MFG - Für den Planeten in Bewegung
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St. Pöltens gute Seite

Für den Planeten in Bewegung

Text Sascha Harold
Ausgabe 11/2019

Mit der Fridays for Future Bewegung oder dem Klimavolksbegehren hat sich zuletzt vermehrt die Zivilgesellschaft für die Umwelt und das Klima stark gemacht. Was fordern die Initiativen und wie sind die Aussichten auf Erfolg?

Etwa 30 Menschen haben sich am 1. November vor dem St. Pöltner Hauptbahnhof versammelt, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Die Veranstaltung wurde von der Fridays for Future Bewegung organisiert, die auch in St. Pölten seit März aktiv ist und jeden ersten Freitag im Monat auf die Straße geht. Normalerweise seien es zwischen 50 und 100 Teilnehmer, erklärt Mitorganisatorin Sanea Hertlein. Die 19-Jährige hat heuer im BORG Krems maturiert und dort auch Probleme bekommen, weil sie wegen der Demos die Schule verpasst hat. Über ihre Motivation an der Demonstration teilzunehmen sagt sie: „Ich habe immer Interesse am Umweltschutz gehabt. Meine Großeltern hatten einen Bauernhof, ich habe bereits früh angefangen mich vegetarisch zu ernähren und das auch mein ganzes Leben durchgezogen.“ Umwelt- und Klimaschutz gehören derzeit zu den bestimmenden gesellschaftlichen Themen. Während es inzwischen weitgehende Einigkeit über die verheerenden Auswirkungen eines rasanten Klimawandels gibt, stehen konkrete politische Maßnahmen erst am Beginn. Das Klimaabkommen von Paris, das 2015 verabschiedet wurde (siehe Infobox), sollte als Nachfolger des Kyoto-Protokolls Maßnahmen definieren, um die globale Erderwärmung zu bremsen. Unter anderem der spätere Ausstieg der USA führte allerdings zum wiederholten Male die Flüchtigkeit solcher Abkommen vor Augen. Dürreperioden und Hitzewellen gaben Klimabewegungen in den letzten Jahren zusätzlichen Aufwind und führten auch zur Entstehung der Fridays for Future Proteste, die zunächst von Schülern ausgingen.
Inzwischen ist das Publikum bei den Demonstrationen gemischter, was sich auch am 1. November in St. Pölten zeigt. Von Kindern über Schülerinnen und Studenten bis hin zu Pensionisten sind zahlreiche Altersgruppen und Bevölkerungsschichten vertreten. Antje und Manfred, 50, sind hier, weil es „um unsere Zukunft geht.“ Das Klimathema sei für sie wichtig, weshalb sie auch an diesem Feiertag mitmarschieren würden. Für Jana, 22 und aus Baden, ist es v, a. wichtig, dass auch in kleineren Städten wie St. Pölten demonstriert wird. „Ich finde es toll, dass auch in St. Pölten etwas passiert. Ich bin da wegen der Umwelt und weil die Politik es nicht schafft, Alternativen zu schaffen.“ Die Demonstration könne das Anliegen insbesondere sichtbar machen und so Aufmerksamkeit schaffen. Auch für Benji, 25 und aus Wien, steht fest: „Wenn wir nichts tun, dann geschieht auch nichts.“
Politik am Zug
In der St. Pöltner Gemeindepolitik will man den Ball annehmen. Über alle Fraktionen hinweg ist zumindest die Dringlichkeit des Problems bekannt. „Das Klima und der Umweltschutz zählen zu den wichtigsten Themen der nächsten Jahrzehnte“, meint etwa FPÖ-Stadtrat Klaus Otzelberger. Er ergänzt allerdings, dass es schwer sein werde etwas zu ändern, wenn große Umweltsünder wie China, die USA, Russland und Indien wenig Bereitschaft für Verbesserungsmaßnahmen zeigen würden. Die Fridays for Future Bewegung sieht er dagegen kritisch: „Wenn man für Umweltschutz eintritt, sollte man dies auch leben, leider sind die Plätze nach den Demos der sogenannten ‚Umweltschützer‘ meist stark vermüllt, da die ‚Aktivistinnen und Aktivisten‘ ihren Mist einfach liegen lassen“.
Der grüne Gemeinderat Markus Hippmann schließt sich diesem Fazit nicht an: „Die Bewegung (Fridays for Future, Anm.) hat das Thema Klimawandel aus dem Hinterzimmer auf die Bühne geholt. Der Klimawandel betrifft uns alle gemeinsam, und durch diese Demos können die Entscheidungsträger nicht mehr daran vorbei – auch anderen Parteien ist plötzlich der Klimaschutz ein Anliegen, vor zwei Jahren war es, wenn überhaupt, nur ein kleiner Punkt im Programm.“ Vizebürgermeister Matthias Adl (ÖVP) schließt sich der grundsätzlich positiven Bewertung an, „weil sie die Verantwortlichen hoffentlich wachrüttelt.“ Dem Klimawandel räumt auch er oberste Priorität ein. Verbale Unterstützung bekommt die Bewegung auch von Vizebürgermeister Franz Gunacker (SPÖ), der in der Organisation vor allem ein Zeichen gegen Politikverdrossenheit und gegen „eine der größten Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen“ sieht. Für die Kommunalpolitik ortet er mehrere Aufgaben: „Wir in St. Pölten haben schon einige Maßnahmen gesetzt, die uns helfen mit den kommenden Herausforderungen zurecht zu kommen.“ Er hebt etwa die Errichtung des letzten Windparks 2015 positiv hervor. Notwendig, so Gunacker weiter, sei nun die Förderung und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs.
Problembewusstsein
Zurück bei der Demonstration wird die Zuversicht nicht von allen geteilt. Hertlein ist skeptisch, was die konkreten Maßnahmen angeht: „Es kommen oft sehr viele Ankündigungen aber wenig Konkretes. Was wir brauchen sind mehr Förderungen für nachhaltige Projekte, etwa erneuerbare Energien und eine ökosoziale Steuerreform.“ Um ihren Teil zur Lösung des Problems beizutragen, versucht Hertlein auch ihr eigenes Verhalten zu ändern: „Ich versuche öffentlich und mit dem Rad zu fahren und Second Hand einzukaufen.“ Gerade die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sei aber oft noch zu teuer. Auch die Teilnahme an den Demonstrationen wurde gerade für Schüler oft zum Problem, weil das Fehlen im Unterricht schwere Folgen haben kann. Hertlein kritisiert hier die Niederösterreichische Bildungsdirektion, von der es in der Sache keine Unterstützung gab. „Es hängt stark von den Schulen ab, ob es Unterstützungen dafür gibt, zu den Demos zu gehen“, erläutert Hertlein. Man habe als Reaktion auf viele Probleme von Schülern versucht, den Start der Demos nach hinten zu verschieben, um möglichst vielen die Teilnahme zu ermöglichen. Bildungsdirektor Johann Heuras sieht die Sache differenziert: „Grundsätzlich begrüße ich das Engagement von Schülerinnen und Schülern für den Klimaschutz sehr. Dieses Engagement sollte aber nicht anstatt der Schule, sondern in der Schule stattfinden.“ Dass sich Schüler politisch engagieren sei zwar zu begrüßen, aber, so Heuras weiter: „Natürlich sehe ich ein Problem, wenn während der Unterrichtszeit und nicht in der freien Zeit an Demonstrationen teilgenommen wird, die ursächlich nichts mit der Schule zu tun haben.“
Was folgt?
Über die genauen Folgen eines ungebremsten Klimawandels wird derzeit debattiert. Der Weltklimarat der UNO (IPCC) veröffentlicht regelmäßig Statusberichte, die den Stand der Forschung wiedergeben sollen. Zuletzt erschien im September ein Bericht zum Zustand der Ozeane und der Kyrosphäre des Planeten, der Folgendes festhält: „Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hat die globale Erwärmung dazu geführt, dass die Kyrosphäre weiträumig geschrumpft ist. Es ist praktisch sicher, dass sich der globale Ozean seit 1970 ungemindert erwärmt hat und mehr als 90% der zusätzlichen Wärme im Klimasystem aufgenommen hat. Seit 1993 hat sich die Geschwindigkeit der Ozeanerwärmung mehr als verdoppelt.“ Die Folgen dieser Erwärmung sind etwa ein Ansteigen des Meeresspiegels oder erhöhte Windgeschwindigkeiten und Niederschläge von tropischen Wirbelstürmen, was vor allem in Küstengegenden zu Problemen führt. Als Gegenmaßnahme wird vor allem eine „ehrgeizige Emissionsreduktion“ benannt.
Eine weitere Initiative, die diese Warnungen ernst nimmt und die Politik zum Handeln bewegen will, ist das Klimavolksbegehren, das derzeit in allen Gemeindebehörden oder digital per Bürgerkarte unterschrieben werden kann. Für Niederösterreich ist Giovanni Brizzi als Koordinatorin tätig. „Wir haben mehr als 500 Helfer, die uns bei der Kampagne unterstützen“, erklärt Brizzi. Derzeit gehe es vor allem darum, Bezirkskoordinatoren in allen niederösterreichischen Bezirken zu finden und anschließend Bezirksgruppen aufzubauen. Mehr als 50.000 Unterschriften hatte das Bündnis Ende September bereits gesammelt. 100.000 werden als nächstes Ziel ausgegeben. Helfen sollen weitere Aktionen in österreichischen Städten – auch für St. Pölten sind welche geplant. Vier zentrale Forderungen haben die Initiatoren des Klimavolksbegehrens formuliert (siehe Infobox). Werden die notwendigen Unterschriften erreicht, muss das Anliegen im Parlament debattiert werden. Ein Mehr an Klimaschutz hätte für Brizzi spürbare Konsequenzen: „Für St. Pölten würde die Umsetzung der Forderungen des Klimavolksbegehrens eine Trendumkehr bedeuten: Nach Jahrzehnten steigender Lärm- und Feinstaubbelastung wäre endlich Entspannung in Sicht. Der intensivierte öffentliche Nahverkehr würde die verstopften Stadteinfahrten entlasten, sodass sowohl Auto- als auch Öffifahrer schneller an ihr Ziel kommen.“
Ob Fridays for Future, Klimavolksbegehren oder andere Initiativen, vermehrt organisieren sich Menschen, für die der Klimaschutz die größte Herausforderung der nächsten Zeit ist und die sich von der Politik dabei nur unzureichend unterstützt fühlen. Das Bewusstsein scheint inzwischen zumindest in Europa geweckt zu sein – auch im Zuge der momentan laufenden Koalitionsverhandlungen wird dem Klima hohe Priorität zugewiesen. Ob aus diesen Lippenbekenntnissen konkrete Maßnahmen erwachsen und ob diese angesichts einer globalen Problemlage auch greifen, wird die Zeit zeigen. Die Uhr tickt.
INFOBOX
PARISER KLIMAABKOMMEN
Das Übereinkommen von Paris wurde auf der UN-Klimakonferenz in Paris verabschiedet und sieht die Begrenzung der globalen Erderwärmung auf weniger als 2 Grad vor. Die USA kündigten Mitte 2017 als einziges Land der Erde ihren Austritt aus dem Abkommen mit 2020 an. Neben der Emissionsbegrenzung betont das Abkommen die Notwendigkeit sogenannter negativer Emissionen – also der Entfernung von
bereits freigesetztem CO2 aus der Atmosphäre.
FORDERUNGEN KLIMAVOLKSBEGEHREN
Das Klimavolksbegehren formuliert
die folgenden vier Forderungen:
• Zukunft ermöglichen: Klimaschutz in die Verfassung
• Zukunft sichern: Stopp klimaschädlicher Treibhausgase
• Zukunft fördern: Klimaschutz belohnen und niemanden zurücklassen
• Zukunft gestalten: Verkehr und Energie nachhaltig machen