MFG - No Place to be
No Place to be


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

No Place to be

Text Thomas Winkelmüller
Ausgabe 09/2021

Das alte Büro der Sozialistischen Jugend (SJ) Place war Vereinslokal und Freiraum für die St. Pöltner Jugend zugleich. Seit dessen Aus klafft ein Loch im Leben der Innenstadt – für Jugendliche und den SPÖ-Nachwuchs gleichermaßen.

Es ist bittere Ironie des Schicksals. Was früher die St. Pöltner Räumlichkeiten der Sozialistischen Jugend  waren, gehört heute René Benko. Schießen Linke auf Österreichs Mächtige, trifft es schnell den Immobilienmogul und nun (ver)fällt der Altbau zwischen Café Roma und Leiner inklusive ebendiesen in Benkos Besitz. Bald wird hier ein Komplex mit Hotel, Wohnungen und einem Möbelgeschäft stehen.
Dieser von langer Hand geplante Verkauf der Stadt steht für zwei größere Probleme. Eines nagt an der Sozialdemokratie und das andere am Lebenswert der Landeshauptstadt für Jugendliche. Wie fast überall ringt die SPÖ auch hier um Nachwuchs. Zeitgleich verschwinden die letzten Freiräume für Jugendliche aus der Innenstadt. Wer verstehen möchte, was dieses Place war und warum seine Geschichte so bezeichnend für Genanntes ist, muss dabei gewesen sein oder diejenigen fragen, die es waren.
„Das Place war eine Institution. Ein Freiraum für junge Menschen, der gleichzeitig politisch aufgeladen war“, beschreibt es Marie Chahrour. Sie war Co-Vorsitzende der St. Pöltner Stadt-SJ, als sie die rote Tür ihrer Räumlichkeiten endgültig schließen mussten. Seit Beginn der zweiten Republik war die SPÖ hier eingemietet, Eigentümer war die Stadt. In den letzten Jahrzehnten sei es ein Ort von und für junge Menschen gewesen. Niederschwellig und ohne Konsumzwang, dafür links-politischer Diskurs.
Zumindest in der Theorie standen seine Tore jedem offen. „Zu meiner Zeit war es keine Mitgliederschmiede“, sagt Chahrour, „wir hatten Che Guevara an der Wand, das Branding war klar, aber was wir geleistet haben, war jungen Menschen einen Raum zu geben, in dem sie feiern, diskutieren und einfach sein konnten.“ Immer wieder kamen Jugendliche durch Zufall oder als Mitbringsel. Sie erhielten einen Freiraum, um sich auszuleben und die SJ Sympathisanten und Mitglieder.
Das äußere Erscheinungsbild entwickelte sich entsprechend der Offenheit des Hauses. Im Boden Mulden so groß wie Autoreifen, beschmierte Wände und alte Sofas. Es roch nach kaltem Rauch, die Schuhe blieben wegen verschüttetem Bier am Boden kleben. Einen gewissen rustikalen Charme hätte man dem Place an dessen Ende nicht absprechen können, erinnert sich Max Wallner. Der SPÖ-Gemeinderat war von 2002 bis 2007 Vorsitzender und einer der Vorgänger von Chahrour. Damals renovierte Wallner die Räumlichkeiten, riss den alten Teppichboden raus und brachte das Place auf Vordermann.
Über die Jahre wirtschaftete die SJ den Raum wieder runter, allgemein war das ganze Haus baufällig. Schon 2004 war klar, dass es die Stadt irgendwann verkaufen würde. Die Rentabilität, es zu erhalten, habe gefehlt, sagt Pressesprecher Thomas Kainz.
Heute steht das Place leer. Die SJ zog im August 2015 vom Altbau am Rathausplatz in den Keller der Passage. Darüber besitzt die SPÖ Räumlichkeiten. Eine Nähe zur Partei, die der Niederschwelligkeit schadet. Anrainer beschweren sich bei Lärm, feiern kann man hier nicht mehr. Zwischen dem Aus- und dem Umzug inklusive Umbau verging ein halbes Jahr ohne Vereinslokal. „Das war wirklich fatal und wirkt sich bis heute aus. Das hat uns Mitglieder und Sympathisanten gekostet“, sagt Chahrour. All das brach der Stadt-SJ das Genick. Heute gibt es sie nur noch im Bezirk. Wallner sieht den Grund dafür etwas anders. „Wäre die Organisation auf besseren Beinen gestanden, hätte sie das weggesteckt.“ Die Großwetterlage sei zum Nachteil der SJ gewesen, die Gruppe habe nicht mehr funktioniert. So hat er es von außen beobachtet.
Ganz gleich wer Recht behält: Auch den unparteiischen Jugendlichen fehlt der Ort. Im Sommer verschwindet der Rathausplatz zwischen Gastgärten, im Winter verschüttet ihn St. Pöltens Adventmarkt. Soziale Einrichtungen wie der Steppenwolf oder Nordrand erfüllen ihren Teil, selbstgestaltete Freiräume junger Menschen ohne Konsumzwang inmitten der Stadt fehlen aber. Eine Lücke, die das Place offenließ. Heute mutet es bedauerlich an, dass ein Platz, der so vielen jungen Menschen am Herzen lag, symptomatisch für die Probleme ihrer Stadt steht.