MFG - Better late than never
Better late than never


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Better late than never

Text Michael Müllner
Ausgabe 03/2022

Krieg und NS-Zeit haben viele jüdische Friedhöfe schwer beschädigt. Mit seinen 6.000 Quadratmetern ist der jüdische Friedhof am Rande des städtischen Hauptfriedhofs in St. Pölten verhältnismäßig groß und noch relativ gut erhalten. Nun scheint endlich ein würdiger Fortbestand gesichert.


Wobei, eigentlich ist der Friedhof ja verfallen. Das große Eisentor ist versperrt. Wer auf Spurensuche geht, muss wie ein Eindringling durch ein Loch im Maschendrahtzaun auf das Areal schlüpfen. Vom Sturm umgeworfene Bäume, wildwuchernde Natur. Dazu eine gespenstische Zeremonienhalle, die darauf wartet, aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst zu werden. 
Aus religiöser Perspektive bestehen jüdische Friedhöfe ewig. Während es für Christen nicht ungewöhnlich ist, dass Gräber nach zehn, zwanzig Jahren aufgelassen werden, währt die Totenruhe im jüdischen Glauben ewig. Durch die fast vollständige Vertreibung und Ermordung der jüdischen Mitbürger in unserem Land, können die Gräber nicht von den Nachfahren erhalten werden. Ergibt sich daraus eine Verpflichtung der Gesellschaft den Toten gegenüber? Handelt es sich um einen unerlässlichen Beitrag zur Kultur des Erinnerns an die schmerzliche Vergangenheit?
MFG berichtet seit dem Jahr 2010 über die Bemühungen, den Friedhof zu erhalten. Schon im Jahr 2001 hatte sich die Republik mit dem Washingtoner Abkommen grundsätzlich zur Erhaltung jüdischer Friedhöfe verpflichtet und einen Fonds für nötige Sanierungsarbeiten errichtet. Die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) ist die Rechtsnachfolgerin der früheren jüdischen Gemeinden, sie trägt somit allein in Niederösterreich für 30 Friedhöfe Verantwortung. Eine Auszahlung aus dem Fonds zur Instandsetzung des jüdischen Friedhofs scheiterte bisher aber daran, dass es mit der Stadtgemeinde keine Pflegevereinbarung gab. Sinn dahinter ist, dass erst dann in die Substanz investiert wird, wenn auch die zukünftige Pflege des Friedhofs für zumindest zwanzig Jahre vereinbart ist. 
Eine solche Vereinbarung beschloss der St. Pöltner Gemeinderat nun im Jänner 2022 einstimmig. Gegenstand sind Arbeiten, um den Friedhof „funktionsfähig, sauber und gepflegt“ zu erhalten“, jedoch ohne Instandsetzungsarbeiten. Dafür wiederum ist die IKG zuständig, die dafür Mittel aus dem Fonds erhält. Doch warum hat es nun so lange gedauert, bis man sich einig war? Klaus Hoffmann ist Generalsekretär der IKG Wien und erklärt: „Wir sind österreichweit für 65 Friedhöfe verantwortlich und hatten uns in den letzten Jahren auf jene konzentriert, die in einem noch schlechteren Zustand waren, als der in St. Pölten. Es freut uns aber, dass wir nun mit Stadt St. Pölten und Land Niederösterreich eine zukunftsfähige Lösung gefunden haben, die sowohl für die ehemalige Synagoge, als auch den Friedhof Hand und Fuß hat.“ Derzeit laufen die Planungen, im Frühling 2023 soll die Umsetzung beginnen, samt Sanierung der Zeremonienhalle. Pünktlich zum Frühjahr 2024 sollen die Arbeiten dann abgeschlossen sein. 
Seitens der Stadt St. Pölten führt Kulturamtsleiter Alfred Kellner aus: „Die Stadt St. Pölten ist sich der besonderen Bedeutung des jüdischen Erbes in unserer Stadt in hohem Maße bewusst. In besonderer Weise kommt die Bedeutung, die wir unserer jüdischen Geschichte beimessen, in dem großen Projekt zur Restaurierung und Erweiterung der ehemaligen Synagoge zum Ausdruck, das von der Stadt unterstützt wird und bis zum Jahr 2024 abgeschlossen sein wird. Im Zusammenhang mit diesem großen Restaurierungsprojekt ist es besonders wichtig, dass auch die Sanierung des jüdischen Friedhofes in Angriff genommen wird. Denn die jüdischen Friedhöfe stellen einen integralen Bestandteil der jüdischen Kultur unserer Stadt dar, sind Kulminationspunkte der Erinnerung und des Wissens um die jüdische Geschichte unserer Stadt.“ 
Martha Keil vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs (INJOEST) hat viele Jahre beharrlich um eine Lösung für den Friedhof gekämpft, dementsprechend groß ist ihre Freude. Über die Gründe, warum es so lange gedauert hat, könne sie nur mutmaßen. Aber die erwartbare hohe Aufmerksamkeit für die Ehemalige Synagoge und den jüdischen Friedhof in zwei Jahren wird wohl auch zur Einigung beigetragen haben – „das magische Jahr 2024 ermöglicht so manche erstaunliche Entwicklung.“ Dass es so lange gedauert hat, quittiert sie mit einem Zitat von Rosl Lustig-Kubin, einer vertriebenen St. Pöltner Jüdin, als diese 1998 von INJOEST und Stadt St. Pölten eingeladen wurde: „Better late than never“. 
Doch wie sieht nun die Zukunft des jüdischen Friedhofs aus? Im Wesentlichen geht es um die laufende Pflege der Grünanlage und der Grabsteine, damit ein würdevoller Erinnerungsort geschaffen wird. Die Zeremonienhalle wird unter Einbindung des Denkmalamtes saniert. Als hoch religiöser Raum wird sie aber wohl das bleiben, was sie ist: eine Zeremonienhalle für einen Friedhof, bei dem es wohl auch in Zukunft kaum neue Belegungen geben wird. Dass sie zukünftig eine erweiterte Nutzung erfahren soll, scheint nicht realistisch. Zumal gerade mit der nun fixierten Renovierung und deutlichen Aufwertung der ehemaligen Synagoge ein viel passenderer Rahmen für Projekte, etwa aus der Erinnerungskultur, verfügbar ist. Nach langem Warten scheint gesichert, dass die Nachkommen der jüdischen Einwohner dieser Stadt, ihre verstorbenen Vorfahren im würdigen Rahmen wissen. Doch auch alle anderen erhalten einen besonderen Ort, um sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern.