auch deutlich beeinflussen, wird man wohl keinen Prozess gewinnen.
Findet St. Pölten erfolgreich eine Grundlage für die Vertragsanfechtung? Wie beurteilt der Gerichtsgutachter das Geschäft, wie beurteilt der Richter das Handeln der Akteure? Es bleibt spannend. Aber rechnen Sie nicht mit einem schnellen Prozess!
OGRIS BLEIBT
Wieso der Ablehnungssenat den Richter nicht befangen sieht.
Der dreiköpfige Ablehnungssenat am Handelsgericht Wien wies den Antrag von St. Pöltens Rechtsanwalt Lukas Aigner auf Abberufung von Richter Martin Ogris wegen mangelnder Objektivität in seiner Entscheidung vom November 2014 ab. Bei einem Ablehnungsantrag sei nicht über die richtige oder unrichtige Rechtsauffassung eines Richters zu entscheiden – dafür gibt es die Rechtsmittelinstanzen, die Entscheidungen und Urteile der Richter prüfen. Als Befangenheitsgründe seien in erster Linie private, persönliche Beziehungen des Richters zu einer Prozesspartei zu sehen.
Wenn ein Richter jedoch in freier Rede, auch mit Eifer und Leidenschaft, Kritik übt, so dürfen ihm dabei auch „Ausrutscher“ unterlaufen, auch ohne dass dadurch seine Objektivität in Frage zu stellen sei. Im konkreten Fall sei auch für einen unbeteiligten Dritten, der sich in die Lage der Klägerin versetzt, die Äußerung von Ogris nicht so zu verstehen gewesen, dass sie sich alleine gegen die Klägerin oder ihre Repräsentanten richtete. Die Äußerung sei zwar unsachlich gewesen, eine Befangenheit könne darin aber nicht erblickt werden. Grundsätzlich wird auch festgehalten, dass bei der Prüfung der Unbefangenheit eines Richters im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen sei. Zugleich sollen Parteien aber nicht die Möglichkeit erhalten, sich eines nicht genehmen Richters per Ablehnungsantrag zu entledigen.
Ende November legte die Stadt Rekurs an das Oberlandesgericht Wien gegen den Beschluss des Ablehnungssenates ein. Mit einer Entscheidung dieser letzten Instanz ist im Frühjahr 2015 zu rechnen.