MFG - Kommt Zeit, kommt Rat
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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Kommt Zeit, kommt Rat

Text Michael Müllner
Ausgabe 06/2015

Es geht um 80 Millionen Euro. Und es geht seit mehr als einem Jahr nichts weiter. Beim STP-SWAP-Prozess um ein missglücktes Spekulationsgeschäft hat die Stadt wieder ein paar Monate Zeit gewonnen. Warum nichts weiter geht – und warum keiner große Eile hat.

Im Streit mit der Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB) wird die Stadt von Rechtsanwalt Lukas Aigner vertreten. Ein Wortgefecht bei der Verhandlung im Mai 2014 führte zu einem Ablehnungsantrag durch Aigner – er empfand Handelsgericht-Richter Martin Ogris als befangen und forderte darum einen Ersatzrichter. Im April 2015 stellte die letzte Instanz am Oberlandesgericht Wien (OLG) fest, dass die Äußerungen von Ogris keine Befangenheit darstellen würden. Eine Entscheidung „die es zu respektieren gilt“, wie auch Aigner betont. Bereits im November 2014 hatte die RLB die Stadt auf 66,9 Millionen Euro geklagt – in der Klagebeantwortung dieser Widerklage brachte Aigner damals ebenfalls einen Befangenheitsantrag gegen Ogris ein, den er jedoch aufrecht hielt, bis eben auch in dieser Widerklage der Ablehnungssenat feststellte, dass Ogris nicht befangen war. Keine große Überraschung, dennoch waren wieder einige Wochen verstrichen. Bis Mitte Juni könnte die Stadt nun gegen diese Entscheidung neuerlich beim OLG berufen – dem Vernehmen nach wird man sich diese sinnlose „Ehrenrunde“ aber sparen.
Womit es so aussieht, als könnte Martin Ogris schon bald wieder einen Verhandlungstermin ansetzen, oder? Doch auch hier gibt es ein kleines Problem. Als Stadt-Anwalt Aigner die Widerklage der RLB beantwortete, beantragte er auch einen Richtersenat für dieses Verfahren. Formell sind die ursprüngliche Klage (der Stadt gegen die Bank) und die Widerklage (der Bank gegen die Stadt) zwei Paar Schuhe. Praktischerweise werden derartige Verfahren jedoch normalerweise vom Gericht zusammengezogen, ein Richter entscheidet in beiden Klagen, zumal diese inhaltlich oft fast deckungsgleich sind. Die STP-SWAP-Causa ist aber bekanntlich nicht ganz normal.

Alles ist lösbar

Wenn in der Klage nur Martin Ogris als Einzelrichter richtet, in der Widerklage jedoch ein Richtersenat (Ogris hat den Vorsitz, mit ihm entscheiden ein zweiter Berufsrichter sowie ein Laienrichter) so ist das etwas tricky. Oder wie es Gerichtssprecher Alexander Schmidt ausdrückt: „So einen Fall habe ich in dreißig Jahren Richteramt zwar noch nicht gehabt, aber alles ist lösbar. Vor dem Sommer wird es jedoch sicher keinen Verhandlungstermin geben.“ Das wundert uns nicht.
Doch warum macht das der Aigner? „Ich kann versichern, ich weiß nicht mal, wann in St. Pölten gewählt wird“, erwidert er auf die Frage, ob etwa wahltaktische Gemütlichkeit ein Motiv sei. Da angeblich nicht mal Bürgermeister Matthias Stadler weiß, wann er die St. Pöltner 2016 zur Wahlurne schicken wird, ist auch Aigner diesbezüglich höchst glaubwürdig. „Ganz ernsthaft, es gab weder seitens des Bürgermeisters noch von jemand anderen jemals die leiseste Andeutung, dass ich in irgendeiner Art und Weise auf Parteipolitik oder Wahlen Rücksicht nehmen solle“, stellt Aigner energisch klar. Sein Auftrag sei die Vertretung der Interessen der Stadt in diesem Zivilrechtsstreit, das sei völlig losgelöst von der politischen Ebene.
Dennoch liegt auf der Hand, dass die St. Pöltner momentan keine große Eile spüren. Die Zahlungen an die Bank aus dem strittigen Geschäft hat man per Gemeinderatsbeschluss am 31.03.2014 eingestellt, von der Bank fordert man rund 10 Millionen Euro zurück, die Bank hingegen will 67 Millionen von der Stadt. Die Materie ist hochkomplex, der Schaden für beide Seiten gewaltig. Da ist eine einfache, rasche Lösung wohl Illusion.

Vergleichsphantom
Und: Kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht liegt in einem halben Jahr (oder in drei) ein richtungsweisendes Höchstgerichtsurteil vor, das auch in Sachen STP-SWAP einen Anhaltspunkt liefert? Vielleicht ergeben sich bei der Bank andere Interessen und man will den Ewigstreit lösen? Vielleicht kommen neue Entscheidungsträger, die sich leichter von schiefgegangenen Geschäften der Vorgänger distanzieren und die emotionsfrei an die Sache herangehen? Wer weiß, am Ende kann man sich vielleicht doch auch außergerichtlich einigen?
Womit wir beim berühmt-berüchtigten Vergleichsphantom wären. Immer wieder geistert das Gerücht herum, es gäbe Geheimverhandlungen. Was bizarr anmutet, da ja beide Seiten im Brustton fanatischer Überzeugung auf Biegen und Brechen beschwören, dass sie den absolut stärksten Prozessstandpunkt hätten. Und wie soll ein Vergleich aussehen, wenn man um rund 80 Millionen Euro streitet und ein Urteil in erster Instanz nicht mal ansatzweise absehbar ist?
Vor diesem Hintergrund wurde auch das Mandat von Lukas Aigner im Gemeinderat heftig diskutiert. Aigner gründete Anfang des Jahres eine neue Kanzlei und demnach wurde er von der Stadt mit der Vertretung neu beauftragt. Ein bloßer Formalismus, doch im Mandat stand, dass Aigner zum Abschluss von Vergleichsverhandlungen berechtigt sei. Falscher Alarm beruhigte der Bürgermeister, das strittige Geschäft sei nichtig, darum gibt es keinen Grund für einen Vergleich, vielmehr will man von der RLB Geld zurück. Und selbst wenn es ein Vergleichsergebnis gäbe, würde dieses natürlich nur vom St. Pöltner Gemeinderat abgeschlossen.

Laufend Gesprächsstoff

Dass es aber tatsächlich laufend Gespräche zwischen den Streitparteien gibt, kann angenommen werden. Vergleichsverhandlungen sind diese jedoch nicht, viel eher gilt es den Prozessfahrplan abzustimmen. Zwar wurde seit 13 Monaten nicht öffentlich verhandelt und auch Richter Ogris war durch den Ablehnungsantrag „stillgelegt“, dennoch galt es technische Fragen zu erläutern: Wie berechnet sich der Streitwert und daraus die Zinsen? Wie soll das Verfahren weitergehen? Prozessuale Routinefragen also.
Wirklich spannend wird es sobald der Prozess im Herbst weiter geht und sich die Parteien womöglich auch auf einen Gutachter einigen. Dieser könnte Licht in so manche ständig wiederkehrende Frage des Prozesses bringen, vor allem zur Bewertung des strittigen Geschäftes. Und vielleicht macht manche Zeugenbefragung auch mehr Sinn, wenn man schon zu den Erkenntnissen des Gutachters befragt?
Zuerst muss aber mal bis Herbst geklärt werden, welche Richter in Zukunft die Verfahren in Klage und Widerklage leiten werden.

RICHTERSENAT Eigentlich wurden Richtersenate bei derartigen Streitfällen in den 80er-Jahren abgeschafft, jedoch kann durch eine Streitpartei bei Klageeinbringung bzw. bei der Klagebeantwortung (wie im vorliegenden Fall) ein Senat verlangt werden. Dabei entscheidet dann der vorsitzende Richter (Martin Ogris) gemeinsam mit einem zweiten Berufsrichter vom Handelsgericht Wien und einem Laienrichter. Dieser muss aus einer Liste an branchen- und fachkundigen Experten ermittelt werden. Senatsbesetzungen führen in der Regel zu längerer Verfahrensdauer, da eben mehrere Terminkalender koordiniert werden müssen und auch die Auswahl der Laienrichter nicht immer unproblematisch ist – im vorliegenden Fall wird es etwa nötig sein, dass dieser völlig unbefangen vom heimischen (Raiffeisen-)Bankensektor ist.

DER STREIT Jahrelang hatte St. Pölten lukrativ am Finanzmarkt spekuliert und mit Zins- und Währungsspekulationen gute Geschäfte gemacht – damals war das auch für Körperschaften öffentlich Rechts üblich, gehörte fast zum guten Ton der „aktiven Schuldenbewirtschaftung“. Als aber manche Geschäfte ins Minus drehten, wurden diese mit neuen Geschäften (und höherem Risiko) ausgeglichen – irgendwann blieb ein verlustträchtiges Geschäft über, SWAP 707843 ist nun Gegenstand einer Klage am Handelsgericht. Die Stadt fühlt sich von der Bank über den Tisch gezogen, möchte rund zehn Millionen Euro zurück und sieht das im Jahr 2007 geschlossene Geschäft als nichtig an. Die Bank behauptet hingegen, sie habe nur ein Geschäft geliefert, wie es die Stadt verlangt hatte und dessen Risiko sie stets verstanden habe.