MFG - In Rendl veritas
In Rendl veritas


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

In Rendl veritas

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2021

Wo liegt Österreichs schönste Kellergasse? Erraten Sie nie, deshalb sage ich es Ihnen: In St. Pölten natürlich! „Wie bitte“, werden jetzt einige Puristen erstaunt bis empört einwenden „Die haben ja nicht mal Wein in St. Pölten!“

Nanana, jetzt mal nicht so schnell mit den jungen Pferden: Die hohe Zeit des St. Pöltner Weinanbaus – den selbigen gab es in grauer Zeit sehr wohl – mag zwar lange vorüber sein. Aber erstens versuchen sich noch immer ein paar Hobbywinzer am Keltern edler Reben in der Hauptstadt, und zweitens haben wir vor allem die Rendl-Keller-Gasse, formerly known as Mamauer Kellerweg. Und die ist schlichtweg einmalig.
Und bevor jetzt der nächste Einwand kommt: Ja, die Keller dort sind keine klassischen Weinkeller, sondern es handelte sich dabei vornehmlich um Eiskeller – also die Kühlschränke von anno dazumal sozusagen. Nachgewiesen sind diese übrigens zumindest bis ins 19. Jahrhundert, hat man bei Renovierungsarbeiten doch Ziegel mit der Jahreszahl 1856 gefunden. Späterhin, im Zweiten Weltkrieg, mussten die Gewölbe dann u. a. als Luftschutzkeller herhalten, um danach „munter“ vor sich hin zu bröckeln, bis sie Fred Rendl, wie es seine Tochter Katja formuliert „aus dem Dornröschenschlaf erweckte.“
Wachgeküsst
Damit ich eine Vorstellung bekomme, legt mir die Chefin des Rendl Kellers beim Besuch im Restaurant alte schwarz-weiß Fotografien vor. „So hat es früher hier ausgesehen!“, zeigt sie auf die vergilbten Bilder, die graue, verfallene Keller zeigen, die eher wie Erdlöcher anmuten. Nie und nimmer würde man glauben, dass aus diesen Ruinen dieses Zauberland entstanden ist. Verantwortlich dafür zeichnete allen voran Katjas Vater Fred Rendl, der in den in den 70er-Jahren den ersten Keller kaufte und diesen ab Beginn der 90er zu renovieren begann. „Damals war meint Vater 60 Jahre alt, mittlerweile ist er 90!“ Seine Grundidee damals war, einen Ort der Kommunikation zu schaffen – geworden ist daraus ein wahres Kleinod, das nicht nur zum Mekka für Weinliebhaber, sondern auch zur „Bühne“ für eines der schönsten Kellergassenfeste der Republik geworden ist. Früher sah die Sache freilich ganz anders aus und es braucht wohl nicht hinzugefügt werden, dass der Unternehmer – er ist Gründer des noch heute im Familienbesitz befindlichen gleichnamigen Hafnermeister- und Fliesenleger-Betriebes – in den Anfangszeiten von Freunden und Indigenen, formulieren wir es einmal freundlich, „belächelt“ wurde. „Das hat Vati aber nie etwas ausgemacht. Er hat sein Ding einfach durchgezogen. Bauen war und ist seine große Leidenschaft.“ Dass im Übrigen auch die Tochter relativ früh vom Keller-Virus infiziert wurde „obwohl ich früher an sich überhaupt nichts damit am Hut hatte“, lässt sich daran ablesen, dass Katja bereits im Alter von 26 Jahren einen der Keller in der Gasse erwarb. „Meine Mutter hat nur kopfschüttelnd gemeint ‚andere kaufen sich in deinem Alter eine Küche – du einen alten verfallenen Keller.‘“
Dominoeffekt
Nach und nach polierte Fred Rendl nicht nur den ersten Keller auf Hochglanz auf, sondern erwarb in Folge weitere, die er – nach eigenen Fassadenentwürfen – mit viel Liebe, Herzblut und hohem finanziellen Aufwand in Stand setzte. So entstand mit der Zeit, auch weil die Besitzer anderer Keller in der Gasse dem Beispiel folgten, ein großartiges, einheitliches und unverwechselbares Ensemble. Zugegeben nichts historisch Gewachsenes im engeren Sinne, wie man auf den ersten Eindruck mutmaßen würde, dafür  aber etwas völlig Neues-Originäres. Eine idealtypische Kellergasse made by Rendl, die heute zu den anmutigsten und schönsten Flecken St. Pöltens zählt und in ruhigen Momenten fast etwas Sakrales ausstrahlt. Denn wie wenn man an einem Wochentag einen leeren Kircheninnenraum betritt und sofort von Stille verschluckt wird, taucht man auch in der Rendl-Keller-Gasse in eine andere, fast hermetische Welt ein. Während wenige Meter entfernt das Stadtleben in all seiner Hektik und seinem Lärm brodelt, neigen sich hier sattgrüne Bäume von den Lehmterrassen herab, durch die die Sonne blinzelt, und alles, was man hört, ist bestenfalls Vogelgezwitscher oder das leise Rascheln der Blätter, wenn der Wind leicht hineinfährt. In Kombination mit dem in sanften Pastellfarben gehaltenen Kellerensemble strahlt all das eine gewisse Friedlichkeit aus. Eine Ruheoase – mitten in der Stadt! Wie es sich für eine solche gehört, aber zum Glück auch mit einer „rettenden“ Labestation ausgestattet – dem Rendl-Keller, Restaurant und Vinothek in einem.
Bacchus in der Kellergasse
Denn auch wenn der Wein in grauer Vorzeit nur zu Kühlzwecken in den alten Gemäuern gelagert haben mag, so wurde die Gasse von den Rendls sukzessive mit dem Thema „Wein“ aufgeladen, was ganz allgemein einem gewissen Turnaround in Sachen „Hauptstadt und Rebensaft“ Vorschub leistete. „Früher sind wir St. Pöltner ja alle wie ‚Verrückte‘ nach Krems gefahren, wenn es um Wein ging“, erinnert sich Katja Rendl zurück. Heute hingegen begrüßt man im Rendl Keller nicht nur Gäste aus der Region, sondern ebenso aus Krems oder aus Wien, „einfach weil sie das einzigartige Ambiente und unser Angebot schätzen.“ Tatsächlich mauserte sich der Rendl Keller so allmählich vom vinophilen Insidertipp zur überregional bekannten „Wein-Marke“, woran insbesondere auch Katjas Lebensgefährte Thomas Schwaiger gewichtigen Anteil hatte „weil er das Thema forcierte.“ Katja, selbst lange Zeit im Verkauf bei einem heimischen Limonadenhersteller angestellt, teilte die Leidenschaft „einfach weil ich Wein nicht nur gerne trinke, sondern weil er reine Emotion ist.“ Irgendwann ließ sie den Job schweren Herzens sausen und widmete sich ganz der Vinothek und dem Gastronomie-Betrieb. Zudem machte sie die Ausbildung zur Sommelière „was vor allem bei der Beschreibung des Weines hilft.“
Kredenzt wird im Rendl Keller dabei die ganze österreichische Bandbreite, von den besten Tropfen des vor den Toren St. Pöltens gelegenen Weinbaugebietes „Traisental“ über Kamptal, Kremstal, Südsteiermark, Thermenregion, Carnuntum und Burgenland bis hin zur nahen – nona – Wachau „weil St. Pölten ja auch die Hauptstadt der Wachau ist!“, so Rendl augenzwinkernd. Darüber hinaus finden sich im Weinkeller auch Vertreter ausländischer Weinbaugebiete, vor allem aus Italien, Deutschland, Schweiz und Frankreich.
Kurzum: Das Programm ist – wie man so schön sagt – gut sortiert. „Wir schenken aber nichts aus, was wir nicht selbst verkostet haben“, erklärt Rendl ihren Grundzugang „und wir kennen fast alle unsere Winzer persönlich, weil es mir wichtig ist, die Philosophie sowie die Historie hinter den Persönlichkeiten und ihren Produkten zu verstehen!“ Als Beispiel erzählt sie von einem Weinbauern, der die Riede jetzt wieder per Pferd pflügt, oder einem anderen, der seinen Wein „Peccatum“, also Sünde getauft hat, weil man dafür einen Großteil der fast reifen Trauben ausdünnt, „was die Alten als Sünde bezeichnet haben.“ Aber erst diese Reduktion macht die Einzigartigkeit und Qualität des Tropfens aus und erklärt auch die Höhe des Preises. „Das sind Geschichten, die man wissen muss, um den Wein zu verstehen“, so Rendl, und fügt hinzu „und um den Gästen Wein als Gesamterlebnis vermitteln zu können.“
Dieser Zugang gilt im Übrigen auch fürs Personal, das jeweils als erstes im Haus den Wein verkostet. „Man muss ja wissen, wovon man redet. Muss den Geschmack kennen, um so die Gäste bestmöglich beraten und zufriedenstellen zu können.“ Und zufrieden sind diese in höchstem Maße. Zum einen kommen heute viele Stammgäste, „weil sie wissen, dass sie bei uns einen guten Tropfen verkosten, oder, wie es einmal ein Gast formuliert hat ‚etwas Geiles‘ probieren können“, schmunzelt Rendl. Zum anderen hat man auch viele Gruppen im Haus – von Firmen, die mit der Belegschaft Wein verkosten, bis hin zu Hochzeitstafeln und Geburtstagsfeiern, die in den gediegenen, mit viel Liebe zum Detail ausgestatteten Kellerräumen einen Rundum-Genuss erleben. Wenig verwunderlich jedenfalls, dass aus der anfänglichen reinen Veranstaltungslocation und Vinothek irgendwann eine fixe Gaststätte wurde, wo man heute jeweils von Donnerstag bis Sonntag bewirtet wird. Seit dem Vorjahr übrigens auch den gesamten Sommer hindurch „weil es die Gourmetmeile am Rathausplatz nicht mehr gegeben hat“, so Rendl, die damit auch den positiven Effekt dieses Umstandes auf die hiesige Gastronomie verdeutlicht. Last but not least haben Thomas und Katja auch einen Weinhandel aufgebaut und beliefern mittlerweile Gastronomiebetriebe „bis nach Westösterreich, Schweiz und Deutschland hinaus!“
Die Sache mit den Packerln
Corona hat freilich nicht nur der „Fressmeile“ am Rathausplatz den Garaus gemacht – für viele kein allzugroßer Verlust – sondern selbstredend auch den Rendl-Keller zwischenzeitig in künstlichen Tiefschlaf versetzt. „Das waren keine leichten Monate“, gesteht Rendl „und im Hinblick auf Hochzeiten und ähnliche Veranstaltungen, die wir notgedrungen verschieben mussten, haben sich teils wahre Dramen abgespielt.“ So erinnert sie sich etwa an eine in Tränen aufgelöste Braut, „die schon die gesamte Deko gebastelt hatte.“ Aber Rendl ließ sich nicht unterkriegen und bewies Kreativität. „Ich hab gesagt, wir müssen irgendetwas machen, um die Zeit zu überbrücken – nicht nur in finanzieller, sondern vor allem auch in emotionaler Hinsicht.“ Und so begann sie Geschenk- und Weihnachtspackerl zu kreieren, edle Kartons voll mit hochwertigen Produkten aus der Region. Die Nachfrage danach war so hoch, dass sich in Folge auch Osterpackerl und Muttertagspackerl hinzugesellten. Mittlerweile gibt es sogar solche für „Herrl und Hund“, in denen die Rendls ihre eigenen Hundekeksvariationen beilegen, „weil wir auch viele Gäste mit Hunden haben!“ Aus dem Corona-Provisorium wurde so jedenfalls ein komplett neuer Geschäftszweig, frei nach dem Motto „Gekommen, um zu bleiben!“
 
Kellergassenfest
Gekommen, um zu bleiben galt anno dazumal auch für das mittlerweile legendäre Kellergassenfest. Einst von Fred Rendl ins Leben gerufen, von der ÖVP als Leopoldi-Kirtag-Kellergassenfest mehrere Jahre durchgeführt und seit mittlerweile 13 Jahren von der Stadt veranstaltet, hat es sich zum vielleicht schönsten Fest St. Pöltens überhaupt entwickelt, das trotz steten Wachstums aber nie seinen Charme und seine Heimeligkeit einbüßte. Alljährlich im November (im kommenden Jahr ist zusätzlich eine Frühlingsedition geplant) öffnen sich zahlreiche Keller in der Gasse und Winzer aus ganz Niederösterreich – zuletzt waren es rund 15 an der Zahl – schenken höchstselbst ihre edlen Tropfen aus. Musikanten ziehen durch die Gasse, a guate Jausen sorgt für a gscheite Unterlag‘ und ein Maroniofen unter Sternenhimmel lässt Romantik aufkommen. Ob die vielfach gesichteten roten Wangerl der Besucher nun von der Hitze oder doch eher vom reichlich verkosteten Rebensaft herrühren, sei einmal dahingestellt. Die Stimmung ist jedenfalls gelöst, weinselig wie man so schön sagt – und das Urteil der Gäste eindeutig. „Das ist die schönste Kellergasse Österreichs!“ Und Hand aufs Herz – wir alle wissen doch: In vino veritas! Eben!