MFG - „Wir sind keine Querulanten“
„Wir sind keine Querulanten“


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

„Wir sind keine Querulanten“

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2019

Es ist ein herrlicher Novembervormittag bei rund 15 Grad im Schatten, vom ALFRED aus hat man einen Blick bis weit hinein in die Voralpen und vom neuen Bühnenturm des VAZ St. Pölten lächelt das Frequency-Raumschiff herüber.

Ich sitze mit Friedl Nesslinger, Stefan Gloss und Karl Mayr bei einem Kaffee – allesamt verdiente und honorige St. Pöltner, die sich seit geraumer Zeit in der „Plattform Pro St. Pölten“ engagieren. Wie militante Revoluzzer sehen die drei Herren in ihrem seriösen Auftreten wahrlich nicht aus, und auch wenn sie ab und an für ihre Sache auf die Straße gehen, so passiert dies gesittet im Zuge „kritischer Stadtspaziergänge“. „Querulanten sind wir sicher nicht“, betont sodenn Mayr und weist damit den bisweilen unter der Hand (von Gegnern) erhobenen Vorwurf, es handle sich beim Verein um eine Ansammlung reaktionärer Bestandsbewahrer, die alles Neue (Bauliche) per se verhindern möchten, zurück. Tatsächlich sind es kritische Bürger, die – teils auch aus persönlicher Betroffenheit – nicht jede bauliche Entscheidung in der Stadt unhinterfragt hinnehmen möchten und manches schlicht anders beurteilen, als die entscheidenden Behörden bzw. manch Bauwerber.
Am Anfang war die Glanzstoff
Ihren Ursprung nahm die Plattform 1994, als man gegen eine geplante Industriemüll-Verbrennungsanlage der damals noch in Betrieb befindlichen Glanzstoff-Fabrik mobil machte. „Günther Bannholzer, der erste Obmann, hat damals 9.000 Unterschriften gesammelt“, erzählt Mayr. Über einige Jahre zog sich der „Kampf“ gegen das Projekt, „das täglich wohl geschätzte 50 LKW-Züge Müll von überall her mitten durchs Wohngebiet geführt hätte“, bis der Betreiber schließlich dem Druck nachgab und die Einreichung Anfang der 2000er-Jahre zurückzog. Die Glanzstoff war auch Grund der Reaktivierung der Plattform 2008. Als nach dem Brand der Fabrik eine Wiedereröffnung im Raum stand, sammelte die Plattform über 3.500 Unterschriften, um den Druck auf die Behörde zu erhöhen möglichst hohe Auflagen für eine Wiederinbetriebnahme vorzuschreiben – immerhin hatte die Glanzstoff  die Geruchs- und mögliche Gesundheitsproblematik durch den Ausstoß von u. a. Schwefelwasserstoff nie vollends in den Griff bekommen. Tatsächlich waren die Auflagen letztlich aus Sicht der Betreiber so hoch, dass die Fabrik nie wieder aufsperrte.
Neuer Fokus
In den letzten Jahren, wohl auch einer unübersehbaren Stadt- und Baudynamik geschuldet, verlagerte sich der Fokus der Plattform auf Umwelt- und Gebäudeschutz, „weil JETZT die Chance ist, die Stadt für die nachfolgenden Generationen zukunftsweisend auszurichten“, so Mayr. Umgekehrt formuliert, sie im Idealfall auch vor manch (baulichem) Fauxpas zu schützen. Womit man sich freilich auf ein sehr vages und subjektives Terrain begibt, nämlich die Frage der Ästhetik „wie sich also etwa ein Gebäude in sein städtisches Umfeld einpasst“, präzisiert Friedl Nesslinger. So fand man etwa die Pläne für das ursprüngliche Projekt beim Linzer Tor LT1 (nachdem der Abriss der ehemaligen Maderna Villa samt Park 2011 schmerzlich zur Kenntnis genommen werden musste) durchaus ansprechend, während man die nun im Raum stehende Umsetzung schlichtweg ablehnt. Zum einen stößt man sich an der Gebäudehöhe auf „fünf Geschossen, womit die Nachbarn fast vollends im Schatten liegen und damit auch der Reflexionsschall enorm ansteigt, und das zusätzlich zur Tatsache, dass allein die Belüftungsanlage für die geplante Tiefgarage am Dach 40db Lärm verursacht“, so der als Nachbar betroffene Mayr. Zum anderen bemängelt man auch die „klotzige“ Ausführung „die doch bitte nicht das Entree für die Innenstadt sein kann“, wundert sich Nesslinger. „Über Architektur kann man immer streiten, aber das wäre wirklich ein scheußliches Bauwerk!“  In diesem Kontext beurteilt man übrigens verschiedene Projekte. So wollte man etwa den Abbruch des ehemaligen Pressehauses in der Linzerstraße verhindern, „wo anstelle dessen jetzt ein gesichtsloses Gebäude die Ensembleeinheit zerstören wird, dass es einem die Augen einhaut.“ Auch das als „Eierspeisburg“ bekannte Arbeiterwohnhaus am Neugebäudeplatz wollte man, weil in den Augen der Plattform historisch relevant, erhalten wissen – mittlerweile wurde es dem Erdboden gleichgemacht. „Ich frage mich schon, was man Gästen von der angeblich so schönen Innenstadt zeigen möchte, wenn diese nur mehr ein Flickwerk aus historischen Fassaden und Hütteln dazwischen darstellt?“
Mehr „Erfolg“ hatte man beim Einsatz für den Erhalt der ehemaligen Rotkreuz-Dienststelle in der Julius Raab Promenade, welche die Stadt erworben hat, oder beim Kampf für den Erhalt, der freilich ohnehin denkmalgeschützten ehemaligen Remise, wenngleich man auch in diesem Fall ein mulmiges Gefühl hat und befürchtet, „dass der Bau allmählich verfällt, weshalb wir das Bundesdenkmalamt um Prüfung ersucht haben.“
Altoona-Park erhalten
Freilich geht es der Plattform nicht nur um den Erhalt historischer Bausubstanz, sondern „ganz allgemein um ein lebenswertes St. Pölten.“ Aus diesem Grund plädiert man „ohne jetzt die Geschäftstreibenden der Innenstadt in irgendeiner Weise schädigen zu wollen“, auf Sicht für eine „verkehrsfreie Innenstadt, wie es ja zahlreiche internationale Beispiele gibt, wo dies bereits gelungen ist.“ Zugleich macht sich die Plattform für den Erhalt innerstädtischen Grünraums stark „weil es grüner Oasen zur Kühlung der Innenstädte braucht, sollen sie lebenswert bleiben!“ Wenig verwunderlich rief daher die Ankündigung, dass das KinderKunstLabor am Altoona-Park umgesetzt werden könnte, die Aktivisten auf den Plan. Dass ein Teil des wenig genutzten Parks erhalten, ja im Sinne der Nutzung sogar attraktiviert werden soll, trägt nicht wirklich zur Beruhigung der Plattform-Mitglieder bei. „Faktum ist, dass es sich beim Altoona-Park um die letzte innenstadtnahe Parkanlage handelt. Da ist auch schon ein Drittel oder, wie wir eher glauben, zwei Drittel Verlust kontraproduktiv“, so Mayr, und auch Nesslinger wünscht sich einen Alternativ-Standort fürs KiKuLa. „Wir brauchen keine Denkmäler. Lassen wir doch, was schön war, auch schön bleiben!“
Woran man sich ganz allgemein stößt „ist die Tatsache, dass ja keiner weiß, was dort wirklich geplant ist. Man erfährt nichts Konkretes“, ärgert sich Nesslinger. Von manch Plänen, wie etwa einem  – angeblich wieder abgeblasenen – „Bauprojekt beim Bischofsteich oder etwa jenem der ehemaligen ‚Galerie‘, ein Haus aus dem Biedermeier, erfährt man bestenfalls aus der Presse!“ Oder man wird, wie Mayr moniert, „einfach vor vollendete Tatsachen gestellt bzw. passieren Nacht- und Nebelaktionen, wie damals bei der Maderna Villa. Da wäre mehr Transparenz wichtig!“
Baubeirat als Lösung?
Ob diesbezüglich der geplante Baubeirat eine Verbesserung bringen könnte? „Wenn er denn endlich kommt?“, wirft Friedl Nesslinger skeptisch ein „davon wird seit zwei Jahren geredet, passiert ist genau nichts. Daher wünschen wir uns, dass wir bei komplizierten Bauvorhaben beigezogen werden.“ Zwar wäre der Baubeirat, was positiv zu beurteilen ist, jedenfalls eine neue „Instanz, die Empfehlungen abgeben kann“,  Jurist Stefan Gloss befürchtet allerdings, dass er zahnlos bleiben könnte,  „weil er ja keine Deckung durch den Gesetzgeber hat. Er kann zwar Empfehlungen aussprechen, diese müssen aber nicht eingehalten werden.“ Stattdessen hielte er zum Beispiel die Installierung einer Ombudsstelle für einen interessanten Gedanken „wie es das etwa im Spitalswesen gibt, wohin man sich als Geschädigter wenden kann. Dadurch würden derlei Entscheidungen auf Expertenebene gehievt, weil die Bürgermeister ja selbst oft beklagen, dass sie mit der Materie überfordert sind.“
Ungleichgewicht?
Wobei Gloss schon beim Anrainerschutz ansetzen würde. „Das ist wie bei der nun beschlossenen schnelleren Umweltverträglichkeitsprüfung – in Wahrheit geht es da doch nur darum, dass man über die Betroffenen leichter drüberfahren kann!“ Eine Tendenz, die er auch beim Baurecht ortet. „Der NÖ Landtag hat in vielen Novellen zur Bauordnung das Mitspracherecht der Anrainer gravierend gesenkt. Das heißt: Die Interessen der Nachbarn werden gegenüber jenen der Bauwerber und des jeweiligen Bürgermeisters zurückgestellt. So kann – im Instanzenweg – der Landesverwaltungsgerichtshof die Einwendungen der Anrainer nur in ganz engen Grenzen prüfen: Standsicherheit, Trockenheit und Brandschutz des Hauses des Nachbarn, Schutz vor Emmissionen und den Lichteinfall. Verstößt aber ein Bewilligungsbescheid etwa daran, dass ein Haus zu nahe an der Grundstücksgrenze gebaut wird, dasss die erlaubte Bauklasse nicht eingehalten wird, kann der Anrainer, obwohl die Baubewilligung dann gegen das Gesetz verstößt, nichts machen. Das bedeutet: In einem gewissen Maße kommt es vor, dass Baubewilligungen immer wieder gegen das Gesetz verstoßen – es wird aber dem Nachbarn kein Recht gegeben, dagegen wirksam einzuschreiten. Diese Einschränkung schmerzt viele Nachbarn tief im Herzen, ja, dieser Umstand geht oft sogar mit Krankheitsfolgen einher!“ Ein Zustand, den der Jurist nicht länger hinnehmen möchte, „deshalb werde ich in einem konkreten Fall in den nächsten Wochen eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zur Prüfung des Gesetzes einbringen.“
Eines scheint sicher: In einer dynamischen Stadt wie St. Pölten, wo an allen Ecken und Enden gebaut wird, dürfte die Frage nach den „richtigen“ Lösungen, einer gelungenen Einbettung in das Stadtbild sowie nach einer gewissen Qualität und Ästhetik der Projekte wohl nicht so schnell abreißen. Pro St. Pölten möchte sich jedenfalls künftig mit anderen Initiativen vernetzen, um noch schlagkräftiger zu werden, ganz in ihrem von Friedl Nesslinger formulierten Selbstverständnis: „Demokratie heißt Einmischung der Bürger in die eigenen Angelegenheiten. Und wir, als mündige Bürger unserer schönen Stadt, wollen aus Sorge wegen zahlreicher (Fehl-)Entwicklungen der jüngsten Zeit an Engscheidungsfindungen teilnehmen und mitbestimmen.“

... analoge Beiträge:

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