MFG - Wozu braucht St. Pölten die NEOS?
Wozu braucht St. Pölten die NEOS?


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St. Pöltens gute Seite

Wozu braucht St. Pölten die NEOS?

Text Michael Müllner
Ausgabe 09/2015

Mit ihrem Einzug in den Nationalrat erlebten die NEOS vor zwei Jahren einen Hype. Nun ist man in der mühevollen Realität des Politalltags angekommen. Nach den Wahlkämpfen in Oberösterreich und Wien steht auch eine pragmatische Entscheidung für 2016 an: Braucht St. Pöltens nächstjähriger Gemeinderatswahlkampf überhaupt die NEOS?

Wenn es um St. Pölten und die NEOS geht, so ist Wolfgang Grabensteiner der Mann der ersten Stunde. Schon im „Liberalen Forum“ (LIF) war er tätig, bevor dieses nach einer „Beobachterphase“ mit den NEOS fusionierte. „Wir hatten schon damals im LIF gute Leute dabei, der Weg zu NEOS war also nicht selbstverständlich. Wir kannten einen Matthias Strolz oder eine Beate Meinl-Reisinger damals nicht – und wenn doch, dann waren sie ja eigentlich politische Konkurrenten im ÖVP-Umfeld“, schmunzelt Grabensteiner, wenn er auf die letzten Jahre zurückblickt. Auch St. Pölten hat eine liberale Geschichte: Mit dem „Narrnkastl“-Gastronomen Otto Schwarz zog das LIF 1996 in den Gemeinderat ein. Was hat sich seither verändert, was darf sich St. Pölten von den NEOS erwarten? „Wir kommen ohne Promis aus, das wird auch in St. Pölten so sein. NEOS wählt man wegen der Inhalte“, stellt Grabensteiner rasch klar. Nach der Wien-Wahl werden die nächsten Weichen gestellt, die Kandidatenliste wird wohl Anfang 2016 von der niederösterreichischen Landesversammlung beschlossen werden. Rund um Landessprecher und Nationalrat Nikolaus Scherak und Regionalkoordinator Ulrich Mayer, der 2015 in Michelbach mit 15 Prozent in den Gemeinderat gewählt wurde, wird hinter den Kulissen bereits am Wahlkampf gearbeitet.
Die üblichen Verdächtigen
„Das politische System in St. Pölten ist auch heute noch sehr starr. Hinter dem freundlichen Gesicht des Herrn Stadler verbirgt sich in der zweiten und dritten Reihe der SPÖ noch genug ‚Wir-sind-wir‘-Mentalität. Aber gerade weil wir in den letzten zwanzig Jahren in St. Pölten gewaltige Fortschritte gemacht haben, die Stadler-Ära deutlich besser ist als die Gruber-Ära, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um St. Pölten aus den Strukturen von Vorgestern zu befreien“, gibt Grabensteiner die Leitlinie vor. Was das konkret heißen soll? „Die Entwicklung des Glanzstoffareals ist eine gewaltige Chance, die Gefahr ist aber spürbar, dass wir sie vergeben. Sehen wir uns um: Die üblichen Verdächtigen kommen ja schon zum Vorschein, die roten und schwarzen Wohnbaugenossen. Wir sehen die Gefahr, dass die wirklich Innovativen und Kreativen – Stichwort NDU – nur zur Dekoration eingebunden sind, unserer Meinung nach müssen wir diese Kräfte hingegen wirklich arbeiten lassen. Darauf werden wir Wert legen“, so Grabensteiner.
„Generell soll sich der Gemeinderat konstruktiv und ohne parteipolitische Scheuklappen für die Stadt einsetzen. Ein schönes Negativbeispiel ist die lächerliche Kritik um das TTIP-Handelsabkommen, über das sich der Gemeinderat den Kopf zerbricht: völliger Unfug, reine Beschäftigungstherapie für Gemeinderäte. Hier administriert Stadler die Parteilinie, wahrscheinlich ist er inhaltlich sogar schon weiter, als er zugibt. TTIP ist jedenfalls kein Gemeinderatsthema“, so Grabensteiner.
Auch Stadlers „Rollenvermischung“ als St. Pöltner Bürgermeister und Landeschef der SPÖ in Niederösterreich sowie auf SPÖ-Bundesebene kritisiert Grabensteiner. Ein Landeschef solle Landespolitiker sein. Das Argument von Stadler, St. Pölten profitiere von seinen Mehrfachfunktionen, deutet Grabensteiner so: „Wäre ich ein SPÖ-Funktionär im Waldviertel, würde mich das aufregen. Wenn St. Pölten tatsächlich so sehr profitiert, dann bestätigt Stadler ja seinen Interessenskonflikt, nur eben in schöne Worte verpackt.“
Ein Korrektiv sein
Sollte Grabensteiner als Spitzenkandidat nominiert werden und tatsächlich einziehen, wie würde er die Rolle anlegen? „Man gibt sich keinen Illusionen hin“, so Grabensteiner: „Wenn Stadler möchte, bleibt er so oder so Bürgermeister, das wissen alle. Die Frage ist, ob er weiterhin mit einer absoluten Mehrheit regieren kann – weiterhin im Allmachtsrausch und ohne jede Kontrolle. Oder ob die NEOS sein Korrektiv sein werden. Wir machen sicher keine Fundamentalopposition, wir wollen konstruktiv mitarbeiten und unsere NEOS-DNA einbringen für eine offene und visionäre Stadtentwicklung. Und wir wissen aus der eigenen Erfahrung im St. Pöltner Gemeinderat, dass auch eine kleine Fraktion oder nur ein engagierter Mandatar sehr viel roten Blödsinn verhindern kann.“ Dass ein Einzug der pinken Truppe tatsächlich an der Mandatsverteilung etwas bewegen und die rote Absolute verhindern kann, lässt sich rasch nachrechnen. Doch damit würde sich auch die Wiener-Neustadt-Option ergeben – alle gegen die SPÖ. Grabensteiner schließt diese Variante dezidiert aus: „Der NEOS-Einzug ist Garant dafür, dass es dieses Modell nicht geben wird. Eine Kooperation mit der FPÖ schließen wir aus.“
Und was würde sich konkret ändern, wenn die NEOS im Gemeinderat sitzen? Auch hier fallen Grabensteiner die großen Leitlinien und Themen ein, die auch den Wahlkampf befeuern sollen: „Wenn wir die Absolute der SPÖ brechen, brechen wir auch die jahrzehntelangen Seilschaften auf, den Filz bei Auftragsvergaben, die intransparente Stadtpolitik. Wir wollen das System durchleuchten und gewisse Beharrungskräfte – auch im Magistrat – gehörig fordern. Der Gemeinderat muss wieder volle Kontrollmöglichkeiten haben, gerade auch wenn es um die zahlreichen ausgegliederten Gesellschaften geht. Die Forderung, dass Gemeinderatssitzungen natürlich für alle Interessierten übertragen werden dürfen, auch im Internet, hatte schon Otto Schwarz vor Jahren erhoben. Seit Jahren scheitern wir in Österreich damit, die angekündigte Transparenz-Datenbank umzusetzen. Ich frage mich, warum St. Pölten nicht ein Role-Model für eine erfolgreich umgesetzte Transparenz-Datenbank auf Gemeindeebene sein sollte? Hier könnte sich der Bürgermeister wirklich profilieren. Zudem ist uns echte Bürgerbeteiligung ein zentrales Anliegen. Was am Domplatz im Kleinen angekündigt wurde, muss nun konsequent und auf möglichst breiter Basis umgesetzt werden. Ich denke, dass in diesen Prozess mehr Leute eingebunden werden sollten, als man anfangs angekündigt hat.“
Sündenfall Gemeindewohnung
Auch wenn es um das Wohnthema geht, nimmt sich Grabensteiner kein Blatt vor den Mund: „Die Wohn­bauförderung ist eine Umverteilung von unten nach oben, ein Trostpflaster für den Mittelstand, der sie zuvor ohnehin aus eigenem Steuergeld bezahlt hat. Die Idee, dass Kommunen wieder Gemeindewohnungen bauen, ist ein Sündenfall, bei dem sich nur die SPÖVP-Funktionäre in den Genossenschaften die Taschen füllen. Die NEOS-Lösung ist ganz einfach: Weg von der Objektförderung, hin zur Subjektförderung. Unserer Meinung nach gehören jene Leute unterstützt, die sich eben sonst die Miete nicht leisten könnten!“
Und zum städtischen Rechtsstreit mit einer Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien wegen eines missglückten SWAP-Spekulationsgeschäfts geht Grabensteiner hart mit Stadler ins Gericht: „Wie peinlich ist es für den Herrn Bürgermeister, wenn ein Gericht bestätigt, dass man zu blöd war, das eingegangene Risiko zu verstehen? Aber ich denke auch, dass die Verantwortlichen daraus gelernt haben. Als konstruktive Opposition wird es auch unsere Verantwortung sein, dass wir dem Bürgermeister bei einem sinnvollen Vergleich Solidarität zeigen. Denn das aktuelle Mega-Risiko einer Prozessniederlage sollte natürlich auf sinnvolle Art mit einem Vergleich reduziert werden. Es ist aber leider nicht zu erwarten, dass SPÖ und ÖVP vor der Gemeinderatswahl hier noch großes Engagement für eine Lösung zeigen werden.“
Kein Zweifel, die NEOS-Truppe steht vor dem Angriff auf die rote Bastion. Ob am Ende im St. Pöltner Rathaus mehr Pink ist, als die rosa Fassade, wird uns das nächste Jahr zeigen.

WHO’S NEOS?
Wolfgang Grabensteiner, Jahrgang 1966, kandidierte bereits bei der Nationalratswahl 2013 für die NEOS. Er ist verheiratet und hat sieben Kinder. Der studierte Theologe und Religionspädagoge war früher für die Diözese St. Pölten und die SOS Kinderdörfer tätig. Als evangelisch-methodistischer Pastor leitete er auch eine Gemeinde, heute ist er nur mehr Prediger. Beruflich entwickelte er sich zum selbständigen Trainer, Coach und Schulungsveranstalter. Seit 1997 leitet er zahlreiche Jugendqualifizierungsprojekte des WIFI-NÖ mit jährlich bis zu 1.500 Teilnehmern.