MFG - Bleiben die Wohnzimmer kalt?
Bleiben die Wohnzimmer kalt?


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Bleiben die Wohnzimmer kalt?

Text Sascha Harold
Ausgabe 09/2022

Die aktuelle Energiekrise trifft derzeit alle. Die Strompreise steigen und treiben gleichzeitig die Inflation an, mit Bangen blicken viele auf den kommenden Winter.


Frierende Kinder sind aktuell ein politisch gerne verwendetes Bild. „Die SPÖ ist verantwortlich wenn Kinderzimmer kalt bleiben“, schreibt die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer etwa auf Twitter. Einige Tage zuvor stichelte der St. Pöltner Stadtchef Matthias Stadler in Richtung Regierung: „Keiner – und schon gar nicht Kinder – soll frieren müssen, nur weil die Zuständigen nach Monaten noch immer keine ernstzunehmenden Lösungen erarbeitet haben.“ Politisch gehen die Wogen also bereits hoch – wie sieht die Situation in der Praxis aus? Welche Vorbereitungen werden auf einen möglichen Gaslieferstopp Russlands getroffen und wie sieht es mit der Energieversorgung eigentlich aus?
Einer, der die Situation gut kennt, ist Herbert Greisberger, Geschäftsführer und Leiter des Bereichs Energie & Klima in der Energie- und Umweltagentur des Landes NÖ (eNu). „Wir haben beim Strom eine hohe Erzeugung in Niederösterreich und können über das Jahr gerechnet unseren Endenergiebedarf zu 100 Prozent decken – aber das gilt eben nicht für jeden Zeitpunkt.“ Schwierig ist die Situation beim Thema Heizen. Stand 2019/2020 heizten fast 28 Prozent der niederösterreichischen Bevölkerung mit Erdgasheizungen, weitere 18 Prozent mit Fernwärmeanlagen, die ebenfalls – in unterschiedlichem Ausmaß – Gas für den Betrieb benötigen. Angst vor einer kalten Wohnung müsse man keine haben, werden die Gaslieferungen aus Russland allerdings drastisch reduziert oder eingestellt, könne es zu Engpässen kommen. Greisberger erklärt: „Die Haushalte sind geschützte Kunden und werden versorgt. Weil beim Gas aber die kurzfristigen Alternativen weitgehend fehlen, wird man bei einem Kappen der Gasimporte die Versorgung für Betriebe reduzieren müssen, die nicht systemrelevant sind.“

Wie geht’s weiter mit der Industrie?
Dass es vor allem in der Industrie deutliche Abhängigkeiten von Gas aus Russland gibt, dem stimmt auch der Präsident der Industriellenvereinigung NÖ Thomas Salzer zu. „Gas aus Russland ist in der Industrie kurz und mittelfristig definitiv nicht vollständig substituierbar, obwohl partiell Betriebe auf alternative Energieträger wie Öl umgestellt haben. Insbesondere in der Lebensmittelindustrie ist dies der Fall.“ Ein Gaslieferstopp müsse daher, so Salzer weiter, auf jeden Fall vermieden werden. Geklärt müsste jedenfalls werden, welche Betriebe in so einem Fall als systemrelevant eingestuft werden und welche nicht. 
Welche Vorbereitungen trifft die Politik für eine etwaige Notsituation? Geht es nach dem St. Pöltner Bürgermeister, dann tut sie jedenfalls zu wenig: „Wie im Corona-Management taumelt die Bundesregierung wieder konzeptlos einem besonders herausfordernden Herbst entgegen, nun auch mit leeren Gasspeichern.“ Stadler hält weiter fest, dass es sich bei der aktuellen Krise um eine Herausforderung handle, die nicht auf kommunaler Ebene behoben werden könne. Dennoch bereite man die heimischen Betriebe auf mögliche Szenarien vor. Stadler: „So wie wir uns stadtintern Maßnahmen überlegen, so bereiten sich auch unsere Betriebe auf mögliche Energieengpässe vor. Wir sind in laufendem Kontakt mit den St. Pöltner Betrieben, die meisten bereiten sich derzeit auf einen möglichen Umstieg auf Öl als Ersatzbrennstoff vor, um eine durchgehende Produktion gewährleisten zu können. Das ist notwendig, tut aber weh, wenn man an die Klimaziele denkt.“

Kritik aus der Opposition
Definitiv nicht genug tut die Stadt allerdings für den Obmann der St. Pöltner Volkspartei, Florian Krumböck. Bereits Anfang August ließ er per Aussendung wissen: „Ganz Österreich spricht über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, um einerseits die Abhängigkeit von Russ­land zu verringern und andererseits die schädlichen Auswirkungen von Kohle-, Gas- und Öl-Heizungen auf das Klima einzudämmen. Nur in St. Pölten scheint diese Diskussion noch nicht angekommen zu sein“, kritisiert er und fügt hinzu, dass es nach wie vor keine Antworten darauf gebe, wann die stadteigenen Gebäude auf nicht-fossile Heizsysteme umgerüstet würden. Er verweist gegenüber MFG zudem auf ein Konzept aus dem Jahr 2010, in dem die St. Pöltner VP ein „Modell-Güssing“ in Sachen Energie-Autarkheit für St. Pölten vorschlug, das aber nie realisiert wurde. „Was uns die vielen Krisen aber zeigen ist, dass es in grundlegenden Fragen mehr Zusammenarbeit und weniger Parteitaktik braucht“, fügt Krumböck hinzu. Dass die jetzige Situation maßgeblich durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verursacht ist, thematisieren die Parteien wenig. Nur die St. Pöltner FPÖ stellt grundsätzlich die Sanktionen in Frage, die Österreich gemeinsam mit der Europäischen Union mitträgt. „Die Sanktionen gefährden den Wohlstand der Menschen, unsere Wirtschaft und hunderttausende Arbeitsplätze und werden den Krieg in der Ukraine nicht beenden, das kann nur durch Verhandlungen mit Russland geschehen“, lässt FP-Stadtrat Klaus Otzelberger wissen. Die Stadt solle sich daher für ein Ende der Sanktionen einsetzen. 
Neos-Gemeinderat Nikolaus Formanek hat dagegen auf der einen Seite Verständnis für die Stadtregierung: „Kurzfristig kann die Stadt nur hoffen, dass sich die Lage entspannt und Europa und der Bund es schaffen irgendwie eine ausreichende Energieversorgung für Österreich sicher zu stellen um eine tatsächliche Notlage zu verhindern.“ Auf der anderen Seite übt Formanek aber Kritik an der Prioritätensetzung der Stadt. „Statt zwölf Millionen Euro in ein KIKULA oder mehr als 30 Millionen Euro insgesamt in ein Projekt ‚Kulturlandeshauptstadt‘ zu werfen, wäre es sinnvoller diese Summen in eine völlige Neuorientierung der Energiepolitik der Stadt zu investieren. Mit diesen Geldern könnten Haushalte und Unternehmen in der Stadt unterstützt werden, um Abschied von Gas und Öl zu nehmen und zukunftsfit zu werden“, so der Gemeinderat. Bio­masseanbau und eine ehrgeizige Sanierungsoffensive mit CO2 bindenden Werkstoffen wären etwa effektive Maßnahmen, so Formanek weiter. Die Grünen stoßen ins selbe Horn. „Seit Jahrzehnten wird Energieautarkie gepredigt. Themen wie Umstieg auf erneuerbare Energien und Steigerung von Energieeffizienz wurden nicht ausreichend ernst genommen. Der Bürgermeister wurde durch den Gemeinderat bereits vor elf Jahren einstimmig beauftragt, nach Energie-Effizienz-Dienstleis­tern zu suchen. Seither ist nichts geschehen“, heißt es aus der grünen Fraktion. Mit Energiespartipps alleine sei die Energiewende nicht zu schaffen. Eines mache die Krise zudem deutlich: „Bereits jetzt muss sich die Stadt den Vorwurf gefallen lassen, zu spät, zu langsam und zu wenig gehandelt zu haben.“
 
Energiesparen ist en vogue
Doch was kann nun gegen die derzeitige Energiekrise akut getan werden? Die eNu bietet zu genau diesem Thema Beratungen an, die Nachfrage ist in den vergangenen Monaten regelrecht explodiert. „Im Vergleich zu 2018 hat sich die Nachfrage an Beratungen verzehnfacht. Zu uns kommen Menschen, die beispielsweise die Heizung tauschen oder ihre Häuser dämmen wollen oder Informationen zum Thema Photovoltaik brauchen“, führt Greisberger aus. Um den Ansturm zu bewältigen, hat die eNu die Zahl ihrer Mitarbeiter verdoppelt und die Zahl der Berater erhöht. Dennoch komme es derzeit zu Engpässen, nicht nur bei den Beratungsleistungen, sondern sowohl bei Fachkräften die für Montage und Umbauarbeiten gebraucht werden als auch beim Material. „Es gab schon im letzten Jahr einen Anstieg bei der Umstellung von Heizsystemen, weil es sehr gute Förderungen beim Wechsel weg von Ölheizungen gegeben hat. Seit Februar kommen da jetzt gasversorgte Gebäude dazu“, so Greisberger. Informieren möchten sich nicht nur Privatpersonen. Eine der am meisten nachgefragten Informations-Broschüren der letzten Zeit richtet sich gezielt an Gemeinden und zeigt Handlungsmöglichkeiten auf. Die Einsparmaßnahmen sind in ein Ampelsystem gegliedert, „grüne“ Maßnahmen sind solche, die im Grunde laufend gesetzt werden sollten, um Energie einzusparen. Darunter fallen etwa im Bereich Wärme die Verwendung von Raumthermostaten mit Zeitsteuerung für Tag- und Nacht- bzw. Wochenendbetrieb in öffentlichen Gebäuden oder beim Bereich Strom Außenbeschattung statt stromintensiver Klimaanlagen. „Gelbe“ Maßnahmen sind tiefer einschneidend und können bei Lieferengpässen in Betracht gezogen werden. Hier wird im Bereich Strom unter anderem angeführt nicht notwendige Objektbeleuchtung abzuschalten oder Getränke- und Snackautomaten in Gemeindeeinrichtungen außer Betrieb zu nehmen. Im Bereich Wärme könnte im Falle von Energieengpässen etwa für eine Reduktion der Betriebszeiten sämtlicher Freizeiteinrichtungen (etwa Bäder oder Seilbahnen) vorgeplant werden. 
Was in der aktuellen Krisenstimmung nicht vergessen werden sollte ist, dass das Einsparen von Energie und der Umstieg auf erneuerbare Energieträger auch ohne die aktuell hohen Preise notwendig waren und sind. Im Kampf gegen den Klimawandel könnte sich die aktuelle Situation gar als Chance erweisen. „Energiesparen war schon lange nicht mehr en vogue, aktuell gehen die Broschüren aber weg wie warme Semmeln. Beim Bau von Photovoltaik haben wir außerdem heuer eine Vervierfachung und auch bei Windkraftanlagen gibt es ein anderes Bewusstsein. Die Bevölkerung fordert das auch stärker ein und das Interesse nimmt zu. Das alles macht Dinge möglich, die es früher nicht waren“, gibt sich Greisberger hoffnungsvoll. Bleibt zu hoffen, dass das Bekenntnis zu erneuerbaren Energien und das erwachte Bewusstsein für die Knappheit von Energie nicht mit einem, derzeit zugegeben in weiter Ferne scheinenden, Ende des Russland-Konflikts vergessen wird.