MFG - Ist St. Pölten (k)ein „gutes Pflaster“ für Dschihadisten?
Ist St. Pölten (k)ein „gutes Pflaster“ für Dschihadisten?


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St. Pöltens gute Seite

Ist St. Pölten (k)ein „gutes Pflaster“ für Dschihadisten?

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 11/2020

Zwei Festnahmen in Folge des Wiener Terroranschlages und weitere islamistische Vorfälle der vergangenen Jahre werfen eine Frage auf: Hat St. Pölten ein Islamismus-Problem? MFG fragte bei Stadt, Polizei und Islamvertretern nach.

Am Morgen des 3. November, wenige Stunden nach dem islamistischen Terroranschlag des Vorabends in Wien, klicken in der St. Pöltner Fuhrmannsgasse und Probst-Führer-Straße die Handschellen. Polizeikommandos verhaften zwei junge Männer, mutmaßliche Radikalislamisten und Kontaktpersonen des Wiener Attentäters. Zumindest einer von ihnen sitzt wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in U-Haft. Wenn es um islamistische Umtriebe in Österreich geht, stehen vor allem Wien und Graz im Fokus der Behörden. In Niederösterreich spielt neben Wiener Neustadt und Neunkirchen auch St. Pölten diesbezüglich eine gewisse Rolle.

15 Terror-Fälle in 10 Jahren
Genaue Zahlen für St. Pölten und das Umland liefert die Landespolizeidirektion NÖ. „In den vergangenen zehn Jahren hatten wir hier 15 Fälle, in denen wir wegen Straftaten mit Terrorbezug ermitteln mussten“, erklärt LPD-Pressesprecher Johann Baumschlager. Es ging um die Tatbestände „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, „Terrorfinanzierung“ und „Gutheißen terroristischer Straftaten“. Feste Strukturen konnten die Ermittler jedoch nicht ausmachen. Es gebe keine Hinweise über Netzwerke, wie etwa der Muslimbrüder. Baumschlager spricht daher von „vereinzelten Tendenzen einer latenten islamistischen Szene“ in der Stadt. Von einer konkreten Terrorgefährdung werde jedenfalls nicht ausgegangen.

Junge Männer als Dschihadisten

„Bei diesen Verdächtigen und Tätern der letzten zehn Jahre handelte es sich durchgehend um junge Männer“, konkretisiert Baumschlager. Bundesweite Schlagzeilen machte der mit Abstand Jüngste unter ihnen: Anfang 2015 wurde ein 14-Jähriger St. Pöltner Alevit wegen „Terroristischer Vereinigung“ und „Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ zu zwei Jahren Haft, davon acht Monate unbedingt, inklusive verpflichtender Psychotherapie verurteilt. Er hatte sich über IS-InternetPropaganda radikalisiert und über den Bau einer Bombe, mittels derer er den Wiener Westbahnhof sprengen wollte, informiert. Weitere islamistische Vorfälle ereigneten sich im islamischen Gebetsraum des Uniklinikums St. Pölten. Hier hatten vier Männer im Alter zwischen 17 und 23 potentielle IS-Kämpfer zu missionieren und rekrutieren versucht, Anfang 2017 wurden diese vom Staatsschutz gestoppt. Bei einem von ihnen und einem fünften jungen Mann handelt es sich übrigens um die beiden jüngst Festgenommenen.

Gefahr auch von Konvertiten
Gibt es bestimmte nationale oder ethnische Gruppen, die für islamistische Radikalisierung besonders anfällig sind? „Eingrenzungen auf bestimmte Nationalitäten sind nicht möglich“, hält Baumschlager fest. „Auch Österreicher können zum Islam konvertieren und sich radikalisieren.“ Wer jedoch die Gerichtsberichterstattung aufmerksam studiert, merkt, wie häufig von tschetschenischen und nordmazedonischen Verdächtigen und Verurteilten zu lesen ist. So handelte es sich beim Wiener Attentäter, den beiden jüngst festgenommenen St. Pöltnern sowie den Gebetsraum-Missionierern fast durchgehend um Angehörige der beiden Gruppen. Im Rahmen einer Reportage zu Aktivitäten der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in St. Pölten (siehe MFG Nr. 72) konnte das MFG-Magazin im August 2019 auch Gespräche mit einem Afghanen führen, welcher nach eigenen Angaben von Tsche­tschenen bedroht wurde, weil er den Islam abgelegt hatte. Er suchte um Polizeischutz an.

BMI und BVT halten sich bedeckt

Wenig Konkretes ergab eine Anfrage beim Innenministerium und dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Man werde „keine Einschätzungen zu einzelnen Städten oder Regionen“ abgeben. Man wolle jedoch betonen, dass die „überwiegende Mehrheit der in Österreich lebenden Muslime ein friedliches Zusammenleben sucht“ und ein „Generalverdacht gegen Muslime unzulässig“ sei. Aus der LPD NÖ heißt es, dass die Situation gerade „angespannt und heikel“ sei, weshalb nur wenige Informationen nach Außen gegeben werden können.

Stadt setzt auf Präventionsarbeit
Die Stadt St. Pölten setzt beim Thema Radikalisierung und Terrorismus vor allem auf Präventionsarbeit. Dazu muss erst einmal Verständnis darüber bestehen, wie Radikalisierung funktioniert. „Menschen radikalisieren sich meist nicht alleine, sondern in einer Bezugsgruppe. Studien zeigen, dass Peer Groups und persönliche Kontakte oft mehr Einfluss haben, als das Internet oder Kontakte zu Imamen“, erklärt Martina Eigelsreiter, Diversitätsbeauftragte der Stadt. Oft stammten radikalisierte Personen „aus einer sozial schwächeren Schicht, was als zusätzlicher Faktor in den Diskriminierungserfahrungen und Radikalisierungsprozessen eine Rolle spielt.“ Neben dem interreligiösen Dialog unterstütze die Stadt Projekte, die sich kritisch mit demokratischer Teilhabe und gesellschaftlicher Vielfalt, mit Islam und Islamfeindlichkeit, mit Antisemitismus und Propaganda auseinandersetzen.
St. Pölten sei Heimat mehrerer stark muslimisch geprägter nationaler Gruppen, darunter etwa 1.300 Türken, 800 Syrer, 700 Personen aus Bosnien und Herzegowina, 600 Afghanen. Tschetschenen sind Teil der rund 800 St. Pöltner mit russischer Staatsbürgerschaft. Hinsichtlich der herausragenden Stellung, welche Vereinen und Verbänden im Rahmen der Integrationspolitik zugeschrieben wird, warnt Eigelsreiter vor einer Fehlannahme: „Diese werden oft als Ansprechpartner angesehen, um ‚die Zielgruppe‘ zu erreichen. Das ist problematisch, da viele Personen der ‚Zielgruppe‘ eben nicht in Vereinen organisiert sind.“ Angebote müssten auch auf diese große Zahl der Nicht-Organisierten abzielen.

Wenig auskunftsfreudig
Die hiesigen islamischen Einrichtungen zeigten sich wenig auskunftsfreudig zum Thema „Islamismus/Dschihadismus“. Weder gab es ein Statement von der St. Pöltner As Salam-Moschee, noch wollte sich Isik Mehmet vom Islamischen Kultur- und Wohltätigkeitsverein St. Pölten und Ex-Vorsitzender der Islamischen Glaubensgemeinschaft NÖ äußern.
Antwort kam schließlich von der IGGÖ-Pressestelle, welche auf ihre Bemühungen verwies: „Wir haben eine Präventionsstelle gegen Extremismus eingerichtet, von der aus Moscheenpersonal und Imame geschult werden. Ein wichtiges Mittel ist aus unserer Sicht auch ein inhaltlich qualitätsvoller Islamunterricht.“ Aziz Pek, aktueller IGGÖ-Vertreter für Niederösterreich, sei in engem Austausch mit Sicherheitsbehörden, Bürgermeistern, anderen Religionsgemeinschaften, um diverse Projekte auszubauen, u. a. im Feld der Jugend- und Sozialarbeit und Extremismusprävention.
Die IGGÖ verteidigt sich auch gegen die regelmäßige Kritik, von Gruppierungen gelenkt zu werden, die selbst dem Islamismus, türkischen Nationalismus und Antisemitismus nahestehen. Die IGGÖ spricht diesbezüglich von „kultureller und religiöser Heterogenität“. Zahlreiche Recherchen, wie jüngst vom „Standard“, verweisen jedoch darauf, dass Erdogan-Anhänger vom „Atib“-Verband, Vereine mit Nähe zu den „Grauen Wölfen“ und die Milli Görüs-Bewegung großen Einfluss ausüben. Daneben existiert noch die zweitgrößte Fraktion der Bosnier – Albaner, Araber und asiatische Gemeinden hätten hingegen „nichts zu melden“. Der Vorwurf: Die IGGÖ sei daher keine Organisation der „muslimischen Mitte“ Österreichs, sondern in großen Teilen das ausländisch finanzierte Sprachrohr des streng konservativen bis weit rechten Flügels der türkischen Bevölkerung. „Das sind Organisationen, die zwar physisch hier sind, ihre geistigen Wurzeln aber im Ausland haben. Dementsprechend bekommen sie ihre Anweisungen auch von dort“, so Islamwissenschafter Ednan Aslan gegenüber dem Kurier.
Nun sind Islamismus und Dschihadismus nicht deckungsgleich. Es stellt sich aber die Frage, ob die IGGÖ ein echter Partner im Kampf gegen Radikalisierung sein kann. Jetzt ist die Stunde, dies zu beweisen.