MFG - Matthias Stadler - Sprechstunde
Matthias Stadler - Sprechstunde


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Matthias Stadler - Sprechstunde

Text Johannes Reichl
Ausgabe 05/2023

Wüsste man es nicht besser, es könnte einem angst und bang angesichts der hohen Militärpräsenz im St. Pöltner Rathaus werden. Überall wuseln Soldaten in ihren „Tarn“-Uniformen durch die Gänge. Aber ich bekomme rasch Entwarnung. Es ist nur der traditionelle Zapfenstreich angesagt, und so empfängt mich ein gut gelaunter Bürgermeister ausnahmsweise nicht im Bürgermeisterzimmer, sondern im Stadtsenatssitzungssaal. Ein Gespräch über Regieren in Zeiten der Krise, harte Finanzausgleichsverhandlungen, reflexartigen Widerstand bei Großprojekten, den Spagat zwischen Wachstum und Klimaschutz, 2024 und die SPÖ.


Trügt der Schein, oder ist Politikmachen schwieriger geworden? Egal, was man sozusagen anreißt, sofort regt sich Widerstand.
Ich glaube, die Zeiten sind insgesamt schwieriger geworden, nicht nur in der Politik. Das berichten auch unsere Mitarbeiter in der Verwaltung, dass die Bürger ungeduldiger, unentspannter, teils aggressiver sind als früher und schon bei kleinen Dingen rasch emotional werden. Das muss man aber auch verstehen.

Dass man seinen Frust an anderen auslässt?
Die Menschen stehen einfach unter enormem Druck, auch psychologisch. Ich hab mir das unlängst für mich selbst überlegt: Im Grunde genommen gab es in meiner fast 20-jährigen Amtszeit mit Ausnahme der ersten Jahre von 2004 bis 2007 keine einzige Phase, in der nicht irgendeine Krise aufgepoppt wäre: Bankenkrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise, Energie- und Teuerungskrise, dazu immer dringlicher die Klimakrise. Das macht etwas mit den Menschen, das macht vor allem Angst, zumal es ja mit konkreten negativen Auswirkungen einhergeht: Die Menschen sehen sich mit höheren Energiepreisen, mit gestiegenen Lebensmittelpreisen, mit steigenden Mieten konfrontiert – viele wissen nicht mehr, wie sie sich das alles leisten sollen. Das Neue daran ist, dass nicht nur mehr die Ärmsten zu kämpfen haben, sondern zusehends auch der Mittelstand betroffen ist. 

Bedürfte es in diesen Krisenzeiten aber nicht auch einer Politik, die trotz allem so etwas wie Zuversicht verströmt, Hoffnung und Mut macht? Aktuell hat man eher den Eindruck, dass viele Politiker selbst konfus im Panikmodus herumlaufen.
Natürlich muss man Antworten geben, dafür sind wir gewählt, aber umgekehrt kann ich auch nicht die Dinge schön reden von wegen „na, in drei Monaten ist das eh alles vorbei.“ Da wird man schnell unglaubwürdig und verliert noch mehr Vertrauen. Das war ja teils das Problem während der Pandemie, weil die Regierung vermittelte, „aber jetzt, nach dem Lockdown, nach dem Sommer, nach der Variante ist der Corona-Spuk vorüber“ – und dann ist er doch weitergegangen. Das verunsichert mehr als wenn man den Leuten reinen Wein einschenkt. Etwas vormachen kann also nicht der richtige Weg sein, aber natürlich muss man konkrete Taten setzen.

In vielen aktuellen Fragen ist ja vor allem der Bund gefordert, aber was kann eine Stadt wie St. Pölten beitragen, um die Situation zu entschärfen?
Wir haben etwa für die in unserem Besitz befindlichen Wohnungen eine Mietpreisbremse eingeführt, weil das den Mietern am meisten hilft. Warum dies nicht auch der Bund tut, ist unbegreiflich, ja verantwortungslos. Wir haben in St. Pölten außerdem neben der Erhöhung des Heizkostenzuschusses auch einen Teuerungsausgleich ausgerollt, ganz bewusst nicht nur für die Mindestsicherungsbezieher, sondern auch für die Gehaltsgruppen knapp darüber, weil diese oft ebenfalls rasch in eine Problemlage geraten, aber aus den meisten Fördertöpfen rausfallen. Außerdem haben wir bisher die Gebühren und Abgaben nicht erhöht – auf Dauer werden wir das aber nicht durchhalten, so ehrlich muss man sein.

Wien ist ja bei den Teuerungen großteils mitgegangen und wurde dafür harsch kritisiert.
Wien ist aber auch eine Millionenstadt mit ganz anderen Strukturen als etwa Gemeinden in Niederösterreich. Das Perverse aktuell ist eher, dass die Bundesregierung durch diverse Maßnahmen DER Treiber der Inflation ist und wir als Kommunen versuchen, eine weitere Verschärfung der Inflation zu verhindern, indem wir eben nicht erhöhen und stattdessen Abgänge in Kauf nehmen – was aber auch nicht alle können. Da steht St. Pölten zum Glück noch auf soliden Beinen. Wenn ich dann höre, dass man quasi mit einer nachhaltigen Beruhigung der Teuerung erst 2027 rechnet, dann werden wir das auf Dauer nicht durchhalten. In manchen Bereichen wie etwa Wasser und Kanal ist das auch juristisch gar nicht möglich, da müssen wir von Gesetzes wegen kostendeckend bilanzieren. 

Wie eine Privatperson ist natürlich auch die Stadt selbst von den Kostensteigerungen betroffen. Wie wirkt sich das bei uns aus?
Um ein Gespür für die Dimensionen zu bekommen: Allein für Strom, Gas, Heizung sind wir aktuell mit Mehrkosten von 11,5 Millionen Euro konfrontiert! Ich will gar nicht daran denken, wie viel neue Kindergarten-Gruppen wir damit eröffnen könnten. Und das ist nur ein Aspekt. Genauso sehen wir uns mit erhöhten Personalkosten, erhöhten Lebensmittelpreisen, gestiegenen Baukosten etc. konfrontiert. Zugleich hat die Bundesregierung das Kunststück fertiggebracht, dass trotz hoher Inflation seit vier Monaten die Bundesertragsanteile für die Kommunen sinken! Das zeigt auch, dass alte Maßnahmen einfach nicht mehr greifen in dieser Krise, wie etwa der Glaube, dass eine hohe Inflation zugleich die öffentlichen Schulden senkt. Das hat vielleicht in der Bankenkrise funktioniert, aber hier ist die Wurzel eine andere. Und es fällt uns auch die Gießkanne der Corona-Pandemie auf den Kopf, wenn ich an den ehemaligen ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel denke von wegen „koste es, was es wolle.“ Die Zeche müssen wir jetzt bezahlen.

Die Bundesertragsanteile sind ein gutes Stichwort – aktuell laufen ja die Finanzausgleichsverhandlungen, wo Sie als Vertreter des Städtebundes eingebunden sind. Da geht’s genau um diese Aufteilung der Bundessteuern auf Bund, Länder und Kommunen?
Genau, und unsere klare Forderung ist, dass der vertikale Schlüssel – welche Körperschaft also prozentuell wie viel vom Kuchen bekommt – zugunsten von Ländern und Städten angepasst werden muss. Dieser ist nämlich seit Jahren unverändert, zugleich hat der Bund aber laufend Aufgaben an die Kommunen delegiert ohne diese finanziell abzugelten. Auch bei vermeintlichen Landesmaterien, wie z. B. Pflege oder Soziales, sind wir als Städte über diverse Umlageerhöhungen im zweistelligen Bereich unmittelbar betroffen. St. Pölten kann zum Glück auf solide Kommunalsteuereinnahmen bauen, weil wir viele Betriebe haben und wachsen, aber kleinere Kommunen haben diese Einnahmen nicht in dem Ausmaß,  müssen aber trotzdem immer mehr zahlen – das geht sich dann nicht mehr aus, um die Leistungen für die Bürger aufrecht zu erhalten. Da muss man rasch gegensteuern. Auch wir können in Zukunft nicht alles alleine stemmen. 

Was zum Beispiel?
Wenn ich alleine an die Mobilität denke. Der Ausbau des LUP, die Idee des O-Busses ins Umland, der Ausbau des Schienenverkehrs – kurzum die ganze Frage des Öffentlichen Verkehrs wie überhaupt die gesamte Frage der Mobilitätswende, wenn man etwa bedenkt, dass ein elektrobetriebener Bus heute in der Anschaffung noch immer um ein Drittel teurer ist als einer mit Verbrennungsmotor – all das ist ohne Mittel des Bundes nicht zu finanzieren. Diese brauchen wir auch in unseren Bemühungen zur Klimapionierstadt – wir reden da von neuen Wohnformen, der Umrüstung der Busflotte, dem Ausstieg aus alten Energiesystemen – wie schaffen wir es etwa, die letzten 12% Gas bei der Fernwärme auch noch wegzubekommen und ähnliches. Und da geht es ja nicht nur um St. Pölten, sondern um Klimaneutralität insgesamt, die ja laut Vorgaben der EU bis 2040 erreicht sein soll. Da ist der Bund in vielem säumig oder lange gewesen, wenn man etwa weiß, dass Genehmigungsverfahren für Windräder bis vor kurzem bis zu 15 Jahre dauern konnten. Der Bund ist also gefordert, diesen Wandel durch sinnvolle Gesetze und budgetäre Mittel rasch auf Schiene zu bringen, andernfalls werden wir nämlich hohe Strafzahlungen zu berappen haben, und es kann dann nicht sein, dass Länder und Kommunen für die Versäumnisse der Bundesregierung zur Kasse gebeten werden. 

Viele der kommenden Herausforderungen hängen also auch mit dem Klimawandel bzw. dessen Bekämpfung zusammen. Ein Thema, das diesbezüglich immer kritischer gesehen wird, ist die Frage der Bodenversiegelung. Viele sind etwa der Meinung, dass in der Stadt zu viele Wohnungen gebaut werden. 
Um das vielleicht einmal prinzipiell klarzustellen, weil immer wieder Leute auf mich zukommen und sagen, „Bürgermeister, warum baut ihr so viel?“ Also, wir als Stadt bauen überhaupt keine Wohnungen – gar nicht so sehr, weil wir nicht wollten, sondern weil wir schlicht nicht konkurrenzfähig sind. Der Wohnbau erfolgt großteils durch Wohnungsgenossenschaften und Spekulanten, die auf dafür gewidmeten Flächen bauen. Das sind teils alte Baulose, die eben jetzt erst gezogen werden, aber auch nicht ausufernd wie mir scheint. Im Vorjahr wurden etwa 973 Wohnungen fertiggestellt. 1.900 befinden sich im Bau. Dadurch ist es gelungen, dass in St. Pölten als einziger Landeshauptstadt die Mietpreise sogar leicht gesunken sind, während andere über Wohnungsnot und horrende Preise klagen – denken wir allein an den Salzburger Wahlkampf, wo das ein Riesenthema war und der KPÖ zu 20% in Salzburg Stadt verholfen hat. Und der ÖVP ins Stammbuch geschrieben, weil die ja gerne St. Beton plakatiert: 85% der umgesetzten Wohnungen in St. Pölten werden von ÖVP-nahen Genossenschaften errichtet. Sich dann hinzustellen und zu behaupten, der Bürgermeister ist der böse Versiegler, ist extrem scheinheilig. Zumal unser Ansatz ein ganz anderer ist: Wir bemühen uns, die bereits gewidmeten, zentrumsnahen Flächen zu verdichten – was auch nicht allen gefällt – anstatt Gründe auf der grünen Wiese neu aufzuschließen, einfach weil das ökologisch am nachhaltigsten ist. Aber eines ist klar: Dieses Spannungsfeld wird uns in Zukunft treu bleiben und für viele Diskussionen sorgen, wobei wir den Spagat versuchen, vernünftiges und nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten, damit die notwendigen Bedürfnisse der Bürger erfüllt werden und wir zugleich die Klimawende schaffen.

Wohnbau ist das eine, große Stadtprojekte sind das andere, wo ebenfalls fast reflexartig Gegenwind aufkommt und ein Eingreifen der Stadt, etwa durch Umwidmungen, gefordert wird. Können Sie die Bedenken nachvollziehen?
Manches kann ich nachvollziehen, manches nicht. Prinzipiell verhält es sich hier ähnlich wie am Beispiel des Wohnbaus erläutert. Auch da kann ich als Bürgermeister nicht willkürlich in die Widmungen eingreifen – das versuche ich auch den Leuten zu erklären, indem ich ein persönliches Beispiel bringe: „Stell dir vor, du hast ein Grundstück geerbt, da passen der Bauordnung entsprechend drei Häuser drauf. Nun willst du für deine Familie, vielleicht deine Kinder, bauen, und dann komme auf einmal ich daher und sage ‚Nein, das geht nicht – es dürfen nur zwei sein.‘ Wie würdest du reagieren?“ Ich kann mich als Bürgermeister doch bitte nicht über geltendes Recht hinwegsetzen, das wäre ja die reinste Willkür. 

Man kann aber dort, wo man selbst Grundstücke besitzt und verwertet, regulierend eingreifen – wie etwa beim Eisberg, wo ja großer Widerstand gegen das Sicherheitszentrum aufgepoppt ist, zumal – bevor noch die Frage etwaiger Bodenversiegelung Thema war – sich neue Anrainer beim Kauf der Grundstücke von der Stadt falsch informiert fühlten.
Also jeder, der dort neu gebaut hat, hat gewusst, dass daneben ein Gewerbegebiet ist – und zwar seit Ewigkeiten. Deshalb haben wir ja auch ganz bewusst einen Wall aufgeschüttet, um etwaige Beeinträchtigungen für die Anrainer so gering wie möglich zu halten. Umgekehrt, was die Frage des Wohnbaus und der angeblichen Bodenversiegelung dort oben prinzipiell betrifft: Das Areal ist seit Jahrzehnten als Ausbaugebiet der Stadt vorgesehen, ganz bewusst neben dem Wald gelegen, um die ideale Durchmischung von Wohn- und Grünraum zu gewährleisten, wie uns dies ja z. B. auch beim Sturm-19-Park oder der Südsee umtreibt. Das sind ja alles keine mutwilligen Projekte, die wir uns aus den Fingern saugen, sondern da denken wir uns schon etwas dabei. So war es auch am Eisberg, wo wir – obwohl wir das nicht müssten – für den Erhalt zusätzlichen Grünraums vorgesorgt haben, indem wir das Retentionsbecken und die Eisbergspitze umgesetzt und zahlreiche Bäume gepflanzt haben. Das hat uns gut sieben Millionen Euro gekostet, was mir umgekehrt wiederum die Kritik einbrachte, ich würde wertvolles Bauland opfern, das man doch zum Beispiel für verdichteten Wohnbau nutzen und damit Geld machen könnte.  
 
Im Hinblick auf Bodenversiegelung wird am Eisberg aber vor allem gegen das Sicherheitszentrum gewettert, außerdem wird ein Verkehrschaos befürchtet. Ist dort Ihrer Meinung nach wirklich der ideale Standort?
Also die Polizei zieht alle ihre Landeseinrichtungen in St. Pölten an einem Ort zusammen, da liegt es doch nahe, dort im Gewerbegebiet, wo bereits das Landeskriminalamt und andere Einrichtungen situiert sind, zu erweitern. Was wäre die Alternative – dass man es im Süden im NOE Central Gebiet umsetzt und das Landeskriminalamt nach nur 14 Jahren wieder wegsprengt? Und was wäre damit gewonnen, außer eine Verlagerung? Wie gesagt, es handelt sich um Gewerbegebiet, dort könnte genauso gut das REWE Lager entstehen – ich weiß nicht, ob das für die Anrainer besser wäre.

Womit wir beim zweiten heißen Eisen sind. Zuletzt wurden 3.200 Unterschriften gegen das Projekt eines REWE-Frischelagers gesammelt – auch hier stößt man sich vor allem an der Bodenversiegelung – mit 17 geplanten Hektar ist das wirklich ein Riesenfleck. Juristisch versucht man es über die Widmung auszuhebeln, weil die Stadt – laut Bürgerinitiative – im Hinblick auf Hochwasser-Lage das Areal in Grünland hätte rückwidmen müssen.
Also ganz ehrlich – mir ist nicht bekannt, dass wir hätten rückwidmen müssen. Es handelt sich ja um ehemalige Eisenbahngrundstücke, die seit gut 100 Jahren als Betriebsansiedlungsgebiet gewidmet sind und jetzt der ÖBB, aber teils auch uns gehören und im Sinne der Widmung verwertet werden. Und REWE ist ja nicht der erste Betrieb, der sich dort ansiedeln möchte, sondern in den letzten Jahren sind schon etwa Theurer & Plasser oder PREFA hingezogen. Alle Bewerber müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen einhalten, werden verkehrstechnisch und umwelttechnisch genau durchleuchtet – wenn REWE die Auflagen erfüllt, wird es schwierig sein, das Projekt zu verhindern. In so einem Fall fehlen mir als Bürgermeister auch die rechtlichen Instrumentarien – bis vor kurzem konnte ich ja nicht einmal Bäume auf Parkplätzen von Supermärkten vorschreiben. 

REWE selbst hat geschätzt, dass es täglich etwa 1.000 LKW-Fahrten geben wird – bereitet Ihnen das kein Kopfzerbrechen?
Gerade deshalb haben wir als Kommune ja schon im Vorfeld die verkehrstechnische Anbindung zum NOE Central Gebiet so gewählt, dass sie möglichst weit von den Anrainern entfernt verläuft. Und natürlich wäre in diesem Zusammenhang auch die Umsetzung der S34 als weiterführende höhere Straße sinnvoll, um die Verkehrsströme bestmöglich im Sinne der Anrainer zu leiten.
Aber, das möchte ich schon auch sagen – gerade am Beispiel REWE erscheint mir die Diskussion ein bisschen verlogen. Denn es handelt sich um ein Frischelager, von wo aus die Region von einem zentralen gelegenen Punkt aus mit Lebensmitteln versorgt wird. Wird es nicht in St. Pölten umgesetzt, dann halt vielleicht in Loosdorf, Böheimkirchen oder vielleicht in der Slowakei, in Ungarn. Was wäre diesbezüglich aber aus Sicht des Umweltschutzes gewonnen? Da scheint mir doch bei manchen eher das Floriani-Prinzip Hintergrund des Protests zu sein, von wegen Hauptsache nicht bei uns. Aber dann werden die Waren halt von anderswo nach St. Pölten gebracht, das verursacht auch wieder Verkehr und Abgase – ist der ökologische Fußabdruck deshalb insgesamt besser? Ich glaube gerade umgekehrt, dass wir ganz prinzipiell – insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge – wieder viel regionaler werden müssen, anstatt alle Waren per Containerschiff über den ganzen Globus zu schippern mit verheerender CO2-Bilanz. Zum einen, weil Vorortpräsenz auch verstärkt zu regionalen Lieferketten führt – das sehen wir etwa ganz gut beim TANN-Werk von SPAR, wo viele regionale Bauern hinliefern. Zum anderen, weil wir generell unsere Abhängigkeiten minimieren müssen, was uns ja ganz brutal im Zuge der Coronapandemie vor Augen geführt wurde oder aktuell im Hinblick auf die Energieversorgung oder Engpässe bei Medikamenten! Wir müssen also wieder mehr Produktion nach Europa zurückholen und autarker werden. 

Auch nach St. Pölten? Wäre Industrieansiedlung ein Ziel – der Trend ging die letzten Jahrzehnte ja genau in die Gegenrichtung, erst letztes Monat wurde in St. Georgen die Firma Kössler mit 30 Mitarbeitern von Voith geschlossen.
Gegen produzierende Betriebe, die etwa Medikamente herstellen, würde ich mich sicher nicht sträuben. Also prinzipiell ja, warum nicht, zumal Industriebetriebe ja heute nicht mehr mit jenen von früher zu vergleichen sind, sondern enorm hohe Umweltstandards erfüllen müssen. Zudem muss man auch die hochwertigen Arbeitsplätze und die damit verbundenen Einnahmen durch die Kommunalsteuer sehen.

Regionale Nachhaltigkeit – um auf ein ganz anderes Thema zu kommen – wird auch im Hinblick auf den Kulturschwerpunkt 2024 eingefordert. Sind Sie mit den bisherigen Entwicklungen im Nachhall der gescheiterten Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt zufrieden?
Also prinzipiell bin ich sehr froh, dass Bund und Land zu ihren Förderzusagen stehen und die ausgemachten Projekte umgesetzt werden. Da fließt wirklich viel Geld direkt in die Infrastruktur, wenn wir etwa an die Synagoge, das KiKuLa, Adaptierungen im Festspielhaus, im Stadtmuseum etc. denken. Darüber hinaus setzen wir auch als Stadt zusätzlich wichtige Projekte um, die teils direkter Ausfluss des Bürgerbeteiligungsprozesses waren bzw. mit Blick auf 2024 hin in Angriff genommen wurden, wie zum Beispiel die Öffnung des Alumnatsgartens, die neue Bibliothek, der Domplatz selbst, der Grillparzer Campus oder der grüne Loop. Das sind schon sehr nachhaltige Investitionen, die weit über 2024 hinaus wirken. [BILD4] 

Präsentiert wurden zuletzt auch die ersten Programmpunkte des neuen Festivals „Tangente“. Von einer substanziellen Einbindung der heimischen Kulturszene war da noch nicht viel die Rede. 
Also diesbezüglich habe ich vollstes Vertrauen, dass die heimische Künstlerschaft wie zugesagt berücksichtigt wird – darauf werden wir auch drängen. Zugleich musst du, um dich nach außen hin zu profilieren, natürlich mit bekannten Namen positionieren. Diesbezüglich ist die öffentliche Resonanz schon jetzt sehr gut. Ich war zuletzt etwa bei einer Städtebundtagung in Dornbirn, und da waren die Kollegen so begeistert und neugierig, dass wir 2024 eine Sitzung bei uns in St. Pölten abhalten werden, weil sie die „Tangente“ erleben möchten. Vor allem auch das KinderKunstLabor hat höchstes Interesse geweckt, weil es eine derartige Kultureinrichtung für Kinder in ganz Österreich nicht gibt. Da schaffen wir tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal.

Ein solches, weniger schmeichelhaftes, hat aktuell auch die Bundes-SPÖ im Hinblick auf die Obfrau-/Obmanndebatte. Wem haben sie Ihre Stimme gegeben, und wird mit der Entscheidung dann wirklich endlich Frieden einkehren?
Wo ich kann, werde ich jedenfalls mein Möglichstes dazu tun. Ich werde hier aber sicher nicht medial meine Präferenz ausbreiten, das gehört in der Partei intern diskutiert, wo ich mich stets eingebracht habe – leider haben sich meine dort geäußerten Bedenken erfüllt. Aber natürlich hoffe ich, dass das nunmehrige Ergebnis dann wirklich von allen akzeptiert wird, denn es braucht in der aktuellen Situation zur Lösung der zahlreichen Probleme einer starken Sozialdemokratie mehr denn je – und zwar in der Regierung! Die aktuelle zeigt tagtäglich, dass sie es nicht kann. Ich bedauere jedenfalls sehr, dass wir selbst schuld sind, wie wir uns aktuell nach außen hin präsentieren. Und es liegt allein an uns, uns da wieder rauszuziehen – ich hoffe, das haben auch die Letzten in der Partei jetzt endlich begriffen.

Eine eigenartige Figur hat die SPÖ zuletzt auch in Niederösterreich im Zuge der Regierungsverhandlungen mit der ÖVP abgegeben. Hat die Partei mit ihrem Ultimatum der FPÖ nicht geradezu den roten Teppich zu einem Arbeitsübereinkommen mit der ÖVP ausgerollt?
Also je mehr ich die Verhandlungen Revue passieren lasse, desto mehr verfestigt sich mein Eindruck, dass sich in der ÖVP letztlich jene Kräfte durchgesetzt haben, die sich durch die Einbindung der FPÖ eine unangenehme Oppositionspartei vom Hals schaffen wollten, weil die Blauen jetzt bei vielen Materien mitgehen müssen. An den fünf Punkten der Partei oder Sven Hergovichs Sager, dass er sich eher die Hand abhacken würde, wenn diese nicht erfüllt werden, sind die Verhandlungen sicher nicht gescheitert, zumal sie ja schon sehr weit fortgeschritten waren. Die ÖVP hat ganz bewusst diesen Weg mit den Blauen gewählt.
 
Hat die neue politische Farbelehre in der Landesregierung auch Auswirkungen auf ihr Verhältnis zur Landeshauptfrau? 
Also ich habe immer sehr klar zwischen Sachpolitik und Parteipolitik getrennt. Das war schon unter Erwin Pröll so, als ich zu Beginn meiner Amtszeit auf ihn zugegangen bin und gesagt habe, ich biete ihm meine Zusammenarbeit an, damit wir gemeinsam das Beste für die Landeshauptstadt weiterbringen. An diesem Zugang hat sich nichts geändert.