MFG - Der Brotberufene
Der Brotberufene


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Der Brotberufene

Text Thomas Fröhlich
Ausgabe 12/2022

Die Bäckerei und Café-Konditorei Fröstl in der Wiener Straße ist eine St. Pöltner Genuss-Institution, die bis ins Jahr 1946 zurückreicht. Es ist dies zugleich auch das Geburtsjahr des jetzigen Betreibers, Norbert Fröstl. „Der Fröstl“ – das ist nicht nur ein Teil St. Pöltner Stadtgeschichte, es ist auch die Geschichte von einem, für den sein Beruf Berufung ist.


Um zwei in der Früh steht er auf. Bis um etwa halb sechs arbeitet er in der Bäckerei, danach geht’s ins Geschäft. Von sieben Uhr bis zehn ist er dann wieder in der Bäckerei tätig. Kurz niederlegen, um ein Uhr mittags ins Geschäft, üblicherweise bis 18 oder 19 Uhr, danach noch kurz in die Bäckerei. Dann ins Bett fallen, Licht aus. Same procedure as every day. Ohne Pause.
„Man muss gern arbeiten“, meint Norbert Fröstl lapidar. Und konkretisiert: „Man freut sich, dass das Gebäck so schön geworden ist.“ Dass es gut schmeckt, ist Ehrensache. Jeder, der beim Fröstl schon einmal Brot gekauft hat, wird das bestätigen. 
Der bildende Künstler und Stadt-Flaneur Walter Berger („Radnetz No. 1“) etwa ist schon lange bekennender Fan der Traditions-Institution: „Zu meiner Volksschulzeit 1958 bis 1962 wohnten wir in einem Jakob-Prandtauer-Haus in der Schmidgasse 5, das später leider abgerissen wurde. In dieser Zeit wurde ich zur Bäckerei Fröstl einkaufen geschickt. Da stand noch die Frau Fröstl, die Mutter des jetzigen Seniorchefs Norbert, hinterm Verkaufspult.“ Danach zog es Berger nach Wien (und Rom). „Seit 2004, nach meiner Rückkehr in mein Haus in St. Pölten, bin ich wieder Stammkunde bei Fröstl. Das Brot ist super und dann gibt es ja auch den 5er-Semmelwecken und Käsegebäck.“ Alles vom Feinsten, versteht sich. 
Im Grunde bewältigt Norbert Fröstl alles, was mit der Bäckerei zu tun hat, allein (von gelegentlichen Hilfen einmal abgesehen). Das mag unglaublich in den Ohren jener klingen, die sowas wie eine „Work-Life-Balance“ im Hinterkopf haben. Für ihn hingegen ist die Arbeit sein Leben. „Früher, als ich noch Gesellen hatte, bin ich sogar zum Fernschauen gekommen.“ Jetzt gehe das gar nicht mehr. Im Lokal hilft sein Sohn Michael von halb sieben bis eins mit, um danach einkaufen zu gehen. Norbert Fröstl selbst ist Witwer und hat einen Sohn sowie eine Stieftochter.

St. Pöltner Institution in der Wiener Straße 
Die Bäckerei Fröstl existiert seit 1946, dem Geburtsjahr von Norbert Fröstl. Das Kaffeehaus wurde 1977 eröffnet. „Am Sonntag haben wir damals so um neun Uhr aufgesperrt“, erinnert er sich. „Und die Leute sind Schlange gestanden. Jetzt wird um sieben geöffnet. Bin mir nicht sicher, ob damals viele sonst am Sonntag offen gehabt haben.“ Damals kamen alle, jung und alt. Heutzutage spricht das Kaffeehaus eher Ältere an, wenig Junge finden sich unter den Gästen, obgleich es sich beim ausgezeichneten Mittagsmenü durchaus noch generationsübergreifend mischt: Da wird klassische Hausmannskost angeboten (Reisfleisch! Gefüllte Paprika! Geröstete Knödel!) – durchaus ein Fest für jene, die ihr Essen lieber verspeisen als fotografieren, wie es etwa in Boboville seit einiger Zeit Usus ist.
„Da Fröstl“, wie ihn seine Klientel liebevoll nennt, ist wohl der letzte Überlebende unter den klassischen Kaffeehäusern St. Pöltens und die Qualität seiner angebotenen Produkte ist ungebrochen. Mit seinen gewölbeartigen Räumlichkeiten wirkt das Kaffeehaus beinahe ein wenig aus der Zeit gefallen. Eine ansonsten etwas verloren gegangene Gediegenheit alter Schule zieht sich durch jede Nische und jeden Durchgang. Der Garten ist im Sommer eine kleine, ein wenig versteckte Oase inmitten städtischer Geschäftigkeit und forcierten Innenstadt-Hipstertums. „Man trifft Leute beim Fröstl, die man sonst in der Stadt nie trifft“, meint Stammgast Frunz, der noch vor einigen Jahren unter anderem im Cinema Paradiso oder in der Seedose schön schräge Veranstaltungen („Plattenquiz“ etc.) ins Leben gerufen hatte. Ein Besuch dort ist wie das Eintauchen in ein Paralleluniversum, in dem man ein wenig durchatmen kann, bevor man sich dem galoppierenden Wahnsinn namens Alltag erneut aussetzt.   
Wie Norbert Fröstls Lebenslauf aussieht? „Jo, normal hoid!“ Gelernt habe er in einer Bäckerei in Amstetten. „Ich wollte immer schon Bäcker werden.“ Er denkt kurz nach: „Vielleicht haben’s mir auch meine Eltern eingeredet.“ Er lacht. Und wenn schon. Bereut hat er’s nie. Auch nicht, als er noch in seinen Jugendjahren mit einem Bekannten auf Saison in Italien war. Er passte aufs Gebäck und dessen Herstellung auf, da sein Mitstreiter das Wort Streiten offenbar etwas zu ernst nahm: „Er war einer, der sich nichts gefallen lassen hat.“ Der junge Herr Norbert sei mit ihm gut ausgekommen, „aber er hat halt ganz gern gerauft, wenn ihm was von irgendwem dort nicht gepasst hat“, erinnert er sich. Und so hatte er die Verantwortung als Saisonier in Bella Italia mehr oder weniger alleine zu tragen.
Lang, lang ist das her. „Heute weiß man nie, wieviel man zubereiten soll“, holt der Bäcker und Cafetier uns in die St. Pöltner Gegenwart zurück. „Am Nationalfeiertag zum Beispiel war gar nichts los.“ Er resümiert: „Früher war das anders. Da gab’s ja zum Beispiel noch die Wandertage, wo die Leute Proviant gekauft haben; man konnte sich drauf verlassen.“ Und dann komme heute auch noch der Zwang zum Energiesparen dazu. „Man muss halt den Ofen zurückschalten, wenn man fertig ist.“ 
Leicht hat’s der langjährige Inhaber sowieso nicht: „Ich hab‘ eine Steuerrückzahlung von 140.000 Euro“, gesteht er. Ein nicht sehr zuverlässiger Steuerberater dürfte ihm das eingebrockt haben, was ihn, als das Ganze spruchreif wurde, wie ein Schlag getroffen hatte. „Seit zwei Jahren frisst das meine ganze Pension.“ Gottseidank bekomme er in den nächsten Jahren eine Lebensversicherung ausbezahlt – „die geht dann ohnehin dafür drauf.“ Er war nie im Krankenstand und von einem längeren Urlaub könne er nur träumen. „Vielleicht mit 80 einmal …?“
Und auch die Corona-Maßnahmen hatten ihn schwer getroffen. Und das betreffe nicht nur die Zeit der zahllosen Lockdowns: „Viele, die vor Corona noch gekommen sind, kommen nimmer.“
Ob er sich von der Politik wertgeschätzt oder gar unterstützt fühle? „Nein!“ Ein Nein, das wie aus der Pistole geschossen kommt. Und kein weiterer Kommentar dazu. Der würde sich erübrigen.
Und dennoch: „Ich möchte mit niemandem tauschen.“ Auch im Hinblick auf die dräuende Stromrechnung meint Fröstl: „Für mich genügt’s, wenn sich’s ausgeht.“ Und er ergänzt: „Ich würd‘ Pension wahrscheinlich sowieso nicht aushalten. Ich hab‘ immer gern gearbeitet.“ Schließlich habe er schon als Zehnjähriger begeistert in der Bäckerei mitgeholfen: „Habe damals als Kind schon das Holz in den Ofen geschoben – ich wollte immer was tun!“ Wenn der Bäckersmann derlei erzählt, funkeln seine Augen und er wirkt für ein paar Momente tatsächlich wieder wie der kleine Bub, der sich gleichsam spielerisch auf ein arbeitsames, aber erfüllendes Leben vorbereitet.
Und der sich mit Hingabe um sein „schönes Gebäck“ kümmert.