Peter Filzmaier: „Wahlkampf ist ein Themenwettbewerb“
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Peter Filzmaier zählt zu den renommiertesten Politologen Österreichs. Angesichts des Wahlkampfes in der Hauptstadt sprachen wir mit ihm über einen vermeintlichen Anachronismus, „Parteiabspaltungen“, die Rolle von Ideologie und ob Verschwiegenheit bei Finanzgeschäften opportun ist.
St. Pölten ist die letzte Hauptstadt Österreichs, wo eine Partei absolut regiert. Ist dies im Hinblick auf eine veränderte Politlandschaft und Erosion der „Großparteien“ eine Art Anachronismus?
Eigentlich ja, weil es nicht nur mehr Parteien als früher gibt, sondern auch die Zusammensetzung der Wählerschaft und deren Lebensumstände vielfältiger geworden sind. Nur wenn mehrere Faktoren zusammenkommen – etwa starke Amtsinhaber mit einer schlagkräftigen Organisation im Hintergrund, Schwächen anderer Parteien und günstige Stimmungslagen oder eine entsprechende Themenlandschaft – sind absolute Mehrheiten trotzdem möglich. Das ist im Land Niederösterreich und der Landeshauptstadt St. Pölten jeweils der Fall.
Bei den letzten Wahlen in Wr. Neustadt fand sich die SPÖ – nachdem sich eine „Regenbogenkoalition“ gebildet hatte – nach Jahrzehnten an der Macht in der Opposition wieder. Ist derartiges ein singuläres Phänomen, oder sind solche Verbindungen ehemals scheinbar konträr gegenüberstehender Parteien ein neues Phänomen?
Ideologisch geprägtes Wahlverhalten ist parallel mit der Stammwählerzahl zurückgegangen. Das hat ebenfalls soziologische Ursachen und mit komplexen Veränderungen der Gesellschaft zu tun. Der Arbeiteranteil ist mittlerweile bei bloß 15 Prozent, also kann die SPÖ weder in St. Pölten noch sonstwo sich ideologisch auf die Grundgedanken der Arbeiterbewegung beschränken. Die ÖVP wiederum wäre in einer Stadt chancenlos, wenn man Bürgerliche nur als praktizierende Christen und Kirchgänger versteht. Zudem wechseln alle Parteien je nach Thema oft ihre Links-Rechts-Positionen, und manchmal ist Populismus der Grund, weil man sich dadurch mehr Wählerstimmen erhofft. Oder die politische (Regierungs-)Macht als solche ist wichtiger als ein ideologisch passender Koalitionspartner.
Der SP-Spitzenkandidat Matthias Stadler ist zugleich Landesparteiobmann der SP Niederösterreich. In St. Pölten wirbt er, um „klare Verhältnisse“, ein Umstand, der ihm auf Landesebene umgekehrt nicht gefallen kann. Ist das eine „Doppelmoral“?
Das ist eine logische Strategie. Soll er womöglich umgekehrt sagen, dass er sich den Verlust der absoluten Mehrheit wünscht? Das geht nicht, und ich würde es nicht als Doppelmoral sehen, sondern eher die geringen Minderheitenrechte in der Stadtverfassung kritisch hinterfragen.
In St. Pölten sagen Umfragen ein Halten der absoluten Mehrheit voraus, dennoch ist eine gewisse Nervosität zu spüren. Besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Stammklientel zu Hause bleibt, wenn man den Wahlausgang bereits für „gelaufen“ hält?
Die positiven Umfragen sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann sich daraus ein Mobilisierungsproblem ergeben, weil sogar Stammwähler der SPÖ angesichts eines vermeintlich sicheren Wahlsieges womöglich zuhause bleiben. Andererseits gibt es als Phänomen auch manchmal ein Aufspringen auf den Zug des vermeintlichen Siegers, wenn spätentschlossene Wechselwähler ihre Entscheidung treffen, wen sie am Stimmzettel ankreuzen.
Die Grünen St. Pölten, mit zwei Mandaten vertreten, hatten im Vorjahr interne Turbulenzen. Langgediente Grüne verließen nach einer Kampfabstimmung den Vorstand und treten nun als „Die Kühnen“ an – was kann derartige Konkurrenz im Wahljahr bedeuten?
Der Nachteil einer Parteiabspaltung ist nicht nur aufgrund der unmittelbaren Abwanderung eines Teils der Stimmen groß. Wahlkampf ist ja ein Kampf um die Aufmerksamkeit der Bürger. Geht es in der Öffentlichkeit hauptsächlich um die Spaltung und ihre Gründe, bleibt ganz einfach viel weniger Zeit und Platz für die eigene Positivdarstellung – und immer weniger Wähler denken darüber nach, warum man die einen oder die anderen der Grünen wählen könnte.
Die FPÖ St. Pölten setzt im St. Pöltner Wahlkampf auf die Themen Sicherheit und Asyl. In der allgemeinen Stimmung glauben viele an einen automatischen Zuwachs – wie schätzen Sie dies prinzipiell ein?
Wahlkampf ist genauso ein Themenwettbewerb, in dem jede Partei ihre Wunschthemen diskutieren will. Bei den Grünen ist das beispielsweise Umwelt, und für die FPÖ eben Zuwanderung und Asyl. Das ist momentan aber sowieso bundesweit das Top-Thema, so dass die Blauen in St. Pölten gar nichts mehr dafür tun müssen. Sie bekommen sozusagen ihr liebstes Thema auf dem Silbertablett serviert.
Kommunalpolitiker predigen immer wieder, Bundes- und Landesthemen dürfe man nicht mit der lokalen Ebene verwechseln. Ist dieses Credo glaubwürdig angesichts dessen, dass jedwede Entscheidung auf übergeordneter Ebene sich letztlich am unmittelbarsten im Leben, das quasi auf Kommunalebene passiert, stattfindet?
Inhaltlich hängen die Politikebenen Bund, Land und Gemeinde natürlich zusammen. Wir haben ja unser politisches System extra so organisiert, dass Politiker und Parteien in diesem Mehrebenensystem zusammenarbeiten sollen. Je nach Wahlkampfsituation wollen oft Gemeindepolitiker in St. Pölten entweder das unterstreichen oder nichts davon wissen. Und dass wir von Gemeindeentscheidungen am unmittelbarsten betroffen sind, ist eine typische Halbwahrheit: Steuern etwa sind fast ausschließlich Bundesgesetze und betreffen trotzdem jeden sehr konkret und direkt.
Welche Rolle spielt auf Kommunalebene die Parteizugehörigkeit tatsächlich? Wird hier eher nach Personen oder doch auch nach Ideologie gewählt?
Es ist richtig, dass in den Gemeinden und auch Ländern Personen eher auch parteiübergreifend ein starkes Wahlmotiv sind. Das trifft für Bürgermeister Matthias Stadler genauso zu wie vor allem für Landeshauptmann Erwin Pröll. Hingegen sind Kanzler, Vizekanzler und Minister kaum ein Motiv eine Partei zu wählen. Was übrigens unabhängig von der Parteifarbe gilt, und auch zur Zeit der Regierungsbeteiligung der FPÖ so war. Ein banaler Grund ist natürlich, dass man Gemeinde- und Landespolitiker leichter kennenlernt als Bundespolitiker, die nur aus dem Fernsehen ein Begriff sind.
Über St. Pölten schwebte lange ein Gerichtsverfahren in Sachen schiefgelaufener SWAP Geschäfte, es ging um einen Streitwert von 77 Millionen Euro. Nun wurde – hinter verschlossenen Türen – ein Vergleich auf Schiene gebracht. Kommt man mit dieser Form der Geheimhaltung vor der Wahl durch? Oder berühren derart finanzielle Themen die Bevölkerung ohnedies nur in eingeschränktem Maße, weil die Zahlengrößen schlicht zu abstrakt sind?
Jein. Der genaue Streitwert ist insofern in der Tat egal, weil in der öffentlichen Wahrnehmung alles über eine Million ohnedies in die Sammelkategorie „urviel“ fällt. Die entscheidende Frage ist daher, ob die Wähler schon konkrete Auswirkungen einer dadurch entstehenden Finanzmisere der Stadt spüren. Da kann eine Partei natürlich hoffen, sich bis zur Wahl zu retten, weil die Geldknappheit erst im Lauf der Jahre spürbar wird. Was übrigens trotz der enormen Wichtigkeit überhaupt kein Thema ist, das sind die bevorstehenden Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Hier wird für viele Jahre festgelegt, wie das Steuergeld verteilt wird und was die Gemeinden selbst zahlen müssen – also auch ob St. Pölten finanziellen Spielraum hat oder einen harten Sparkurs fahren muss. Doch ist der Finanzausgleich sehr kompliziert und wird von höchstens 100 Experten in ganz Österreich verstanden.
PETER FILZMAIER ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl Franzens-Universität Graz. In Krems koordiniert er unter anderem Studiengänge für Politische Kommunikation und Politische Bildung, zu denen soeben die Anmeldefrist angelaufen ist.
www.donau-uni.ac.at/de/universitaet/netpol/studien
Eigentlich ja, weil es nicht nur mehr Parteien als früher gibt, sondern auch die Zusammensetzung der Wählerschaft und deren Lebensumstände vielfältiger geworden sind. Nur wenn mehrere Faktoren zusammenkommen – etwa starke Amtsinhaber mit einer schlagkräftigen Organisation im Hintergrund, Schwächen anderer Parteien und günstige Stimmungslagen oder eine entsprechende Themenlandschaft – sind absolute Mehrheiten trotzdem möglich. Das ist im Land Niederösterreich und der Landeshauptstadt St. Pölten jeweils der Fall.
Bei den letzten Wahlen in Wr. Neustadt fand sich die SPÖ – nachdem sich eine „Regenbogenkoalition“ gebildet hatte – nach Jahrzehnten an der Macht in der Opposition wieder. Ist derartiges ein singuläres Phänomen, oder sind solche Verbindungen ehemals scheinbar konträr gegenüberstehender Parteien ein neues Phänomen?
Ideologisch geprägtes Wahlverhalten ist parallel mit der Stammwählerzahl zurückgegangen. Das hat ebenfalls soziologische Ursachen und mit komplexen Veränderungen der Gesellschaft zu tun. Der Arbeiteranteil ist mittlerweile bei bloß 15 Prozent, also kann die SPÖ weder in St. Pölten noch sonstwo sich ideologisch auf die Grundgedanken der Arbeiterbewegung beschränken. Die ÖVP wiederum wäre in einer Stadt chancenlos, wenn man Bürgerliche nur als praktizierende Christen und Kirchgänger versteht. Zudem wechseln alle Parteien je nach Thema oft ihre Links-Rechts-Positionen, und manchmal ist Populismus der Grund, weil man sich dadurch mehr Wählerstimmen erhofft. Oder die politische (Regierungs-)Macht als solche ist wichtiger als ein ideologisch passender Koalitionspartner.
Der SP-Spitzenkandidat Matthias Stadler ist zugleich Landesparteiobmann der SP Niederösterreich. In St. Pölten wirbt er, um „klare Verhältnisse“, ein Umstand, der ihm auf Landesebene umgekehrt nicht gefallen kann. Ist das eine „Doppelmoral“?
Das ist eine logische Strategie. Soll er womöglich umgekehrt sagen, dass er sich den Verlust der absoluten Mehrheit wünscht? Das geht nicht, und ich würde es nicht als Doppelmoral sehen, sondern eher die geringen Minderheitenrechte in der Stadtverfassung kritisch hinterfragen.
In St. Pölten sagen Umfragen ein Halten der absoluten Mehrheit voraus, dennoch ist eine gewisse Nervosität zu spüren. Besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Stammklientel zu Hause bleibt, wenn man den Wahlausgang bereits für „gelaufen“ hält?
Die positiven Umfragen sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann sich daraus ein Mobilisierungsproblem ergeben, weil sogar Stammwähler der SPÖ angesichts eines vermeintlich sicheren Wahlsieges womöglich zuhause bleiben. Andererseits gibt es als Phänomen auch manchmal ein Aufspringen auf den Zug des vermeintlichen Siegers, wenn spätentschlossene Wechselwähler ihre Entscheidung treffen, wen sie am Stimmzettel ankreuzen.
Die Grünen St. Pölten, mit zwei Mandaten vertreten, hatten im Vorjahr interne Turbulenzen. Langgediente Grüne verließen nach einer Kampfabstimmung den Vorstand und treten nun als „Die Kühnen“ an – was kann derartige Konkurrenz im Wahljahr bedeuten?
Der Nachteil einer Parteiabspaltung ist nicht nur aufgrund der unmittelbaren Abwanderung eines Teils der Stimmen groß. Wahlkampf ist ja ein Kampf um die Aufmerksamkeit der Bürger. Geht es in der Öffentlichkeit hauptsächlich um die Spaltung und ihre Gründe, bleibt ganz einfach viel weniger Zeit und Platz für die eigene Positivdarstellung – und immer weniger Wähler denken darüber nach, warum man die einen oder die anderen der Grünen wählen könnte.
Die FPÖ St. Pölten setzt im St. Pöltner Wahlkampf auf die Themen Sicherheit und Asyl. In der allgemeinen Stimmung glauben viele an einen automatischen Zuwachs – wie schätzen Sie dies prinzipiell ein?
Wahlkampf ist genauso ein Themenwettbewerb, in dem jede Partei ihre Wunschthemen diskutieren will. Bei den Grünen ist das beispielsweise Umwelt, und für die FPÖ eben Zuwanderung und Asyl. Das ist momentan aber sowieso bundesweit das Top-Thema, so dass die Blauen in St. Pölten gar nichts mehr dafür tun müssen. Sie bekommen sozusagen ihr liebstes Thema auf dem Silbertablett serviert.
Kommunalpolitiker predigen immer wieder, Bundes- und Landesthemen dürfe man nicht mit der lokalen Ebene verwechseln. Ist dieses Credo glaubwürdig angesichts dessen, dass jedwede Entscheidung auf übergeordneter Ebene sich letztlich am unmittelbarsten im Leben, das quasi auf Kommunalebene passiert, stattfindet?
Inhaltlich hängen die Politikebenen Bund, Land und Gemeinde natürlich zusammen. Wir haben ja unser politisches System extra so organisiert, dass Politiker und Parteien in diesem Mehrebenensystem zusammenarbeiten sollen. Je nach Wahlkampfsituation wollen oft Gemeindepolitiker in St. Pölten entweder das unterstreichen oder nichts davon wissen. Und dass wir von Gemeindeentscheidungen am unmittelbarsten betroffen sind, ist eine typische Halbwahrheit: Steuern etwa sind fast ausschließlich Bundesgesetze und betreffen trotzdem jeden sehr konkret und direkt.
Welche Rolle spielt auf Kommunalebene die Parteizugehörigkeit tatsächlich? Wird hier eher nach Personen oder doch auch nach Ideologie gewählt?
Es ist richtig, dass in den Gemeinden und auch Ländern Personen eher auch parteiübergreifend ein starkes Wahlmotiv sind. Das trifft für Bürgermeister Matthias Stadler genauso zu wie vor allem für Landeshauptmann Erwin Pröll. Hingegen sind Kanzler, Vizekanzler und Minister kaum ein Motiv eine Partei zu wählen. Was übrigens unabhängig von der Parteifarbe gilt, und auch zur Zeit der Regierungsbeteiligung der FPÖ so war. Ein banaler Grund ist natürlich, dass man Gemeinde- und Landespolitiker leichter kennenlernt als Bundespolitiker, die nur aus dem Fernsehen ein Begriff sind.
Über St. Pölten schwebte lange ein Gerichtsverfahren in Sachen schiefgelaufener SWAP Geschäfte, es ging um einen Streitwert von 77 Millionen Euro. Nun wurde – hinter verschlossenen Türen – ein Vergleich auf Schiene gebracht. Kommt man mit dieser Form der Geheimhaltung vor der Wahl durch? Oder berühren derart finanzielle Themen die Bevölkerung ohnedies nur in eingeschränktem Maße, weil die Zahlengrößen schlicht zu abstrakt sind?
Jein. Der genaue Streitwert ist insofern in der Tat egal, weil in der öffentlichen Wahrnehmung alles über eine Million ohnedies in die Sammelkategorie „urviel“ fällt. Die entscheidende Frage ist daher, ob die Wähler schon konkrete Auswirkungen einer dadurch entstehenden Finanzmisere der Stadt spüren. Da kann eine Partei natürlich hoffen, sich bis zur Wahl zu retten, weil die Geldknappheit erst im Lauf der Jahre spürbar wird. Was übrigens trotz der enormen Wichtigkeit überhaupt kein Thema ist, das sind die bevorstehenden Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Hier wird für viele Jahre festgelegt, wie das Steuergeld verteilt wird und was die Gemeinden selbst zahlen müssen – also auch ob St. Pölten finanziellen Spielraum hat oder einen harten Sparkurs fahren muss. Doch ist der Finanzausgleich sehr kompliziert und wird von höchstens 100 Experten in ganz Österreich verstanden.
PETER FILZMAIER ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl Franzens-Universität Graz. In Krems koordiniert er unter anderem Studiengänge für Politische Kommunikation und Politische Bildung, zu denen soeben die Anmeldefrist angelaufen ist.
www.donau-uni.ac.at/de/universitaet/netpol/studien