MFG - INTERVIEW JUDITH GOETZ - „Der ‚Krieg der Worte‘ kann zu Taten führen!“
INTERVIEW JUDITH GOETZ - „Der ‚Krieg der Worte‘ kann zu Taten führen!“


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INTERVIEW JUDITH GOETZ - „Der ‚Krieg der Worte‘ kann zu Taten führen!“

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 03/2020

Die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und setzt sich in ihrer Forschungstätigkeit intensiv mit Rechtsextremismus, Antifeminismus sowie insbesondere auch der Identitären Bewegung auseinander. MFG sprach mit ihr über den Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Neonazi, warum sie die Ideologie der IB für gefährlich hält und wie die Gesellschaft damit umgehen sollte.

Die „Identitäre Bewegung Österreichs“ (IBÖ) bezeichnet sich selbst als Teil der „Neuen Rechten“. Lässt sich diese politikwissenschaftlich von der klassischen, faschistischen Rechten abgrenzen?
Zunächst würde ich nicht von der „Identitären Bewegung Österreichs“ (IBÖ) sprechen, sondern von den Identitären. Der korrekte Eigenname lautet zwar eigentlich Identitäre Bewegung (IB), da es sich auch beim Gruppennamen aber um eine Selbstbezeichnung handelt, die nicht zuletzt auch Strategie verfolgt, sich größer darzustellen als es real der Fall ist, finde ich, dass der Begriff Bewegung nicht verwendet werden sollte. Von einer Bewegung waren sie selbst in Zeiten ihres Erfolges weit entfernt.
Mit der Selbstbezeichnung als sogenannte Neue Rechte versuchen die Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe eine vermeintliche Distanz zum Nationalsozialismus herzustellen und sich so als scheinbar nicht rechtsextrem zu inszenieren. Insofern handelt es sich auch hier um eine verharmlosende Selbstbezeichnung, die das Ziel verfolgt, nach außen hin unscheinbarer zu wirken, weder rassistisch noch nationalistisch, sondern als besorgte, patriotische Jugendliche rüberzukommen. Vielmehr handelt es sich bei den Identitären aber um klassische Rechtsextreme. Ihr völkisches Weltbild, ihre frauenverachtende Ideologie, ihr Antisemitismus und die zutiefst rassistischen Vorstellungen sind Elemente, die eine derartige Klassifikation durchwegs zulassen. Durch die Verwendung weniger belasteter Begriffe wie z. B. „Ethnopluralismus“ für eine klassisch rechtsextreme Blut-und-Boden-Ideologie versuchen sie, sich anders bzw. harmloser darzustellen. Neu sind lediglich die Strategien, nicht jedoch die Inhalte oder die Ideologie.
 
Als „rechtsextrem“ werden gemeinhin neonazistische, faschistische und auch gewaltbereite Erscheinungsformen bezeichnet. Kann man die IBÖ in dieselbe Kategorie packen wie etwa „Blood & Honour“ oder Rechtsterroristen wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)?
Dem würde ich widersprechen, da es in Österreich einen Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sowie Neonazismus gibt. Neonazismus ist in Österreich durch das Verbotsgesetz verboten und auch mit dem Vorwurf einer strafbaren Handlung verbunden, der NSU ebenso wie Blood & Honour würden in Österreich ziemlich klar als Neonazismus gefasst werden. Mit dem Vorwurf des Rechtsextremismus ist in Österreich hingegen nicht der Vorwurf einer strafbaren Handlung verbunden, sondern er beschreibt vielmehr bestimmte politische und soziale Phänomene, ideologische Positionierungen. Gerade die Definition von Willibald Holzer, auf den sich die meisten Rechtsextremismusexperten in Österreich berufen, fasst Rechtsextremismus über die dahinter stehenden Ideologien, allen voran den Antiegalitarismus auf. In Bezug auf die Identitären trifft diese Klassifikation auf jeden Fall zu. Auch hat die Gruppe in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie sich zwar rhetorisch von Gewalt distanziert, die aktivistische Praxis aber oftmals eine andere Sprache spricht, wie sich an den zahlreichen gewalttätigen Übergriffen auf politische Gegner gezeigt hat. Die starke Bezugnahme auf faschistische Theoretiker in der Ideologie der Identitären und die Kontakte zu faschistischen Gruppierungen in Italien oder Ungarn würden gemeinsam mit der Gewaltbereitschaft auch eine Klassifikation als neofaschistisch zulassen.
 
Oberflächlich betrachtet stellt die IBÖ zum Teil höchst mainstream-fähige Forderungen, etwa nach „sicheren Grenzen“ und „konsequenten Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern“. Wenn Sie jemand fragt, wieso die IBÖ gefährlich sein soll, was antworten Sie dieser Person?
Die Identitären streben das Ziel einer „ethnisch relativ homogenen Gesellschaft“ an, wie sie es programmatisch vorgeben. Dass dieses Ziel in einer von Migration geprägten Gesellschaft nur mit extremer Gewaltanwendung erreicht werden kann, ist ihnen durchaus bewusst, wenn es auch nicht immer so offen geäußert wird. Die Stellung zur Gewalt spiegelt sich bei ihnen aber nicht nur in ihrer Sprache wider, die durch zahlreiche Kampf- und Kriegsmetaphern sowie eine entsprechende Bildsprache und Anleihen in der Populärkultur – etwa „300“, „Fight Club“ etc. – geprägt ist, sondern auch in ihren wehrhaften Männlichkeitsvorstellungen. Auch die Ideologie der Identitären präsentiert insbesondere männliche Gewalt als scheinbar letzte Lösungsmöglichkeit der „letzten Generation, die den Großen Austausch noch aufhalten“ könnte. Der imaginierte Untergang steht im Denken der Identitären unmittelbar bevor, da der „Große Austausch“ längst begonnen habe und in dieser Endzeitstimmung scheint jedes Mittel recht, ihn noch aufzuhalten. Die Bereitschaft, sich im Ernstfall zur Wehr zu setzen und zuzuschlagen wird nicht nur verbal vorbereitet, sondern auch bei Kampfsportcamps eingeübt. Sich mit Gewalt gegen das Problem „der aufgezwungenen Vermischung“ zur Wehr zu setzen, wird in dieser Logik zur scheinbar legitimen „Notwehr“.

Auf ähnliches Gedankengut bezog sich ja auch der Attentäter von Christchurch.
Ja, auch der Attentäter von Christchurch glaubte an die von den Identitären maßgeblich popularisierte Verschwörung eines geplanten „Bevölkerungsaustauschs“ und legitimierte damit die brutale Ermordung von 51 Menschen aus rassistischen Motiven. Die Namensgleichheit seines Manifestes mit der IB-Kampagne kam daher auch nicht von ungefähr: Über den Titel hinaus gibt es weitreichende ideologische Überschneidungen mit den Identitären, aber auch zur extremen Rechten insgesamt. Wie die Identitären beruft sich der Attentäter auf das rassistische Konzept des Ethnopluralismus. Dieses sieht vor, „ethnisches Überleben“ mittels einer globalen Apartheid abzusichern, in der alle „Völker“ klar voneinander separiert leben sollen. Eine weitere Gemeinsamkeit gibt es in den ausgemachten Ursachen der imaginierten Untergangsbedrohung: niedrige Geburtsraten der autochthonen Bevölkerung sowie die mangelnde Wehrhaftigkeit von Männern. Damit ist der Rechtsterrorist von Christchurch nicht alleine. Auch die Attentäter der Anschläge in El Paso, bei dem 22 Menschen ermordet wurden, und in Halle, bei dem zwei Menschen erschossen wurden, stimmten in die Verschwörungserzählung ein und begründeten ihre Taten ähnlich rassistisch und antifeministisch sowie im Fall von Halle auch wahrhaft antisemitisch.  Sie sind Beispiele dafür, dass der „Krieg der Worte“ und „Kulturkampf“ zu Taten führen kann und – extrem rechte – Männlichkeitsvorstellungen nicht ohne Gewalt auskommen können. Genau dadurch ergibt sich auch die Gefährlichkeit der Identitären. 

Haben Sie Überblick darüber, wie viele Personen in Österreich Teil der IBÖ sind? Soweit ich das sehe, hat selbst der Verfassungsschutz Probleme, das Phänomen zu quantifizieren.
Ich würde schätzen, dass die Identitären in Österreich in den besten Zeiten circa 30-40 Aktive und an die 200 Sympathisanten hatten, die sich zeitweise an Aufmärschen oder Aktionen beteiligten. Vor allem im Nachgang von Christchurch und El Paso sowie Halle scheint das Label aber verbrannt zu sein. So ging zunächst die FPÖ  – auf Druck hin – auf Distanz, bis heute gibt es Diskussionen über ein mögliches Verbot der Gruppe und selbst Götz Kubitschek (Verleger und Vordenker der Neuen Rechten, Anm.) hat ihnen den Rücken zugekehrt, indem er meinte, dass aus den Identitären nichts Großes mehr werden würde. Auch manche Aktivisten schienen die Verbindungen zum Rechts­terrorismus zu heiß geworden zu sein, so dass sie sich ebenfalls abwandten und auch eine Jugendgruppe wird irgendwann älter, so dass sich einzelne auch in Familiengründungen zurückgezogen haben. Insofern befinden sich die Untergangster schon länger im Untergang. Nur weil die Marke Identitäre aktuell nicht mehr von großen Erfolgen begleitet wird, heißt es aber nicht, dass alle Aktivisten in den Ruhestand gehen werden. Im Gegenteil zeigt sich, dass sie gerade dabei sind, ein neues Projekt aufzubauen, eine Bürgerbewegung. Ich glaube aber kaum, dass sie mit diesem Projekt noch mal groß durchstarten werden. Am Gründungsevent nahmen gerade mal 100 Personen aus ganz Österreich teil, unter diesen vor allem andere gescheiterte rechtsextreme Gruppierungen und Parteien. Es wirkt eher wie eine Selbsthilfegruppe der Gescheiterten.

Wie sähe aus Ihrer Sicht ein angemessener Umgang mit der IBÖ von politischer und juristischer Seite aus? Die Bandbreite reicht ja von einem Verbot bis zur bloßen „argumentativen Entmantelung“.
Ich glaube, dass sich diese Frage in absehbarer Zeit von alleine erledigen wird, aber rückblickend sind die bisherigen Versuche, juristisch gegen die Identitären vorzugehen, aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Eine Verurteilung der Gruppe durch den Rechtsstaat, beispielsweise wegen Verhetzung, wäre zwar ein wichtiges symbolisches Zeichen gegen menschenverachtende Propaganda gewesen und hätte das Fortwirken der Gruppe maßgeblich erschwert sowie Auswirkungen für andere rechtsextreme Gruppen mit sich gebracht. Ohne eine Gesellschaft, die sich gegen das von den Identitären verbreitete Gedankengut stellt, bleibt ein rechtsstaatliches Urteil aber zahnlos. Ich glaube, es braucht daher beides und noch viel mehr. Einerseits gute Argumente, um die Gefährlichkeit der identitären Ideologie herauszustreichen, andererseits wirksame juristische Mittel, um gegen menschenfeindliches Gedankengut vorzugehen, vor allem aber auch Präventions- und politische Bildungsarbeit, um dem entsprechenden Gedankengut vorzubeugen, bevor es sich überhaupt entwickelt.